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Der Sonntagsfahrer:  Auf Einkaufstour

Published On: 18. September 2022 6:15

Einkaufswagen haben sich auch immer wieder im internationalen Kriseneinsatz bewährt, insbesondere bei der Abschöpfung von Über- und Zufallsgewinnen. Das als „Plünderung“ diffamierte Gemeinschaftserlebnis wird jetzt auch von Ursula von der Leyen propagiert. Für den heißen Winter empfehle ich Fahrgemeinschaften. 

Der Lidl-Markt, den ich regelmäßig bei meinen Ausflügen beehre, wurde umgebaut. Oder vielmehr: vergrößert und verschönert. Mehr Lametta. Das Gemüse ist jetzt beleuchtet wie ein Laufhaus auf St. Pauli, und auch der Weinstand wird hübsch illuminiert wie das Brandenburger Tor vor der Energiespar-Verordnung. Ich brauche unbedingt so eine Weinflaschen-Beleuchtung für meinen Badezimmerspiegel, dann bin ich wieder verkäuflich, Abteilung herabgesetzte Ware kurz vor dem Verfallsdatum. Ich krieg‘ dann einen großes rotes Halsband mit dem magischen Label: „30 Prozent reduziert!“. 

Das heißt aber jetzt anders. „Gemeinsam gegen Lebensmittelvernichtung“ oder so ähnlich appelliert eine Aufschrift am Regal an mein Verantwortungsbewusstsein und das Wir-Gefühl. Ich lege eine Großpackung Antipasti mit frischkäsegefüllten Paprikaschoten und Oliven in den Einkaufswagen, die bisher keinen Liebhaber gefunden hat. 30 Prozent billiger! Schon wieder die Inflation besiegt, vielleicht kann man sogar Biogas draus machen. In jedem Fall stärkt der Genuss das Immunsystem. Bisher habe ich mich vor der Resterampe immer kurz umgeschaut, ob mich jemand beim containern beobachtet. Doch endlich bin ich ein woker Musterbürger, der das Licht nicht mehr scheuen muss. 

Es besteht also noch Hoffnung für das deutsche Jammertal. Lidl und Aldi sind entgegen der Konjunktur-Prognosen offenbar so fest von der Zukunft überzeugt wie ich von der Literflasche Le Rouge aus der Region Aude. 11,5 Prozent Alkohol, taugt also auch als Limonade und seelisches Wundwasser. Ich verstehe überhaupt nicht, warum „Le Rouge“ nicht in der Bevorratungsliste des Bundesamtes für Katastrophenschutz auftaucht, der Tropfen ist schließlich multifunktional und hebt die Stimmung. Man kann sich mit der Literflasche betrinken, kochen und zähneputzen sowie Bösewichter niederstrecken. Oder, wie das Bundesamt für Katastrophenschutz schreibt: „Sollte einmal unerwartet Besuch vor der Tür stehen, sind Sie vorbereitet. All das macht deutlich: Bevorratung ist eine gute Idee!“. Kurzum: Lieber Blackout als Redout! Ich habe gleich mal 12 Pullen in den Wagen gewuchtet, schließlich gehen in Deutschland die Flaschen aus, leider nicht die politischen, sondern die mit Geist drin. 

Wo, verdammt noch mal, haben sie das Mehl versteckt?

Bedauerlicherweise haben sie bei Lidl auch die gewohnte Anordnung der Waren geändert, das Brot findet sich jetzt da, wo früher das Gemüse war, die Eier finde ich gar nicht – und wo, verdammt noch mal, haben sie das Mehl versteckt? Eine Dame, die gerade Regale nachräumt, gibt mir Auskunft, aber nach den Eiern habe ich den Standort des Mehls schon wieder vergessen, obwohl ich nicht geimpft bin. Egal, ich betrachte meine Orientierungsphase im neuen Lidl-Layout als Survival-Kurs, sprich Überlebenstraining. Wenn im Winter die ersten Plünderungen vonstatten gehen, werde ich als Ortskundiger der erste am Rotweinregal sein, da schnappt mir keiner was weg. 

