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Eigentore für Deutschland

Published On: 25. November 2022 12:00

Überhaupt auf die Idee zu kommen, Fußballer als Litfaßsäulen für Ziele zu verwenden, an denen die zuständige Politik seit Jahrzehnten in Serie selbst scheitert, ist die Bankrotterklärung einer impotenten Politik, die den enteierten Sport mit sich in die Tiefe zieht.

Soll ich über Fußball schreiben? Ich wage es nicht, mich als Alle-vier-Jahre-Gelegenheitszuschauer sachlich über sportliche Aspekte dieses Spiels zu äußern. Ich weiß nichts oder doch nur sehr wenig über die Zusammensetzung der aktuellen Nationalmannschaft, gestehe aber, dass meine ganz persönlichen Maßstäbe an WM-Turniere noch aus einer besseren Zeit, nämlich dem Jahr 2014 stammen, als die DFB-Elf gegen Brasilien und dann im Finale gegen Argentinien Leistungen gezeigt hatte, die sie meiner Meinung nach seitdem nie wieder erreichte.

Ich kann mich hingegen an kein Spiel erinnern, das 2018 in Russland gespielt wurde. Gut möglich, dass ich gar keins gesehen habe, möglich auch, dass mein Gedächtnis es wie einen schlechten Geruch im Fahrstuhl nicht abgespeichert hat. Vier Jahre später sitzen wir nun da, mit Glühwein in der Hand und bangem Blick auf die Inflation, statt im Sommer kurz vor Weihnachten, und es will einfach keine Stimmung aufkommen bei der WM im Gas(t)land Katar.

Lassen wir den Ausgang des Spiels gegen Japan mal beiseite, dazu kann ich sowieso nichts sagen, weil ich es nicht gesehen habe. Japan ist aber kein Fußballzwerg, und die „Demütigung“ an sich sollte für uns leichter zu verkraften sein als für Argentinien, das gegen Saudi-Arabien verlor, wie zu lesen war. Sarkastischer Einschub: Die Japaner haben keine Angst vor der Kernkraft – klar, dass wir gegen die keinen Stich sehen!

Fußball? Nebensache!

Doch Fußball ist ohnehin längst Nebensache, und die geballte mediale Aufmerksamkeit richtete sich auf ein kleines Stück One-Love-Stoff, das man zeigen, dann nicht zeigen, dann vereinzelt zeigen, dann wieder nicht zeigen wollte/durfte/konnte. (Nicht Zutreffendes bitte streichen, noch korrekt gendern, dann kann das raus.)

Mich machen Deutsche mit einem übersteigerten Faible für Armbinden immer etwas nervös. Meist bedeuten diese Stöffchen gleichzeitig „ich weiß, was richtig ist“, „leg dich nicht mit mir an“, „ich gehöre dazu“ und „frag mich endlich, was ich dich lehren will“, ohne dass dem moralischen Anspruch in jüngster Zeit jedoch Nachdruck verliehen wurde – zumindest im Ausland! Letzteres kann man als Fortschritt werten, auch wenn dieser schnurstracks in Richtung Lächerlichkeit abbiegt. Das Vorzeigen von derlei Fähnchen ist ja längst nicht mehr der Ruf zur Schlacht, sondern schon der Sieg an sich! Errungen durch Definition und Selbstermächtigung und stets gegen einen stummen oder zur Gegenwehr mindestens nicht aufgelegten Feind. Die Losungen und Winkelemente werden ausgeteilt, und das ganze Jahr ist Erster Mai nach Art der DDR. Für Klima und LGBTQ: Seid bereit… immer bereit!

