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So zerstören Berater-„Götter“ Freiheit und Wissenschaft

Published On: 27. Oktober 2021 17:36

Wissenschaft Gedanken BtB

Pixabay

In seinem neuen Gastbeitrag fragt der Soziologe und Wirtschaftswissenschafter Dr. Enver Muti: „Was führt uns aus der Krise, Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität? Oder eine Kultur der Freiheit?“ Er sieht die Menschheit in einer tiefen Angst-Krise und warnt vor den vermeintlichen „Göttern“ der Wissenschaft. In seiner erfrischend differenzierten Auseinandersetzung mit des Spannungsverhältnisses zwischen Freiheit und Wissenschaft spart Muti nicht mit Kritik. Reflektiert übt er diese an allen Seiten und er rüttelt wach: Wenn wir den wissenschaftlichen Narrativen blind vertrauen, geben wir unsere Freiheit auf. Er ist überzeugt: Nicht nur Spiritualität ist eine Glaubensfrage. Und: Jeder Wissenschaft wohnt auch ein autoritärer Charakter inne. 

Was führt uns aus der Krise, Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität? Oder eine Kultur der Freiheit?

Ein Gastbeitrag von Enver Muti

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Die Menschheit steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Sehenden Auges hadert sie verzweifelt mit sich selbst und der Welt. Die Welt der Kommunikationen wird beherrscht von Gefahrenbeschreibungen, die Angst auslösen, Angst, die man nicht braucht. Das ist nicht neu, aber das ist eine bisher noch nie dagewesene Allgegenwärtigkeit und Dosis einer Angststeuerung. Sie ist massiv, flächendeckend und professionell organisiert. Das Bewusstsein ist fest umklammert von Angstthemen wie Armut oder Hungersnot, Naturkatastrophen, Klimakatastrophen, Kriegen, biologische oder chemische, irdische oder außerirdische Angriffe durch Parallel- oder Fremdwelten, Überbevölkerung, Zwang und Täuschung u.Ä.m, also von der Angst ums Überleben. Das Bewusstsein findet kein Entkommen. 

Diese Angstthemen kommen nie alleine, sondern immer mit ihren Feindbildern zusammen. In diesem Zustand mit jenen Feindbildern scheint ein Gefühl oder Instinkt zu herrschen, der die Bewusstseine dahingehend animiert, dorthin zu laufen, wo viele hinlaufen, und dabei mögliche gute oder notwendige Optionen zu ignorieren. Wir sind zutiefst verunsichert und treffen unsere Entscheidungen unter Angst, während unsere Denk- und Handlungsroutinen immer weniger brauchbare Lösungen bieten. Je länger wir in dieser Verunsicherung verweilen, desto schneller wächst das Bedürfnis nach Vertrauen, und zwar nach Vertrauen in Lösungen, die unsere Ängste eliminieren sollen, damit wir wieder zur Ruhe kommen, uns sicher fühlen und uns vergewissern können. 

Vertrauen und Glaubwürdigkeit

Der Weg zum Vertrauen geht über Glaubwürdigkeit. Denn Vertrauen kann nur durch Glaubwürdigkeit spürbar, ‚messbar‘, beobachtbar und kommunizierbar gemacht werden. Wenn ich dir glaube, kann ich dir auch vertrauen, wenn ich dir vertraue, glaube ich dir auch. Das klingt fast wie nach einer Tautologie, aber es gibt einen feinen Unterschied. Ich vertraue, weil ich glaube. Aber umgekehrt, ich glaube, weil ich vertraue, würde z.B. nicht funktionieren, da das Bewusstsein nur mit Glaubensentscheidungen operieren kann, auch wenn Gefühle an diesen mitbeteiligt sind und sie in die eine oder andere Richtung beeinflussen können. Erst wenn wir glauben können, können wir vertrauen, und nicht andersherum. Vertrauen bezeichnet eine Reaktion, ein Gefühl, das ausgelöst wird durch etwas anderes. Glaubwürdigkeit hingegen kann nach unterschiedlichen Kriterien konstruiert und beobachtet werden. Glaubwürdig ist, wenn sich die Kommunikation mit ihrer erlebbaren und beobachtbaren Wirkung deckt, wenn unser Tun unsere Worte bestätigt. 

Wir alle suchen nach Vertrauen und wollen dafür Glaubwürdigkeiten wahrnehmen, soweit unsere Wahrnehmung es zulässt. Ein von Angst dominiertes Bewusstsein scheut jedoch den Aufwand, die eigene Wahrnehmung zu überprüfen, und ist schneller bereit, anderen Wahrnehmungen zu folgen. Das ist ein Problem bei der Wahrnehmung und Entwicklung von Glaubwürdigkeit. Um dieses Problem zu überwinden und schließlich das Bedürfnis nach Vertrauen zu befriedigen, werden wir mit Lösungsangeboten wie Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität konfrontiert. Sie sollen uns Vertrauen geben und Handlungssicherheit ermöglichen. 