Wegen meiner Lernphase lasse ich den Einkaufswagen stehen, um die verschiedenen Dinge auf dem Einkaufszettel mit einem kleinen Sprint flotter aufzusuchen und kehre dann mit den jeweiligen Beutestücken zurück. Doch der Wagen ist weg, obwohl noch gar nicht geplündert wird. In Deutschland gibt es 20 Millionen Einkaufswagen, davon verschwinden jährlich 1 bis 2 Prozent, also 200.000 bis 400.000. Was um Gottes willen stellen die damit an? Ich ertappe den Dieb, oder besser die Diebin auf frischer Tat, sie hat den abgestellten Wagen schlicht mit ihrem ebenfalls alleingelassenen Radlader verwechselt und versonnen mit reichlich eigener Beute befüllt. Jetzt besitzt sie 12 Flaschen Le Rouge und ich 48 Rollen Klopapier. Wir beschließen, die beiden Hausstände wieder zu trennen.

So ein Einkaufswagen legt während seiner Einsatzdauer von acht bis zehn Jahren übrigens geschätzte 12.000 Kilometer zurück. Mich wundert, dass noch niemand ein Tempolimit für diese beliebten Fahrzeuge fordert. Schließlich hat das ARD Wirtschaftsmagazin „Quarks“ gerade herausgefunden: „Der Verbrauch ist abhängig vom Quadrat der Geschwindigkeit. Heißt: Doppelte Geschwindigkeit = vierfacher Verbrauch.“ Ein Auto, das bei Tempo 50 fünf Liter verbraucht, kippt nach neuer deutscher Ouark-Physik („Post-Physics“) bei 100 bereits 20 Liter hinter die Binde. Hundert Prozent ARD faktengecheckt!  Follow the Science!

„Weltweit vorn beim Warentransport“

In der runderneuerten Denktradition unserer wissenschaftlichen Fernsehelite wage ich deshalb folgende Rechung aufzumachen: Angenommen, ein Lidl-Kunde schiebt seinen Einkaufswagen mit 1 km/h pro Stunde vor sich her und trinkt abends eine Flasche Le Rouge, so sind es bei 2 km/h bereits vier Flaschen Le Rouge. Bei 12.000 Kilometern durchschnittlicher Fahrstrecke der Drahtkisten ließe sich praktisch die gesamte französische Weinernte einsparen! Für Ihren nächsten Lidl-Besuch empfehle ich daher: Langsam schieben und den Einkaufswagen ab und zu mal stehen lassen.

Der erste Einkaufswagen wurde übrigens 1937 in den USA eingesetzt, im Humpty-Dumpty-Supermarkt in Oklahoma City. In Deutschland begann dieser wahre Volkswagen seine Karriere bei Augsburg im Jahre 1948, womit zugleich die Geburtsstunde des Carsharing schlug. Der weltweit größte Hersteller von Einkaufswagen ist nicht weit entfernt im bayerischen Leipheim beheimatet. Der Schlosser Rudolf Wanzl kam 1947 auf den Trichter mit den kleinen Lastwagen. Die gesuchten Oldtimer-Modelle finden Sie hier abgebildet. Die Jahresproduktion von Einkaufswagen liegt bei zwei Millionen, der VW-Golf bringt es nur auf die Hälfte. Wanzl ist „unangefochtener Weltmarktführer“ und fühlt sich dem Motto „Weltweit vorn beim Warentransport“ verpflichtet.

Die Fahrzeuge haben sich auch immer wieder im internationalen Kriseneinsatz bewährt, insbesondere bei der Abschöpfung von Über- und Zufallsgewinnen. Das als „Plünderung“ diffamierte Gemeinschaftserlebnis bezeichnet laut Wikipedia „den Diebstahl oder Raub von Waren und Gütern durch Personen, Gruppen oder Truppen“ und wird seit neuestem auch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen propagiert. Von der Leyen formuliert es so: „In Zeiten wie diesen müssen Gewinne geteilt und an die Bedürftigsten umgeleitet werden“. Wikipedia schreibt ergänzend: „Plünderungen werden erleichtert, wenn die öffentliche Ordnung zusammenbricht, dies kommt bei Katastrophen, Tumulten oder Kriegshandlungen vor“. Aus Rücksicht auf den Planeten sollte dies aber in ökologisch rücksichtsvoller Weise geschehen. Für spontane Supermarkt-Besuche außerhalb der Öffnungszeiten im kalten beziehungsweise heißen Winter bitte ich daher um die Bildung von Fahrgemeinschaften.

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

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