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Gesetzesänderung: Plant Russland eine neue Mobilmachung?

Published On: 16. April 2023 15:00

Medien berichten über eine Gesetzesänderung in Russland, die angeblich auf eine neue Mobilmachung in Russland hinweisen soll. Was ist der Hintergrund der Gesetzesänderung?

In Russland wurde eine Gesetzesänderung verabschiedet, die in deutschen Medien für Schlagzeilen sorgt. Der Spiegel berichtete am 12. April unter der Überschrift „Mit elektronischem Einberufungsbefehl – Russen können jetzt leichter zum Militärdienst eingezogen werden“ und begann seinen Artikel mit folgender Einleitung:

„Bislang konnten russische Männer der Einberufung zum Militärdienst durch Abwesenheit entgehen. Doch nun wird der Bescheid online übermittelt – und gilt dann als zugestellt. Beobachter befürchten eine neue Mobilmachung.“

Darüber, dass es dabei um eine neue Mobilmachung gehen könnte, wird auch in Russland von vielen spekuliert, aber das ist eher unwahrscheinlich, denn der Hauptgrund für die Gesetzesänderung ist ein anderer. Das kann man auch in dem Spiegel-Artikel lesen:

„Nach Problemen bei der Mobilmachung für Russlands Krieg gegen die Ukraine können Männer künftig leichter zum Militärdienst eingezogen werden als bisher. Wie die Abgeordneten der Staatsduma entschieden, müssen Einberufungsbescheide nicht mehr persönlich überreicht werden, sondern können auf elektronischem Weg über das staatliche Serviceportal »Gosuslugi« zugestellt werden.“

Die chaotische Mobilisierung

In der Tat verlief die russische Mobilisierung im letzten Herbst sehr chaotisch ab. Der Grund war, dass die Datenbasis des Verteidigungsministeriums veraltet war, was dazu geführt hat, dass viele Männer Einberufungsbefehle erhalten hatten, die gar nicht hätten einberufen werden dürfen. Die Datenbasis war komplett veraltet und nie umfassend aktualisiert worden. Das sollte danach geändert werden.

In Russland ist die staatliche Verwaltung wesentlich moderner als in Deutschland, denn sie ist vollständig digitalisiert. Viele Behördengänge kann man über das Portal „Gosuslugi“ („staatliche Dienstleistungen“) bequem online erledigen, ohne zu einem Amt laufen zu müssen. Über diese Datenbasis weiß der Staat zum Beispiel, wer wie viele Kinder hat (und daher Familienbeihilfen bekommt) oder in Folge von Krankheit oder Verletzung eine Behinderung hat (und daher Invalidenrente bekommt) und so weiter. Das sind auch für das Verteidigungsministerium wichtige Daten, denn zum Beispiel kinderreiche Familienväter sind von der Mobilisierung ausgenommen. Und natürlich auch alle, die aus gesundheitlichen Gründen untauglich für den Militärdienst sind.

Der Sinn der aktuellen Gesetzesänderung ist es, dass auch das russische Verteidigungsministerium Zugriff auf diese Daten bekommt, damit es seine Datenbank aktualisieren kann und auf dem aktuellen Stand ist. Bei der letzten Mobilisierung saßen die Mitarbeiter der russischen Wehrkreisersatzämter oft mit handgeschriebenen Listen und versuchten herauszubekommen, wer einen Einberufungsbefehl erhalten sollte. Der Kreis derer, die einberufen werden konnten, war recht beschränkt, denn er bezog sich nur auf bestimmte Soldaten (zum Beispiel Artilleristen) und dabei in erster Linie auf solche mit Kampferfahrung.

Das Chaos bei der Mobilisierung im Herbst hat in Russland für viele Schlagzeilen gesorgt, weshalb gefordert wurde, die Datenbases schnellstens zu aktualisieren, um in Zukunft zu vermeiden, dass Menschen einberufen werden, die gar nicht einberufen werden sollten. Die Tatsache, dass viele unnötig einberufen und dann schnell wieder nach Hause geschickt wurden, hat einen großen bürokratischen Aufwand und viel Unmut bei allen Beteiligten verursacht.

Dass sich so etwas nicht wiederholt. wurde mit dem Gesetz sichergestellt.

Wann gilt ein Mobilisierungsbefehl als zugestellt?

Ein weiteres Problem war, dass ein Einberufungsbefehl früher persönlich zugestellt und sein Empfang schriftlich quittiert werden musste. Das führte dazu, dass man sich der Einberufung recht leicht entziehen konnte, indem man nicht an seiner Meldeadresse wohnt und der Einberufungsbescheid daher nicht persönlich zugestellt werden kann.

Das ist in Russland normal, denn in Russland läuft die Anmeldung eines Wohnsitzes anders als wir es aus Deutschland kennen. Die dauerhafte Anmeldung („propiska“) ist in Russland mit Rechten an der angegebenen Wohnung verbunden, weshalb viele Russen noch in der Wohnung ihrer Eltern angemeldet sind, obwohl sie schon seit Jahren in einer anderen Stadt leben, weil sie dort studieren oder arbeiten. Vermieter sind nicht bereit, einem Mieter eine „propiska“ zu geben, weil man die nicht ohne weiteres löschen kann. Aber eine Immobilie zum Beispiel zu verkaufen, in der noch jemand eine „propiska“ hat, ist fast unmöglich, weil die „propiska“ – vereinfacht gesagt – ein Wohnrecht einräumt.