Auch Wissenschaftlichkeit ist eine Glaubensentscheidung

Wissenschaftlichkeit und Spiritualität nehmen ihren Ausgang auch von einer Glaubensentscheidung und sind zunächst einmal begriffliche Festlegungen, mit deren Hilfe wir Unterscheidungen treffen, die wir brauchen, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu erkennen und zu erzeugen. Beide Begriffe sind Wahrnehmungs- und Beobachtungsinstrumente. Wir verwenden sie in unserer Kommunikation. Sie beschreiben Methoden zur Herstellung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen. 

Eine Methode ist ein in sich geschlossenes Konstrukt oder System, das definierte Wege geht oder Anweisungen folgt und mit seiner Umwelt auf eigenen Wunsch nicht kommunizieren kann. Sie ist kein Lebewesen, kein psychisches System. Sie macht nur Wahrnehmung und Beobachtung möglich, und sie ist weder das Wahrgenommene oder Beobachtete selbst, noch kann sie aus sich heraus alleinige Gültigkeit beanspruchen. Dass in unserer Gesellschaft Methoden zur Durchsetzung alleiniger Gültigkeiten eingesetzt werden, ist eine kulturelle Angelegenheit, ‚Errungenschaft‘ einer Zwangskultur, die in uns verankert und verwurzelt zu sein scheint und uns dazu anhält, ständig nach einer für alle verbindlichen Wahrheit zu suchen und uns daran zu orientieren. 

Die zentrale Leistung der Wissenschaftlichkeit besteht darin, ein Abbild von Beobachtetem zu konstruieren, dessen Aufbau in der Kommunikation vor- und zurückverfolgt oder rekonstruiert und die Aussagekraft der Rekonstruktion neu bewertet werden kann. Ihre Rekonstruierbarkeit ist das Charakteristikum der Wissenschaftlichkeit und zugleich thematisch unabhängig, wie schon die Bezeichnung von Bindestrich-Wissenschaften z.B. Natur-, Geistes-, Sozial-, Religionswissenschaften usw. nahelegt, die jeweils zur Beantwortung von nur bestimmten Fragen von Interesse sind. 

Selbst- und Frembeobachtung

Jede Rekonstruktion ist einzigartig oder ein Einzelfall, aber in der Kommunikation kann man sich über eine Ähnlichkeit oder Vergleichbarkeit zwischen Rekonstruktionen und über deren Aussagekraft einigen. Man kann Selbst- und Fremdbeobachtungen kommunikativ einander angleichen, oder auch nicht. Es ist zu unterscheiden: Die Methode und ihre Ergebnisse sind das Eine, und eine kommunikative Übereinstimmung darüber ist das Andere. Hier kommt es auf das Letztere an, weil eine Methode nur über Kommunikation in Handlung übersetzt werden kann. Und weil jede Wahrnehmung nur einzeln existiert und nur über Kommunikation mitgeteilt werden kann. Dies bedeutet, dass jede Übereinstimmung über die Methode und ihre Ergebnisse immer im Hier und Jetzt erzielt werden muss, und zwar auf der Grundlage indirekter Wahrnehmungen, Beobachtungen und Erfahrungen. 

Gewissheit im Glauben entwickeln wir nicht vom Hörensagen, sondern nur durch direkte Erfahrungen oder Selbsterfahrungen, unter Beteiligung aller eigenen Wahrnehmungs-, Beobachtungs- und Reflexionsmöglichkeiten. Gewissheit im Glauben an das Kommunizierte ist jedoch immer eingeschränkt, weil wir selbst an der kommunizierten Wahrnehmung und Beobachtung nicht direkt beteiligt sind. Dieser Einschränkung können wir durch eigene Beobachtung des Beobachters entgegenwirken, indem wir die Widersprüchlichkeiten in unserer Wahrnehmung und Beobachtung beseitigen und das Kommunizierte auf seine Stringenz und Wirkung beobachten und damit unseren Glauben stärken und Vertrauen gewinnen. Dennoch ist diese Selbsterfahrung eine mit der jeweiligen Kommunikation und nicht eine mit dem Beobachtungsgegenstand, auf den sich die Kommunikation bezieht. Eine eigene Selbsterfahrung mit dem Beobachtungsgegenstand bleibt immer singulär und kann durch die Beobachtung der Kommunikation nicht ersetzt werden. Deshalb sind unsere Erfahrungen mit Verweisen, Zitaten, Quellenangaben, Aussagen usw. eben nur unsere Selbsterfahrungen mit Verweisen, Zitaten, Mitteilungen usw., nicht mehr und nicht weniger. 

Wissenschaft erfordert Beobachtbarkeit

Die Wissenschaftlichkeit bietet die Möglichkeit dieser Selbsterfahrung oder einer direkten Beobachtung durch eine Rekonstruierbarkeit, natürlich nur innerhalb der definierten Grenzen einer Methode. Man sieht, wie sie mit welcher Motivation aufgebaut ist und zu welchen Ergebnissen sie kommt. Ohne die Möglichkeit dieser Selbsterfahrung mit ihrer eigenen Beobachtbarkeit würde Wissenschaftlichkeit an Glaubwürdigkeit verlieren. Sie lässt deshalb ihre eigene Widerlegung zu und schließt eine Dekonstruktion, inklusive sich selbst überflüssig zu machen, nicht aus. So lernt Wissenschaftlichkeit, oder wird sie so als Methode weiterentwickelt, durch Selbst- und Fremdbeobachtung. 

