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Der Westen, Polen und das Overton-Fenster

Published On: 30. Januar 2023 13:00

Im russischen Fernsehen wurde ein Kommentar ausgestrahlt, der für viele in Deutschland schwere Kost sein dürfte, weil er Dinge anspricht, die in deutschen Geschichtsbüchern verschwiegen werden.

Ich will dem Kommentar, der am Sonntag im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens ausgestrahlt wurde, nicht zu viel vorausschicken. Nur zwei Dinge: Erstens wird der Kommentar für all jene, die sich bisher weitgehend im Mainstream und in deutschen Schulgeschichtsbüchern informiert haben, schwere Kost sein, weil er auf die Rolle Polens vor dem Zweiten Weltkrieg eingeht und dabei Fakten erwähnt werden, die man in deutschen Dokus und Schulgeschichtsbüchern nicht erfährt.

Zweitens geht es in dem Kommentar um das „Overton-Fenster“, das nur wenigen ein Begriff sein dürfte. Die Theorie vom Overton-Fenster besagt vereinfacht gesagt, dass politische Maßnahmen nur eine bestimmte Zeitlang umsetzbar sind, man könnte vereinfacht gesagt auch von einem Zeitfenster sprechen, aber ich bin bei der Übersetzung bewusst bei dem Begriff des Overton-Fensters geblieben, um den russischen Kommentar so korrekt wie möglich zu übersetzen. Eine etwas ausführlichere Erklärung der Theorie Overton-Fenster finden Sie im Anschluss an die Übersetzung.

Beginn der Übersetzung:

Der Westen fliegt durch die Overton-Fenster

Verständlicherweise haben die Amerikaner Polen eine besondere Rolle in dem Panzerepos zugedacht. Die Polen haben den meisten Druck auf Scholz gemacht, er solle deutsche Leoparden an die Ukraine liefern. Es waren nicht nur aktiven Politiker, sondern auch Veteranen, die sich darum bemüht haben. Lech Walesa, Polens ehemaliger Präsident und Friedensnobelpreisträger, forderte in diesem Sommer, unser Land zu zerstückeln und die russische Bevölkerung auf 50 Millionen zu reduzieren. (Anm. d. Übers.: Diese – de facto einen Völkermord an den Russen fordernde – Aussage hat Walesa tatsächlich Anfang Juli 2022 in einem Interview mit dem französischen Sender LCI gemacht)

In dieser Woche rief er die Deutschen in der Zeitung Fakt dazu auf, ein für alle Mal mit Russland aufzuräumen: „Man muss den Deutschen sagen, dass es schon immer Probleme mit Russland gab, und wir Polen wissen das besonders gut, und deshalb haben wir in dieser Generation die Chance, ein für alle Mal mit Russland aufzuräumen. Wir werden die Chance, dass die ganze Welt das unannehmbare Verhalten Russlands sieht, dass die Welt einen Wandel in Russland will, nicht noch einmal haben. Künftige Generationen werden uns nicht verzeihen, wenn wir diesen Fehler Putins nicht ausnutzen. Ich würde die Deutschen davon überzeugen, dass wir mit Russland aufräumen müssen, wenn wir wollen, dass unsere Kinder in Zukunft in Frieden leben.“

Lech Walesa veräppelt die Deutschen, wie man so schön sagt. Es ist nichts Neues. Polen verhält sich heute genauso wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Und Walesa hat ausgesprochen, was die Politiker an der Macht sich nicht zu formulieren trauen, aber sie handeln aus dem Traum der Zerstückelung Russlands heraus.

