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Ein schwieriger Weg aus Polen

Published On: 1. Oktober 2023 6:17

Henryk Nowak (Nachname auf Wunsch des Interviewten geändert) ist mir schon seit einiger Zeit bekannt. Ich besuche ihn gelegentlich auf dem Markt am Maybachufer oder bei ihm zu Hause. Er kannte meinen verstorbenen Vater und ich liebe es, ihm zuzuhören, wenn er über die alten Geschichten erzählt, die er mit meinem Vater erlebt hat. Henryk ist ein beeindruckend stämmiger Mann mit einem imposanten Bauch, der in seiner Erscheinung an den berühmten französischen Schauspieler Gérard Depardieu erinnert. Ich fragte ihn, ob ich ihn für die neue Kolumne „Menschen in Deutschland“ im Manova-Magazin interviewen könnte. Nach anfänglicher Skepsis stimmte er zu. Henryk wurde 1951 in Polen geboren und gewährt uns einen kleinen Einblick in seine Lebensgeschichte, seine aktuelle Situation und sein Weltbild. Unser Gespräch fand bei ihm zu Hause bei einer Flasche Wein statt und wurde in polnischer Sprache geführt.

Gustav Smigielski: Lieber Henryk, ich freue mich, dass du bereit bist, uns einen Einblick in dein Leben zu geben. Darf ich dich nach deinem Bildungsstand fragen und wann du nach Berlin gekommen bist?

Henryk: Ich bin im Januar 1985 nach Berlin gekommen und habe in Polen eine technische Sekundarausbildung in Fahrzeug- und Maschinenmechanik abgeschlossen. Allerdings hatte ich schon immer eine besondere Beziehung zur Kunst, wie Malerei und Bildhauerei.

Gustav Smigielski: Wie waren deine ersten Jahre in Berlin?

Henryk: Die ersten Jahre waren ein Albtraum! Der Kontrast war enorm, überall schöne Autos, gut gekleidete Menschen, eine wunderschöne bunte Stadt – Westberlin! Ein großer Kontrast zum grauen und grobschlächtigen Polen. Westberlin war eine andere Welt, aber für mich unerreichbar, ein Hauch von Freiheit, den ich aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht vollständig erleben konnte.

Gustav Smigielski: Was hast du zu Beginn gemacht?

Henryk: Ich habe schwarzgearbeitet, hauptsächlich als Umzugshelfer, Reinigungskraft oder auf dem Bau. Die Deutschen waren erstaunt, dass so starke und intelligente Männer für so wenig Geld arbeiteten.

Gustav Smigielski: Wie lange warst du in dieser Situation?

Henryk: Etwa acht Monate. Das war nicht lange, aber intelligente Männer können es immer schaffen.

Gustav Smigielski: Was kam danach?

Henryk: Danach habe ich legal in einer Fabrik gearbeitet, wo ich Mäntel gebügelt habe. Zuerst hatte ich eine Arbeitserlaubnis von zwei Wochen, dann wurde sie auf sechs Monate und schließlich auf zwei Jahre verlängert. Die Arbeit ermöglichte es mir, die Wohnung zu mieten, in der wir uns jetzt befinden. Durch die Wohnung konnte ich mich anmelden. Die Bezahlung war schlecht, aber es gab Bonuszahlungen und ich war krankenversichert, was mir eine gewisse Stabilität gab. Dadurch konnte ich ein paar Tausend Mark sparen. Nach einer Weile konnte ich mir einen alten Mercedes leisten und beschloss, nach Polen zu fahren, um meine Mutter zu besuchen. Ich habe das Auto mit Konsumgütern beladen, die in Polen nicht erhältlich waren: Olivenöl, Bananen, Fruchtsäfte, Schokolade und andere Süßigkeiten. Ich fuhr also mit dem Mercedes zum Grenzübergang in Drewitz. Ich erinnere mich an die Gesichter der DDR-Grenzbeamten, als sie mich in einem mit westlichen Produkten gefüllten Mercedes mit einem Mann namens Nowak sahen, der drei Jahre zuvor zum Arbeiten nach Westberlin gekommen war. Einer der Grenzbeamten bekam einen Nervenzusammenbruch, seine Hände begannen zu zittern und er konnte den Anblick des Mercedes, meiner Kleidung und der im Auto transportierten „Exquisitessen“ nicht ertragen. Ich dachte, er würde mich erschießen. Seine Kollegen griffen ein und zerrten ihn ins Grenzhäuschen. In Polen hatten viele Kinder damals noch nie eine Banane gesehen. Mit den D-Mark war ich in Polen reich. Im Pewex* kostete eine 0,7 Liter Flasche Wodka der Marke „Polonez“ eine Mark und man konnte dort mit D-Mark bezahlen. Ich kaufte sofort 100 Flaschen. Eine wunderbare Geschichte. Ja, das stimmt, aber ich muss dir noch etwas anderes erzählen, ich glaube aus dem Jahr 1989.