Die Existenz einer Wissenschaftlichkeit hängt davon ab, ob und wofür sie gebraucht wird. Wenn sie gebraucht wird, erhält sie auch ihre Bedeutung, ihre Motivation, ihren Sinn und Zweck und baut dann eine diesem Sinn und Zweck entsprechende Logik auf. Die erste und entscheidende Frage ist deshalb, wie bei allen anderen Methoden auch, warum oder wofür Wissenschaftlichkeit benötigt und eingesetzt wird. Dass etwas als wissenschaftlich bezeichnet wird, sagt über die Anschlussfähigkeit der Bezeichnung nichts aus. Erst wenn ihre Lösungsfähigkeit wahrgenommen oder beobachtet werden kann und überzeugt, kann die Wissenschaftlichkeit Glaubwürdigkeit und Vertrauen bieten. Erst wenn ihre Rekonstruktion und Ergebnisse zugänglich und erlebbar gemacht werden und alle relevanten Fragen beantwortet sind, besteht eine Chance für ihre Annahme. Ein bloßer Verweis auf Wissenschaftlichkeit reicht dafür nicht aus, zumal eine Annahme oder Ablehnung eine Entscheidung des freien Willens ist, welche niemals verordnet oder diktiert werden darf. 

Reflexion und Rekonstruierbarkeit erhöhen Handlungssicherheit

Die Rekonstruierbarkeit einer wissenschaftlichen Beobachtung kann also unseren Glauben stärken und dadurch unsere Handlungssicherheit erhöhen. Sie kann zu freiwilligen Übereinstimmungen zwischen Beobachtern oder Kommunizierenden führen. Man kann durch Wissenschaftlichkeit Antworten auf seine Fragen bekommen und Probleme lösen. Aber sie ist niemals zwingend, sie stellt von sich aus keinen Anspruch auf eine für alle verbindliche Gültigkeit. Die Wissenschaftlichkeit als Methode zur Lösung von Problemen genießt in unserer Gesellschaft einen besonders prominenten Stellenwert, ein hohes Ansehen, weil sie uns vor allem durch ihre Rekonstruierbarkeit an ihrer Beobachtung, der Herstellung ihrer Wirklichkeit teilhaben lässt und ihre Erkenntnisse für uns erlebbar macht. In unserem Alltag können wir unentwegt Effekte der Wissenschaftlichkeit selbst erfahren, die Früchte des wissenschaftlichen Vorgehens mitgenießen, dabei können wir Vertrauen entwickeln oder auch nicht. Das tut jeder für sich alleine und nach seiner Wahrnehmungs- und Reflexionskapazität. 

An der Wissenschaftlichkeit erkennen und erleben wir einen Vorteil dafür, uns in unserer Wahrnehmungswelt zurechtzufinden oder uns sicher zu bewegen. Wir entwickeln dann entsprechende Glaubensroutinen. Denn die Bildung von Routinen ist ein notwendiger Prozess zur Entlastung des Bewusstseins und wird von unseren Erfahrungen und Vorstellungen angeregt und motiviert. Im Gleichgewichtszustand werden Bewusstseinsroutinen je nach zeitlichem, räumlichem, geistigem und seelischem Kontext aufgefrischt und angepasst oder fallengelassen und vergessen, weil sie kontraproduktiv wirken, wenn sie erforderlichenfalls nicht neu konstruiert und bewertet oder abgewogen würden. Sich immer wieder in seinem Glauben zu vergewissern und notwendige Anpassungen zu veranlassen, ist eine Daueraufgabe des Bewusstseins, die es unter ständiger Begleitung von Gefühlen erledigen muss. 

Autoritäres Angst-Diktat hemmt Reflexion

In der dominierenden Angstkultur unserer Gesellschaft wird dieser Aufwand jedoch vermieden oder überwiegend dadurch gelöst, indem einzelne Bewusstseine unter Zeitknappheit zu schnellen Entscheidungen getrieben werden. Das Angstgefühl spielt hier die Hauptrolle. Unter dem Diktat dieses Gefühls versuchen wir, der Wahrnehmung von Zeitknappheit damit entgegenzusteuern, dass wir bewährte Lösungsroutinen abrufen, die sich mit unseren Selbsterfahrungen decken. Wir reflektieren nicht mehr und gehen davon aus, dass andere diesen Aufwand bereits für uns betrieben haben. Es sind Autoritäten, die mit Abschlusszeugnissen, Kompetenznachweisen, ausgewiesenen Erfahrungen, Titeln usw. ausgestattet sind. 

Autoritäten sind Zuschreibungen, die uns in einer Sache auf Vertrauen einstimmen. In unserer Kommunikation gelten deren Aussagen offen oder verdeckt als verlässlicher und ‚gültiger‘ als die eigenen. Als unhinterfragbare Referenzen wird auf sie verwiesen, um Übereinstimmungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern zu erzwingen. Die Freiwilligkeit der Zustimmung spielt hierbei keine Rolle mehr. Aus einer Weiterverarbeitung bereits gemachter Erfahrungen und einer Neubewertung verfügbarer Erkenntnisse wird so eine Verweiskultur entwickelt und etabliert. In dieser Kultur wird das Hin- und Her-Verweisen an feste hierarchische Strukturen und Instanzen gebunden. Wer Wissenschaftlichkeit beansprucht, muss sich bestätigen und genehmigen lassen. Dadurch wird die wissenschaftliche Bezeichnung einer Beobachtung monopolisiert. 

