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Der Sonntagsfahrer: Unsafe at Any Speed

Published On: 8. Januar 2023 6:15

1965 killte der amerikanische Verbraucheranwalt Ralph Nader mit seinem Buch „Unsafe at Any Speed“ den Chevrolet Corvair, weil der öfters plötzlich und unerwartet von der Straße abkam. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, BioNTech oder Pfizer würden Autos bauen.

1965 erschienen in USA das Buch „Unsafe at Any Speed – Unsicher bei jeder Geschwindigkeit“, das einschlug wie ein zu schnell gefahrener VW-Käfer bergab auf dem Nürburgring – wo es damals noch keine Leitplanken gab. Die Anklage Naders deckte die Konstruktionsschwächen und Sicherheitslücken damaliger Autos auf, darunter die hintere Pendelachse des VW Käfers und die des – ihm von der Konstruktion her nachempfundenen –  Chevrolet Corvair mit Heckmotor. Die Achse stellte sich bei hoher Geschwindigkeit in Kurven auf wie ein verärgerter Gamsbock. In der Folge verließ die Fuhre die Fahrbahn dann mit einer eingesprungenen Rolle übers Dach. Nader kritisierte dieses plötzliche und unerwartete Übersteuern als gefährlichen Konstruktionsfehler, woraufhin die Verkäufe des Corvair einbrachen wie die Börsenkurse von Wirecard. Das Modell wurde 1969 nach nur vier Jahren Bauzeit eingestellt. 

Vorausgegangen war eine heftige Propagandaschlacht auch gegen Nader persönlich. Der amerikanischen Wikipedia ist unter anderem zu entnehmen, wie seine „politischen, sozialen, rassischen und religiösen Ansichten, seine Integrität, seine sexuellen Neigungen“ in Zweifel gezogen wurden. Auch sei er von jungen Mädchen angesprochen worden, „um ihn in unerlaubte Beziehungen zu verwickeln“, sein Telefon sei abgehört worden, mit Hilfe „mechanischer und elektronischer Geräte“ habe man seine privaten Gespräche belauscht.

Doch Nader wehrte sich. Am 22. März 1966 wurde General Motors-Präsident James Roche gezwungen, vor einem Unterausschuss des US-Senats zu erscheinen und sich bei Nader für die Schikanen und Einschüchterungsversuche des Unternehmens zu entschuldigen. Nader verklagte GM 1966 wegen Verletzung der Privatsphäre. Er gewann den Fall und erhielt 425.000 Dollar Schadenersatz, die er zur Gründung des Center for Auto Safety, einer gemeinnützigen Interessenvertretung, verwendete. 

Klagewelle mit hohen Schadenersatzsummen

Nader, kein Heiliger, für viele gar ein Kreuzzügler, aber in jedem Fall ein gewiefter Anwalt, darf als einer der Väter des amerikanischen Verbraucherschutzes gelten. Er war unter anderem an der Gründung der US-Umweltschutzbehörde EPA und der Verabschiedung des Clean Air Act beteiligt. Der zweite große Effekt des Nader-Buches war eine Klagewelle mit hohen Schadenersatzsummen. Inzwischen ist das Pendel dabei oft ins andere Extrem geschwungen. Bis heute in aller Munde: Der Pappbecher von McDonald’s, randvoll mit heißem Kaffee, den sich eine Frau namens Stella Liebeck aus Versehen über den Schoß kippte. Das schmerzhafte Missgeschick kam die Imbisskette teuer zu stehen: Ein Geschworenengericht sprach der Frau 2,7 Millionen Dollar Schadenersatz zu.

Was auch immer man davon hält: In jedem Fall waren Verbraucher- und Umweltschutz sowie deren juristische Durchsetzung durch Ralph Nader in den USA etabliert. Ohne Naders Buch, ohne die 1970 gegründete Umweltbehörde EPA und ohne die seit Nader etablierten Produkthaftungsregeln wäre das nicht so schnell geschehen. Die Folgen musste jüngst beispielsweise Volkswagen im Diesel-Skandal erfahren. Bislang hat der den Volkswagen-Konzern 32 Milliarden Euro gekostet – und es ist noch kein Ende abzusehen.

