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Gramscis Monster und ein Bundesrat im intellektuellen Vakuum

Published On: 9. November 2021 0:05

Veröffentlicht am 9. November 2021 von AS.

Bundesrat muss man sein. Dann kriegt man in der altehrwürdigen NZZ eine Carte Blanche als Gastkommentator; heisst: Platz für 10’000 Zeichen, um die sorgfältig glattgebügelten, intellektuell eingefärbten Rhetorik-Wunderkniffe der hauseigenen steuerfinanzierten PR-Abteilung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) als Wortwolken über den Geistern der helvetischen Bevölkerung schwadronieren lassen zu können. Diese Ehre des Tragödienautors wurde Gesundheitsminister Alain Berset am 28. Oktober zuteil. Der Tages-Anzeiger legte drei Tage später nach, allerdings mit einem Interview.

Der Reihe nach. Berset bezieht sich in der NZZ auf Antonio Gramsci (1891-1937). Der marxistische Philosoph und Politiker zählte zu den Mitgründern der Kommunistischen Partei Italiens und wurde von den Faschisten verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Gramsci entwickelte die marxistische Theorie weiter, in dem er erkannte, dass Zustimmung der Beherrschten zur bestehenden gesellschaftlichen Ordnung die Macht der Herrscher festigt.

Wie wird das erreicht? Vor allem durch kulturelle Apparate. Hier spielen zum Beispiel die «Intellektuellen» eine wichtige Rolle, etwa Journalisten und Medien, Akademiker, Experten oder Schriftsteller. Ziel ist es, den Beherrschten zu vermitteln, dass sie ihre gesellschaftliche Position der Befehlsempfänger gefälligst nicht zu hinterfragen haben.

Einsperrer zitiert Eingesperrten

Die Medien erfüllen ihre subalterne Funktion als gouvernementale Sprachrohre in der Pandemie meistens bravourös. Sie dienen sich den Mächtigen an und haben die marginalisierten sozialen Gruppen, welche die Corona-Massnahmen am härtesten spüren, selten im Blickfeld. Die Wahrnehmungsmuster, die sie in die Öffentlichkeit transportieren, spiegeln somit oft die Position der Mächtigen wider.

Es zeugt von einer gewissen Schizophrenie, wenn Berset sich in seiner Position als Gesundheitspapst auf Gramsci bezieht. Schliesslich hatte Gramsci genau die Klasse von Berset im Blick: die Elite und ihre Prinzipien des Machterhalts. Berset, der «Bleiben-Sie-zuhause»-Einsperrer der Nation, zitiert den Eingesperrten. Hätte er Machiavelli zitiert, man würde ihm eher Glauben schenken.

Im Artikel geht’s dann mit Friedrich Dürrenmatt weiter. Der bemitleidenswerte Friedrich aus Konolfingen – auch er wird von den Phrasenverdreschern des BAG verwurstet, kaputtgeschrieben und durch den Orwell-Neusprech geschleift. Dürrenmatt paraphrasieren, das kommt immer gut an, wenn man vorgibt, einen feinen Sinn für die hiesige Literatur zu pflegen. Dann kann man ihn auch besudeln.

Gefängnis- und Gehorsamsdemokraten

Dürrenmatts Rede «Die Schweiz ein Gefängnis» hätte wohl an dieser Stelle nicht zum vaterländischen Pathos des «sozialdemokratischen» Bundesrats gepasst, wäre aber, im wahrsten Sinne des Wortes, eine umso zutreffendere Gegenwartsdiagnose gewesen. Oder dass Dürrenmatt im Sinne Gramscis konstatierte, man habe hierzulande «gehorsame Demokraten» zu sein. Es ist überhaupt bemerkenswert, wie viele rhetorische Figuren sich in dem Artikel um das Gefängnis drehen.

Das französische Magazin Bon pour la tête schreibt von Monomanen, die nur eine Sache zu sagen haben und diese gebetsmühlenartig wiederholen. Bersets Obsession sei der Impfstoff. Dass Berset die Impfung omnipräsent als Erlösung prophezeit und sie trotz schwerer Nebenwirkungen als «eine der sichersten Impfungen, die es je auf der Welt gegeben hat» bezeichnet, kann man sich nur mit der Annahme erklären, dass sich Bersets Rhetorik jenseits des Realen oszilliert.

Das wird nicht besser, wenn Berset in der NZZ von «Machtgehabe autoritärer Regime bis zu einer Pandemie der Fake News» schreibt. Monsieur Conseil Fédéral: Ist das eine selbstreflexive Einsicht? Schliesslich ist es Bundesrat Berset, der sich mit dem Covid-19-Gesetz (Abstimmung 28.11.2021) eigenhändig bis ins Jahr 2031 Kompetenzen einräumen will, die ihm nicht zustehen. Und die Fake News, ja. Angeblich gibt es laut Bersets Departement ja eine «Pandemie er Ungeimpften», und 90 Prozent der Intensivpatienten seien ungeimpft.