Wissenschafts-Monopol ermöglicht Täuschung

Diese Monopolstellung von autorisierter Wissenschaftlichkeit ergibt schließlich die Möglichkeit, Wissenschaftlichkeit für Täuschungszwecke zu instrumentalisieren, um Wahrnehmungen in die gewünschte Richtung zu lenken. Eine Wissenschaftlichkeit als Täuschungsinstrument legitimiert nur Zwang und nichts anderes. Wer Autoritäten als Voraussetzung für die Gültigkeit von wissenschaftlichen Aussagen setzt, ist an der Nachvollziehbarkeit der Aussagen nicht interessiert, sondern verfolgt nur das Ziel einer Legitimation von Zwang und lässt die Notwendigkeit des freien Willens außer Acht. Denn es ist weder eine Autorität erforderlich, damit eine Methode das leisten kann, was sie leisten kann. Noch kann und darf eine Methode andere Beobachtungen ersetzen. Methoden sind lediglich Mittel zum Zweck. Was sie zu produzieren haben, bestimmen die jeweiligen Zielsetzungen. 

Die Rekonstruierbarkeit ist eine Grenzziehung und deshalb auch eine Reduktion, ein Ausblenden dessen, was man nicht beobachten kann oder will. Wissenschaftlichkeit kann ihre Vorgehensweise und Schlussfolgerungen begründen und Eigenerfahrungen anderer Beobachter ermöglichen, aber eben nur in den Grenzen einer Methode. Was außerhalb dieser Grenzen beobachtet werden kann, was Wissenschaftlichkeit ausschließt, kann man nicht rekonstruieren und deshalb auch nicht erlebbar machen. Natürlich kann man über das Unbeobachtbare oder Unbeobachtete wissenschaftlich kommunizieren. Aber diese Art der Kommunikation hat geringe Annahmechancen, weil eine Rekonstruierbarkeit der Beobachtung fehlt oder nicht möglich ist. Man ist sich nicht sicher, ob man glauben soll oder nicht. 

Abgrenzung: Spiritualität und Wissenschaft

Alle Erfahrungen entstehen individuell. Manche Erfahrungen können nachvollzogen werden. Gemeinsame Erlebnisse z.B. basieren auf ähnlichen nachvollziehbaren Erfahrungen. Bei manchen anderen wiederum ist das nicht möglich, obwohl wir sie mitteilen können und dafür Begriffe oder Symbole benutzen. Spiritualität bezeichnet genau diesen Bereich der Erfahrungswelt, in dem Selbsterfahrungen eines Beobachters für andere Beobachter nicht beobachtbar gemacht, sondern nur kommunikativ zur Kenntnis genommen werden können. Deshalb wirkt die Einbeziehung von Selbsterfahrungen in die Kommunikation hier nicht notwendigerweise glaubens- und vertrauensstärkend. So wie Wissenschaftlichkeit ist Spiritualität auch ein gedankliches Konstrukt, das nur zur Beobachtung dessen dient, was man beobachten will. Spiritualität kümmert sich nicht um die eigene Beobachtbarkeit und arbeitet mit begrifflichen Setzungen (wie höherer Geist, Göttlichkeit, höhere Instanz usw.), die sich bestenfalls auf Selbsterfahrungen beziehen, aber nicht ohne Weiteres nachvollzogen und überprüft werden können. 

Ein klassisches Beispiel hierfür ist der Begriff Gott. Glaube an Gott ist zwar kommunizierbar, aber doch immer eine Vorstellung, eine Erfahrung oder ein Erlebnis desjenigen Bewusstseins, das diesen Begriff in die Kommunikation einbringt. Denn Gott kann man nur erleben, aber nicht erleben lassen. Der Glaube an Gott ist, wie man so schön zu sagen pflegt, eine reine Privatsache. Er ist sozial irrelevant, solange er nicht als Narrativ zur Legitimation von Zwang eingesetzt wird. Man kann sich über Gott und damit verbundene Vertrauenszustände unterhalten, aber Gott-Erlebnisse kommunikativ miteinander abzugleichen und daraus eine Einigung über das ‚Selbige‘ abzuleiten, ist äußerst unwahrscheinlich, erstens, weil jedes Bewusstsein nur für sich alleine wahrnimmt und erlebt, und zweitens, weil der Begriff Gott alles oder Nichts bezeichnet. Eine Kommunikation über Gott ist letztlich darauf eingeschränkt, nur ein Kommunikationserlebnis zu sein, nicht mehr und nicht weniger. 

