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Wir Durchblicker!

Published On: 13. Mai 2022 16:00

Einer der größten Irrtümer unserer Zeit: Die früheren Generationen waren irrational und unvernünftig, wir aber sind endlich rational und vernünftig – und ach so moralisch. Magischerweise sind es genau wir, die „Bescheid wissen“. Worauf basiert das?

Du musst nicht gläubig gewesen sein, um deinen Glauben zu verlieren. Auch für „Ungläubige“ kann es befreiend sein, diesen oder jenen „Glauben“ loszulassen. Der Moment, als sich dein Kopf abrupt freier anfühlte, doch dein Magen sich nervös spannte – du erinnerst dich vielleicht noch. Vielleicht hast du diesen Moment vor dir. Vielleicht beides, auf verschiedene Weise.

Hat „der Glaube“ einen Plural? Laut Wörterbuch hat er keins. Ich glaube, die Wörterbücher irren. In jedem Menschen wütet mehr als nur ein Glaube. Doch was soll der Plural sein? „Gläube?“ „Glaubens?“ Ein Zyniker würde sagen: Der Glaube braucht keinen Plural. Der Plural von Fakt sind die Fakten. Der Plural von Irrtum sind die Irrtümer. Es braucht nicht mehr Begriffe als es braucht. Um Kevin von The Office“ zu zitieren: „Why waste time say lot word when few word do trick?

Der Glaube sei eine „feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht«, so sagt Paulus im Brief an die Hebräer. In der Praxis aber braucht ein solcher Glaube, so fürchte ich, Dogma und Religion zur Rechtfertigung. Ohne diesen Rahmen haben wir ganz andere Begriffe für einen, der für wahr nimmt, der sein Leben darauf baut, was er außer durch den Calor seines Herzens nicht belegen kann. Man sagt, der Unterschied zwischen einem Verrückten und einem Exzentriker sei der Kontostand. Ist der Unterschied zwischen Illusion und Glaube die rechtfertigende Institution?

Fragen wir uns offen: Wie viele der politischen Dogmen der letzten Jahre würden schlicht als lächerlich und blank blöde gelten, wenn nicht die Politik und Presse des Propagandastaates, sprich: die Institutionen, sie zum einzig erlaubten Glauben erklärt hätten?

Pfeiler meines eigenen Glaubensgebäudes schwankte

Erwachsen zu werden bedeutet auch, sich selbst dabei zuzusehen, wie man einen Glauben nach dem anderen verliert. Dies nun ist der Punkt, an dem dieser Essay extra persönlich wird: Es gibt einen Glauben, dessen Verlust mir ärger wehtut als der Verlust des Glaubens an höhere Mächte.

Mancher kennt den Moment, an dem er sich nicht mehr in der Verantwortung vor höheren Mächten und ihrem irdischen Personal sah. Dieser Moment bleibt als ein Gefühl neu gewonnener Freiheit in Erinnerung. Etwas Einsamkeit, ja, doch und dazu anhaltende Freiheit.

Der Verlust eines anderen Glaubens aber passiert bei mir graduell, seit Jahren und noch immer. Ja, dieses andere „Glaubenverlieren« dauert bis heute an, und ich begreife erst allmählich die vielen Implikationen dieses konkreten Glaubensverlusts.

Der Lehrplan in den Schulen, die Redaktionslinien des Mainstreams und die Sonntagsreden der Politiker, all dies braucht als Fundament und Prämisse ein ganz bestimmtes Selbstverständnis und Selbstbild, und als mir schwante, dass dies schlicht falsch ist, fühlte ich einen tragenden Pfeiler meines eigenen Glaubensgebäudes schwanken.

Die große Unwahrheit, die sie mich in der Schule lehrten, lautet schlicht: „Die früheren Generationen waren irrational, leicht manipulierbar und potenziell unmoralisch, wir aber haben aus all dem gelernt, und also sind wir vernünftig.« Hach, wie sie mich, und wohl auch sich selbst, täuschten!

Kindische und arrogante Gewissheit

Es ist nicht die Aussage über die früheren Generationen, die mir als falsch und fehlgeleitet aufstößt. Es ist die Aussage über uns selbst, über unsere Zeit.

Ja, die früheren Generationen waren irrational, leicht manipulierbar und potenziell unmoralisch. Das verfügbare Wissen mag sich vermehrt haben, doch das bedeutet nicht einmal im Ansatz, dass die Gesellschaft dadurch klüger geworden sei. Was aber außer unserer Arroganz sollte die Annahme begründen, dass genau wir nicht irrational, leicht manipulierbar und potenziell unmoralisch sind?

Die Annahme, dass zufälligerweise genau wir wissen, was moralisch sei und was nicht, was als „Vernunft« zu gelten hat und was als „Hass«, diese kindische und arrogante Gewissheit, zufällig im perfekten Schnittpunkt aller Wahrheiten zu liegen, sie erinnert mich an Sekten, die uns weismachen wollen, dass Gott, dass der Schöpfer aller Galaxien und der Milliarden von Lebewesen sich einen Traum genau ihres Sektengründers ausgesucht hat, um sich dem Universum zu offenbaren und seinen heiligen Willen auszuteilen. – Wie klein müssen die Dimensionen sein, in denen einer denkt, der so etwas glaubt?

Wir blicken auf manchen unwissenschaftlichen, abergläubischen Irrtum der Vergangenheit zurück, wir lächeln überheblich, denn wir haben noch die Erkenntnis. Ich fürchte, kommende Generationen werden auf unseren heutigen Erkenntnisstand zurückblicken, so sie sich überhaupt die Mühe machen, und sie werden ähnlich schmunzeln. Ja, frühere Generationen waren irrational, leicht manipulierbar und potenziell unmoralisch – und wir sind es auch. Es liegt durchaus Freiheit in dieser Erkenntnis!

Versuchen, täglich weniger falsch zu liegen

Ich nehme hin, dass die Menschen um mich herum irrational, leicht manipulierbar und potenziell unmoralisch sind, ganz genauso wie ich. Ich übe mich noch immer darin, den lächerlichen Glauben loszulassen, dass durch einen magischen Zufall ausgerechnet wir in der ersten Zeit leben, die vernünftig und klug und vollständig rational ist.

Ich will daran arbeiten, selbst etwas weniger irrational zu liegen. Ich will neue Erkenntnisse dazugewinnen, und doch will ich bereit sein, diese gleich wieder loszulassen, falls und sobald ich auf bessere Erkenntnis stoße.

Nein, unsere Zeit liegt nicht magischerweise absolut richtig, ist nicht magischerweise komplett rational und total vernünftig. In nicht nur einer Hinsicht fürchte ich, dass wir nicht klüger geworden sind (um es höflich zu sagen). Lasst uns zumindest versuchen, täglich weniger falsch zu liegen. Ich beschließe zu glauben, dass es möglich ist!

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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