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Mit fröhlichem Ernst aus der Reihe tanzen!

Published On: 6. Februar 2023 6:00

Was ist zu tun? Was hat der Bürger dem woken Marsch durch die Institutionen entgegenzusetzen? Ralf Schuler versucht in seinem neuen Buch, Antworten auf diese Fragen zu finden. Ein Auszug.

Wie kommen wir wieder heraus aus dem dröhnenden Gleichschritt in diesem Land? Welche paradoxen Interventionen könnten dem Bürger dabei helfen, eingeschliffene Reflexe der Anpassung zu unterlaufen? Den Gleichschritt haben wir uns über lange Jahre angewöhnt; deswegen wird es Zeit brauchen, neue Gangarten einzuüben, um aus diesem Trott zu geraten.

Wir werden dabei auf Ressourcen jenseits bisheriger fein abgestimmter medialer, politischer und sozialer Choreografien zurückgreifen müssen: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Dieser Gedanke stammt vom Staatsrechtler und Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, und er ist immer noch wahr. Werte wie Freiheitlichkeit, Gerechtigkeit und Wohlfahrt sind keine freischwebenden, a-historischen Ideale, derer man sich im Zuge öffentlicher Meinungsbildung, politischen Handelns und parlamentarischer Mehrheitsbeschlüsse einfach bedient.

Werte resultieren vielmehr aus langen, mehrstimmigen und meist gegenläufigen kulturgeschichtlichen Prozessen, in denen der metaphysischen Selbstverortung des Menschen eine ebenso wichtige Rolle zukommt wie der pragmatischen Verständigung über Partizipation und Repräsentation, über das Verständnis von Recht und Gerechtigkeit bzw. über das Sicherheitsbedürfnis und die Wehrhaftigkeit des gesellschaftlichen Gefüges, in dem wir leben möchten.

Quasireligiöse Aufladung sekundärer Diskurse

Eine Gesellschaft, die ihr Verhältnis zu jenen spirituellen Koordinaten nicht mehr zu reflektieren vermag, denen sich ihr Wertekanon maßgeblich verdankt, wird unversehens zu ideologischen und utopistischen Engführungen verleitet oder auf ängstlich-restriktive Bestandswahrung auf Kosten von Freiheit und Individualität bedacht sein.

Es scheint eine ungute Korrelation zu geben zwischen dem geschichtsvergessenen, unduldsamen und religionsfeindlichen Säkularismus und dem Anschwellen des allgemeinen und öffentlichen Erregungspegels. Als zöge der Verlust religiöser Bindung im Fundament des kommunalen Selbstverständnisses die quasireligiöse Aufladung sekundärer Diskurse nach sich.

Die Debatten über den Umgang mit Corona, Gender, Einwanderung und Energiekrise könnten sachlicher geführt werden, würden sie nicht in den sich immer enger verschließenden politischen Wagenburgen zu heilsrelevanten Bekenntnisfragen stilisiert.

Versöhnung auf dem Boden der Wahrheit

Der neue identitätspolitische Tribalismus hat nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens erfasst und er verunmöglicht zunehmend eine umsichtige und nüchterne demokratische Meinungsbildung. Inzwischen sprengen die politischen Streitigkeiten über ein vernünftiges Corona-Management, nachhaltige Energie- und Klimapolitik oder angemessene wirtschafts- und wehrpolitische Strategien angesichts des Krieges in der Ukraine nicht nur streitbewährte Parteien, sondern auch die sozialen Gefüge in Orts- und Kirchengemeinden, Freundeskreisen und sogar Familien.

Die Gravitationskräfte einer pluralistischen Gesellschaft allein reichen kaum aus für den notwendigen Brückenschlag – kein Wunder, dass sich der top-down verordnete und durch mediale Kampagnen orchestrierte Gleichschritt als einzige Rettung inzwischen zunehmend gut verkauft. 

Als ehemaliger DDR-Bürger und als Christ bin ich derartigen restriktiven Strategien der Pazifizierung gegenüber doppelt skeptisch: Das restriktive Beschneiden der Freiheit Einzelner kann die Freiheit aller nicht garantieren; genauso kann das Unterbinden von Streit keinen Frieden generieren. Friede – das Volk der Bibel nennt es Schalom – erwächst vielmehr aus der Versöhnung auf dem Boden der Wahrheit.

Vielfalt von Meinungen authentisch und transparent abbilden

Versöhnung wiederum ist die Frucht von Vergebung und neuerlich gewährtem Vertrauen – ein unabsehbares Wagnis. Ohne einen transzendenten Bezug zum Urgrund von Versöhnung und Frieden, der letztlich jenseits unserer Verfügbarkeit liegt, wird es zunehmend schwierig, die Voraussetzungen unserer Demokratie im Sinne von Böckenförde zu gewährleisten.

Was also ist zu tun? Was hat der Bürger dem woken Marsch durch die Institutionen entgegenzusetzen?

Zumindest wird es dem demokratischen Prozess zuträglich sein, wenn der öffentliche Diskurs durch alte wie neue, sich jedenfalls vom Unisono emanzipierende Stimmen, Plattformen und Thinktanks wieder erweitert wird. In der Bildungsarbeit – von der Kita bis zur Universität – braucht es neue Impulse und das Engagement von Denkern und Machern mit Pioniergeist, die bereit sind, konstruktive Alternativen zu erarbeiten, um junge Menschen zu eigenständigem und gründlichem Hinterfragen und Durchdenken zu ermutigen und zu befähigen – auch gegen den Mehrheitsstrom.

Mein Berufszweig steht vor der großen Herausforderung, die Vielfalt von Meinungen, Ansichten und Positionen authentisch und transparent abzubilden. Die Medienvielfalt muss neu mit der Meinungsvielfalt synchronisiert werden.

Alternative Medienangebote aufbauen

Eine Studie von 2020 brachte zutage, dass 96 Prozent der ARD-Volontäre sich politisch im rot-grünen Spektrum verorteten bzw. sich dessen Zielen verpflichtet wussten. Konservative und liberale Ansichten vertraten nur 4 Prozent der Journalisten in Ausbildung. All dies trotz des Auftrags und der Selbstverpflichtung der Öffentlich-Rechtlichen zur Wahrung von gesellschaftlicher Parität und Meinungsvielfalt.

Wer im Mediengeschäft tätig ist, ahnt, dass es bei den Tageszeitungen nur geringfügig anders aussieht. Kein Wunder, dass für Andersdenkende in den großen Redaktionen nur noch selten Luft zum Atmen bleibt. Es wird also notwendig sein, alternative Medienangebote aufzubauen mit profunden Beiträgen und hohen journalistischen Standards und entsprechenden Inhalten.

Es wird einen langen Atem brauchen, dazu Ausdauer, Mut und Vertrauen in eine neue Gefährtenschaft von Menschen, die sich nicht länger im sanften Gleichschritt führen und verführen lassen wollen. 

Alles beginnt damit, dass sich Einzelne wieder zeigen und bereit sind, aus dem Raum der schweigenden Mehrheit heraus hörbar zu werden und mit fröhlichem Ernst aus der Reihe zu tanzen.

Ralf Schuler war bis Oktober 2022 Leiter der Parlamentsredaktion von BILD. Heute arbeitet er für Julian Reichelts Produktionsfirma Rome Medien.

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