Spiritualität kommt mit Narrativen aus

Im Unterschied zur Wissenschaftlichkeit als eine rekonstruktive Wahrnehmungs- und Beobachtungsmethode baut Spiritualität auf Narrativen auf (wie Gott, Energie, höherer Geist, Seelenwelt, kollektives oder kosmisches Bewusstsein, Karma, Reinkarnation), die zwar Gefühle auslösen, aber die Selbsterfahrung, das eigene Erleben eines wahrnehmenden Bewusstseins nicht ersetzen können. Das wahrnehmende Bewusstsein kann selbst z.B. mit einem Kollektivbewusstsein nicht kommunizieren oder mit einer Seelenwelt nicht in Verbindung treten oder sich seine frühere Leben nicht vergegenwärtigen, wenn doch, kann es das aber anderen Beobachtern nicht glaubhaft machen. Während Wissenschaftlichkeit ihre Rekonstruierbarkeit zur Verfügung stellt, um ihre Aussagen glaubhaft zu machen, versucht Spiritualität letztendlich nur mit dem Hinweis auf das Unbeobachtbare oder Ausgeblendete und mit Narrativen auszukommen. 

Narrative können so oder so sein, aber vor allem dürfen sie sein. Schließlich kann und darf man ja an die eine oder andere Methode glauben. Wissenschaftlichkeit und Spiritualität sind zwei sich unterscheidende Perspektiven, die man einnehmen kann, um aus ihnen Vertrauen zu generieren. Ihre Verlässlichkeit, methodische Leistung oder Entscheidungs- und Handlungsempfehlungen sind Fragen des Glaubens und Reflektierens. Da ein Methodeneinsatz ohne eine Zielsetzung sinnlos ist, muss man schauen, wofür Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität oder beides benötigt wird. Die Absicht für deren Einsatz ist das entscheidende Kriterium dafür, ob wir vertrauen entwickeln können oder nicht. Erst nachdem wir selbst überprüfen können, ob Ziel und Ergebnis sich einander decken, können wir ein optimales Gefühl von Sicherheit und Vertrauen entwickeln. Aber wie kommen Zielsetzungen zustande? Aus welchen Bedürfnissen heraus? Sind das Bedürfnisse, die für unsere Wahrnehmung von Gleichgewicht und für unsere soziale Verbundenheit als Notwendigkeit des Gleichgewichts förderlich oder hinderlich sind? Wem gehören diese Bedürfnisse? Und welche Probleme lösen sie? 

Stetes Streben nach höherem Geist/Wesen verhindert Freiheit

In unserer Angstkultur werden all diese maßgeblichen Fragen verdeckt gehalten, für unwichtig erklärt und vergessen gemacht. Es ist unwichtig, darüber nachzudenken, warum der Mensch auf dem Mond landen muss, ein immer wachsendes Arsenal von alles vernichtenden Waffen haben muss, warum man schneller sein oder sich anpassen muss, warum man ständig den Tod bekämpfen muss, statt günstigere Lebensbedingungen zu schaffen, warum man ständig zu einem höheren Geist/Wesen heranreifen muss, statt alles, was Freiheit nicht verhindert, frei sein zu lassen, und so weiter. 

Das Nachdenken hierüber haben wir geschickt und listig überflüssig gemacht, indem wir aus diesen Bezeichnungen oder Konstrukten Autoritäten gemacht haben. Wir haben den Autoritätsglauben gefördert, erwartet oder verlangt und Bewusstseine dazu gebracht, ihre Reflexionspotenziale ungenutzt zu lassen. Dazu benutzen wir Bezeichnungen wie Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität. Was wir tun können, können wir natürlich auch lenken. An dieser Stelle spüren wir aber unsere Motivation, das Damoklesschwert der Angst über dem Kopf. Gefühle dominieren, und ständige Angst treibt uns ständig dazu, stoffliches Überleben zu überschätzen, das Gleichgewicht aus den Augen zu verlieren und routinemäßig falsche Entscheidungen zu treffen. Bei diesen Abläufen scheinen die Verweise auf Autoritäten und Narrative besonders gut als Schleier für oder als Ablenkung von anderen Absichten zu funktionieren. Das ist, was in unserer Gesellschaft laufend passiert. 

Der autoritäre Charakter der Wissenschaftlichkeit

Permanente Wahrnehmung von Gefahrenlagen erzeugt ein immer weiter steigendes virulentes Bedürfnis nach Kontrolle, aus dem wiederum ein weiteres Bedürfnis nach einer Monopolisierung der Gültigkeit von Lösungen erwächst. Wer sich auf Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität bezieht, kommt an den Autoritäten, denen Deutungshoheit zugeschrieben wird, ohne Weiteres nicht vorbei und muss sich früher oder später eines Besseren belehren lassen. Das ist die ‚Normalität‘ in unserer Gesellschaft, sie wird begleitet von einer Glaubensroutine, dauernd nach der einen Wahrheit zu suchen, wofür Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität als Vehikel des Überedens oder Überzeugens herhalten muss. Diese Routine wird nicht hinterfragt, sondern man versucht mit allen Mitteln dafür zu sorgen, im Besitz der gesuchten Wahrheit zu sein, obwohl jeder Beobachter nur seine eigene Wahrheit finden und diese im sozialen Leben bestenfalls nur als Wahrnehmungsfläche sichtbar machen kann. Was dabei herauskommt, kann nichts weiter als eine freiwillige Einigung zwischen den Kommunikationsteilnehmern sein, oder auch nicht. 