Für Warschau ist das wie eine Besessenheit, von der schon Marschall Józef Piłsudski träumte: „Eingeschlossen in den Grenzen des 16. Jahrhunderts, abgeschnitten vom Schwarzen Meer und der Ostsee und ohne das Land und die Bodenschätze des Südens und Südostens, könnte Russland leicht zu einer zweitklassigen Macht werden, die nicht in der Lage wäre, die neu gewonnene Unabhängigkeit Polens ernsthaft zu bedrohen. Polen hingegen könnte sich als größtes und stärkstes der neuen Länder ohne weiteres eine Einflusssphäre sichern, die von Finnland bis zum Kaukasus reicht“, betonte er. (Anm. d. Übers.: Piłsudski war polnischer Regierungschef und faktischer Diktator, der Polen 1926 bis zu seinem Tod 1935 regiert hat. Leider sind die Großmachtträume der polnischen Regierungen zwischen den Weltkriegen kein Thema in den deutschen Geschichtsbüchern, denn sie spielen eine wichtige Rolle in der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs, die in Deutschland weitgehend unbekannt ist)

Und es war Piłsudski, der im Januar 1934 einen Nichtangriffspakt mit dem Dritten Reich schloss, der in der Geschichte als „Piłsudski-Hitler-Pakt“ bezeichnet wurde. Polen setzte alles daran, auch militärisch ein Verbündeter Nazi-Deutschlands zu werden. Der Hass auf Russland, die Russophobie machte Polen schon damals blind. Nach dem Abschluss des Abkommens mit dem faschistischen Deutschland begann Polen, Europa gegenüber eine regelrechte Arroganz an den Tag zu legen. Bereits im Sommer 1934 erklärte der polnische Außenminister Jozef Beck: „Das französisch-polnische Bündnis interessiert Polen nicht mehr. Was Russland anbelangt, so kann ich nicht genug Begriffe finden, um den Hass zu beschreiben, den wir ihm entgegenbringen.“

Und auch die Nazis haben Polen mitgerissen. Hitlers engster Mitarbeiter Hermann Göring war unter anderem auch Chefjäger im Dritten Reich – sein Amt hieß Reichsjägermeister. Und so kam der Gründer und erste Leiter der Gestapo nach Beloweschskaja Puschtscha, um dort zu jagen, als es noch innerhalb der polnischen Grenzen lag. Dort – in Beloweschskaja Puschtscha – erklärte Göring dem polnischen Außenminister Jozef Beck 1935 freundlich, dass Polen und Deutschland Seite an Seite stehen müssten. Es sei notwendig, sich gemeinsam gegen die Sowjetunion zu stellen, und dann würde Deutschland den Nordwesten der UdSSR bekommen. Was ist mit Polen? Polen bekommt die Ukraine. Verständlich, dass Polen sich unter diesen Umständen direkt Deutschland angeschlossen hat. Der polnische Generalstab plante bereits 1937 die gemeinsame Zerschlagung der UdSSR und sogar die polnisch-deutsche Siegesparade auf dem Roten Platz, was in Dokumenten bestätigt wird…

Die „Hyäne Europas“, das sagte Churchill über Polen. Die „Hyäne Europas“, so heißt auch die Dokumentation des russischen History Channel, die demnächst auf Rossija 1 ausgestrahlt wird. Aber warum „Hyäne“? Weil sie den offenen Kampf fürchtet, aber bereit ist, sich die Beute von anderen zu schnappen, wie es in der tschechoslowakischen Provinz Teschen geschah, nachdem das Land infolge des berüchtigten Münchner Abkommens von Deutschland besetzt worden war. Hitler hat der „Hyäne Europas“ erlaubt, auch ein Stück abzubeißen. Damals sind polnische Truppen in Teschen einmarschiert. Aber natürlich war der wichtigste Traum immer noch Russland. (Anm. d. Übers.: In deutschen Geschichtsbüchern und Dokus wird das verschwiegen, aber es stimmt: Nach dem Münchner Abkommen hat Hitler Polen erlaubt, sich einen Teil der Beute zu nehmen. Am 2. Oktober 1938 sind polnische Truppen in das vorher zur Tschechoslowakei gehörende Teschen einmarschiert und haben das Gebiet besetzt)

