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Ein Weg zum Frieden

Published On: 27. Februar 2023 19:10

Nachdem der Ukraine aus Ländern der Europäischen Union und von den USA nach langen Verhandlungen schwere Panzer zugesagt worden sind, hat Präsident Selensky sofort die Lieferung weiterer Waffengattungen für einen Sieg der Ukraine über Russland eingefordert. Das ist angesichts der ungehemmten russischen Zerstörungen und des dadurch angerichteten menschlichen Leids in der Ukraine nur zu verständlich.

Zugleich drängt sich die Frage auf, wie die Gewalt, die sich zu einer Zerstörungsspirale entwickelt, gestoppt werden kann. Die Asymmetrie zwischen dem Angriffsopfer Ukraine und dem Aggressor Putin hat zur Folge, dass die Ukrainer die Hauptleidtragenden sind.

Zwar schickt Putin auch ohne Zögern Tausende Russländer in den Tod (wobei er ethnische Russen zu schonen scheint). Aber nicht die Infrastruktur und die Zivilbevölkerung Russlands werden zerstört, sondern die des überfallenen Nachbarlands. Aktuell erwarten viele einen langen Krieg, der die Ukraine zermürben soll. Dazu darf es nicht kommen.

Was könnte Diplomatie leisten?

Wenn in der Öffentlichkeit nach mehr Diplomatie für einen Waffenstillstand gerufen wird, denkt man dabei in der Regel an Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine mit der Implikation, dass das Aggressionsopfer territoriale Konzessionen machen sollte. Das stößt zu Recht auf Widerspruch, weil ein solcher Defätismus die Ukraine entmutigen könnte und die russische Aggression belohnen würde. Das können wir, wenn wir das Völkerrecht und eine regelbasierte globale Ordnung erhalten beziehungsweise reparieren wollen, nicht zulassen, und deswegen war und bleibt die militärische Unterstützung notwendig.

Gleichwohl ist es dringend geboten, in dieser Situation Schritte der Deeskalation zu finden und zu gehen. Anknüpfen sollte man an Initiativen, die im ukrainischen Interesse liegen und die die russische Führung bisher zur Kooperation bewegen konnten: der Austausch von Gefangenen, die Weizenlieferungen, die Tatsache, dass die Drohungen mit einem Atomschlag nicht wiederholt worden sind, nachdem auch China sich gegen sie gewandt hat, und die relative Ruhe am Atomkraftwerk Saporischschja. Gefangenenaustausch und Weizenlieferungen liegen offenbar auch im Interesse der russischen Führung, die Weizenlieferungen kamen darüber hinaus unter Mithilfe von UN-Generalsekretär Guterres und des türkischen Präsidenten Erdogan zustande.

Die Ukraine nicht entmutigen

Wenn Friedensinitiativen die Ukraine nicht entmutigen und die Aggression nicht ermutigen dürfen, wenn sie dennoch russische Interessen ansprechen und zugleich multilateral sein sollten, bieten sich zwei Strategiestränge an; beide tangieren Russlands Großmachtansprüche, vor allem im globalen Süden.

Da ist zum einen ein Ausbau von Olaf Scholz‘ zielstrebigen Bemühungen, in der Weltöffentlichkeit Partner für eine Deeskalation und womöglich für eine Verurteilung der russischen Aggression zu gewinnen. Das ist nicht einfach und braucht Zeit, berührt aber die Interessen Russlands, das im globalen Süden, vor allem in Afrika, seinen Einfluss wahren und ausbauen möchte, wie die Reisen Lawrows zeigen. Hier ist weitere Fantasie möglich und erforderlich.

Bidens Eingehen auf den afrikanischen Wunsch, Mitglied im Sicherheitsrat zu werden, gehört dazu. Die Russen weichen hier aus und verlieren dadurch an Glaubwürdigkeit. Auch wenn eine konkrete Reform des UN-Sicherheitsrats aufgrund der erforderlichen Zustimmung Russlands aktuell unwahrscheinlich erscheint, würde die öffentliche Unterstützung afrikanischer Beteiligung ein klares politisches Signal an unsere afrikanischen Partner senden.

Umgekehrt wird diese Strategie durch eine erneut verschärfte EU-Flüchtlingspolitik, die Afrika zu einem Erfüllungsgehilfen für den Ausbau der „Festung Europa“ machen will, verantwortungslos und kurzsichtig konterkariert. Hier muss die deutsche Außenpolitik viel mehr Kompetenz und Ideen investieren.

Ein Schlüssel liegt in Afrika

Zum anderen bieten auch multilaterale Initiativen, die von den Vereinten Nationen ausgehen, Chancen. Der Völkerrechtler Ulrich Fastenrath hat dazu kürzlich in der FAZ bedenkenswerte Vorschläge gemacht. Sie laufen darauf hinaus, Foren und Kommissionen zu schaffen, die durch die Besetzung mit anerkannten Persönlichkeiten internationale Autorität gewinnen.

In ihnen kann (und muss) Putin seine propagandistische Definition Russlands als Opfer begründen, vor ihnen und damit der Weltöffentlichkeit muss er aber auch immer wieder seine Aggression rechtfertigen. Sie ist von der UN-Generalversammlung klar verurteilt worden, ebenso wie die militärische Besetzung ukrainischen Territoriums.

Der Gedanke ist auch hier, dass Putin für seine Weltmachtambitionen Rücksicht nehmen muss auf Veränderungen in der globalen Wahrnehmung. Auch die jüngste Entscheidung der UN-Generalversammlung, jedes Veto im UN-Sicherheitsrat in einer gesondert einberufenen Sitzung der Generalversammlung weltöffentlich zur Diskussion zu stellen, weist in eine konstruktive Richtung.

Bisher kann Putin die Belastungen durch westliche koloniale und neokoloniale Erbschaften in Afrika für sich ausnutzen. In dem Maß, wie der Westen nicht durch Sanktionen, sondern mit konstruktiven und partnerschaftlichen Kooperationsangeboten kontert, wird das russische (und auch das chinesische) Schwert stumpf.

Das müssen wir erreichen, um Russland in seinem eigenen Interesse an imperialer Macht schrittweise durch multilaterale Abmachungen – etwa zugunsten von Ernährungssicherheit, zum Schutz der globalen Wirtschaft und zum Erhalt der ukrainischen Infrastruktur – zur Reduktion und Einstellung der Kämpfe in der Ukraine zu bewegen. Im globalen Süden will Putin sein Gesicht nämlich nicht verlieren.

Es geht darum, nicht nur die ökonomischen und militärischen, sondern auch die politischen Kosten des Kriegs für Putin so schmerzhaft zu erhöhen, dass er zu Verhandlungen bereit wird, die zumindest den Status quo vor dem 24. Februar und den Schutz der Ukraine vor erneuten militärischen Bedrohungen sichern. Putin darf den Krieg nicht gewinnen, und die Ukraine darf ihn nicht verlieren.

Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan war von 1999 bis 2008 Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Sie ist Vorsitzende der Grundsatzkommission der SPD.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 27.2.2023 erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung / Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

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