Türkei: „Das Land ist eine vollständig zerfallene Gesellschaft
Amalia van Gent / 9.07.2023
Über 70 Prozent der Bevölkerung haben ultranationalistische Parteien gewählt, während nur knapp 100 Abgeordnete sich zur Demokratie bekennen. Cengiz Aktar, ein Analytiker, der sich intensiv mit dem Verhältnis zwischen der Türkei und Europa auseinandergesetzt hat, warnt vor den Auswirkungen einer neuen Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan. Erdoğan hat in den letzten Jahren die staatlichen Institutionen unter seine Kontrolle gebracht und plant nun, die Gesellschaft nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Dies beinhaltet eine neue Verfassung ohne das Prinzip des Säkularismus und ein neues Zivilrecht, das den Regeln des Islam Vorrang gibt. Die Opposition und Minderheitengruppen wie die Kurden und die LGBTI-Gemeinschaft werden voraussichtlich noch stärker unter Druck gesetzt werden.
Die Opposition hat bei den Wahlen große Hoffnungen gehabt, doch ihre Selbstüberschätzung war ihr größter Fehler. Sie hat die Tatsache ignoriert, dass der Rechtsstaat und die demokratischen Institutionen in der Türkei bereits seit 2013 ausgehöhlt wurden. Das Regime war bereit, jede Art von Manipulation einzusetzen, um seinen Wahlsieg zu garantieren. Die Opposition hat ihre Wähler in die Irre geführt, indem sie ihnen eine romantische Vorstellung von einem Wahlwunder in der Türkei vermittelt hat. Das Land ist heute ein zerrüttetes Gemeinwesen, und die Oppositionsparteien haben versäumt, die Ursachen dafür anzusprechen und Lösungen anzubieten.
Der Wahlsieg von Erdoğan wird voraussichtlich auch Auswirkungen auf Europa haben. Die Europäer werden wahrscheinlich weiterhin mit dem Regime zusammenar
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Türkei: «Das Land ist ein völlig zerrüttetes Gemeinwesen»
Amalia van Gent / 9.07.2023 Über 70 Prozent der Bevölkerung wählten ultranationalistische Parteien. Nur knapp 100 Abgeordnete bekennen sich zur Demokratie. Cengiz Aktar promovierte an der Pariser Sorbonne in den Wirtschaftswissenschaften, arbeitete für die Vereinten Nationen sowie für die Europäische Union als Ratgeber in Migrationsfragen und lehrte zuletzt an der Istanbuler Bahçeşehir Universität. Der unbequeme Analytiker hat sich eingehend mit dem Verhältnis zwischen der Türkei und Europa auseinandergesetzt, auch in seinem Buch «Die türkische Malaise: Ein kritischer Essay». Der 1955 in Istanbul geborene Aktar war mit dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink befreundet. Nach dessen Ermordung im Jahr 1999 startete Aktar mit weiteren Wissenschaftler:innen eine Kampagne, in der er um Entschuldigung für den armenischen Genozid bat. Die Petition wurde von über
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