Doch so wenig sich das Klima darum schert, ob ein Auto auf der Avus fährt oder im Standgas vor Klebekindern blubbert, so egal ist dem Emir von Katar und der Religion, auf die er sich beruft, was der Kapitän einer deutschen Fußballmannschaft am Arm trägt. Womit wir bei einem der vielen Kerne des Problemgranatapfels wären: den Trägern der Botschaft. Wer von einem Manuel Neuer, der sein ganzes Leben lang nichts anderes erfolgreich tut, als sich zwischen zwei Metallpfosten hin- und herzuwerfen, erwartet, einen politisch-religiös aufgeladenen Feldzug der westlich-überspannten Moderne gegen eine theokratisch-absolutistische Monarchie zu führen, dem sitzt die Armbinde wohl etwas zu straff über Augen und Ohren. Überhaupt auf die Idee zu kommen, Fußballer als Litfaßsäulen für Ziele zu verwenden, an denen die zuständige Politik seit Jahrzehnten in Serie selbst scheitert, ist die Bankrotterklärung einer impotenten Politik, die den enteierten Sport mit sich in die Tiefe zieht.

Fashionmäßig aber mal so richtig die Leviten lesen

Legt man die Schauplätze Katar und Europa gedanklich mal nebeneinander, wird die Scheinheiligkeit deutlich sichtbar.

  • Im Stadion in Katar zeigt Ministerin Nancy Faeser (dank diplomatischer Immunität) die symbolisch aufgeladene Armbinde und Solidarität, in Deutschland löst sie jedoch kurz vorher den „Expertenkreis Politischer Islam“ auf, der sich mit den extremistischen und für Europa nicht tolerierbaren Auswüchsen eben jenes homophoben Islam beschäftigt, dem die Faesernancy in Katar fashionmäßig aber mal so richtig die Leviten gelesen hat.
     
  • Die ARD wettert über die fürchterlichen Arbeitsbedingungen in Katar und beklagt (zu Recht) die mangelhaften Menschenrechte in Katar. Im Studio – und so unsichtbar wie nutzlos für homosexuelle Kataris – unterstützen die Moderatoren „the current thing“ und tragen Armbinden. Andererseits geben die öffentlich-rechtlichen Millionen Gebührenzahlereuros für die Übertragungsrechte eines Spektakels aus, das sie so sehr kritisieren.
     
  • Ministerin Baerbock betont die Bedeutung von Menschenrechten für den Fußball in Katar, während Minister Habeck von derselben grünen Partei ausdrücklich nicht an die Menschenrechte dachte, als er in Katar um jenes Gas bettelte, welches am Ende die gar nicht so menschenrechtsfreundlichen Chinesen durch einen Vertrag mit 27 Jahren Laufzeit bekommen.

Viel Luft bewegt

Bei allem, was die deutsche Politik derzeit tut, steht sie gleichzeitig auf Gas und Bremse – und wie wir in der Fahrschule gelernt haben, gewinnt bei diesem Spiel immer die Bremse. Und die Bremsspur sieht wie folgt aus:

  • In Katar verbessert sich nichts in der rechtlichen Stellung Homosexueller, während sich deren Lage wegen des sich ausbreitenden und von Faesers Innenministerium ignorierten Islamismus in Deutschland verschlechtert.
     
  • Gas aus Katar gibt’s für Deutschland nur in für Campingflaschen üblichen Mengen.
     
  • Die Zuschauer von ARD und ZDF boykottieren lautstark, genervt und frustriert das, was sie eigentlich schon vor Jahren bezahlt haben.

Eine klassische Lose-Lose-Lose-Situation für Deutschland. Aber es wurde viel Luft bewegt, die Empörung goss sich in viele Zeilen, die Stimmen der Kommentatoren zitterten vor Pathos und Solidarität, und das gute Gefühl, selbst beim Verlieren an allen Fronten noch das Richtige zu tun und Vorbild (für wen eigentlich?) zu sein, entschädigt für den kübelweise verteilten Spott der ganzen Welt, die japanischen Memes, das frierend in gekühlte Stadien blicken, den lauwarmen Glühwein und die nächste Strom- und Heizkostenrechnung.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

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