ein-einfacher-schritt-chinas-koennte-die-offensive-agenda-der-eu-gegenueber-peking-vereitelnEin einfacher Schritt Chinas könnte die offensive Agenda der EU gegenüber Peking vereiteln
gruene-behauptet,-dass-die-erde-bei-minus-5-grad-und-einem-halben-meter-schnee-„brenntGrüne behauptet, dass die Erde bei minus 5 Grad und einem halben Meter Schnee "brennt
politische-begriffe:-erzaehlung-(narrativ)

Politische Begriffe: Erzählung (Narrativ)

Published On: 3. Dezember 2023 15:53

Was haben Politik und Literatur gemeinsam? In beiden werden „Geschichten“ erzählt: In der Literatur schon immer, in der Politik und ihrer medialen Kommunikation vor allem ab den 2000er Jahren. Der berühmteste deutsche Roman des 18. Jahrhunderts, Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ (1774), beginnt mit folgendem Vorspann des Autors: „Was ich von der Geschichte des armen Werther nur habe auffinden können, habe ich mit Fleiß gesammelt, und leg es euch hier vor, und weiß, dass ihr mirs danken werdet.“ Der Briefroman „Werther“, die Geschichte einer unglücklichen Liebe, die mit dem Selbstmord des Mannes endet, wurde ein ungeheurer Erfolg: Handlung und Erzählstruktur – literaturtheoretisch ausgedrückt: das „Narrativ“ – trafen den Nerv der gebildeten jungen Generation der Zeit: Das Werk wurde literarisch nachgeahmt (Wertheriaden), junge Männer trugen „Werthertracht“, und einige setzten den Romanschluss in Wirklichkeit um (Werthereffekt). Rückblickend wunderte sich Goethe über diese Wirkungen: Er habe „die Wirklichkeit in Poesie verwandelt“; manche Leser hätten aber geglaubt, „man müsse die Poesie in Wirklichkeit verwandeln, einen solchen Roman nachspielen und sich allenfalls selbst erschießen“. In einem nicht-literarischen Sinn bedeutet „Narrativ“ einen sinnstiftenden Diskurs zu Ereignissen und Sachverhalten, der zur Identität einer Person gehört oder von einer Gruppe (Familie, Partei, Nation u. Ä.) geteilt wird und diese zusammenhält. Seit zwei Jahrzehnten ist dieser – ursprünglich fachwissenschaftliche – Begriff in den Medien üblich geworden und wird zunehmend mit dem alten Wort „Erzählung“ verdeutscht: „Die SPD braucht ein neue Erzählung“ (Vorwärts 24. November 2010), „Europa braucht eine neue Erzählung“ (Tagesspiegel 1. Oktober 2011), „Erzählungen vom „Kontrollverlust des Staates“, von den „berechtigten Ängsten“ sogenannter Abgehängter und von „Obergrenzen“ [haben] Hochkonjunktur“ (ZEIT 2/2018). Die aktuelle politische Diskussion wird von Narrativen beherrscht: Zum Beispiel hat sich die regierende Ampelkoalition gleich zu Beginn, 2021, als „Fortschrittskoalition“ betitelt, und „eine bessere Erzählung ist eigentlich schwer zu finden“ (Süddeutsche Zeitung 20. November 2023, Seite 11). Trotz dieses begeisternden Narrativs findet die Koalition heute unter den Wählern keine Mehrheit mehr. Warum? Die politische Erzählung vom „Fortschritt“ ist im Alltag der Bürger unglaubwürdig geworden: So werden die enormen Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln von den meisten nicht als „Fortschritt“ empfunden, ebenso wenig die Unpünktlichkeit der Bahn, das Fehlen von Medikamenten in Apotheken oder die Funktionsmängel des Staatsapparates. Fazit: Man kann in der Literatur Wirklichkeit in Poesie verwandeln, aber nicht in der Politik, zumindest nicht auf Dauer. Die vielen politischen Erzählungen (Narrative) haben übrigens zu einer Bedeutungsveränderung des Wortes im allgemeinen Sprachgebrauch geführt: Es wird nun – so das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) – „häufig abwertend“ verwendet, um „andere Überzeugungen oder Darstellungen zu relativieren und sie … als bloße Fiktion zu charakterisieren“. Anzeige Unterstützung Wenn Ihnen unser Artikel gefallen hat: Unterstützen Sie diese Form des Journalismus

Original Artikel Teaser

Politischer Wortschatz: Erzählung (Narrativ)

Was haben Politik und Literatur gemeinsam? In beiden werden „Geschichten“ erzählt: In der Literatur schon immer, in der Politik und ihrer medialen Kommunikation vor allem ab den 2000er Jahren. Der berühmteste deutsche Roman des 18. Jahrhunderts, Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ (1774), beginnt mit folgendem Vorspann des Autors: „Was ich von der Geschichte des armen Werther nur habe auffinden können, habe ich mit Fleiß gesammelt, und leg es euch hier vor, und weiß, dass ihr mirs danken werdet.“ Der Briefroman „Werther“, die Geschichte einer unglücklichen Liebe, die mit dem Selbstmord des Mannes endet, wurde ein ungeheurer Erfolg: Handlung und Erzählstruktur – literaturtheoretisch ausgedrückt: das „Narrativ“ – trafen den Nerv der gebildeten jungen Generation der Zeit: Das Werk wurde literarisch nachgeahmt

Details zu Politischer Wortschatz: Erzählung (Narrativ)

Categories: Deutsch, Medien, Politik, Quellen, Tichys EinblickTags: , Daily Views: 1Total Views: 15
ein-einfacher-schritt-chinas-koennte-die-offensive-agenda-der-eu-gegenueber-peking-vereitelnEin einfacher Schritt Chinas könnte die offensive Agenda der EU gegenüber Peking vereiteln
gruene-behauptet,-dass-die-erde-bei-minus-5-grad-und-einem-halben-meter-schnee-„brenntGrüne behauptet, dass die Erde bei minus 5 Grad und einem halben Meter Schnee "brennt