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Ohne Heiligkeit: Die Oberammergauer Passionsspiele 2022

Published On: 5. Juni 2022 12:00

Der theaterbesessene Workaholic Christian Stückl leitet  in diesem Jahr wieder die Oberammergauer Passionsspiele, die 2020 ausgefallen waren. Das Publikumsspektakel ist gleichzeitig ein Zeichen für Glaubenserosion und Entchristlichung.

Christian Stückl ist der Liebling des grün-roten Münchner Kulturestablishments. Er gilt als Spezialist fürs Abschneiden alter Zöpfe. Unter seiner Leitung ist vom traditionsreichen Münchner Volkstheater, dem der Stadtrat jüngst einen opulenten Neubau spendierte, nicht viel mehr übrig geblieben als der Name, wobei man Stückl zugutehalten muss, dass er nicht zu den „Regie-Berserkern“ gehört, sondern seine Form einer bajuwarischen Kulturrevolution auf leisen Sohlen daherkommt. Stückl hatte sich als seinerzeit jüngster Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele für die Münchner Intendanz in der Nachfolge der großen Ruth Drexel empfohlen und später auch für eine Entrümpelung des Salzburger „Jedermann“.   

Ein Pestgelübde von 1633

Der gebürtige Oberammergauer, Sohn eines Wirts, darf als veritables Urviech gelten. Er läuft meist im Grobgestrickten herum, redet breiten Dialekt und raucht Kette, was ihm jüngst im Alter von 60 Jahren einen leichten Herzinfarkt bescherte. Das hinderte den theaterbesessenen Workaholic nicht daran, in diesem Jahr wieder die Oberammergauer Passionsspiele zu leiten, die coronabedingt eigentlich schon 2020 hätten stattfinden sollen. Alle zehn Jahre zieht das von den Dorfbewohnern gespielte Spektakel um die Passion Christi, zurückgehend auf ein Pestgelübde aus dem Jahre 1633, hunderttausende Besucher aus aller Welt an. Eine Megaevent und ein Megageschäft, aber auch eine ebenso bemerkens- wie bewahrenswerte Tradition christkatholischer Volksfrömmigkeit, offiziellerseits zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt.

Spätestens seit der frischgebackene „Führer“ im Jahre 1934 mit großem Propaganda-Tamtam die Feierlichkeiten zum 300-jährigen Bestehen der Passionsspiele eröffnete, galt Oberammergau als Hort von Konservatismus, Klerikalismus sowie eines christlich konnotierten Antijudaismus. Das die bis zum Amtsantritt Stückls im Jahre 1990 gespielte Textfassung dezidiert antijüdische Passagen und Deutungen enthielt, ist nicht zu bestreiten und gehört zu den dunklen Seiten der Tradition der Passionsspiele im bayerisch-österreichischen Raum. Doch wurde von den zahlreichen Kritikern, darunter jüdische Organisationen aus dem Ausland, die zeitweise zum Boykott der Passionsspiele aufriefen, geflissentlich übersehen, dass gerade im ländlichen Süddeutschland der Widerstand gegen Hitlers atheistischen Führerstaat besonders ausgeprägt war. Der braune Messias wollte keine himmlische Konkurrenz.

Zwischen Sozialrevolutionär und messianischer Nervensäge

Stückl war es, der konsequent alles Antijüdische oder Antisemitische aus dem Textbuch der Passion tilgte. Außerdem öffnete er die Spiele für Frauen und Andersgläubige. Heute kann jeder, der nicht bei drei auf dem Baum ist, an der Passion mitwirken: Frauen jeden Alters und Familienstandes (bis 1990 durften verheiratete Frauen und Frauen über 35 Jahre nicht an den Passionsspielen teilnehmen), Protestanten, Geschiedene, Muslime. In diesem Jahr werden erstmals zwei Hauptrollen, die des Judas und des Nikodemus, von Oberammergauern muslimischen Glaubens gespielt. Abermals eine Premiere, für die Stückl in den Feuilletons gefeiert wurde. Auch der zweite Oberammergauer Spielleiter, Abdullah Kenan Karaca, ist türkisch-muslimischer Herkunft.

Noch stärker als in seinen drei vorangegangenen Deutungen der Passion betont Stückl das Jüdische an Jesus. Nach der Reinigung des Tempels betet er mit dem Volk das „Schma Israel“ und erhebt eine Tora-Rolle. Das Abendmahl im Zelt der mosaischen Wüstenwanderung ist deutlich als Pessach-Mahl zu erkennen. Jesus selbst wird dezidiert als Mensch charakterisiert, nicht als Sohn Gottes, ein Eiferer irgendwo zwischen Sozialrevolutionär und messianischer Nervensäge, wenig sympathisch, selbst als er jämmerlich den Kreuzestod stirbt. 

