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Cancel Cuisine: Ein kulinarischer Fahndungsaufruf

Published On: 4. September 2022 14:00

Diesmal, liebe Leserinnen und Leser, benötige ich Ihre Mithilfe. Es handelt sich um einen kulinarischen Fahndungsaufruf à la Aktenzeichen XY … ungelöst.

Zur Vorgeschichte: Dieser Tage berichteten die Medien vom Tod eines gewissen Roland Mesnier, seines Zeichens langjähriger Chefpatissier im Weißen Haus, dem Amtssitz des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Er starb, so erfährt man, mit 78 Jahren, in seinem Haus im US-Ostküstenstaat Virginia. 

Der gebürtige Franzose wurde 1979 von Rosalynn Carter, der Frau des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, vormals Erdnussfarmer in Georgia, eingestellt und diente den Berichten zufolge insgesamt fünf Präsidenten, indem er sie, ihre Familien und Gäste des Hauses mit allerlei Desserts und Naschwerk versorgte. Fotos zeigen ihn etwa vor einer aus Lebkuchen und Zuckerguss angefertigten, essbaren Nachbildung des Weißen Hauses oder mit einer Mango-Kokosnuss-Charlotte in den Händen. 

Mesnier wurde 1944 in einem Dorf im Jura als Sohn eines Eisenbahners geboren, wuchs mit sieben Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen auf und entschied sich angeblich schon mit zwölf Jahren für die Laufbahn eines Konditors, weil er „nie wieder Hunger haben wollte“. Wobei es eher ungewöhnlich ist, wenn Konditoren ständig von ihren eigenen Kreationen naschen. Den meisten hängt das süße Zeug irgendwann zum Hals raus. Aber es ist eine anrührende Geschichte, die man in den USA sicher gerne gehört und geglaubt hat. 

Nach einer Lehre in einer Konditorei in Besançon verdingte er sich zunächst bei einer Bäckerei in Paris, um dann für einige Jahren nach Hamburg zu übersiedeln, wo er im Café Kranke in Altona wirkte und sich in der Herstellung deutscher Süßwaren übte: Dresdner Stollen, Bienenstich, Baumkuchen, Makronen und Marzipan. Im Internet findet sich von diesem einstigen Traditionshaus eine reizende alte Ansichtskarte, mutmaßlich aus den 60er Jahren. 

Rosalynn Carter suchte einen „Executive Pastry Chef“ 

Nach weiteren Stationen in London und auf den Bermudas, wo der umtriebige und strebsame Mesnier nach Deutsch auch Englisch lernte, heuerte er als Chefpatissier im Pariser Luxushotel George V. an. Zwischenzeitlich mit einer US-Amerikanerin verheiratet, zog es ihn aber bald in die USA. Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde er darauf aufmerksam gemacht, dass die damalige First Lady Rosalynn Carter einen Executive Pastry Chef suche. Als diese ihn im Bewerbungsgespräch gefragt habe, welche Desserts er für das Weiße Haus plane, habe er geantwortet, „kalorienarme“, denn er habe sofort ihre gertenschlanke Figur bemerkt. Daraufhin habe er den Job bekommen.

Bis zu seinem Ruhestand 2004 musste er sich nicht nur mit ständig hungernden First Ladys herumschlagen, sondern auch mit multiallergischen Präsidenten wie Bill Clinton, der weder Zucker noch Mehl oder Schokolade vertrug, also all das, was die Künste eines Patissiers ausmachen. Trotzdem finde ich es sympathisch, dass sich das Weiße Haus einen Chefkonditor leistet. Im Bundeskanzleramt wäre das wohl undenkbar. Zuletzt weigerte sich die scheidende Bundeskanzlerin und Kartoffelsuppen-Adeptin Angela Merkel sogar, ihr aus Marzipan gefertigtes Konterfei aus der Hand eines fränkischen Konditors entgegenzunehmen. 

Im aktuellen Organigramm der deutschen Regierungszentrale finden sich zwar viele lustige Beauftragte für alles und jedes, aber kein Chefpatissier. Wahrscheinlich lässt sich der Ampelkanzler von Lieferando Pizza, Wokgerichte und Mövenpickeis ans Tor liefern. Um einen staatlich besoldeten Chefpatissier zu finden, muss man wohl zum RBB gehen oder in eine andere öffentlich-rechtliche Sendeanstalt. Wobei es in der zweiten und dritten Etage des Kanzleramtes „Technik- und Funktionsräume“ geben soll, darunter Küche, Weinkeller und  sogar ein Blumenkühlraum.  Ob dort jemand arbeitet, ist ungewiss. 2019 suchte Merkel für 2.800 Euro brutto einen Koch, fand zunächst aber niemanden. 

Doch zurück nach Washington, wo Monsieur Mesnier innerhalb eines Vierteljahrhunderts sein stupendes Können voll zur Entfaltung bringen konnte. George W. Bush etwa beglückte er mit dessen Lieblingsspeise Schokoladencrepes sowie einem pudding de brioche beurré aux myrtilles, vulgo Blaubeermuffin. Er fertigte auch allerlei süße Nachbildungen von US-Flugzeugträgern, Kampfjets und präsidialen Haustieren und berichtet darüber in seinem Buch mit dem beziehungsreichen Titel  „Sucré d’Etat“. Deutsche Staatsbesucher kommen darin nicht besonders gut weg. Helmut Kohl wird mit dem despektierlichen Satz bedacht: „Groß und dick aß er so viel Nachtisch, dass kaum genug für die anderen blieb“; Ex-Kanzler Gerhard Schröder findet nur kurz Erwähnung in Zusammenhang mit einer „Pfirsich-Meringue mit Himbeersoße“.

Schauer des Entsetzens

Ganz zu Beginn seiner Karriere im Weißen Haus musste Monsieur auf Bitten von Rosalynn Carter regelmäßig eine Speise auftischen, die ihm nach eigener Darstellung Schauer des Entsetzens über den Rücken jagte und deren Charakter als Dessert nicht klar aus den überlieferten Zutaten hervorgeht. Deutschen Medienberichten zufolge handelte es sich um ein zu einem Ring aufgetürmtes Gemisch aus „klebrigem Käse, Sardellen und allem Möglichen“ mit Erdbeermarmelade in der Mitte.  Bei der Washington Post fehlen die Sardellen, dafür addieren sich zu diversen reifen Käsesorten („Münster, Cheddar“) und Marmelade noch Zwiebel und Kapern. 

Es könnte sich dabei um eine familiäre Eigenkreation der Carters aus ihrer Zeit als Erdnussfarmer in Georgia handeln, aber auch um eine seltene Südstaaten(nach?)speise. Im Kern könnte man es mit einer Art Neuewelt-Obazda zu tun haben. Dass zu pikantem Käse oder einer Käsezubereitung gerne Süßes gereicht wird, etwa ein Chutney, ist nicht ungewöhnlich, auch Zwiebeln und Kapern passen ins Bild. Nur mit Sardellen täte ich mich persönlich schwer.  

Nun meine Frage: Wer kennt eine Speise mit den oben genannten Zutaten oder hat sie vielleicht schon einmal gegessen, vorzugsweise in den US-Südstaaten? Wer hat Kontakt zu Nachfahren der Familie Carter, die Aufschluss über das genaue Rezept und dessen Herkunft geben könnten? Sachdienliche Hinweise bitte an die Redaktion oder direkt an den Autor: [email protected]

Als Belohnung winkt eine druckfrische Ausgabe von Roland Mesniers Memoiren „Sucré d’Etat“

Georg Etscheit schreibt jetzt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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