„Wir sollen glauben, dass wir zum Überleben einen Besserwisser, einen Retter brauchen.“

-Enver Muti

Aber lassen wir für einen Moment die Vorstellung von der Existenz einer einzigen Wahrheit zu. Was können die methodischen Konstrukte Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität hierfür leisten, außer sich gegenseitig auszuschließen und für ungültig zu erklären? Würde diese Herangehensweise nicht einer Art Wettpinkeln gleichkommen, etwa in der Art und Weise, wer ist noch wissenschaftlicher oder noch spiritueller? Wer entscheidet darüber, wer das Rennen macht und welche Aussagen für alle gültig sind und welche nicht? Ist eine einzige Wahrheit ohne Zwang überhaupt durchsetzbar? Das wären nur ein paar Fragen, die sich logisch ergeben würden. Methoden können nichts dafür, dass wir in diesem Fall, also bei der Produktion der einen Wahrheit, Sieger und Verlierer brauchen. Es ist unsere Angstkultur, die uns dazu motiviert, Methoden als Täuschungsinstrumente heranzuziehen. 

Nicht die Methoden selbst, sondern die Rede über sie will uns von einer für alle gültigen Wahrheit überzeugen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Wissenschaftlichkeit und Spiritualität nicht voneinander. Diejenigen, die sie zum Einsatz bringen, erhoffen sich, mit ihnen die Wahrheit zu finden, mit der sie alle anderen Wahrheiten ausschließen können. Das ist ein fataler Irrtum oder birgt eine Zwang bejahende Absicht. Der freie Wille, etwas anzunehmen oder abzulehnen, und die Unantastbarkeit dieser Freiheit kommen in dieser Redeweise, d.h. in den Narrativen der Wissenschaftlichkeit und Spiritualität, nicht vor. 

Der Streit um die Wahrheit ist ein Interessensstreit

Die Ignoranz des freien Willens und das Verdecken der Zielsetzung sind das zentrale Problem, das sich bei diesem Wettrennen zwischen den beiden Narrativen manifestiert. Der Streit um die Wahrheit ist ein Interessenstreit zwischen denjenigen, die ihn führen. Man will Recht haben und seine Interessen durchsetzen. Wozu braucht man Autoritäten, wenn jeder natürlicherweise seine eigene Wahrnehmung von Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität machen darf? Oder ist es etwa kein Zwang, wenn man Menschen vorschreibt, was sie unter Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität zu verstehen haben? Wozu braucht man das Narrativ, dass sich das einzelne Bewusstsein einem kosmischen zu unterwerfen habe? Wozu braucht man noch miteinander zu kommunizieren und sich zu verbinden, wenn alles von vorneherein feststeht und vorbestimmt ist? Schauen wir uns den Ritt an, nicht das Pferd! Für den freien Willen ist es elementar wichtig, zu erkennen, was hinter diesen Narrativen steht, welche Motivation und Ziele ihnen einen Sinn geben, was sie sozial relevant machen? Der freie Wille muss Antworten auf diese Fragen finden, sonst kann er nicht frei entscheiden und läuft Gefahr, einem Irrtum/einer Täuschung zu unterliegen. Die herrschenden Narrative über Wissenschaftlichkeit und Spiritualität interessieren sich nicht für solche Fragen. 

Der freie Wille ist ein Teil des Ganzen und mit diesem stofflich verbunden. Ob er noch auf eine andere Art und Weise mit ihm verbunden ist, kann er möglicherweise spüren oder erleben und davon berichten. Aber die Anschlussfähigkeit des Berichteten kann wohl kaum über die eines Märchens oder einer Legende oder eines Mythos hinausreichen. Was ist denn das Ganze? Die Natur oder das große Ganze ist nur ein Name, ein Begriff, den der freie Wille setzt, um alles, d.h. beide Seiten einer Trennlinie inklusiver dieser selbst, umfassend zu bezeichnen. Das, was dieser Begriff bezeichnet, hat das Bewusstsein mit einem Potenzial der Wahrnehmung und Ihrer Weiterverarbeitung ausgestattet. Dieses Potenzial brauchen wir scheinbar, um in diesem großen Ganzen als ein Teil desselben zu bestehen und uns zu bewegen. Nutzen wir dieses Potenzial, spüren wir das Leben. Tun wir das nicht, sind wir mindestens ‚hirntot‘. 

Mit Ende der Wahrnehmung stirbt die Freiheit

Die Trennlinie zwischen Leben und Tod liegt da, wo Wahrnehmung aufhört zu existieren. Was danach kommt, kann keine Wahrnehmung, kein Bewusstsein mehr mitteilen. Jedenfalls kann der, der diese Gedanken hier formuliert, das Gegenteil durch Eigenerfahrung nicht oder noch nicht bestätigen. Mit uns stirbt also auch das große Ganze und der Glaube daran, dass die Erde sich nach uns weiterdreht oder das Universum weiter existiert oder alles Bewusste in ein kosmisches Bewusstsein hineinfließt. Bis zu unserem Tod sind wir in der Lage, die verrücktesten Dinge zu tun, unbegrenzt falsche oder richtige Entscheidungen zu treffen. Und wir treffen laufend Entscheidungen, bewusst oder unbewusst. 

