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Polen: Rehabilitierung in der Ukraine

Published On: 27. Februar 2023 19:13

Während Polens Innenpolitik auf Kritik stößt, gewinnt das Land außenpolitisch an Statur

von Soňa Muzikárowá

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die europäische Politik neu geprägt. Die ehemaligen Sowjetstaaten Zentral- und Osteuropas – die nun alle Mitglieder der Europäischen Union und der Nato sind – waren an der Strategie des Westens, die Ukraine als unabhängigen Nationalstaat zu bewahren, entscheidend beteiligt. Und keines davon so sehr wie Polen.

Als die Diskussionen über die Einführung einer Preisobergrenze auf russisches, übers Meer geliefertes Rohöl im vorigen Herbst abgebrochen wurden, waren es Polen, Litauen und Estland, auf die die Vereinigten Staaten Einfluss nahmen, um die Blockade zu brechen. Diese Länder wollten einen noch niedrigeren Preis (von 30 Dollar pro Barrel) durchsetzen, um die Öleinnahmen des Kreml noch stärker zu verringern. Anfang dieses Jahres wandten sich Beamte des US-Finanzministeriums erneut an Lettland, Litauen, Estland und Polen, um herauszufinden, welches maximale Preisniveau sie bei weiteren Obergrenzen für russische Ölraffinerieprodukte akzeptieren würden.

Vor dem Krieg wurden Polen und die baltischen Staaten im Umgang mit Russland häufig als irrational kompromisslos bezeichnet. Diese Länder erinnerten sich noch gut an den Imperialismus, die Besatzung und die Unterdrückung durch ihren großen Nachbarn, und so vertreten sie seit langem einen „Russland-Realismus“, der in krassem Gegensatz zur pragmatischen, wirtschaftlich orientierten Einstellung Deutschlands und Frankreichs stand.

Polen rechnete mit dem Einmarsch

Diese unterschiedlichen Sichtweisen herrschten bis zur russischen Invasion im letzten Februar vor. Obwohl der US-Geheimdienst eindeutige Hinweise vorgelegt hatte, dass die Streitkräfte des russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Ukraine einmarschieren würden, waren die meisten anderen westlichen Regierungen weiterhin davon überzeugt; ein solcher Einmarsch sei „irrational“ und daher „unwahrscheinlich“. Polen und die baltischen Staaten hingegen nahmen die Berichte ernst und rechneten mit dem Schlimmsten.

Ein Jahr später ist ihre strategische Position zum neuen westlichen Standard geworden. Zentral- und osteuropäische Regierungen genießen in Brüssel, London und Washington nun erheblichen Einfluss – insbesondere bei der Gestaltung der Sanktionspolitik gegen Russland. Im Gegensatz zu ihren größeren, mächtigeren EU-Nachbarn, die Zeit verschwendet und sich nur halbherzig bemüht haben, zeigten sich einige von ihnen fest entschlossen.

Polen beispielsweise hat der Ukraine militärisch, humanitär und finanziell stärker geholfen als die meisten anderen westlichen Länder. Es hat 1,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen (mehr als jedes andere Land) und seine Verteidigungsausgaben dieses Jahr auf einen Rekordwert von 3 Prozent seines BIP erhöht. So hat es die Voraussetzungen dafür geschaffen, seine Armee zu einer der besten Europas zu machen.

Ungarn an Russlands Seite

Natürlich sind nicht alle zentral- und osteuropäischen Länder an Bord. Insbesondere Polens ehemaliger „illiberaler“ Verbündeter Ungarn hat sich offen auf die russische Seite gestellt. Ungarns Anti-EU-Propaganda und seine Behinderung der Sanktionen gegen Russland waren sowohl für die EU insgesamt als auch für die Visegrád-Nachbarn des Lands (Tschechien, Polen und die Slowakei) ein massives Problem. Bislang waren sich Polen und Ungarn in ihrem Widerstand gegen die EU bei Themen wie Migration und Rechtsstaatlichkeit einig. Jetzt finden sie sich in gegensätzlichen Lagern wieder.

