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Schreiben an die Kinder in Gaza

Published On: 10. November 2023 9:59

Liebes Kind, es ist nach Mitternacht. Ich fliege mit einer Geschwindigkeit von Hunderten Meilen pro Stunde durch die Nacht. Tausende Meter über dem Atlantischen Ozean. Ich reise nach Ägypten. Ich will dort zur Grenze nach Gaza, bei Rafah. Wegen Dir.

Du warst nie in einem Flugzeug. Du hast Gaza nie verlassen. Du kennst nur das dichte Gedränge in den Straßen und Gassen. Die Betonverschläge. Du kennst nur die Sicherheitsbarrieren und Zäune, die Gaza umgeben und an denen Soldaten entlang patrouillieren.

Flugzeuge machen Dir Angst. Kampfjets. Kampfhubschrauber. Drohnen. Sie kreisen über Dir. Sie schießen Raketen ab, werfen Bomben. Ohrenbetäubende Explosionen. Die Erde bebt. Gebäude fallen zusammen. Die Toten. Die Schreie. Die dumpfen Hilferufe aus den Trümmern. Es hört nicht auf. Nacht und Tag. Gefangen unter Bergen von zertrümmertem Beton. Deine Spielkameraden. Deine Schulkameraden. Deine Nachbarn. In Sekunden verschwunden.

Du siehst die kreideweißen Gesichter und Körperteile, die ausgegraben werden. Ich bin Reporter. Es gehört zu meinem Beruf, das zu sehen. Du bist ein Kind. Du solltest das nie sehen. Der Geruch des Todes. Verwesende Körper unter zerbrochenem Beton. Du hältst den Atem an. Du bedeckst Deinen Mund mit einem Tuch. Du gehst schneller. Dein Viertel ist ein Friedhof geworden. Alles, was so vertraut war, gibt es nicht mehr. Du blickst ungläubig um Dich. Du fragst Dich, wo Du bist. Du hast Angst.

Eine Explosion nach der anderen. Du weinst. Du klammerst Dich an Deine Mutter oder an Deinen Vater. Du hältst Dir die Ohren zu. Du siehst das weiße Licht der Rakete und wartest auf die Explosion. Warum töten sie Kinder? Was haben sie getan? Warum kann Dich niemand beschützen? Wirst Du verletzt werden? Wirst Du ein Bein oder einen Arm verlieren? Wirst Du blind werden oder in einem Rollstuhl sitzen? Warum wurdest Du geboren? War es, um Schönes zu erleben? Oder war es, um das hier zu erleben? Wirst Du groß werden? Wirst Du glücklich? Wie wird es sein ohne Deine Freunde? Wer wird als nächstes sterben? Deine Mutter? Dein Vater? Deine Brüder und Schwestern? Irgendjemand, den Du kennst, wird verletzt. Bald. Jemand, den Du kennst, wird sterben. Bald.

Nachts liegst Du im Dunkel auf dem kalten Zementboden. Die Telefone sind unterbrochen. Das Internet ist abgeschaltet. Du weißt nicht, was passiert. Es gibt Lichtblitze. Es gibt Wellen von Erschütterungen durch Explosionen. Es gibt Schreie. Es hört nicht auf. Du wartest, wenn Dein Vater oder Deine Mutter auf der Suche nach Essen oder Wasser sind. Das schreckliche Gefühl im Magen. Werden sie zurückkommen? Wirst Du sie wiedersehen? Wird Dein kleines Zuhause das nächste sein? Werden die Bomben Dich finden? Sind dies Deine letzten Momente auf dieser Welt?

Du trinkst salziges, schmutziges Wasser. Es macht Dich sehr krank. Dein Magen tut weh. Du hast Hunger. Die Bäckereien sind zerstört. Es gibt kein Brot. Du isst einmal am Tag. Nudeln. Eine Gurke. Bald wird es wie ein Festmahl sein. Du spielst nicht mit Deinem Fußball aus Lumpen. Du lässt Deinen Drachen nicht fliegen, der aus altem Zeitungspapier gebaut ist.

Du hast ausländische Reporter gesehen. Wir tragen Schutzwesten, auf denen das Wort „Presse“ steht. Wir haben Helme. Wir haben Kameras. Wir fahren in Jeeps. Wir tauchen immer nach der Bombardierung auf oder nach einer Schießerei. Wir sitzen lange bei Kaffee und reden mit den Erwachsenen. Dann verschwinden wir. Normalerweise interviewen wir keine Kinder. Aber ich habe Interviews mit Euch gemacht, als Ihr uns umringt habt. Es wurde gelacht. Gestikuliert. Ihr habt uns gebeten, Fotos von Euch zu machen.

Ich bin in Gaza von Kampfjets bombardiert worden. Ich wurde in anderen Kriegen bombardiert. Das war, bevor Du geboren wurdest. Ich hatte sehr große Angst. Ich träume immer noch davon. Wenn ich heute die Bilder aus Gaza sehe, kehren die Kriege mit großer Wucht wie Donner und Blitze zu mir zurück. Ich denke an Euch. Alle von uns, die im Krieg waren, hassen den Krieg vor allem wegen dem, was er Kindern antut.

Ich habe versucht, Deine Geschichte zu schreiben. Ich habe versucht, der Welt zu sagen, wenn man grausam zu Menschen ist, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr, Jahrzehnte lang, wenn man den Menschen ihre Freiheit und ihre Würde nimmt, wenn man sie erniedrigt und in einem Gefängnis unter freiem Himmel einsperrt, wenn man sie tötet, als seien sie wilde Tiere, dann werden sie zornig. Sie tun anderen das an, was man ihnen angetan hat. Ich habe das immer wieder gesagt. Ich habe das sieben Jahre lang gesagt. Kaum jemand hat zugehört. Und jetzt dies.

Es gibt sehr mutige palästinensische Journalisten. 39 von ihnen wurden getötet, seit dieses Bombardement begann. Sie sind Helden. Auch die Ärzte und Krankenpfleger in Euren Krankenhäuser

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Brief an die Kinder in Gaza

Liebes Kind, es ist nach Mitternacht. Ich fliege mit einer Geschwindigkeit von Hunderten Meilen pro Stunde durch die Nacht. Tausende Meter über dem Atlantischen Ozean. Ich reise nach Ägypten. Ich will dort zur Grenze nach Gaza, bei Rafah. Wegen Dir. Von Chris Hedges. Du warst nie in einem Flugzeug. Du hast Gaza nie verlassen. Du kennst nur das dichte Gedränge in den Straßen und Gassen. Die Betonverschläge. Du kennst nur die Sicherheitsbarrieren und Zäune, die Gaza umgeben und an denen Soldaten entlang patrouillieren. Flugzeuge machen Dir Angst. Kampfjets. Kampfhubschrauber. Drohnen. Sie kreisen über Dir. Sie schießen Raketen ab, werfen Bomben. Ohrenbetäubende Explosionen. Die Erde bebt. Gebäude fallen zusammen. Die Toten. Die Schreie. Die dumpfen Hilferufe aus den Trümmern. Es hört

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