Gustav Smigielski: Bitte, ich höre gespannt zu.

Henryk: Ich hatte diese Wohnung, in der wir gerade sitzen, vor kurzem bezogen. Kurz nach meinem Einzug klopfte es an meiner Tür. Ein ziemlich kleiner Mann begrüßte mich. Sein Name war Leo Kutner und er war ein polnischer Jude. Er besaß einen Juwelierladen und war mit einer deutschen Jüdin verheiratet. Er war ziemlich wohlhabend, kannte die Gegend und die Menschen hier gut und war bestens über die aktuellen Ereignisse und Klatschgeschichten informiert. Sogar der Bezirkspolizeibeamte besuchte ihn gerne, um etwas zu erfahren. Wir wurden Freunde, er wohnte im zweiten Stock und ich im vierten. Im sechsten Stock wohnte ein älterer deutscher Herr, den Leo regelmäßig besuchte und sich um ihn kümmerte, da er nicht mehr in der Lage war, sich selbst zu versorgen. Mit der Zeit hat er auch mich in diese Helferrolle eingebunden. Es fing damit an, dass Leo mich bat, mit ihm in den sechsten Stock zu gehen und die Waschmaschine zu reparieren. So lernte ich den Mann kennen und begann auch, ihm zu helfen. Ich putzte regelmäßig seine Wohnung, führte kleine Reparaturen durch und erledigte Einkäufe für ihn. Eines Tages kam Leo sehr aufgeregt zu mir und zitterte am ganzen Körper, so dass er einen Moment lang kein Wort herausbringen konnte. Ich versuchte, ihn zu beruhigen und bot ihm an, sich in Ruhe auszusprechen. Er erzählte mir, dass er bei seinem Schützling aus dem sechsten Stock war, um ihm etwas Suppe zu bringen und ihn zu füttern. Nachdem der Herr die Suppe gegessen hatte, übergab er sich. Leo musste das Erbrochene wegräumen und ihm auch die Kleidung ausziehen. Dabei kam etwas Schreckliches zum Vorschein. Als er ihm die Hose auszog, entdeckte er, dass der Mann eine Windel trug. Es war ein sehr trauriger Moment für uns beide

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Ein harter Weg aus Polen

Henryk Nowak (Nachname auf Wunsch des Interviewten geändert) kenne ich schon etwas länger. Ich besuche ihn manchmal auf dem Markt am Maybachufer oder bei ihm zu Hause. Er kannte meinen verstorbenen Vater und ich liebe es, ihm zuzuhören, wenn er über die alten Geschichten erzählt, die er mit meinem Vater erlebt hat. Ein beeindruckend stämmiger Mann mit einem imposanten Bauch, der in seiner Erscheinung an den berühmten französischen Schauspieler Gérard Depardieu erinnert. Ich fragte ihn, ob ich ihn interviewen könnte für die neue Kolumne „Menschen in Deutschland“ im Manova-Magazin. Etwas skeptisch willigte er ein. Henryk ist 1951 in Polen geboren worden und gewährt uns einen kleinen Einblick in seine Lebensgeschichte, seine aktuelle Situation und sein Weltbild. Wir sitzen bei ihm

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