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kartoffelsolidaritaet

Kartoffelsolidarität

Published On: 12. November 2022 16:00

Wir erwarten Gäste und ich soll dem Schatz beim Kartoffelschälen helfen. Würde ich ja gern, muss aber dringend einen Artikel fertigschreiben. Bis dahin muss ihr meine volle Solidarität reichen. Ein Dramolett.

Immer, wenn der Schatz einen Satz mit den Worten „Duhuu, könntest du mal kurz…“ einleitet, weiß ich, dass ich MINIMUM eine Stunde Lebenszeit los bin. Egal, was ich mache, „könntest du mal kurz“ bedeutet, dass alles, was ich gerade mache, plötzlich an Priorität verliert. Die Frau meines Herzens braucht Hilfe – und wer wäre ich als Gentleman, ihr diese Hilfe zu verwehren? Normalerweise lasse ich dann alles stehen, liegen und fallen, denn es geht um Leben und Tod (meinen) und das duldet dann auch keinen Aufschub. 

Nun bin ich ja doch auch politisch unterwegs, und so kam es, dass ich bei dem Satz „Duhuu, könntest du mal kurz die Kartoffeln schälen“ in Gedanken mit einem nonchalanten und von unseren Politikern abgeschauten, nichtsdestotrotz wirksamem „Nein, aber du hast meine volle Solidarität“ antwortete. Das war keine so gute Idee.

„Was hast du eben gesagt?“, will der Schatz wissen, da er anscheinend etwas harthörig ist. „Du hast meine volle Solidarität“, gebe ich, etwas lauter, zurück. „Ich will aber nicht deine Solidarität, ich will, dass du die Kartoffeln schälst. Wir haben in zwei Stunden Gäste.“ Das ist mir bekannt, aber es ist noch zwei Stunden hin und ich schreibe gerade einen Artikel, außerdem mag ich eh keine Kartoffeln gern. „Ich weiß, ich will das aber hier noch fertigschreiben, bis dahin kann ich dir nur mit meiner Solidarität dienen“, erkläre ich brav. Schweigen macht sich in unserer Küche breit, während der Schatz diese grünen Strünke aus den Tomaten popelt. 

„Solidarität schält keine Kartoffeln!“

Sie merkt anscheinend, dass ich sie reingelegt habe und ihr Gute-Laune-Pegel sinkt rapide. „Wie lange brauchst du dazu noch?“, fragt sie mich nach meiner Geschwindigkeit. Das könnte eine Falle sein. „Gleich“, antworte ich unbestimmt. Sie merkt es. „Wie lange ist „gleich“ definiert?“ Ich seufze. „Es dauert, so lange es dauert und wenn du mir dauernd dazwischenquakst, kann ich mich nicht konzentrieren und es dauert länger“, winde ich mich heraus. Sie wechselt die Taktik: „Es sind auch deine Gäste“, sagt sie vorwurfsvoll. Jein, sie hat sie eingeladen, nicht ich. Ich bin nur da, weil ich so dekorativ bin. Natürlich freue ich mich auch auf die Gäste, ich mag Gäste, ich habe gerne Gäste, aber im Moment schreibe ich noch diesen wichtigen Artikel und da können mir die Gäste gestohlen bleiben, die sind erst in zwei Stunden dran. „Du hast meine volle Solidarität“, wiederhole ich mich, jetzt schon langsam in Richtung „Gebetsmühle“ tendierend. 

„Solidarität schält keine Kartoffeln“, gibt sie, fachlich richtig, zurück. „Aber du, du schälst Kartoffeln“, stelle ich, fachlich nicht minder richtig, zurück fest. „Muss ich ja wohl, wenn du nur auf dem Hintern hockst und dir unsere Gäste völlig egal sind“, mault sie. „Musst du nicht, du hast meine volle Solidarität, bis ich den Artikel fertig habe“, tröste ich sie. Und dann meint sie etwas wenig Druckfähiges, von wegen wohin ich mir meine Solidarität schieben könnte, aber schön ist es an dem Ort nicht. Aufseufzend stehe ich von Tisch und Notebook auf und nähere mich den ungeschälten Höllenkartoffeln. 

„Jetzt brauchst du auch nicht mehr“, faucht der Schatz. Das ist allerdings ärgerlich, denn wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich nicht von dem unvollständigen Artikel aufgestanden. „Doch, ich mache das jetzt“, beharre ich und will nach den Kartoffeln greifen. „Ich brauche dich nicht!“, stellt der Schatz jetzt eine grundsätzliche, aber hier völlig deplatzierte Tatsache fest. „Eben hast du mich aber noch gebraucht“, beschwere ich mich. „Ja, eben, aber du willst ja nicht. Schreib deinen Artikel fertig“, schnauzt sie mich an. Gut, dann schreibe ich den Artikel fertig. Ich lese den letzten Absatz, ich muss ja wieder reinkommen, in den Schreib-Flow. 

Unterwürfig wie Friedrich Merz in einer seiner kämpferischen Reden

„Ich schäle die Kartoffeln allein“, kommt es patzig von der Küchenzeile. „Ja, ich weiß, ich schreibe ja den Artikel“, bestätige ich den Schatz. „Ich verlange nie etwas von dir, NIE“, setzt der Schatz wahrheitswidrig hintendran. Ich klappe mein Notebook zu: „Was willst du eigentlich?“, frage ich leichtsinnig. „Ich will GAR NICHTS von dir“, gibt sie verbittert zurück, „ich hätte nur gewollt, dass du die Kartoffeln schälst, sonst nichts.“ „Ich habe es dir ja angeboten, da hast du sie mir weggenommen. Dann habe ich mich wieder hingesetzt und dann hast du weitergeschimpft“, gebe ich den Sachverhalt in der richtigen Reihenfolge wieder. „Ja, weil du NIE! was machst!“, bestätigt sie mich. „Das stimmt nicht, ich mache ganz oft was, gestern habe ich die Wäsche zum Trocknen aufgehängt!“, korrigiere ich ihre Aussage.

„Dafür habe ich ein klasse Abendessen gekocht und die Küche gesaugt!“ „Du hast ein klasse Abendessen gekocht, aber das Saugen hat der Saugroboter übernommen. Außerdem geht es jetzt nicht um Buchhaltung, sondern die Aussage, ich würde NIE Ausrufezeichen was machen. Das stimmt nicht!“ Der Schatz dreht sich um und nimmt mich scharf ins Visier, das Schälmesser in der Hand: „Es wäre nur eine kleine Sache gewesen, ein bisschen Solidarität, ein wenig Hilfe – aber dein Artikel war dir wichtiger!“ Sie ist maßlos enttäuscht. „Aber ich habe dir doch meine Solidarität versichert“, gebe ich, etwas hilflos, zurück. „Da kann ich mir auch nichts davon kaufen. Nicht einmal Kartoffeln schälen sich damit.“

Sie ist jetzt wirklich traurig. Ich habe als Mensch, als Mann, als Ehemann versagt. Ich Schwein. Ich habe die Kartoffeln nicht auf Kommando geschält. Sie ist viel zu gut für mich, viel zu gut. Ich bin ein geschlagener Mann. „Darf ich bitte die Kartoffeln schälen?“, frage ich unterwürfig wie Friedrich Merz in einer seiner kämpferischen Reden. Sie stellt mir die ungeschälten Kartoffeln in einer Schüssel vor die Nase. „Ausnahmsweise“, sagt sie großzügig. Was so ein bisschen Solidarität alles ausmacht. Wenn sie etwas kostet…  

(Weitere solidarische Artikel des Autors unter www.politticker.de)  

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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