Tragisch und verstörend

Noch tragischer wird es dann bei der Phrase: «Das grässlichste Monster ist vielleicht das Schweigen, der Boykott des demokratischen Prozesses.» Auch hier: Mit dem Covid-19-Gesetz will sich der Bundesrat Kompetenzen bemächtigen, die der Legislative obliegen. Berset umgeht damit eine der wichtigsten demokratischen Spielregeln. Für den «Boykott des demokratischen Prozesses» braucht er nicht nach Frankreich oder Deutschland zu schauen. Apropos Gramscis Monster: Bei Friedrich Nietzsche gab es auch ein Monster bzw. ein Ungeheuer, zwar nicht das grässlichste, aber das kälteste aller kalten Ungeheuer, eines, das Berset bestens kennt: und zwar der Staat.

Eine weitere verstörende Aussage: «Denken Sie an den Wahrheitsbegriff, der sich seit einiger Zeit aufzulösen scheint. Man glaubt den Expertinnen und Experten nichts mehr – vor allem dann nicht, wenn sie über ihr eigenes Fachgebiet sprechen.» Expertenmeinungen mit Wahrheit gleichzusetzen zeugt von metaphysischer Tollkühnheit und ist eher Glaubenssubstitution denn Wissenschaft. Die Unterstellung der «Wissenschaftsfeindlichkeit», die im Subtext mitschwingt, besteht nicht im «Nichtglauben» an Experten – ’mal abgesehen davon, dass es gesund ist, wenn sich die «Expertokratie» nicht sämtliche Lebensbereiche unterwirft.

Die «Wissenschaftsfeindlichkeit» besteht darin, Skepsis – einen Begriff, dessen Bedeutung die Medien während der Pandemie völlig ins Gegenteil verkehrt haben – als Spinnerei abzutun und das Wahrnehmungsfeld auf nur wenige – politisch genehme – Positionen einzuschränken. Wissenschaft lebt von Debatte, nicht von Konformität. Bertrand Russell sagte: «Wenn alle Experten sich einig sind, ist Vorsicht geboten.» Und sowieso: Wahrheit kann sich nicht auflösen – denn das würde suggerieren, als hätte es zuvor eine feststehende Wahrheit gegeben.

Die Sache mit Genauigkeit und Rationalität

Vollkommen ins Bodenlose fällt dann der Satz: «Genauigkeit als Voraussetzung des Handelns: Das ist auch das Leitmotiv bei der Bekämpfung des Coronavirus.» Da weiss man schon gar nicht mehr, auf welche der vielen fehlenden oder ungenauen Daten beim BAG hingewiesen werden soll. Erst kürzlich gab es davon wieder ein Anschauungsbeispiel. Da wurde auch die Impfwoche verkündet.

Während dieser darf die staatliche Propagandawalze die Eidgenossenschaft überrollen, gesegnet von Gesundheitspriester Berset. Eine Kampagne, deren Steuermillionen man auch in eine adäquate Datenerfassung investieren könnte. Oder wie wäre es ’mal mit einem Intensivbett? Oder irgendeiner Investition ins Gesundheitswesen? So müsste nicht jeden Herbst wieder die gleiche Leier wie auf dem Jahrmarkt gedudelt werden: «Wir müssen eine Überlastung des Gesundheitswesens verhindern.»

Der Punkt bei der Genauigkeit ist, dass es diese an sich bei Modellprognosen nicht gibt. Wie oft konnten die epidemiologischen Schaudermärchen der «Task Force» ins Reich des Surrealismus verbannt werden? Es ist wie bei der Meteorologie: Die Parameter und Variablen, die eine Voraussage beeinflussen können, sind potenziell unendlich.

Und wo es keine Superlative der Regression mehr gibt, kann man nur noch die kreative Sprachakrobatik des bundesrätlichen Homme de lettres bestaunen:

Das abwägende, evidenzbasierte Denken: Es hat die Moderne mit all ihren Fortschritten erst ermöglicht. Tun wir also alles dafür, dass die Rationalität nicht beschädigt wird in dieser Pandemie.

Doch eben diese Rationalität und die Evidenz waren die ersten Opfer in der Panikpolitik. Und sind es bis heute. So wirkt denn eine solche Aussage wie eine Selbstkarikatur.

Zeit der vermeintlichen Alternativlosigkeit vorbei

Obwohl wir gerade eine Zeit der Alternativlosigkeit durchleben, behauptet Berset, «die Zeit der vermeintlichen Alternativlosigkeit ist jedenfalls vorbei». Was anderes ist das Coronaregime, wenn nicht Alternativlosigkeit on steroids? Es ist immer verdächtig, wenn versucht wird, die Existenz einer sublimen Fehlentwicklung zu bestreiten. Dadurch läuft man Gefahr, sie unbewusst voranzutreiben. Berset kann in fünf Sätzen dreimal «Es gibt immer Alternativen» sagen. Es wirkt so verzweifelt, dass man sich fragt, ob es ein Tippfehler war oder die Wiederholungen beim Redigieren übersehen wurden.

