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Wie die Hindus die britische Politik verändern

Published On: 1. November 2022 12:00

Im Vereinigten Königreich ist ein Hindu zum Premierminister ernannt worden. Insbesondere der rechte Flügel der Konservativen rekrutiert sein Führungspersonal aus der indischstämmigen Minderheit. Warum sind die Hindus so konservativ?

Im Vereinigten Königreich ist ein Hindu zum Premierminister ernannt worden. Seinen Amtseid leistete er auf die Bhagavad Gita, das heilige Buch der Hindus ab. Das ist schon an sich ein so bemerkenswerter Vorgang, dass es erstaunlich ist, wie wenig das in der deutschen Öffentlichkeit kommentiert wird. Möglicherweise, weil eine gewisse Verwirrung in deutschen Leitmedien darüber herrscht, warum es ausgerechnet unter den hierzulande so verhassten Brexitiers die Vertreter einer ethnischen Minderheit in die obersten Ränge der britischen Politik geschafft haben.

Dazu sollte man gleich am Anfang erwähnen, dass der neue Premierminister Rishhi Sunak ein Brexit-Anhänger der ersten Stunde war. Anders als Liz Truss, die vor dem Brexit-Referendum zum Remain-Lager gehörte, wurde Sunak bereits als Fraktionsminderheit der Brexit-Unterstützer geführt. Anders als erwartet, sind die Tories durch die Öffnung für Einwanderergruppe nicht liberaler, sondern konservativer geworden.

Insbesondere der rechte Flügel der Konservativen rekrutiert sein Führungspersonal aus der indischstämmigen Minderheit. Dafür stehen markant die zwei letzten Innenministerinnen Priti Partel und Suella Braverman. Priti Partels Familie stammt aus dem indischen Bundesstaat Gujarat und war in den 1960er Jahren über Uganda ins Vereinigte Königreich gekommen. Bravermans Vater über Kenia aus dem indischen Goa, ihre Mutter aus Mauritius.

Partel war aus Bewunderung für Margaret Thatcher zu den Tories gestoßen, hatte sich als Parlamentsabgeordnete für die Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesprochen. Von ihr stammt der kontrovers diskutierte Plan, Asylbewerber in das zentralafrikanische Ruanda zu verbringen. Braverman übernahm diesen Plan ihrer Vorgängerin, überwarf sich mit Liz Truss, da diese das Einwanderungsrecht liberalisieren wollte. Sie sorgte jüngst mit ihrer Erklärung für Aufregung, sie sei „stolz auf das British Empire und werde sich für dessen Geschichte nicht entschuldigen“. Ihre Eltern seien „Kinder des Empire“ gewesen.

Immer wieder Angriffe auf Hindu-Tempel

Ein wesentlicher Faktor für diese Entwicklung liegt in der Polarisierung zwischen Hindus und Muslimen, die Hindus mit all den Briten verbindet, die sich vor dem wachsenden Einfluss des politischen Islam sorgen. Im Vereinigten Königreich leben etwa eine Million Hindus und etwa drei Millionen Muslime. Dabei hat sich die Zahl der Muslime seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. Die Unterschiede zwischen beiden Einwanderer-Gruppen sind dramatisch.

Das Office for National Statistics stellte im Sommer 2019 fest, dass Hindus über ein höheres Durchschnittseinkommen verfügen als weiße Briten. Ganz anders sieht es bei den Pakistanis aus. Sie sind die ethnische Gruppe mit dem niedrigsten Durchschnittseinkommen. 44 Prozent der Inder im Vereinigten Königreich befinden sich in den zwei oberen Fünfteln der Einkommensklassen, aber nur 11 Prozent der Pakistanis (Im Vergleich: Weiße Briten: 42 Prozent). 73 Prozent der Pakistani gehören hingegen den unteren zwei Einkommensklassen an. Im Vergleich zu 38 Prozent bei Hindus und weißen Briten.

Beide Einwanderergruppen haben sich nicht nur sozioökonomisch, sondern auch kulturell in verschiedene Richtungen entwickelt. Zwei Drittel der Hindu-Frauen gehen einer Beschäftigung nach, zwei Drittel der Pakistanischen Frauen gehen keiner wirtschaftlichen Betätigung nach. Die Geburtenrate der Hindus liegt unter der der weißen Briten, die Pakistanis haben die höchste im Vereinigten Königreich. Die Hälfte aller Moscheen im Vereinigten Königreich steht unter der Kontrolle der in Pakistan beheimateten radikalislamischen Deobandi-Bewegung.

Das ist jene Strömung des Islam, der zum Beispiel auch die Taliban in Afghanistan anhängen. Diese predigen, dass Frauen vollverschleiert sein müssen und nicht mit Männern in Kontakt kommen dürfen. Besonders konzentriert ist dieser Islam in Birmingham, weshalb es dort immer wieder zu Angriffen auf Hindu-Tempel kommt. Zuletzt vor einigen Wochen, als 200 mulimische Pakistanis versuchten, ein hinduistischen Kulturzentrum zu stürmen.

