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Cancel Cuisine: Das Frühstücksbuffet

Published On: 17. April 2022 12:00

Für unterschiedslos alles in sich hineinstopfende Vielfraße mag ein reichhaltiges Frühstücksbuffet den Höhepunkt eines Hotelaufenthaltes darstellen. Für mich ist es der Niedergang jeglicher Kultur höherer Gastlichkeit.

Es heißt immer, Menschen führen in Urlaub, um „Land und Leute“ kennenzulernen. Nichts diene mehr der Völkerverständigung als der Massentourismus. Das ist natürlich Unsinn. Denn um ein Land kennenzulernen, muss man die Sprache seiner Bewohner beherrschen. Da reicht es nicht, halbwegs fehlerfrei in Venedig auf Italienisch einen Cappuccino bestellen oder am Gardasee einen Platz auf der Restaurantterrasse reservieren zu können. Nur über intime Kenntnis der Sprache und idealerweise auch der jeweiligen Nationalgeschichte erschließt sich die Mentalität der Einheimischen, ein Phänomen, das auch ein noch so bemühter Kosmopolitismus nicht beeinflussen kann. 

Nein, in Urlaub fährt man in erster Linie, um dem Alltag zu entfliehen, seiner betonierten Einförmigkeit und des trotz Erderwärmung immer noch optimierungsbedürftigen mitteleuropäischen Matschwetters. „Tapetenwechsel“ eben. Und wenn man dann nach einer gewissen Zeit wieder nach Hause zurückkehrt, erscheint einem auch das Immergleiche, dem man zu entfliehen müssen meinte, plötzlich wie verwandelt. Allein diese mehrfache Ein- und Umgewöhnung bewirkt, zumindest für eine gewisse Zeit, eine belebende Neujustierung eingefahrener Lebens- und Verhaltensweisen.

Im Zentrum eines jeden Urlaubs steht die Essensaufnahme, die beständige und beschwerliche Suche nach einem Restaurant, das eine autochthone Küche bietet und idealerweise „untouristisch“ erscheint, ein schwieriges, in sich widersprüchliches Unterfangen, auf das sich die Wirte einstellen, indem sie Fischernetze und Korbflaschen und sonstigen exotisch erscheinenden Zierrat aus ihren Gasträumen verbannen und ihre Speisekarten mit allerlei Herkunftsnachweisen schmücken. Am überwiegend schlechten Essen hat sich insgesamt wenig geändert. Und mit Corona dürfte sich die Lage an der gastronomischen Front im In- wie Ausland infolge immer drängenderen Mangels an ausgebildetem Personal nochmals signifikant verschärft haben.

Niedergang jeglicher Kultur höherer Gastlichkeit

Also tut man gut daran, sich schon morgens im Hotel ausreichend zu stärken, weil man ja nicht wissen kann, ob man abends einen akzeptablen Ort für die Nahrungsaufnahme finden wird. Zu diesem Zweck erwartet einen in den allermeisten Herbergen, egal in welchem Land, ein Frühstücksbuffet. Ich weiß nicht, wer es erfunden hat, doch es kann nur ein Betriebswirt oder ein Sadist gewesen sein, wahrscheinlich ein sadistischer Betriebswirt, der zudem über enge Kontakte zu Maschinenbauern verfügt haben musste.

Für unterschiedslos alles in sich hineinstopfende Vielfraße mag ein reichhaltiges Frühstücksbuffet den Höhepunkt eines Hotelaufenthaltes darstellen. Für mich ist es der Niedergang jeglicher Kultur höherer Gastlichkeit. Das beginnt schon bei der Rempelei an den verschiedenen Theken, der ständigen Unruhe im Frühstücksraum, weil irgendjemand wieder dieses und jenes vergessen hat, etwa ein Stückchen eingepackter Butter, die ebenfalls eingepackte Kaffeesahne oder einen Kaffeelöffel. Und immer die gierig-forschenden Blicke, ob man nicht irgendeine der dargebotenen (und bereits bezahlten) Viktualien übersehen haben könnte.

