indubio-folge-273-–-goodbye,-lauterbach!Indubio Folge 273 – Goodbye, Lauterbach!
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Der Sonntagsfahrer: 500.000 Kilometer

Published On: 23. April 2023 6:15

Mein Freund hielt die Hand vor die Augen und wandte sich ab, weil er wusste, was jetzt kommen würde. Etwas in mir bemächtigte sich meiner Stimme und sagte laut: „Gekauft“. Ich finde 435 tausend Kilometer viel prestigeträchtiger als 435 PS, zumal die Kilometer im Gegensatz zu den PS immer mehr werden. 

Die erste größere Anschaffung in meinem Leben war ein Verbrennungsmotor. Mit 15 Jahren erwarb ich vom eingesammelten Konfirmationsgeld ein Garelli-Mosquito-Mofa. Das war das billigste Mofa auf dem Markt und wurde beim Versandhaus Neckermann für 299 Mark angeboten. Im Grunde handelte es sich um ein Klapprad mit einem unten angehängten Zweitaktmotor, der das Hinterrad über eine Rolle antrieb. Das ging mit 0,65 PS recht flott. Ich war damals lang und dünn, und so pflegten die Passanten zu sagen: „Guck mal, da fährt der Strich“. Aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit entfernte ich zeitweise den Auspuff. Dann fuhr da ein lauter Strich.

Ich hab das Mofa aufgehoben, später reanimiert und unserem Sohn zur Konfirmation geschenkt. Danach verfiel es wieder in den Garagenschlaf. Gestern war ein junger Vater da, der es unbedingt kaufen wollte: „Ich will es restaurieren und meinem Sohn zum 15. Geburtstag schenken“. Da konnte ich nicht nein sagen. Jetzt schnurrt das Garelli-Mosquito als Dreigenerationen-Mofa weiter, ist also ein mustergültiger Ausweis von gelebter Nachhaltigkeit. Und obendrein ein Instrument der Bildung: Grundlegende physikalische und mechanische Kenntnisse werden ganz nebenbei vermittelt. Mofafahrer sind nachwachsender Rohstoff für das Reparatur- und Ingenieurwesen. Wer Facharbeiter sucht, der findet sie bei den jungen Mofiosi und zwar kulturübergreifend.

Ich bin den Prinzipien der Nachhaltigkeit mein Leben lang treu geblieben. Meine nächste diesbezügliche Anschaffung erfolgte etwa zehn Jahre später und wog dann schon zwei Tonnen. Dazu muss ich ein wenig ausholen: Autos laufen mir immer zu wie ein Straßenköter am Strand einer griechischen Insel. Wer selbst einmal eine solche Verbindung eingegangen ist, weiß, dass es sich gewissermaßen um eine lebenslange Entscheidung handelt. Ich bringe es irgendwie nicht übers Herz, liebgewonnene Autos zu verkaufen, und so fahre ich sie, bis der Rost oder der TÜV uns scheidet. Und da ich ihnen eine gewisse Zuneigung und Pflege zukommen lasse, entpuppen sich meine Gefährte als zähe Überlebenskünstler. Dadurch bin ich nach und nach zum Inhaber eines Gnadenhofes für alte Pferdestärken geworden. 

„Rette mich, o jugendlicher Held“

Und damit zurück zum Zweitonner. 1979 kreuzte ein alter Cadillac Fleetwood, Baujahr 1956, meinen Weg – und zwar in einer vom Herrgott bestimmten Konstellation. In meiner Brieftasche befanden sich 2.000 Schweizer Franken, die ich dort von einem Verleger für die Mitarbeit an einem Buch erhalten hatte. Und dann entdeckte ich im schweizerischen Aarau an einer roten Ampel eine Gebrauchtwagenhalde. In der letzten Reihe stand diese verchromte Sammlung freudscher Sexualsymbolik und schaute mich mit halbplatten Reifen flehend an: „Rette mich, o jugendlicher Held, mit dir will ich ins ferne Deutschland migrieren, mit dir und sonst keinem!“