Dieses Zerwürfnis ist für die Visegrád-Gruppe höchst problematisch. Sowohl die tschechische als auch die slowakische Regierung gehören, was ihre bilaterale Hilfe im Verhältnis zu ihrem BIP angeht, zu den stärksten Unterstützern der Ukraine. Beide haben sich außerdem mit der Ukraine solidarisch gezeigt, indem sie hunderttausende ukrainische Flüchtlinge aufnahmen und schwere Waffen bereitstellten. Darüber hinaus hat die Slowakei ihre Präsidentschaft über die Visegrád-Gruppe dazu genutzt, die außenpolitische Zusammenarbeit mit Ungarn „zum Schweigen zu bringen“.

Aber diese klare außenpolitische Ausrichtung hätte durch engere Abstimmung in anderen Politikbereichen ergänzt werden können, insbesondere bei der Energiepolitik. Ein gutes Beispiel dafür ist das Ölembargo der EU im letzten Jahr: Die tschechische Republik, Ungarn und die Slowakei haben Ausnahmeregelungen durchgesetzt, die es ihnen ermöglichen, weiterhin russisches Öl über die südliche Druschba-Pipeline zu importieren.

Polens Ruf im Ausland

Während das Engagement einiger zentral- und osteuropäischen Staaten lückenhaft bleibt, wächst Polen weiterhin über sich selbst hinaus. Soll das Land aber wirklich zu einer neuen Kraft innerhalb der EU werden, muss es mehr tun, um das Vertrauen anderer westlicher Regierungen zu gewinnen. Dies bedeutet, sein Image als Ungarns illiberaler Wegenosse abzuschütteln und sich mit seinen eigenen demokratischen Schwächen aktiv auseinanderzusetzen.

Nach der Machtergreifung der rechtsgerichteten Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Jahr 2015 stürzte Polens Ruf im Ausland massiv ab. Das Land, das einst die größte wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der EU war, wurde von seinen Partnern fortan nicht mehr als konstruktiv wahrgenommen. Unter ihrem Vorsitzenden Jarosław Kaczyński beraubte die PiS die Justiz ihrer Unabhängigkeit, verleumdete unabhängige Medien, beschränkte den Zugang zu legaler Abtreibung, beendete die staatliche Finanzierung der In-vitro-Befruchtung und schikanierte – erst im vorigen Herbst – Aktivisten für LGBT- und Frauenrechte.

Vollständig ins Rampenlicht geriet der Rückbau der polnischen Demokratie während der Pandemie, als das Land über eine rechtsstaatliche Voraussetzung für den Erhalt von EU-Wiederaufbaumitteln mit der Europäischen Kommission aneinandergeriet. Nun plant die polnische Regierung begrenzte Reformen, um diese Mittel freizusetzen.

Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass der Einfluss des 73 Jahre alten Kaczyński abnimmt, wodurch sich die PiS politisch erneuern könnte. Viele halten heute den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki – einen Banker und Wirtschaftsberater des ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk – für moderner, kompetenter und (von Kaczyński) unabhängiger als seine Vorgänger in der PiS. In diesem Herbst werden die Parlamentswahlen von 2023 eine neue Gelegenheit geben, die demokratischen Institutionen zu erneuern und wiederzubeleben.

Polens geostrategische Bedeutung lässt sich nicht leugnen, und seine Reaktion auf den russischen Angriffskrieg hat das internationale Ansehen des Landes verbessert. Da die Politiker des Landes die Zwischentöne und Komplexitäten des Umgangs mit Russland verstehen, kann es als effektiver Vermittler zentral- und osteuropäischer Interessen in Brüssel – und europäischer Interessen in der Welt – dienen. Will es aber ernst genommen werden, muss Polen demokratische Werte und Freiheiten im eigenen Land mit derselben Entschlossenheit verteidigen, die es bei seiner Solidarität mit der Ukraine bewiesen hat.

Soňa Muzikárowá ist politische Ökonomin und leitende Beraterin des stellvertretenden Außenministers der Slowakischen Republik. Vorher war sie Ökonomin bei der OECD und der Europäischen Zentralbank. Die hier vertretenen Ansichten spiegeln nicht die Ansichten des Ministeriums für ausländische und europäische Angelegenheiten der Slowakischen Republik wider.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff / Copyright: Project Syndicate 2023

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