So heißt es im Bericht der 2. Aufklärungsabteilung des Hauptstabs der polnischen Armee: „Die Zerschlagung Russlands ist die Grundlage der polnischen Ostpolitik. Daher läuft unsere mögliche Position auf folgende Formel hinaus: Wer wird sich an der Aufteilung beteiligen? Polen darf in diesem hervorragenden Moment der Geschichte nicht passiv bleiben. Die Aufgabe besteht darin, sich vorher sowohl physisch als auch geistig gut vorzubereiten. Das Hauptziel ist es, Russland zu schwächen und zu zerschlagen.“

Kommt Ihnen das bekannt vor? Es ist geradezu ein Déjà-vu. Schon sehr bald werden wir deutsche Panzer im Visier haben. Das ist auch ein Déjà-vu. Wie auch die Vorbereitungen für eine weitere Militärkampagne gegen Russland ein Déjà-vu sind. Und wie viele solcher Fälle hat es in unserer Geschichte gegeben? Im 17. Jahrhundert mussten die Polen direkt aus dem Kreml vertrieben werden. Im 18. Jahrhundert wurde der schwedische König Karl XII., der es auf Moskau abgesehen hatte, von Zar Peter in Poltawa aufgehalten. Im 19. Jahrhundert erreichte Napoleon Moskau, aber unser Krieg mit ihm endete in Paris. Im 20. Jahrhundert ist Deutschland zweimal über uns hergefallen, im Großen Vaterländischen Krieg mit der Unterstützung von fast ganz Europa. Wir haben dem faschistischen Abschaum in Berlin den Garaus gemacht. Auch das 21. Jahrhundert ist kein friedliches mehr. Der Westen hat sich lange Zeit auf den Kampf gegen Russland vorbereitet und jetzt geht die Eskalation weiter. Niemand weiß, wo er aufhören wird.

Für den Westen ist Russland ein Objekt des Neids und der Begierde. Schließlich haben sie immer auf Kosten von Kolonien gelebt und eine Weltordnung zu ihrem Vorteil geschaffen. Jetzt, wo es einfach keine Rohstoffe mehr gibt, um den früheren Lebensstandard der „goldenen Milliarde“ aufrechtzuerhalten, wird Russland als Quelle für diese Rohstoffe gebraucht. Bildlich gesprochen, wollen sie uns fressen. Die Existenz Russlands selbst ist in der Logik des Westens nicht vorgesehen. Deshalb kämpfen sie nicht mehr für die Ukraine, sondern gegen Russland. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat das sogar ausdrücklich gesagt: „Wir müssen mehr tun, um die Ukraine zu verteidigen, wir müssen mehr tun, was die Panzer betrifft. Aber das Wichtigste und Entscheidendste ist, dass wir es gemeinsam tun und nicht mit Schuldzuweisungen in Europa spielen, denn wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.“

Gesagt hat sie das, jedoch hat das deutsche Außenministerium seine Ministerin sofort korrigiert, dass Deutschland auch bei der Lieferung von Panzern an die Ukraine „keine Konfliktpartei ist“. Das Land befindet sich im Krieg mit Russland, ist aber nicht an dem Konflikt beteiligt. Das klingt wie ein Kinderrätsel. Es ist im Krieg, ist aber keine Konfliktpartei. Welcher Staat ist das? Keine Konfliktpartei, aber im Krieg. Sie wissen es nicht? Das ist Deutschland! Und auch Polen. Und Amerika und Großbritannien und sogar Schweden. Kinder kann man so täuschen. Aber wir sind doch keine Kinder!

Der Westen liefert der Ukraine immer mehr und immer ausgefeiltere und schwerere Waffentypen. Da ist nur ein Problem: die Ukrainer gehen aus. Die Mobilisierung findet dort seit langem unter Zwang statt – sie greifen sich jeden, den sie auf der Straße erwischen. Trotzdem gibt es immer noch keine Fortschritte an der Front.

Aber der Westen hat beschlossen hat, dass er nicht verlieren kann. Wie soll die „goldene Milliarde“ ohne die Rohstoffe leben, die jetzt Russland hat? Es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, die eigenen Armeen an die Front zu schicken. Man könnte zum Beispiel mit den Polen beginnen, die am arrogantesten sind und den geringsten Wert haben. Man verspricht ihnen natürlich Unterstützung und ihren Anteil an der Beute. Irgendwie so.