Bis zu unserem Ableben sind wir komplett frei, können tun oder lassen, was und wie wir es wollen. Von einer außerhalb unserer Wahrnehmung liegenden Stelle werden wir dabei nicht getestet oder geprüft oder belohnt oder zur Verantwortung gezogen. Die Natur spricht nicht mit uns, auch wenn wir potenziell genau das Gegenteil denken und behaupten könnten. Aber mit dem Ende der Wahrnehmung, des Bewusstseins endet auch diese naturgegebene Freiheit. Dann ist alles vorbei. 

Für die Lebenszeit ist Freiheit eine unabdingbare Voraussetzung der Eigenverantwortung und der Anpassung, wobei Anpassung mit Zwang nichts zu tun hat, sondern nur aus den Entscheidungen des freien Willens resultiert. Für das Bewusstsein ist Freiheit ein notwendiges Risiko. Darin liegt zugleich seine Chance zum Überleben. Alles, was der Mensch in seiner Lebenszeit tut, ist ein Ergebnis dessen, was er mit oder aus seinem Wahrnehmungs- und Reflexionspotenzial macht. Er ist frei, so oder so zu entscheiden, aber er entscheidet selbst, niemand anderer für ihn. Freiheit ist zwar eine notwendige Bedingung, aber wofür diese Bedingung im sozialen Kontext zu erfüllen ist, kann nur die Zielsetzung, der Kompass beantworten, nach dem Freiheit gelebt wird. 

Zensur will „gültigere“ Wissenschaftlichkeit für sich entscheiden

Die herrschenden Narrative über Wissenschaftlichkeit und Spiritualität setzen sich nicht nur über die Notwendigkeit dieser Freiheit hinweg, sondern verstecken oder verschleiern ihre Beweggründe gegenüber der Öffentlichkeit im sozialen Leben, für das die Freiheit und darin die Gleichheit aller Teilnehmer natürliche Grundvoraussetzung ist. Sie privatisieren die Öffentlichkeit, indem sie z.B. die Verbreitungsmedien („Mainstream-“ oder „Alternativ“-Medien) für ihre jeweilige Ausschließlichkeit einsetzen und Abweichungen oder andere Narrative unter Verweis auf das bestehende Eigentumsrecht zensieren, wie wir das derzeit auf beiden Seiten besonders massiv erleben. Darüber scheinen sich die herrschenden Narrative über Wissenschaftlichkeit und Spiritualität auf eine dogmatische Art und Weise einig zu sein. Das Protestieren gegen Zensur, also gegen ein Mittel des Zwangs, bildet hier keine Ausnahme, sondern ist eher Ausdruck eines gesteigerten Leidensdrucks und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die genannten Narrative nur darum bemüht sind, ein Wettrennen um eine gültigere Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität für sich zu entscheiden, und exklusive Ansprüche auf „die Wahrheit“ durchzusetzen. 

Angst vor Konfrontation und Risiko führt in die Unfreiheit

Warum tun wir das? Warum erscheint uns das so selbstverständlich? Der Grund hierfür liegt in unserer Angstkultur, welche die Angst, auch vor Freiheit, in die Bewusstseine geradezu eingraviert und Vieles tabuisiert hat, weil wir eine direkte Konfrontation mit einem möglichen Risiko vermeiden wollen. Die derart verfestigte Angst vor falschen Entscheidungen hat vor allem dazu geführt, uns das Vermeiden des Freiheitsrisikos, das Beiseiteschieben der Grundvoraussetzung für jede lebende Daseinsform natürlich erscheinen zu lassen. Wo keine Freiheit ist, ist Zwang. Deshalb werden auch Gemeinsamkeiten im sozialen Leben unwahrscheinlicher und ja sogar unmöglich. Schein- Gemeinsamkeiten entstehen auf direkte oder indirekte Veranlassung von Zwang, echte dagegen nur durch freiwillige Entscheidungen. Freiheit ist dafür die einzige Basis. Sie ist sogar die einzige Regel, die für alle verbindlich gesetzt sein muss, wenn das Gleichgewicht erhalten bleiben und damit Überleben möglich sein soll. Alle anderen Handlungen, welche die Freiheit unterdrücken, laufen letztendlich dem Leben oder Überleben, dem Gleichgewicht entgegen. 

