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Lob der Vieldeutigkeit

Published On: 24. Mai 2023 22:32

Die großzügige Einladung der Kunst aller Epochen besteht darin, die grundsätzliche Uneindeutigkeit der menschlichen Verhältnisse auszuhalten. Die Frage ist, ob wir in einer Lebenswelt, deren Bewusstseinsindustrie derart ausgefeilte Mechanismen entwickelt hat, noch bereit sind, diese Einladung anzunehmen. Hermann Brochs Romantrilogie „Die Schlafwandler“ ist ein Ort, an dem Gefahr lauert und niemand mehr für die Sicherheit garantieren kann. Der Leser befindet sich in der Gesellschaft von Joachim von Pasenow, August Esch und Wilhelm Huguenau, die alle in einer brüchigen Epoche leben und sich an die Ideale der Vergangenheit klammern, um sich nicht selbst abhandenzukommen.

Joachim von Pasenow ist ein Romantiker, der im Jahr 1888 lebt. Er streift ziellos durch die schmuddeligen Gassen und Prachtstraßen des aufstrebenden Berlins der Gründerzeit und über die stillen Feldwege des elterlichen Guts in der Mark Brandenburg. Doch immer haftet seinen Spaziergängen etwas Unzeitgemäßes an. Pasenow gehört nicht hierher und nicht dorthin und in Wahrheit nicht einmal zu sich selbst, so sehr ist er in jedem Augenblick von Angst erfüllt: vor seinem Vater, den modernen Zeiten und den beiden Frauen, zu denen er in Beziehungen steht, die er nicht durchschaut und die seine Suche nach Reinheit und Kohärenz ins Groteske verzerren.

In Berlin ist es das böhmische Animiermädchen Ruzena, daheim Elisabeth von Baddensen. Die eine vollkommen Gegenwart, die andere Geschichte. Zwischen dem „Jägerkasino“, einem stadtbekannten Vergnügungslokal, in dem Ruzena abends auf Kundschaft wartet, und den Herrensitzen des niederen Landadels, wo Tradition umso höher gehalten wird, je mehr ihr realer Kurswert im Sinken begriffen ist, klafft ein Abgrund, dessen unwiderstehlichem Sog Pasenow dadurch Einhalt zu gebieten versucht, dass er die Knöpfe seines Uniformrocks stets bis auf den letzten fest geschlossen hält.

## Die Vieldeutigkeit des menschlichen Daseins

Hermann Broch zeichnet die Figur eines Mannes ohne feste innere Konturen als Prototypen einer brüchigen Epoche. Keine Erscheinung könnte im Berlin der Gegenwart unzeitgemäßer wirken, von den stillen Landgütern, die es längst nicht mehr gibt, ganz zu schweigen. Und dennoch begegnet dieser geborene Antiheld dem heutigen Leser keineswegs als Wesen von einem fremden Stern. Indem der Autor den Lebensvollzug seiner Protagonisten als unablässiges inneres Zwiegespräch inszeniert, gelingt es ihm, Fiktion und Wirklichkeit in ihrer Spiegelfunktion deutlich zu machen.

Die irisierende und irritierende Vieldeutigkeit dessen, was jeder von uns in jedem Augenblick erlebt, ist die Wahrheit über das Leben selbst, das seine Bedeutungen immerfort enthüllt und sogleich wieder verschleiert. Unter dieser Perspektive betrachtet treten die Realien zwangsläufig in den Hintergrund. Es könnte jede andere Folie sein: etwa das Berlin der Clubs und Coffeeshops; der Protagonist wäre IT-Spezialist, stammte aus der westfälischen Provinz und besuchte am Wochenende das „Berghain“; er wäre, nicht anders als Pasenow, dazu auserkoren und gleichzeitig verdammt, an seinen Wahrnehmungen und Einschätzungen zu verzweifeln.

## Die Bedeutung der Ambiguitätstoleranz

Mithilfe der literarischen Technik des Bew

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Lob der Vieldeutigkeit

Die grundsätzliche Uneindeutigkeit der menschlichen Verhältnisse auszuhalten — darin besteht die großzügige Einladung der Kunst aller Epochen. Die Frage ist: Sind wir noch bereit, sie anzunehmen — in einer Lebenswelt, deren Bewusstseinsindustrie derart ausgefeilte Mechanismen entwickelt hat, dass unweigerlich als Spielverderber gilt, wer den Genuss von Zuckerwatte und Paradiesäpfeln verschmäht und sich stattdessen an Orten herumtreibt, an denen Gefahr lauert und niemand mehr für seine Sicherheit garantieren kann? Hermann Brochs Romantrilogie „Die Schlafwandler“ ist ein solcher Ort. Gemütlich wird es dem Leser gerade nicht in der Gesellschaft von Joachim von Pasenow, August Esch und Wilhem Huguenau, befindet er sich doch unversehens — unter Verwandten. Joachim von Pasenow ist Romantiker. Es ist das Jahr 1888. Da sind die letzten Romantiker längst

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