Auf dem Weg dorthin durchläuft der Westen sehr schnell diese Overton-Fenster. Von einem zum anderen. Und was früher unmöglich schien, ist heute Normalität. Aber Russland ist nicht bereit, kleinlaut zur Schlachtbank zu gehen. Wie stellen die sich das vor? Hätten wir uns in der Geschichte jemals so verhalten, dann gäbe es dieses Land auf der Weltkarte gar nicht. Aber es gibt es! Und es wird es geben! Es sollten sich also alle besser vorbereiten.

Ende der Übersetzung

Die Overton-Fenster

Die Theorie der Overton-Fenster besagt, dass Themen eine Zeitlang politisch umsetzbar sind und dass man diesen Prozess lenken kann. Dabei durchläuft ein Thema verschiedene „Fenster“, in denen eine Maßnahme zunächst als „undenkbar“ und dann als „radikal“ angesehen wird, dann „akzeptabel“ wird, um anschließend als „sinnvoll“ und dann als „populär“ zu erscheinen, um dann zur „Staatspolitik“ zu werden. Das will ich am Beispiel der deutschen Panzerlieferungen veranschaulichen.

Noch vor einem Jahr war es – wegen der deutschen Geschichte und der Angst vor einem Atomkrieg – „undenkbar“, dass Deutschland der Ukraine Panzer für den Kampf gegen Russland liefert. Aufgrund der massiven medialen Beschallung wurde diese Frage einige Zeit später nur noch als „radikale“ Lösung betrachtet, die nur von durchgeknallten Falken gefordert werden kann. Dann ging es ganz schnell und medial wurden Panzerlieferungen an Kiew als „akzeptabel“ dargestellt, um danach als „sinnvoll“ präsentiert zu werden, die Frage wurde „populär“ und plötzlich hat die Bundesregierung die Lieferung der Leoparden genehmigt und damit wurden Panzerlieferungen an die Ukraine zur „Staatspolitik“.

Das meint der russische Kommentator, wenn er mit Blick auf den Einsatz zum Beispiel polnischer Soldaten gegen Russland sagt: „Auf dem Weg dorthin durchläuft der Westen sehr schnell diese Overton-Fenster. Von einem zum anderen. Und was früher unmöglich schien, ist heute Normalität.

Dass das so funktioniert, haben wir bei der Frage der Panzerlieferungen gerade erlebt und wahrscheinlich werden wir es auch bald bei der Frage von Kampfjets für die Ukraine erleben. Ob wir es auch bei der Entsendung polnischer Soldaten erleben werden, wird sich zeigen.

Übrigens ist ein Problem bei der Theorie der Overton-Fenster, dass der Prozess auch umschlagen kann und dass eine „aktuelle“ Maßnahme auch wieder den Weg zurück gehen kann. Daher ist es bei der Theorie der Overton-Fenster wichtig, die durch Medien und Politik „populär“ gewordene Maßnahme als „Staatspolitik“ umzusetzen, bevor die Öffentlichkeit von anderen Themen abgelenkt wird oder sie aus anderen Gründen ihre Meinung ändert und der öffentliche Rückhalt für eine Maßnahmen wieder schwinden könnte.


In meinem neuen Buch „„Putins Plan – Mit Europa und den USA endet die Welt nicht – Wie das westliche System gerade selbst zerstört ““ gehe ich der der Frage, worum es in dem Endkampf der Systeme – den wir gerade erleben – wirklich geht. Wir erleben nichts weniger als den Kampf zweier Systeme, in dem Vladimir Putin der Welt eine Alternative zum neoliberalen Globalismus anbietet. Wurden die Bürger im Westen gefragt, ob sie all das wollen, ob sie zu Gunsten des neoliberalen Globalismus auf ihren Wohlstand und ihre Freiheiten verzichten wollen?

Das Buch ist aktuell erschienen und ausschließlich hier direkt über den J.K. Fischer Verlag bestellbar.

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