Freiheit, also leben und leben lassen, muss der kategorische Imperativ unseres sozialen Miteinanders sein. Ohne ihn haben wir keine Eigenverantwortung und keine eigene Orientierung. Das oberste Ziel jeder Orientierung muss es sein, zu leben und leben zu lassen und dies bis in die äußersten Kapillaren des sozialen Lebens zu spüren und spüren zu lassen. Dieser kategorische Imperativ duldet keine Verschiebung, keine Inkonsequenz, keine Halbherzigkeit oder gar Scheinheiligkeit. Dass wir uns gegenwärtig schwertun, bei der Abwehr des Zwangs auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, ist dem Umstand verschuldet, dass wir uns nicht nach diesem Kompass richten und Freiheit nur als Rhetorik betreiben. Wir fordern Diskurs, aber ohne zu sagen, wofür. Für mehr Wissenschaftlichkeit oder für mehr Spiritualität? Oder für mehr Freiheit? Wir fordern Freiheit, aber ohne zu sagen, was Freiheit bedeutet und erfordert. Wir klären auf, um andere zu überzeugen oder zu überreden, und ignorieren dabei den freien Willen. Wir wollen Symptome behandeln, statt uns Ursachen zu stellen und sie anzugehen. Unsere bisherige Rede von Freiheit ist eine Wischiwaschi-Rede. Sie erfüllt lediglich die Funktion einer Gewissensberuhigung, mehr nicht. Wir sagen nicht an allererster Stelle und bedingungslos, dass wir jeglichen Zwang ablehnen. Wir lassen uns die Freiheit nehmen, Nein zu sagen. 

Naturrecht auf Ja und Nein ist unaufschiebbare Aufgabe freien Willens

Freiheit und Zwang waren und sind immer das Thema aller Themen der kulturellen Evolution des menschlichen Daseins. In jedem anderen Thema kommen Freiheit und Zwang vor. Sie bezeichnen eine Leitdifferenz, nach der sich alles andere weiter differenziert und die jederzeit und überall selbsterfahrbar und überprüfbar ist. Ein solches Thema hat immer die höchste Priorität und die höchste Dringlichkeit. Es darf nicht der Gefahr ausgesetzt werden, auf die lange Bank geschoben zu werden oder sogar in Vergessenheit zu geraten. Dieses Thema ist keine Phantasievorstellung, sondern spürbar und spricht unsere Angstgefühle an. Die Angst um stoffliches Überleben legt uns aber nahe, das Thema Freiheit und Zwang als „unbefriedigend“, „zu abstrakt“ und ihre Umsetzung als „unrealistisch“ hinzustellen und herunter zu priorisieren. Wir verlangen nach konkreten Lösungsansätzen, nach eindeutigen Routen, ohne aber eindeutige Destinationen zu benennen. Bisher vernebeln wir daher mit dem Begriff Freiheit eher unsere Kommunikationen, als dass wir etwas daraus machen, obwohl der Erhalt des Naturrechts auf Ja und Nein eine unaufschiebbare Aufgabe des freien Willens ist. 

Wir müssen deshalb fragen: Was ist hier das Ziel? Wozu ist Wissenschaftlichkeit oder Spiritualität gut? Damit wir frei und friedlich zusammenleben? Oder damit wir unser Leben einer einzigen Wahrheit unterwerfen und unsere Eigenverantwortung abgeben? Die gegenwärtigen Narrative über Wissenschaftlichkeit und Spiritualität wollen unterwerfen. Sie sind keine Alternativen zueinander. Wir sollen glauben, dass wir zum Überleben einen Besserwisser, einen Retter brauchen. Diese kulturellen Routinen des Bewusstseins müssen überwunden oder überflüssig gemacht werden. Sie schränken unsere Optionen z.B. durch von uns selbst geschaffene Umstände der Zeitknappheit und Angstzustände ein und verhindern, dass wir in Frieden und Gleichgewicht leben. Ohne Freiheit gibt es kein Leben in Frieden.

Die Kultur der Freiheit ist ein Muss

Wer Leben in Frieden befürwortet, muss Freiheit lieben und sie immer erstrangig behandeln. Wenn man sich darauf einigt, würde Zwang entfallen. Wir bräuchten dann keinen Kampf gegeneinander zu führen, uns nicht einander zu misstrauen und uns nicht gegenseitig zu überzeugen oder zu überreden. Wir hätten dann keine Feinde oder Konkurrenten mehr und würden freiwillig voneinander lernen und uns gegenseitig ergänzen. Wir hätten kein Zeitproblem und keine Angst. Unsere Gemeinsamkeiten wären unsere freiwilligen Entscheidungen, und unsere Differenzen friedliche Normalität des sozialen Lebens. Wissenschaftlichkeit, Spiritualität und alle anderen Konstrukte könnten hierzu ihren Beitrag leisten. 

Die Kultur der Freiheit und Freiwilligkeit ist eine Notwendigkeit des Gleichgewichts, sie ist nicht optional, sondern ein Muss. Sie entsteht zuallererst mit der Einsicht in diese Notwendigkeit. Daraus ergeben sich entsprechende Bedürfnisse und Handlungsbedarfe. Wer diese Einsicht hat, weiß, was zu tun ist. Ohne diese Einsicht ist alles Protestieren nur ein zielloser Aktionismus. Die bisherigen von Angst dominierten Vorstellungen abzulegen und damit Mut zur notwendigen Eigenverantwortung zu entwickeln, wäre sicherlich ein erster Anfang. 

Zum Autor:

Enver Muti wurde 1961 in der Türkei geboren und lebt seit 1982 in Deutschland. Er schloss ein Studium der Wirtschaftswissenschaften ab und promovierte in Soziologie. Er beschreibt sich selbst als einen konstruktiv kritischen Freigeist. 

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