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Das Dilemma der EZB

Published On: 27. Juni 2022 6:25

Vor zehn Jahren gab der damalige Präsident der EZB, Mario Draghi, die Parole aus: „The ECB is ready to do whatever it takes, to preserve the Euro. And believe me, it will be enough.“

Themen und Probleme habe ihre Konjunkturen. Mit der Inflation ist plötzlich auch wieder die Frage der Ausrichtung der Geldpolitik zurück auf der Agenda der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Alle Notenbanken wurden in den letzten Monaten auf dem falschen Fuß erwischt. Es ist unklar, wann die gegenwärtige Inflationswelle wieder abflaut, und unsicher, wie stark die Zinsen steigen müssen, um die Preisentwicklung wieder auf einen stabilen Pfad von nicht mehr als zwei Prozent zu führen.

Bei der Anhebung der Zinsen gehen gegenwärtig die Notenbanken in den USA, Großbritannien und der Schweiz deutlich voran. Die EZB dagegen zögert, und das hat seinen guten Grund, der in der Konstruktion des Euro-Raumes liegt und den Geburtsfehler des Euro in Krisenzeiten immer wieder erneut zur Geltung bringt.

Die Kunst der Geldpolitik und ihre zentrale Aufgabe besteht vereinfacht gesagt darin, den jeweiligen Währungsraum mit soviel Liquidität auszustatten, dass die Wirtschaft ausreichend wachsen kann, aber die Liquidität so zu begrenzen bzw. sie mit so hohen Zinskosten auszustatten, dass eine inflationäre Entwicklung erschwert oder verhindert wird.

Das ist leichter gesagt als getan. Zahlreiche Kausalzusammenhänge und Nebenwirkungen müssen beachtet werden. Und wenn es wirklich ernst wird, bringt erfolgreiche Inflationsbekämpfung auch immer soziale Kosten mit sich, die in mehr Arbeitslosigkeit, weniger Wirtschaftswachstum, zunehmenden Insolvenzen oder einer unerwünschten Aufwertung der Währung bestehen können.

Gewählte Politiker und Parlamente sind mit den dazu notwendigen Abwägungen üblicherweise politisch überfordert und neigen in der Geldpolitik leicht zu Lösungen, die kurzfristig Entlastung schaffen, aber langfristig zu mehr Inflation und weniger Wachstum bringen.

Darum ist es üblich geworden und hat sich grundsätzlich bewährt, die Notenbanken mit einem gewissen Umfang an gesetzlicher Unabhängigkeit auszustatten, damit sie unabhängig vom Druck des Tages die Entwicklung einer Währung langfristig stabilisieren können.

Historisch gesehen haben aber Völker, Nationen, Gesellschaften und die von ihnen geprägten Volkswirtschaften ganz unterschiedliche Lösungsmodelle für materielle Verteilungskämpfe und wirtschaftliche Konflikte entwickelt.

Stabilitätskultur gegen Inflationskultur

Das führte in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg dazu, dass sich in Europa ein sehr unterschiedlicher Umgang mit dem Inflationsthema entwickelte: Länder wie Deutschland, die Schweiz, Österreich, Niederlande oder Schweden entwickelten eine Stabilitätskultur mit eher niedrigen Preissteigerungen. Länder, wie Belgien, Frankreich, Italien, Griechenland oder Spanien entwickelten eher ein Inflationskultur mit deutlich höheren durchschnittlichen Preissteigerungen.

Für beide Kulturen lassen sich vernünftige Gründe anführen. Bei unterschiedlichen Währungen in einem Wirtschaftsraum neigen allerdings die Währungen der Stabilitätsländer zu permanenter Aufwertung, die der Inflationsländer zu permanenter Abwertung. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn die entsprechenden Länder ihre Position im internationalen Wettbewerb sichern und ihre Waren weder zu billig verschleudern noch zu teuer anbieten wollen.

Die Idee zu einer gemeinsamen europäischen Währung entstand in den Siebzigerjahren, weil Länder wie Frankreich oder Italien die ständige Abwertung ihrer Währung als irgendwie ehrenrührig empfanden und die Dominanz der D-Mark sowie die mit ihr verbundene Macht der stabilitätsorientierten Bundesbank brechen wollten.

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), der von 1982 bis 1998 regierte, war in seinem ganzen Denken stark auf die politische Einigung Europas fixiert. Von Wirtschaft, Währung und Finanzen verstand er dagegen nichts, und es interessierte ihn auch nicht. Er sah in einer gemeinsamen europäischen Währung vor allem ein probates Mittel, die europäische Einigung quasi durch die Hintertür zu erzwingen, und so gab er dem französischen Drängen nach.

Der Maastricht-Vertrag legte 1992 unwiderruflich den Weg zum Euro fest. Frankreich akzeptierte darin alle nur denkbaren Vertragsklauseln, die deutsche Vorbehalte und Stabilitätsängste befriedigen sollten: Darum wurde das Statut der EZB sehr unabhängig ausgestaltet. Die Preisstabilität wurde unter ihren Aufgaben an die Spitze gesetzt, und es wurde das Verbot monetärer Staatsfinanzierung durch die Zentralbank in den Vertrag geschrieben. 

Pleiten nur in fremden Währungen

Ein Grundproblem aber blieb ungelöst – mehr noch, es wurde geistig gar nicht adäquat zur Kenntnis genommen: Eine zur Geldschöpfung berechtigte staatliche Notenbank stellt automatisch sicher, dass der eigene Staat nicht deshalb insolvent werden kann, weil er an Geldmangel in eigener Währung litte, sie ist der „lender of last resort“. Zu jeder Zeit haben sich Staatskonkurse immer nur dann ereignet, wenn der Staat sich in fremder Währung verschuldet hatte und diese Schulden aus Devisenmangel nicht mehr bedienen konnte. So wurden alle spektakulären Staatspleiten von Argentinien über Russland bis Griechenland durch eine vom Devisenmangel ausgelöste Zahlungsunfähigkeit ausgelöst.