Magisch angezogen wie ein Wanderer vom roten Lichte hielt ich an und stieg aus, um den Preis in Erfahrung zu bringen: Und was antwortete mir der Verkäufer? Der Leser ahnt es: Kaufpreis 2.000 Franken. Ich hatte drei Monate gearbeitet, um die 2.000 Franken zu verdienen und brauchte exakt drei Sekunden, um sie wieder auszugeben. Der Cadillac reifte seitdem vom mafiösen Gebrauchtwagen zum liebenswerten Oldtimer, man kann sich mittlerweile im Tageslicht damit sehen lassen, zumindest noch. Mein Prestige wandelte sich von der zwielichtigen Gestalt zum Sammler schöner Dinge, um jetzt allmählich wieder auf Talfahrt zu gehen. Die Kohlenstoff-Häscher werden nicht ruhen, bis sie uns als finsteres Klima-Schurkenpaar in einer Umweltzone durchlöchern wie einst das FBI Bonny & Clyde in ihrem Ford V8. Was soll’s: Das ist mir ehrlich gesagt lieber, als im Bett zu sterben.

Mein nachhaltiger Volvo 740 Kombi mit mittlerweile 348.292 Kilometern ist hingegen ein Waisenkind, das unser an ferne Gestade entfleuchter Sohn mir mit den Worten übergab, gut auf ihn aufzupassen. So etwas verpflichtet, da bin ich ganz altmodisch. Demnächst besucht er uns, und der Volvo freut sich schon in der Garage wie ein Hund, der die Ohren spitzt, wenn das Herrchen in die Straße einbiegt. Die 348.292 Kilometer sind übrigens lediglich ein Richtwert, weil der Tacho vor drei Jahren seine Funktion einstellte. Ich sehe darin den Versuch des heiligen Blechles, die Vergänglichkeit des Daseins ein wenig aufzuhalten, und bedaure aufrichtig, dass ich selbst keine Kilometerstandsanzeige habe, die streikt.

Von Urlauben bleiben die Pannen am besten im Gedächtnis

Ansonsten braucht der Volvo keine Angst vorm Schrott zu haben, nach einer letzten größeren Panne habe ich ihm längst wieder verziehen und verschiedene Organe erfolgreich reanimiert. Lediglich Sabine fremdelt etwas, sie verbringt ihre Freizeit nicht so gerne mit dem Warten auf Godot, den Pannenhelfer – obwohl wir dabei, wie ich finde, wunderbare philosophische und kontemplative Gespräche geführt haben. Ich verweise stets darauf, dass von unseren Ferienreisen die Pannen am besten im Gedächtnis geblieben sind. Wenn andere Leute von ihren Krankheiten erzählen, kontern wir mit Aufenthalten an der Notrufsäule. Allerdings hat Sabine dem Volvo unlängst übelgenommen, dass der Auspuff exakt unter ihrem Beifahrersitz detonierte, was ich ziemlich gemein von dem alten Schweden fand.

Nun gut, ich spürte in letzter Zeit, dass das einvernehmliche Familienglück nach einem neuen und zuverlässigen Alltagsauto rief, das nicht nur sparsam ist, sondern auch einen vorderen Platz in der Statistik der zuverlässigsten Fahrzeuge einnimmt. Dabei stieß ich alsbald auf den Audi A2, einen kugelrunden und aus rostfreiem Aluminium gefertigten Kleinwagen, der von 2000 bis 2005 für die Ewigkeit gebaut wurde. Sehr solide schwäbische Handwerker schraubten ihn im Audiwerk Heilbronn zusammen, nach der ADAC-Pannenstatistik ist er so verlässlich wie ein deutsches Atomkraftwerk und laut Tests so sparsam wie eine schwäbische Hausfrau. Die Diesel-Versionen fahren mit drei bis vier Litern pro 100 Kilometer durchs Ländle. Beim Audi A2 handelt es  sich gewissermaßen um Deutschlands solidestes Prepper-Mobil. Mit einem vollen Tank reicht es von jedem Ort in der Bundesrepublik bis zur nächsten Landesgrenze und weit darüber hinaus, falls man sich in Sicherheit bringen muss.

