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Abtreibung: Amerikas Kulturkampf wird heißer

Published On: 5. Mai 2022 14:00

Nach einem Bericht des Magazins „Politico“ will der Oberste Gerichtshof den Bundesstaaten das Recht einräumen, selbst entscheiden zu können, ob innerhalb ihrer Grenzen Abtreibung legal ist oder nicht. Das treibt die Abtreibungsbefürworter auf die Barrikaden.

Der neue, konservativere Oberste Gerichtshof scheint dabei zu sein, eine 50 Jahre alte Grundsatz-Entscheidung des Vorgänger-Gerichts zu kippen, die den Frauen des Landes das Recht einräumte, Schwangerschaften zu beenden. Der neu entbrennende Konflikt ist typisch amerikanisch und nicht mit den deutschen Verhältnissen zu vergleichen. Was ihn besonders interessant macht.

Nicht typisch amerikanisch ist, dass die offenbar geplante Entscheidung, die erst im Sommer bekanntgegeben werden sollte, vorab in die Medien gelangte. Weshalb schleunigst Barrieren vor dem Gerichtsgebäude aufgestellt wurden – in weiser Voraussicht. Denn Frauen fanden sich sofort zu massiven Protesten zusammen. Das geschieht vor diesem feinen Ort nicht so oft. Üblicher sind Proteste vor dem Weißen Haus und dem Kongress. Also dort, wo Politik gemacht wird.

Allerdings wird inoffiziell und indirekt auch beim Obersten Gericht Politik gemacht. Die Entscheidung, die den Frauen seit 1973 das Recht auf Abtreibung einräumt, war in Ermangelung einer bundespolitischen Regelung, so ein Stück Justiz-Politik. Der neue konservativere Gerichtshof aber lehnt mehrheitlich ab, politisch so aktiv zu sein, wie die liberalen Vorgänger. Er will die Verfassung interpretieren – basta. 

Das Problem mit der über 200 Jahre alten amerikanischen Verfassung ist, dass sie zur Abtreibung nichts sagt. Schwangerschaftsabbrüche waren damals – wie überall in der Welt – ein Tabu. Die Freigabe vor einem halben Jahrhundert geschah also auf einem justizpolitischen Umweg. Die obersten Richter entschieden damals, dass die Verfassung den Amerikanern ein Recht auf Privatleben (right to privacy) gibt. Und dieses Recht auf Privatleben schließt das Recht auf Abtreibung ein. So die bahnbrechende Entscheidung Roe versus Wade. Seither hängt Amerikas Abtreibungsfreiheit an diesem seidenen Faden.

Aber sie ist weitgehend. Es gibt keine Einschränkungen durch medizinische oder sonstige Indikationen. Allerdings wurde die Freiheit in einer späteren Entscheidung etwas eingeschränkt: Sie gilt bis zur 22. Schwangerschaftswoche. Dies ist eher eine Empfehlung ähnlich der Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen. Die 22-Wochen-Grenze gilt übrigens auch in Deutschland. Aber sie wird umringt von ein paar Zusätzen, vor allem einer Beratungspflicht. Und es ist auch nicht von einem Recht die Rede, sondern nur von Straffreiheit. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass die deutsche Regelung vom Parlament, also von der Politik formuliert wurde. 

Nicht so in Amerika. Das neue Oberste Gericht scheint nun aber das Thema aus dem eigenen Haus wegfegen und der Politik übergeben zu wollen. Also dorthin, wo es nach Meinung der Richter-Mehrheit gehört.

Wo also ist das Problem? Das Thema ist so heiß und die Mehrheitsverhältnisse im Kongress sind so prekär, dass da auf absehbare Zeit nichts geschehen wird. Politisch dürfte die Sache also in der Luft hängen bleiben. Jedenfalls auf Bundesebene.

Auf der Ebene der Bundesstaaten wird sich viel tun

Damit kommen die Rechte der einzelnen Bundesstaaten zur vollen Entfaltung. Das Ringen um Macht zwischen Washington und den Staaten ist so alt wie die Geschichte der USA. Auf jeden Fall sind Amerikas Staaten viel stärker als unsere Bundesländer. Das prägnanteste Beispiel ist die Tatsache, dass es Staaten mit und solche ohne Todesstrafe gibt. Solche Unterschiede von Leben und Tod wären bei uns undenkbar. Auch im Abtreibungsrecht sind die Unterschiede beachtlich. Die meisten Staaten orientieren sich an der 22-Wochen-Regel, andere, wie Kalifornien, sind viel lockerer, Texas wiederum gibt nur sechs Wochen Freiheit. 

Und schon jetzt haben einige Bundesstaaten Gesetze und Regelungen erlassen, die das Recht der Frauen drastisch einschränken sollen. Das würde normalerweise zu juristischen Auseinandersetzungen mit Washington führen. Die erwartete neue Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs verändert die Lage grundlegend. Fast so, als hätten Texas und andere etwas geahnt.

Sollte die bundesrichterliche Entscheidung tatsächlich so ausfallen, wie vorab im Web-Magazin „Politico“ gemeldet, dann stehen bis zu 20 der 50 Bundesstaaten bereit, Schluss mit der bisherigen Abtreibungsfreiheit zu machen. Die Folge wäre ein massenhafter Abtreibungs-Tourismus wie in anderen Teilen der Welt. Wobei unklar ist, wie die Rechtsprechung mit einem solchen Tourismus umgehen würde.

Sonnenklar ist, dass solche Verbote zu gewaltigen Protesten führen würden. Laut Umfragen wollen die meisten Frauen, bis zu 80 Prozent, an der bisherigen Regelung festhalten. Aber Amerika ist auch in dieser Frage gespalten zwischen den liberalen Küstenkulturen in Ost und West und der konservativeren Landesmitte plus südlichem Bibel-Gürtel. Dort sind die Proteste nicht für, sondern gegen die Abtreibung besonders lautstark. So braut sich ein Kulturkampf zusammen, der alles Bisherige in den Schatten stellen wird.

Wenn es denn überhaupt dazu kommt. Das Merkwürdige ist, dass die neuen, von Donald Trump bestellten Obersten Richter bei ihren Anhörungen allesamt erklärt haben, dass sie die Roe-v-Wade-Rechtsprechung als etablierte Präzedenz-Entscheidung anerkennen. Sie gaben vorab keinerlei Hinweis auf einen juristischen Umsturz. 

Bleiben also die Fragen: Haben die Richter und die Richterin nach ihrem Einzug in diese lebenslange Stellung verdrängt, was sie bei ihrer Bewerbung gesagt haben? Haben sie, wie einst Saulus, der sich zum Paulus wandelte, eine gewaltige rechtsphilosophische Erleuchtung erlebt? Sind sie bei ihrer Bewerbung gar missverstanden worden? Oder – das wäre der Hammer – wird die Entscheidung im Sommer doch ganz anders ausfallen als bei „Politico“ gemeldet? 

Sollten die Richter wider Erwarten zu ihrem Wort bei den Bewerbungsgesprächen stehen, dann hätten wir einen klassischen Fall von viel Lärm um nichts. Vorerst aber ist das Papier, das dem Magazin und anderen Medien vorliegt, als Vorbote eines gewaltigen Erdbebens zu betrachten. 

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