Dabei ist man gezwungen, in Kontakt mit Mitmenschen zu treten, deren Gegenwart man zumindest zu früher Stunde lieber entsagen wollte: quengelnde Kinder, auf ihre Handys fixierte Jugendliche, die mit sichtlichem Unbehagen einer von den Eltern anberaumten Besichtigungstour entgegensehen, ungewaschene Morgenmuffel, die in Badelatschen ihren Nagelpilz zur Schau stellen, im Kammerton zeternde Ehepaare, die die ungewohnte Nähe der Urlaubssituation nicht ertragen und, last but not least, der leutselige Kenner von, ja, Land und Leuten: „Uno cappuccino, per favore.“ – „Kommt gleich“, erwidert der Kellner, der vermutlich in Deutschland aufgewachsen ist.

Bizarre Foodskulpturen

Weil ein Frühstücksbuffet weniger lukullischen als Zwängen des Kostenmanagements unterliegt, gleicht es einem Maschinenpark. Angefangen bei den Rechauds, in denen das obligatorische Rührei infolge übermäßiger Wärmeeinwirkung längst zu einer undefinierbaren Masse zusammengeklumpt ist und sich der gebratene Frühstücksspeck in bizarre Foodskulpturen verwandelt hat, über allerlei Saftspender, Eierwarmhalter und professionelle Toaster bis hin zu voluminösen Orangensaftpressen, die die Gäste besserer Häuser anstelle des mit Leitungswasser verdünnten Konzentrats mit frisch gepresstem, „gesundem“ Orangensaft versorgen sollen. 

Die Dinger sehen ein wenig aus wie die Ziehungsgeräte der Lottozentrale, in deren gewundenen Drahtarmen statt der Loskugeln die orangenen Früchte Platz finden. Sie werden auf Knopfdruck in Bewegung gesetzt, zerteilt und in einem rotierenden Mittelteil ausgepresst – ein kleines Wunder des Maschinenbaus, wie ich gerne konzidiere. Leider scheint mir oft der Druck der Pressung zu hoch, was dazu führt, dass der Saft auch bittere Bestandteile der Schale enthält und kein wirklicher Genuss ist. Aber die Show kann sich sehen lassen.

Im Zentrum jeden Frühstücksbuffets steht der Kaffeeautomat, ein sprotzendes und blinkendes Ungetüm, dessen sachgemäße Bedienung jahrelangen Trainings bedarf. Weil sich die verschlafenen Gäste auf den unübersichtlichen Displays häufig vertippen und selten das in der Tasse landet, was gewünscht war, bilden sich vor solchen Geräten immer lange Schlangen ungeduldig ihrer Koffein-Ration harrender Frühstücker. Je nach Ausführung des Automaten kann es vorkommen, dass zunächst nur heiße Milch in die Tasse strömt, erst danach der Kaffee oder umgekehrt. Wer also zu früh sein Gefäß von der Konsole zieht, muss womöglich mit einem Café incomplet vorliebnehmen.

Bliebe noch zu berichten von wahlweise verschwitztem oder tiefgekühltem Scheiblettenkäse, dem man selbst in Regionen mit eigener Käsetradition nicht entgeht, drittklassigem Lachs, dem immer gleichen, nach absolut nichts schmeckenden Fruchtsalat, den zuckersüßen Schokopops aus dem Cerealienspender, den fix aufgebackenen, mit Billigfett hergestellten Fabrikcroissants. Und schließlich das ganze Pseudo-Öko-Getue mit der klebrigen Marmeladenabfüllerei in zerbrechliche Waffelschälchen, die man idealerweise mitessen soll, wovon ich dringend abrate.

In Italien gibt es auf Frühstücksbuffets häufig in Sirup eingelegte Pflaumen. Die schmecken ausnahmsweise nicht nur sehr anständig, sondern sind, zusammen mit dem angenehm säuerlichen, italienischen Naturjoghurt, dabei behilflich, die Schrecknisse eines Frühstücksbuffets schnellstmöglich zu verdauen und dessen Überbleibsel dahin zu befördern, wo sie hingehören.

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