Wir sind gespannt, welche «Alternativen» auf der nächsten Pressekonferenz verkündet werden – naja, eigentlich kaum welche. Es ist ja ziemlich offensichtlich, worin Berset seinen Kult gefunden hat und wohin das eidgenössische Tragödienschiff geschippert wird. Lockdown? Lockdown light? 2G? 1,5G? 0,5? Erhöhung der Testkosten? Abschaffung von Testmöglichkeiten direkt vor der Impfwoche? Fragt sich nur noch, wer der Kapitän ist: Pharmalobby, WHO, die Hysterie, Hypochondrie, die Ignoranz, Arroganz?

Noch im Frühling hiess es, sobald allen Bürgern ein Impfangebot gemacht werden konnte, beginnt die Normalisierungsphase. Im September wurde das Zertifikat eingeführt. Der Beschluss, das Zertifikat einzuführen, war nicht rational, sondern politisch motiviert, auch wenn der Gesundheitsminister in seinem Text die Rationalität hochhalten will.

Mythologie und Pandemie

Berset mythologisiert die Pandemie. Hier lässt es sich mit dem Semiotiker Roland Barthes festhalten: Berset behauptet oft, erklärt aber nichts. Die Pandemie ist zwar da, doch Gründe dafür werden nicht erörtert. Die besungene Pandemie wird zum Instrument der Sprache. Das Verhältnis dazu ist intransitiv – die Pandemie ist nicht mehr der Sinn des Realen als menschliche Handlung, sondern ein verfügbares Bild, eine Metasprache, mit der nicht Dinge, sondern ihre Namen behandelt werden. Die Pandemie wird selbstverständlich. So wird ein unschuldiger Bundesrat gemacht.

Konkrete Handlungen, die an den Dingen etwas ändern würden, sind so nicht vorstellbar. Schlimmer: Man verspielt seine Glaubwürdigkeit – sofern sie überhaupt noch da ist. Widersprüche helfen da nicht. Berset behauptet im Hinblick auf die Abstimmung des Covid-19-Gesetzes im Tages-Anzeiger: «Und wir brauchen ein international anerkanntes Zertifikat, um ohne Probleme reisen zu können.» Zuvor hatte er aber betont: «Jedes Land entscheidet für sich.» Man könnte wieder Dürrenmatt zitieren, den Berset offenbar so gerne mag: «Je öfter sich ein Politiker widerspricht, desto grösser ist er.»

Ob das Gesetz angenommen wird oder nicht, wird kaum Einfluss auf das Reisen haben. Die Länder bestimmen selbst, wen sie einreisen lassen und wen nicht, welche Zertifikate sie anerkennen und welche nicht. Das war schon vor Corona so. Bersets Behauptungen der angeblichen Vorteile des Gesetzes weisen eine nahezu identische Übereinstimmung mit den irreführenden Aussagen auf dem Wahlzettel auf (Corona-Transition berichtete).

Ein Bundesrat im Konjunktivmodus

Die beiden Beispiele aus NZZ und Tages-Anzeiger zeigen, dass Berset während der Pandemie seinen Kommunikationsstil perfektioniert hat: das Sprechen im Konjunktiv-Modus. Mittels Mythologisierung der Pandemie schafft er es, sich der Verantwortung zu entziehen und sich als Opfer der Umstände, der Pandemie, der Wissenschaft zu inszenieren. So, als hätte er mit der ganzen Situation nichts zu tun – mittendrin und doch deplatziert. Bei Berset scheinen sich Politik und Geschichte einfach so, en passant, zu ereignen, ohne aktive menschliche Teilnahme.

Am Ende dieses Trauerspiels, written by A. Berset (oder seinen Kommunikations- und Geisterschreiberlingen), bildet sich keine Katharsis, im Gegenteil: Die Tragödie beginnt wieder von vorne – schon wieder, und man kann nur auf den Deus ex Machina hoffen, der die Helvetier aus dem Limbus des Gesundheitsministers befreit, bevor die Apokalypse eintritt.

Vielleicht hatte Michel Foucault recht, als er 1966 in «Die Ordnung der Dinge» schrieb, dass der Mensch dereinst verschwinden werde «wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand». Der Mensch als Subjekt verschwindet und hat dementsprechend die Gestaltung seiner Geschichte verlassen, ja er ist ganz gleichgültig erloschen. Der mythologisierenden Sprache Bersets zufolge könnte man den Schluss ziehen, dass dies 2020 eingetreten ist – nur, dass des Menschen Gesicht statt im Sand hinter der Maske verschwunden ist.

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