Genozid an der Hindu-Bevölkerung

Die Entwicklung hat eine geschichts- und identitätspolitische Dimension. Im Jahr 2020 wurden nicht nur die Denkmale von britischen Kriegshelden und Kolonialherren von Black Lives Matter umgestürzt und beschmiert, sondern auch die von Mahatma Gandhi, der Ikone der indischen Unabhängigkeitsbewegung. Dieser ist aus Sicht der Aktivisten ein genauso schlimmer „Rassist“ wie der Begründer der britischen Herrschaft über Indien, Robert Clive. Währenddessen hat sich in Indien selbst ein Wandel des Geschichtsbildes vollzogen.

Die Hindu-Nationalisten definieren sich, anders als die Kongress-Partei, nicht primär durch die Abgrenzung gegen den britischen Imperialismus. Die britische Herrschaft über Indien wird von ihnen milder bewertet als die der muslimischen Herrscher davor. Die Hindu-Nationalisten werfen den muslimischen Erobern vor, über Jahrhunderte einen regelrechten Genozid an der Hindu-Bevölkerung begangen zu haben. Den Hauptfeind sehen sie in Pakistan und dem Islam im eigenen Land, nicht in den Briten.

Diese verschiedenen sozioökonomischen, religiös-kulturellen und geschichtspolitischen Faktoren haben dazu geführt, dass die Strategie der New Labours, die ethnischen Minderheiten unter der Fahne der Identitätspolitik hinter sich zu vereinen, gescheitert ist. Dass Wähler einer ethnisch-religiösen Minderheit angehören, bedeutet eben nicht, dass sie die Angehörigen anderer ethnisch-religiöser Minderheiten als ihre besten Freunde ansehen.

Bei den wachsenden Spannungen zwischen Indien und Pakistan und der Polarisierung zwischen Hindus und Muslimen in England selbst war es dauerhaft nicht möglich, beide Wählergruppen unter einem politischen Dach zu vereinen. Bei den ersten Nach-Brexit-Wahlen zum Unterhaus im Jahr 2017 kippten die Hindu-Wähler ins konservative Lager. Bei einem Gesamtergebnis von 42 Prozent für die Tories stimmten 49 Prozent der Hindus und Sikhs für die Konservativen, nur 41 Prozent für Labour. Das heißt, der Anteil konservativer Wähler unter den Hindus war bereits größer als unter der übrigen Bevölkerung.

Labour sei „Anti-Hindu“

Die Parlamentswahlen 2019 brachten einen Erdrutschsieg für Boris Johnson und besiegelten damit den Brexit. Sie zeigten außerdem den Schulterschluss zwischen dem Brexit-Flügel der Konservativen mit der weißen Arbeiterschicht und dem Hindu-Nationalismus. Die Konservativen verstärkten diesen Trend, durch die gezielte Ansprache indischstämmiger Wähler, etwa durch die Gründung der „Conservative Friends of India“ und die Unterstützung Indiens im Kaschmir-Konflikt.

Das britische Mehrheitswahlsystem sorgt dafür, dass auch kleine Minderheiten, wenn sie in bestimmten Wahlkreisen konzentriert sind, einen erheblichen Einfluss auf die Sitzverteilung haben können. Die hindunationalistische Partei BJP des indischen Premierministers und Trump-Freundes Narandra Modi unterstützte die Tories aktiv in 48 Wahlkreisen. Hindus erhielten Whatsapp-Nachrichten mit dem Aufruf, konservativ zu wählen. Der „Hindu Council UK“, der Rat der Hindu im Vereinigten Königreich, erklärte sogar, Labour sei „Anti-Hindu.“

Im Vereinigten Königreich hat sich mehr als anderswo und früher als in Deutschland der „Postkolonialismus“ als dominante Ideologie der politischen Linken und linksliberaler akademischer Mittelschichten durchgesetzt. Der soziale und politische Aufstieg der Hindus im Vereinigten Königreich bringt diese Weltsicht jedoch in Erklärungsnot. Erstens: Diskriminierung und „struktureller Rassismus“ hindern eine farbige Minderheit im Westen ganz offensichtlich weder am sozialen Aufstieg noch an der politischen Partizipation.

Zweitens: Die Polarisierung zwischen Hindus und Muslimen zeigt, dass die Kategorie „People of colour“, die von den Theoretikern des Postkolonialismus erfunden wurde, eine akademische Kopfgeburt ist, die mit der sozialen Realität wenig zu tun hat. Drittens: Ethnisch-religiöse Minderheiten sind dauerhaft keine verlässlichen Verbündeten der Linken für eine „progressive“ Gesellschaftspolitik, sondern wickeln diese ab, sobald sie auf ihre linken Fürsprecher nicht mehr angewiesen sind und selbst die Richtung der Politik bestimmen.

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