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Xis Rettungsanker für Putin

Published On: 4. April 2023 6:31

Trotz ihrer gemeinsamen kommunistischen Ideologie waren China und die Sowjetunion während des Kalten Kriegs nicht gerade enge Freunde und eingeschworene Partner. Launisches Konkurrenzdenken bestimmte diese Pseudo-Partnerschaft, als man sich wegen Mongolei und Mandschurei in die Haare geriet und um die Vorherrschaft in der kommunistischen Welt rang. Eine ähnliche Dynamik entfaltete sich auch anlässlich des jüngsten Besuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Moskau, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied.

Natürlich arbeiteten die UdSSR und China in vielen Bereichen zusammen. Beide unterstützten die Kommunisten von Kim Il-sung im Koreakrieg, und China half, die Einflussbereiche des Kremls in Osteuropa zu wahren. (Albanien war China gegenüber loyal, während Josip Broz Titos Jugoslawien China als Druckmittel benutzte, um Zugeständnisse und Unterstützung aus dem Kreml zu erwirken.) Außerdem arbeiteten sowjetische Wissenschaftler und Ingenieure in China, und die Sowjets erklärten sich 1957 bereit, der Volksrepublik beim Erwerb atomarer Kapazitäten unter die Arme zu greifen.

Gleichberechtigte Partner waren China und die UdSSR jedoch nicht wirklich. Obwohl Mao Zedong sich als ebenbürtigen Partner Josef Stalins sah – und meinte, die bäuerlichen Kommunisten dieser Welt anzuführen wie Stalin seine Proletarier – bezeichnete Stalin Mao hinter vorgehaltener Hand angeblich als „Höhlenmarxisten“ und „talentlosen Partisanen.“ Als Mao 1949 zu Stalins Geburtstagsfeierlichkeiten nach Moskau kam, wurde er dort wie ein gewöhnlicher Gast behandelt.

Stalins Verhalten erzürnte Mao. Doch in den 1940er- und 1950er-Jahren war China auf sowjetische Hilfe angewiesen, so dass sich Mao beugen musste, zumindest ein wenig.

Nikita Chruschtschow und Mao

Als mein Urgroßvater, Nikita Chruschtschow, nach Stalins Tod 1953 das Amt des sowjetischen Ministerpräsidenten übernahm, revanchierte sich Mao für Stalins Geringschätzung – und das nicht zu knapp. Nach der Rückkehr von seiner Reise nach Peking im Jahr 1958 sprach Chruschtschow unaufhörlich darüber, wie unangenehm seine Erfahrungen dort gewesen waren. Er reagierte gereizt auf Maos Forderung, die Sowjetunion möge ihre Versprechen einhalten und China beim Aufbau seines Atomwaffenprogramms helfen, und merkte an, dass Mao „rein gar nichts” für die Sowjets getan habe, „nicht einmal Schiffen und Flugzeugen einen Halt auf seinem Gebiet erlaubt“, weil es Bedenken hinsichtlich der Souveränität gab. „Einmal”, so erinnerte sich Chruschtschow, gelangten die Chinesen „in den Besitz einer amerikanischen Rakete”, aber Mao, „der genauso paranoid wie Stalin war und sich auch von seinem eigenen Schatten verfolgt fühlte“, ließ die sowjetischen Ingenieure nicht einmal in die Nähe dieser Rakete.

Chruschtschow nahm Mao auch die Einladung zu einem „Gipfeltreffen im Schwimmbecken” in Peking übel. Noch schlimmer: Mao, der seinen sowjetischen Amtskollegen in derartiger Umgebung im Nachteil sah (obwohl Chruschtschow ein ebenso guter Schwimmer war wie sein Gastgeber) begann mit der Einschätzung militärischer Bestrebungen Chinas und der Sowjetunion. Mao fragte: „Unsere Länder bilden fast einen ganzen Kontinent, warum fallen wir nicht in Frankreich, Italien und Westdeutschland gleichzeitig ein?“ Chruschtschow erwiderte: „Es geht um Qualität, nicht um Quantität.“

Obwohl der sowjetische Ministerpräsident ein paar Schläge einstecken musste, gelang es Mao nie, ihn in die Seile zu zwingen. Chruschtschow – genauso imperialistisch wie alle Kreml-Führer – besaß noch immer ausreichend gesunden Menschenverstand, um nicht die Voraussetzungen für einen Atomkrieg zu schaffen. Er kündigte das Atomabkommen mit dem „völlig verrückten“ – und mittlerweile wütenden – Mao im Jahr 1959 auf.

