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Müdigkeit oder Neuanfang: Die starke Ablehnung des Bürgers

Published On: 12. August 2023 23:45

Eine der mysteriösesten Figuren in der Literaturgeschichte ist Bartleby der Schreiber, der in der gleichnamigen Erzählung des amerikanischen Schriftstellers Herman Melville vorkommt. Bartleby arbeitet als Schreibgehilfe in einem dunklen Anwaltsbüro an der Wall Street und hört eines Tages auf, jegliche Arbeit zu verrichten, was seine Vorgesetzten schockiert. Obwohl er weiterhin an seinem Arbeitsplatz bleibt, sitzt er dort nur freudlos herum. Auf alle Bitten und Aufforderungen, wieder zumindest ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft zu zeigen, antwortet er stets mit den kryptischen Worten: „Ich möchte lieber nicht.“

Bis vor kurzem galt Bartleby als groteske Kunstfigur aus Melvilles Phantasie. Doch in den letzten Jahren scheint der halbanarchische Ausstieg aus der Teilnahme am großen Ganzen immer mehr Nachahmer zu finden. Insbesondere in Deutschland hat sich eine Geburtsstätte von Millionen Bartlebys entwickelt, aufgrund der schleichenden Erosion der wohlstandsgebundenen Solidargemeinschaft. Die Verweigerung als Form des laut- und hilflosen Aufbegehrens zeigt sich in verschiedenen Ausprägungen. Zum Beispiel gibt es Hunderttausende von nicht abgegebenen Grundsteuererklärungen, bei denen das umständliche Verfahren nicht mehr als Bürgerpflicht, sondern als Gehorsamsritual einer kafkaesken Hyperbürokratie wahrgenommen wird. In Verbindung mit einer improvisierten Klimaschutzgesetzgebung, die nur die Botschaft einer Nebenkostenexplosion vermittelt und so generationenübergreifende Lebenswerke zunichte macht, entsteht tiefes Misstrauen als instinktive Reaktion auf Verlautbarungen aus Berlin. Niemand möchte für dieses Land kämpfen. „Ich möchte lieber nicht“ lautet auch die Antwort in einer aktuellen Umfrage über den individuellen Beitrag zur Verteidigungsbereitschaft für die Souveränität der Bundesrepublik. Nur jeder zehnte wäre im Ernstfall bereit, zur Waffe zu greifen. Die fehlende Überlebensbereitschaft der Gemeinschaft lässt sich nicht mit dem Verweis auf postmodernes Beliebigkeitsdenken erklären, denn in einer vergleichbaren finnischen Studie bekräftigen 83 Prozent der Befragten den Willen zum Kampf für ihre Nation. Die staatsbürgerliche Ermüdung, die politische Orientierungslosigkeit und gesellschaftliche Desintegration zur Folge hat, ist längst ein Phänomen, das alle politischen Lager betrifft. Historische Höchststände bei den Krankmeldungen deuten darauf hin, dass Arbeitnehmer sich immer weniger mit ihrem Arbeitsplatz identifizieren. Insbesondere Beamte fallen hier auf und untergraben die Autorität ihres Dienstherrn. Die Forderung, auch die letzten Überreste von Wettkampfdenken wie die Bundesjugendspiele zu verbannen, ist nur konsequent. Wenn Leistung nicht gewürdigt, sondern durch zusätzliche Abgabenlast stigmatisiert wird, stellt kaum jemand mehr Produktivität vor persönliche Bequemlichkeit. Die demographische Krise, die Schwäche bei Innovationen und die Arbeitsverweigerung in Form von Teilzeit- und Telearbeit weisen den Weg in den sozioökonomischen Abstieg des Landes. Im Gegenzug lässt sich als Ergebnis der Unzufriedenheit mit dem Staat eine neue deutsche Biedermeiermentalität feststellen. Als Ausweg aus der Entfremdung und als einzige Form der Selbstwirksamkeit wird das Arbeiten im unmittelbaren Umfeld von Familie, Gemüsegarten und virtuellen Scheinwelten entdeckt. „Die Römer waren Tyrannenfresser / Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak“, wusste schon die Spottdrossel Heinrich Heine, um die Passivität seiner Landsleute in der Mitte des 19. Jahrhunderts treffend zu charakterisieren. Der sozialistische Politologe Herbert Marcuse betrachtete die Große Verweigerung jedoch als Möglichkeit für einen gesellschaftlichen Wandel. Die kompromisslose Ablehnung von überkommenen Zwängen würde den Weg zu neuen Mitgestaltungsverhältnissen ebnen. Auch die Alternative für Deutschland sieht im Unmut der Bürger ein riesiges Reservoir an politischem Kapital. Sie setzt auf ein Programm der Stärkung des Selbstbewusstseins, das die diffuse Müdigkeit der Marginalisierten in Wut umwandeln und die Stimme der Diskursverweigerer zurück in die öffentliche Debatte bringen soll. Das Wahlvolk befindet sich somit im Spannungsfeld zwischen Betäubung durch Durchhalteparolen der etablierten Politik und Medien und den Empörungsstimulanzien der Opposition. Doch eine gegensätzliche Mischung von Medikamenten kann zu unerwarteten und manchmal toxischen Nebenwirkungen führen. Insbesondere die AfD übersieht, dass die Gunst der Erschöpften vergänglich ist. Die jüngste Hochphase in den Umfragen kann sich schnell ins Gegenteil verkehren. Nur wenn die Partei aufhört, das ressentimentgeladene Spiel ihrer zahlreichen Gegner mitzuspielen, wird sie als flächendeckende Oppositionsbewegung akzeptiert werden. Dafür muss ihre öffentliche Wahrnehmung von einem grimmigen Bedenkenträger zu einem ermutigenden Impulsgeber für eine dringend benötigte Normalisierung werden. Eine befremdliche Mobilisierungsrhetorik mit Tötungsphantasien, die an die EU gerichtet sind, wie sie auf dem letzten Parteitag in Magdeburg

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Ermüdung oder AufbruchDie große Verweigerung des Bürgers

Eine der rätselhaftesten Figuren der Literaturgeschichte ist Bartleby der Schreiber, welcher in der gleichnamigen Erzählung des amerikanischen Schriftstellers Herman Melville auftritt. Der Schreibgehilfe, tätig in einem lichtlosen Anwaltsbüro an der Wall Street, stellt eines Tages zum Entsetzen seiner Vorgesetzten jede Form der Arbeit ein. Zwar verbleibt er weiterhin an seinem Arbeitsplatz, sitzt dort jedoch nur freudlos auf der Stelle. Auf alle Bitten und Aufforderungen, doch wieder ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft zu zeigen, antwortet er stets mit den kryptischen Worten: „Ich möchte lieber nicht.“   Über ein Jahrhundert galt Bartleby als groteskes Kunstprodukt der Melvilleschen Phantasie. Doch in den letzten Jahren scheint der halbanarchische Ausstieg aus der Partizipation am großen Ganzen immer mehr Nachahmer zu finden. Insbesondere Deutschland ist durch die

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