Seit Ralf Nader gehören aufwändige Rückruf-Aktionen beinahe zum täglichen Brot der Autohersteller. Zu groß ist die Angst vor gigantischen Schadenersatzforderungen und Image-Ruin. Toyota rief 2009 etwa 8,5 Millionen Fahrzeuge auf der Welt zurück in die Werkstätten. Grund waren Fußmatten, die sich am Gaspedal verhaken können, ein klemmendes Gaspedal sowie Bremsprobleme beim Hybridauto Prius. Das Debakel mit dem Gaspedal soll damals 18 Menschen das Leben gekostet haben. Beim bisher größten Rückruf der Geschichte musste Ford 21 Millionen Fahrzeuge zurückrufen, weil diese drohten, sich selbstständig zu machen. Die Automatik konnte sich in der Park-Stellung lösen, worauf das Auto davon rollte.

Ein neues Modell Namens „Volksbooster“

Und jetzt stellen wir uns einmal vor, Volkswagen habe ein neues Modell namens „Volksbooster“ mit einer weitgehend unerprobten aber angeblich sehr vielversprechenden Software auf den Markt gebracht. Doch dann werden den Behörden schon bald massenweise merkwürdige Unfälle mit teilweise tödlichem Ausgang gemeldet, bei denen dieses Fahrzeug plötzlich und unerwartet von der Straße abkommt oder einen Unfall verursacht. Der dringende Verdacht: Ein technischer Defekt mit der unerprobten neuen Software. Insgesamt werden den Behörden alleine in Deutschland hunderttausende Unfälle in Zusammenhang mit dem Volksbooster gemeldet, bei denen der Verdacht besteht, dass ein technischer Defekt dafür verantwortlich sein könnte. Bei mindestens 255 Unfällen mit tödlichem Ausgang gilt ein technisches Versagen der Software als Ursache laut der offiziellen Statistik gar als erwiesen, die Dunkelziffer wird aber um Größenordnungen höher vermutet. Frage: Wie lange wäre dieses Volkswagen-Modell noch auf dem Markt?

Noch mehr Angst vor einem solchen Gau als die Autohersteller haben die großen Lebensmittel-Konzerne. Auch hier sind Rückrufe selbst beim geringsten Verdacht die Regel. Der Schadstoff der Woche hängt vom Dioxin-Ei bis zum Chlorhühnchen wie ein Damoklesschwert über den Erzeugern, egal wie begründet oder auch unbegründet ein Verdacht auch sein möge. Unvergessen ist, wie das Regierungspräsidium Stuttgart 1985 vor „mikrobiell verdorbenen“ Nudeln warnte und dabei die Firma Birkel fast ruinierte. Weil an dem Vorwurf nichts dran war, musste man schließlich 12,8 Millionen Euro Schadensersatz an Birkel zahlen.

Und jetzt stellen wir uns mal vor, bei dem Discounter Aldi würde ein Joghurt einer Firma mit dem Namen BioNTech/Pfizer angeboten, welches das Immunsystem stärken und die Gesundheit auch in vieler anderen Hinsicht befördern soll. Es stellt sich aber schnell heraus, dass diese Werbung absolut irreführend ist, weil die versprochene Wirkung gar nicht vorhanden ist. Aber es kommt dann noch schlimmer. Alleine in Deutschland melden hunderttausende Aldi-Kunden starkes Unwohlsein nach dem Genuss des Joghurts, zehntausende erkranken ernsthaft und mindestens 255 versterben nach behördlichen Statistiken daran. Jetzt schätzen Sie mal, wie lange dieses Joghurt bei Aldi noch im Regal stehen würde?

Beim Chevrolet Corvair dauerte es übrigens vier Jahre. Beim Volksbooster sind zwei Jahre um. Den Verantwortlichen empfehle ich die Lektüre von „Unsafe at Any Speed“.

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.

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