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Merkels Intimfeind Friedrich Merz ist jetzt Vorsitzender

Published On: 22. Januar 2022 14:15

Der virtuelle Konvent der Christdemokraten folgte dem Mitgliedervotum und wählte Friedrich Merz im dritten Anlauf zum 10. Parteichef. Mit 94,62 Prozent hat er selbst nicht gerechnet.

IMAGO / Chris Emil Janßen

Friedrich Merz bei seiner Rede kurz vor seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden am 22. Januar 2022

Das Konrad-Adenauer-Haus stellt die Bühne für den digitalen Bundesparteitag. Vor grauem Hintergrund schimmern CDU-Logos hinter dem Rednerpult in einem dünnen schwarz-rot-goldenen Kreis. Mehr Deutschlandpartei ist nicht mehr drin – auch nicht bei Friedrich Merz. Virtuell wählen 983 Delegierte den von der Mitgliedsbasis nominierten Favoriten im dritten Anlauf zum 10. Vorsitzenden der CDU – mit 94,62 Prozent und 915 Ja-Stimmen bei nur 52 Gegenstimmen und 16 Enthaltungen. Merz zeigt sich sichtlich „tief bewegt von diesem Wahlergebnis“. Es ist in der Tat überraschend in der Höhe.

Bereits in seiner Antrittsrede blickt Friedrich Merz nach vorn: „Wir haben eine schwere Niederlage bei der Bundestagswahl hinnehmen müssen, aber diese Zeit liegt hinter uns.“ Doch bis zur nächsten Regierungsbeteiligung könne es ein weiter Weg sein, „wenn wir uns streiten und ein unklares Bild abgeben.“ Die CDU müsse daher kraftvolle Opposition im Bund sein, diese Regierung kontrollieren und diesen Bundeskanzler. Es folgen Vorwürfe an Olaf Scholz zu seinem schwachen internationalen Auftritt und an der „Staatsgläubigkeit“ der Ampelregierung mit hohen Steuern und Abgaben. Sozialpolitik sei nicht der „Reparaturbetrieb des Kapitalismus“. Es fehle bis heute eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital. Das klingt fast wie bei Karl Marx.

Dann wiederum will er nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen, Familie und Meinungsfreiheit verteidigen und gesellschaftliche Gruppen nicht gegeneinander ausspielen. Die CDU sei liberal, sozial, bürgerlich und sogar „konservativ“. Das verbannte Wort belebt er zumindest wieder.

Helmut Kohls CDU verlor bis heute die Hälfte ihrer Mitglieder

„Starke Basis. Klarer Kurs“, lautet das Parteitagsmotto. Nur noch rund 380.000 Mitglieder zählt die CDU. 2019 waren es noch gut 405.000 und zu Kohls Zeiten doppelt so viel wie heute.

Armin Laschet, erfolgloser CDU-Chef und Kanzlerkandidat übernimmt in seiner letzten Rede die Verantwortung für die schlimmste Wahlniederlage aller Zeiten bei einer Bundestagswahl mit nur noch 24,1 Prozent. Er gesteht, sie sei „eine offene Wunde, und die Narbe wird bleiben“. Aber Laschet hat wenig gelernt. Er lobt den Wahlsieg in Sachsen-Anhalt „mit klarer Kante gegen rechts“. Klare Kante gegen links ist für die CDU kein Thema. Genau deswegen verliert Helmut Kohls Partei in Serie gegen linksgrüne Parteien.

Nach Laschets Bericht gibt es nur eine einzige Wortmeldung bei der Aussprache. Friedrich Merz dankt darin seinem Vorgänger: „Du hast die Verantwortung für dieses Wahlergebnis am 26. September 2021 übernommen, aber die Bundestagswahl haben wir zusammen verloren.“ Merz möchte, dass sie beide Freunde bleiben. Glaubwürdige Harmonie nach langer Gegnerschaft? Wer weiß das schon im politischen Geschäft. Wenigstens dankt Merz nicht auch noch Kanzlerin Angela Merkel wie der scheidende Generalsekretär Paul Ziemiak. Dann schenkt Merz seinem Vorgänger Laschet noch ein iPad zum Abschied, versehen mit Apps von Alemannia Aachen, Bayern München und auch Radio Vatikan.