Hinter der ebenso teuren wie avantgardistischen Konstruktion lächelt übrigens diabolisch der verstorbene Volkswagen-Godfather Ferdinand Piech, kein Anderer hätte diese in der Herstellung extrem teure Konstruktion bei den Erbsenzählern im Konzern durchsetzen können. Sie mussten das Spielzeug des Alten gut finden und schluckten die runde Pille. Die Autotester waren sich einig, dass dieses Mobil seiner Zeit 20 Jahre voraus sei, weshalb ich nach einem Exemplar von 2003 Ausschau hielt, weil ich Sabine dann den Erwerb eines Neuwagens vermelden könnte. Vorsprung durch Technik macht’s möglich.

Als sei es gerade vom Fließband gekugelt

Der ursprüngliche in Sindelfingen aufgespürte A2-Kandidat gefiel mir aber nicht, oder besser: Sein Besitzer gefiel mir nicht, weil er mich zum Termin eine Stunde warten ließ. Kein gutes Omen, beschloss ich, und machte mich vom Hof. Und dann führte mich die Vorsehung über eine Umleitung durch das nahe Böblingen. Und dort an einer Straßenecke glänzte bei einem Autohändler dunkelrot-metallen ein Audi A2 mit 1,4 Liter Dieselmotor und grüner Umweltplakette. Drum herum nur Exoten der oberen Preisklasse, Jaguar, Mercedes, BMW. 

Das Ding stand zwischen seinen großen Brüdern, als sei es gerade vom Fließband gekugelt, auch im Innenraum. Ich konnte es wirklich kaum glauben, als der Händler mir den Kilometerstand mitteilte: 435.000 Kilometer. Dazu zeigte er mir noch das Service-Scheckheft, in dem sämtliche Inspektionen der letzten 20 Jahre akribisch abgestempelt  waren wie die Zahnarzttermine in meinem Krankenkassen-Bonusheft. Der Kaufpreis entsprach dem eines Elektrofahrrades der unteren Preisklasse: 2.500 Euro – allerdings ohne Garantie.

Ein alter Freund, der mich begleitete, hielt die Hand vor die Augen und wandte sich ab, weil er wusste, was jetzt kommen würde. Etwas in mir bemächtigte sich meiner Stimme und sagte laut: „Gekauft“. Wobei sich die Spontanentscheidung im Nachhinein prima rationalisieren lässt. 1. Es handelt sich hier vom Stand der Technik her, wie gesagt, um einen Neuwagen. 2. Er wurde offenbar von kundiger Hand solide eingefahren. Ich finde 435 tausend Kilometer darüber hinaus viel prestigeträchtiger als 435 PS, zumal die Kilometer im Gegensatz zu den PS immer mehr werden. 

Wobei ich auf der Heimfahrt ein kleines Problem wälzte: Wie sage ich es Sabine? Das war aber ganz einfach, ich musste nur ein bisschen leise sprechen und schön nuscheln: „Wundertfünfunddreißigtausend“. Klappte prima. Die tadellose Erscheinung des kleinen Audi besorgte den Rest.

Bedauerlicherweise habe ich das Service-Scheckheft in Böblingen vergessen, und der nette Händler schickte es mir kurzerhand mit der Post nach. Und weil ich auf Reisen war, fiel das Corpus Delicti Sabine in die Hand. Vorgestern Abend wurde ich dann bei meiner Rückkehr mit der knappen Bemerkung begrüßt: „Von wegen 135.000 Kilometer“. Und weiter: „Das Ding ist schon zehnmal um die Welt gefahren“. Seitdem lebe ich auf Bewährung, bin aber zuversichtlich, die 500.000-Kilometer-Schallmauer zu durchbrechen. Wir leben nun mal im Land der Nullen – und ab jetzt macht das Zählen wieder Spaß.

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.

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