Jesus‘ Entgöttlichung

Sogar der bekennende Kommunist Pier Paolo Pasolini war in seiner ganz außergewöhnlichen, wohl niemals irrelevanten Bibelverfilmung „Il Vangelo Secondo Matteo“ nicht so weit gegangen. Selbst sein Jesus ist mehr Gott als Mensch, eine Sichtweise, die ihm von seinen kommunistischen Gefährten angekreidet wurde. „Ich hätte den Christus als einen politischen und sozialen Agitator darstellen sollen, um vielleicht das ,Nihil obstat‘ der offiziellen Marxisten zu erhalten. Das habe ich nicht gemacht, weil es meiner Natur zutiefst widerspricht, die Dinge und auch die Menschen zu entheiligen. Ich will vielmehr so weit wie möglich den Dingen die Heiligkeit zurückgeben.“ 

Sympathieträger der Oberammergauer Passion 2022 ist nicht Jesus, sondern Judas, der Jesus vergeblich dazu drängt, sich der römischen Besatzer mit Gewalt zu entledigen. Er will ein Gespräch zwischen Jesus und dem Hohepriester Kaiphas vermitteln und wird in Stückls Deutung unfreiwillig zum Verräter. Dagegen wird der römische Statthalter Pontius Pilatus ohne jede Ambivalenz zum absoluten Bösewicht gestempelt, ein finsterer Baron Scarpia des Neuen Testaments. Dabei wissen wir spätestens seit Monthy Python, dass Römer nicht die schlechtesten Besatzer waren.

Weitgehend kitschfrei, aber kalt wie eine Hundeschnauze

All dies mag in sich stimmig sein, theologisch fundiert und historisch belegbar. Was mehr oder weniger auf der Strecke bleibt bei diesem „Menschheitsdrama“, ist das, um was es in der Passion eigentlich geht: der Glaube, die Heiligkeit. Als nach fast acht Stunden Spieldauer, eine dreistündige Pause eingeschlossen, Jesus vom Kreuz genommen und in ein Felsengrab gebettet wird und Frauen, die den Leichnam salben wollen, anderntags nur noch die Leinentücher vorfinden, endet das Spiel fast beiläufig. Die Auferstehung, Kern der in der Passion angelegten christlichen Heilsbotschaft, bleibt der nüchternen Symbolik leerer Kreuze, einer Flammenschale und der Musik überlassen. Weitgehend kitschfrei, aber kalt wie eine Hundeschnauze.

Wenn man in der Pause das Gespräch sucht mit einigen der Laiendarsteller, wird einem bewusst, wie weit der Prozess von Glaubenserosion und Entchristlichung selbst an einem Ort wie Oberammergau vorangeschritten ist. Man schimpft, wie überall, auf die „Amtskirche“, man beklagt einen „Reformstau“ und meint, es werde alles besser, wenn die Kirche den Zölibat abschaffe, das Frauenpriestertum einführe und sich überhaupt aller bisherigen Grundsätze entledige, wie es Stückl selbst im Bayerischen Fernsehen forderte. Auf die Frage, was diese Passion noch mit Kirche, mit Katholizismus zu tun habe, erhält man die Antwort: „Nichts“. Und der Hinweis „Warten’S nur ab, am End‘ wird’s schon noch katholisch!“ klingt beinahe höhnisch. 

Gott als Landstreicher

Als Stückl sich 2002 und noch einmal 2010 des Salzburger „Jedermann“ annahm, ein der Oberammergauer Passion vergleichbares christliches „Mysterienspiel“, schienen seine Eingriffe einigermaßen behutsam und nachvollziehbar. Er eliminierte die allegorische Figur des „Glaubens“ als Person aus Hugo von Hofmannsthals Textbuch, ironisierte das Auftreten von Gott dem Herren, den er als räudigen Sandler (Landstreicher) mit Plastiktüten in der Hand auftreten ließ. Stückl rüttelte an der Tradition, riss sie jedoch nicht ein. Das besorgte sein Nach-Nachfolger Michael Sturminger. Der Österreicher ist im Gegensatz zu Stückl, der sich immerhin noch über eine seiner Meinung nach reformunfähige Kirche aufzuregen vermag, bekennender Atheist und ließ in seiner Neuinszenierung von 2017 keinen Stein auf dem anderen. Die Stimme Gottes kommt jetzt vom Band – aus dem Off, aus dem Abseits. Kommentar überflüssig.

Obwohl auch in diesem Jahr allabendlich ausverkauft, ist der Salzburger „Jedermann“ als „geistlich Spiel“ mausetot, die einstige Erhabenheit, die heilige Aura sind dahin. Die gänzliche Vereinnahmung durch den Konsumismus, den größten und gefährlichsten aller Gleichmacher, droht auch der Oberammergauer Passion.

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