Daher wurde in dem neuen Gesetz festgelegt, dass eine Einberufung künftig als zugestellt gilt, wenn sie dem Betreffenden elektronisch über das Portal „Gosuslugi“ zugestellt wurde. Das hat der Spiegel kritisiert, allerdings ist die Kritik unberechtigt. In Deutschland gelten offizielle Schreiben schließlich auch als zugestellt, wenn sie per Einschreiben versandt wurden. Das ist in Russland genauso, nur dass Russland moderner ist und solche Schreiben elektronisch über „Gosuslugi“ zugestellt werden, sodass man über amtliche Briefe immer informiert ist, auch wenn man nicht zu Hause ist.

Der Spiegel erklärt die Welt

Um das Gesetz in ein schlechtes Licht zu rücken, hat der Spiegel am gleichen Tag noch einen zweiten Artikel mit der Überschrift „Russland verschärft Einberufungsregeln – Blankoscheck fürs Militär“ veröffentlicht In diesem Artikel durfte Christian Esch, der Chef-Propagandist des Moskauer Spiegel-Büros (der übrigens meines Wissens schon lange nicht mehr in Moskau, sondern in Kiew arbeitet), dessen merkwürdiger moralischer Kompass schon mehrmals Thema auf dem Anti-Spiegel war, sich an einer Interpretation des Gesetzes versuchen.

Wer den Artikel von Esch allerdings aufmerksam liest und dabei die suggestiven Formulierungen ausblendet und sich auf die faktischen Informationen konzentriert, der stellt fest, dass es bei dem Gesetz tatsächlich nur um eine Modernisierung der Datenbasis geht, um so ein Chaos wie im Herbst in Zukunft zu vermeiden. Das klingt, inklusive der suggestiven Formulierungen von Esch, zum Beispiel so:

„Teil des neuen zentralen militärischen Melderegisters soll ein eigenes Register für Einberufungen werden – und wer dort eingetragen wird, der gilt als einberufen, egal ob er einen Einberufungsbescheid auf Papier oder in digitaler Form überhaupt erhalten hat. Das Militär hat sich damit sozusagen ein Hintertürchen offengehalten, falls selbst die digitale Einberufung scheitert. Sieben Tage nach Eintragung in das Register darf der Betreffende nicht mehr ausreisen.“

Dass klingt schlimm, wenn man liest, dass ein Einberufener nicht mehr ausreisen darf. Aber ist das in anderen Ländern etwa anders? Darf jemand, der in Deutschland zur Bundeswehr einberufen wird, etwa das Land verlassen und sich so der Einberufung entziehen? Natürlich nicht, dazu kommen wir gleich noch.

Es ist eine klassische Regel der Propaganda, dass man Dinge drastisch formuliert, anstatt sie zu erklären oder zu beschreiben, wie derartige Regeln in anderen Ländern umgesetzt werden. Herr Esch vergisst in diesem Zusammenhang zum Beispiel zu erwähnen, dass die Ukraine nicht so viel Federlesen macht und nur Einberufenen die Ausreise verbietet. In der Ukraine gilt seit über einem Jahr für alle Männer im wehrfähigen Alter (also alle Männer zwischen 18 und 60 Jahen) ein pauschales Ausreiseverbot. Und um Männer für die Front zu rekrutieren, werden sie in der Ukraine oft gewaltsam pauschal von der Straße weg abgeführt, wovon es unzählige Videos gibt.

Im Verhältnis dazu ist das russische Gesetz human, denn es gibt einem Einberufenen sogar noch sieben Tage Zeit, Russland zu verlassen, bevor das Ausreiseverbot greift. Mir ist kein Land bekannt, in dem es eine solche legale Möglichkeit gibt, sich dem Kriegsdienst zu entziehen.

Droht eine neue Mobilisierung?

Das Gerücht, in Russland drohe eine neue Mobilisierung, schwirrt seit Monaten durch die sozialen Netzwerke in Russland, aber es gibt dafür bisher keine Hinweise. Die Gesetzesänderung würde eine neue Mobilisierung zwar vereinfachen, aber der Grund für die Gesetzesänderung ist – wie gesehen – ein anderer.

Übrigens gilt es in Russland nicht einmal als Straftat, sich der Mobilisierung zu entziehen. Der Spiegel schreibt dazu:

„Wer sich nicht binnen 20 Tagen nach der Vorladung beim Militärkommissariat meldet, muss mit drastischen Einschränkungen rechnen. So dürfen Wehrdienstverweigerer nicht mehr Auto fahren oder Immobilien kaufen. Auch die Registrierung als Selbstständiger ist nicht möglich. Sie sollen zudem keinen Kredit mehr erhalten.“

Die Formulierung, es drohten „drastische Einschränkungen“, klingt böse. Der Spiegel verschweigt allerdings, dass die Maßnahmen in Deutschland weitaus strenger sind, denn in §44 Wehrpflichtgesetz (WPflG) ist festgelegt, dass jemand, der sich in Deutschland einer Einberufung entzieht, von der Polizei und den Feldjägern gesucht wird. Dazu sind auch Wohnungsdurchsuchungen zulässig, was laut §44 Abs.3 bedeutet:

„Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt.“

Die russische Gesetzesänderung, die in den Medien Schlagzeilen macht, ist also nicht so dramatisch, wie die Medien melden. Im Kern geht es dabei lediglich um eine Modernisierung der Daten der Einberufungsämter und um einen Abbau von Bürokratie.


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