Vor dem Euro konnten Lücken in den Staatshaushalten Frankreichs, Belgiens oder Italiens jederzeit durch Staatsanleihen in eigener Währung abgedeckt werden, die der Staat bei seiner Notenbank in Bargeld oder Sichtguthaben eintauschen konnte. Das schuf kurzfristig Entlastung, die Folgen für die Inflation traten erst auf längere Sicht auf, und die Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit wurden irgendwann durch eine Abwertung der eigenen Währung ausgeglichen.

In einer Währungsunion fehlt aber den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Möglichkeit, zur Deckung von Finanzlücken auf die eigene Notenbank zurückzugreifen. Sie müssen sich an den Kapitalmärkten verschulden, und dort hat man die Risiken einer staatlichen Insolvenz genau im Blick. 

Darum sind z.B. gegenwärtig für die inflationsgeplagte Türkei Fremdwährungsanleihen in Dollar oder Euro sehr teuer. Die Investoren lassen sich für die Risiken einer Insolvenz bezahlen.

Aus Gründen, die heute keiner mehr verstehen kann, war in den ersten zehn Jahren der Europäischen Währungsunion – von 1998 bis 2008 – die unterschiedliche finanzielle Solidität der Eurostaaten an den Kapitalmärkten und in der Politik völlig aus dem Blick geraten. Erst die Fast-Staatspleite Griechenlands lenkte 2009 und 2010 die Aufmerksamkeit von Politikern und Investoren auf die Insolvenzgefahren von Euro-Staaten. 

Seit Herbst 2009 schlug sich das in sehr unterschiedlichen Zinsen und Kursen der Staatsanleihen der Euroländer je nach ihrer vermuteten Insolvenzgefährdung nieder. Den Franzosen, Italienern, Griechen, Spaniern und Portugiesen gefiel das überhaupt nicht. So hatten sie sich die Währungsunion nicht vorgestellt. Sie wollten zwar die niedrigen deutschen Zinsen und Inflationsraten – aber nicht um den Preis, dass sie ihr Finanzgebaren grundlegend ändern müssten.

Die Zentralbank bricht den Maastricht-Vertrag

Noch unter dem französischen Notenbankpräsidenten Trichet setzte sich im Mai 2010 in der EZB ein Kurswechsel durch. Die Zentralbank verstieß gegen Geist und Buchstaben des Maastricht-Vertrages und stieg stufenweise in eine Politik des massenhaften Aufkaufs von Staatsanleihen ein. So wollte man sicherstellen, dass alle Euro-Staaten liquide blieben und verhindern, dass die von ihnen zu zahlenden Anleihezinsen zu sehr auseinanderdrifteten.

Die damit verbundene Politik führte 2012 zum Rücktritt des Bundesbankpräsidenten Axel Weber und 2021 zum Rücktritt seines Nachfolgers Jens Weidmann. Die traditionelle deutsche Stabilitätskultur hat in der EZB keine Heimat mehr, sie erfuhr und erfährt ja auch erkennbar keine Stützung durch die Berliner Politik.

Die neue und bis heute gültige Linie der EZB zum Umgang mit der Staatsverschuldung der Euro-Länder wurde im Juli 2012 durch den italienischen EZB-Präsidenten Mario Draghi vorgegeben, als er in London sagte „Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes, to preserve the Euro. And believe me, it will be enough.“

Mittlerweile, unter Draghis französischer Nachfolgerin Christine Lagarde, interpretiert die EZB ihr Mandat zum Schutz des Euro so, dass es nennenswerte Zinsunterschiede zwischen deutschen Staatanleihen einerseits und griechischen Staatsanleihen andererseits möglichst gar nicht geben soll. Das bedeutet: Unabhängig vom Zustand der Staatsfinanzen sollen – geht es nach der EZB – alle Länder der Eurozone vor einem Insolvenzrisiko gleichermaßen geschützt sein, und die Politik der EZB ist nach deren eigenem Willen der Garant dafür. 

Eine Müllhalde namens EZB

Das wird nur funktionieren, wenn die EZB weiter fortfährt, Staatsanleihen aufzukaufen, und sich dabei insbesondere auf die Euro-Länder mit hohen Schulden und schlechten Risiken konzentriert. So wird die Aktivseite der EZB-Bilanz, anstatt dass sie erstklassige Risiken enthält, zunehmend zur Müllhalde für Anleihebestände, die an den Kapitalmärkten wegen schlechter Bonität abgelehnt werden.

So trägt die EZB selber durch ihre Politik immer intensiver zu Marktverzerrungen bei. Dem Vertrauen in ihre Politik ist das nicht förderlich. Wie wird sie sich verhalten, wenn die Bekämpfung der Inflation, wie schon öfters in der Vergangenheit, vorübergehend Zinsen von 8, 9 oder 10 Prozent erfordert? Dann kann es für griechische, italienische oder französische Anleihen keinen Sonderschutz mehr geben.

Davor haben diese Länder, die EZB und die Europäische Kommission Angst. Und darum wird der Druck auf Deutschland, noch mehr Schulden zu vergemeinschaften, weiter massiv anwachsen.

Vertrauen ist ein knappes und stets gefährdetes Gut. Man möchte sich nicht vorstellen, was geschieht, wenn Investoren in größerem Umfang das Vertrauen in die langfristige Stabilität Euro verlieren und beginnen, ihre Kapitalanlagen in größerem Stil umzuschichten.

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