Die Kubakrise des Jahres 1962, als Chruschtschow erneut genug praktische Vernunft walten ließ, um eine verheerende Konfrontation zu vermeiden, erzürnte Mao noch mehr, da er der Meinung war, dass die Atomwaffen des Kremls vollkommen sinnlos seien. „Wozu ist man in Besitz von Raketen, wenn man sie nicht einsetzt?” fragte Mao, woraufhin Chruschtschow ihn mit einem „Paar abgetragener Galoschen“ verglich.

Putin und Xi Jinping

Heute sind Russland und China wieder durch eine Art gemeinsamer Ideologie vereint – in deren Mittelpunkt der Widerstand gegen den westlichen Einfluss auf globale Belange steht – und die beiden Länder bauen ihre Beziehungen rasch aus. Im Jahr 2022 erreichte der bilaterale Handel einen Rekordwert von 190 Milliarden Dollar, verglichen mit 147 Milliarden im Jahr davor. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2023 stiegen die Lieferungen chinesischer Waren nach Russland im Jahresvergleich um fast 25 Prozent. Und China ist mittlerweile der wichtigste Markt für russisches Öl und Gas.

Doch obwohl engere Beziehungen für beide Seiten von Vorteil sein mögen, bestimmt China wo es langgeht. Auch wenn Xi in der Zeit, bevor der russische Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, noch nicht am längeren Hebel saß, tut er das nach zahllosen Todesopfern auf russischer Seite, weitreichenden Wirtschaftssanktionen und einer Anklage gegen Putin wegen Kriegsverbrechen durch den Internationalen Strafgerichtshof (IstGH) mittlerweile sehr wohl.

Als Xi letzte Woche in Moskau eintraf, überragte er Putin, sowohl im Wortsinn – er ist 12,7 Zentimeter größer als der russische Präsident – als auch im übertragenen Sinn. Ja, er feierte die Stärke der bilateralen Beziehungen. Doch mit dem üblichen rätselhaften Lächeln auf seinen Lippen strahlte er eine gewisse Überlegenheit aus, während Putins Mimik angestrengt wirkte. So bemüht Putin auch versuchen mag, ein Bild der Stärke zu vermitteln, so genau weiß er auch, dass er es sich mit China nicht verscherzen darf, weswegen er Xi so behandelt, wie Mao (der „große Steuermann“) einst behandelt werden wollte.

Allerdings brachte der Gipfel keinen großen Durchbruch. Xi legte einen Friedensplan für die Ukraine vor, aber sowohl er als auch Putin räumten ein, dass wohl weder die Ukraine noch ihre westlichen Unterstützer ihn akzeptieren würden. Und während Pläne zur weiteren Vertiefung der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit geschmiedet wurden und Russland zusagte, die Erdgaslieferungen an China deutlich zu erhöhen, sah Xi davon ab, Putins größten Wunsch für den Gipfel zu erfüllen: nämlich eine Finanzierungszusage für die Pipeline Power of Siberia 2 abzugeben, über die Erdgas von China in die Mongolei transportiert werden soll.

Mancherorts ist man der Ansicht, dass Xis Besuch in Moskau dazu diente, Putins Regime nach der Anklage durch den IStGH zu legitimieren. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Xi Moskau besuchte, um nicht nur Russland, sondern auch den Vereinigten Staaten zu zeigen, wer das Sagen hat. Indem er Putin einen Rettungsanker zuwarf, hat Xi China weiter gestärkt. Das Land ist nun besser als je zuvor in der Lage, Einfluss auf die Weltordnung zu nehmen. Mao wäre erfreut.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
Copyright: Project Syndicate 2023

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