Die 1001 Delegierten müssen ihr digitales Abstimmungsergebnis im Anschluss noch durch eine Briefwahl bestätigen. Offiziell beginnt so die Amtszeit von Merz erst nach der Auszählung des schriftlichen Wahlergebnisses am 31. Januar. Mindestens 80 Prozent sollte der Neue bei der Wahl erreichen, hieß es in der Parteispitze, alles andere wäre eine Blamage und Abrechnung des Merkellagers gewesen. Dazu hatten sich die Landesverbände am Vorabend auf eine breite Wahl von Merz verständigt. Die 94,62 Prozent für Merz haben jedoch alle Erwartungen übertroffen.

Mit gut 62 Prozent konnte sich Friedrich Merz beim Mitgliederentscheid am 17. Dezember 2021 schon im ersten Wahlgang klar gegen seine zwei abgeschlagenen Konkurrenten durchsetzen. Als Bewerber für den CDU-Vorsitz traten Ex-Kanzleramtsminister und Angela Merkels Intimus Helge Braun, Friedrich Merz und Außenpolitiker Norbert Röttgen – beide im dritten Anlauf – an. Statt des Funktionärsklüngels auf Bundesparteitagen durften erstmals die 380.000 Mitglieder eine Vorentscheidung über den Parteivorsitz treffen.

Friedrich Merz ist der 10. CDU-Vorsitzende

Sechs der sieben Spitzenpositionen hat der Parteitag neu besetzt: Neben dem Vorsitz auch vier der fünf Stellvertreter-Posten sowie den Generalsekretär. Obendrein hat Merz im Sinne einer indirekten Frauenquote mit der 34-jährigen Kommunalpolitikerin Christina Stumpp aus Baden-Württemberg den Posten einer stellvertretenden Generalsekretärin geschaffen.

Eingemauert von Merkel-Getreuen in seinem Vorstand

Damit Merz als künftiger CDU-Chef aber keine allzu großen Kursänderungen vornehmen kann und schön brav im grünen Mainstream mitschwimmt, wurden vom Funktionärsparteitag Merkelianer an der Parteispitze platziert. Wie zum Beispiel der grüne Klimaschützer und baden-württembergische Landesgruppenchef im Bundestag, Andreas Jung, als stellvertretender Vorsitzender und dazu noch die CDU-Frontfrau des Linksaußenflügels und Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien, als CDU-Vize-Chefin. Ihr Sendungsauftrag: Die CDU müsse „Antworten auf die Zukunft geben“. Und das sind mit Sicherheit Antworten im Sinne Merkels.

Die machtversessene Altkanzlerin Angela Merkel will weiter Strippen in der CDU ziehen. Ihren Erzfeind Friedrich Merz möchte sie, wenn sie ihn schon nicht als CDU-Chef verhindern kann, schön unter Kontrolle halten. Dafür mahnt Prien Merz, der für sie kein „konservativer Knochen“ sei. Die Union könne nur in der Mitte Wahlen gewinnen. Also bloß nicht nach rechts abbiegen.

Etwas Luft im Vorstand verschaffen können Merz lediglich sein Stellvertreter, der Wirtschaftsexperte Carsten Linnemann aus Westfalen, zuständig für das Grundsatzprogramm, und sein neuer Generalsekretär Mario Czaja aus Ost-Berlin vom Sozialflügel der Partei. Er gewann für die CDU zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl 2021 den linken PDS-Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf. Seine Ansage: „Die Oppositionsarbeit kann einen Moment dauern.“ Der 46-Jährige will anders als Merkels CDU auf die Basis setzen und wurde auch dafür mit 92,89 Prozent zum neuen Generalsekretär gewählt. Zudem gelten die eher liberale als konservative Gitta Connemann – seit Dezember die neue Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion – und die wiedergewählte Stellvertreterin Agrarexpertin Silvia Breher aus Niedersachsen als neutrale Abgesandte in den Vorstand.

Obendrein soll den Osten ausgerechnet der in Sachsen angeschlagene Ministerpräsident Michael Kretschmer als stellvertretender Vorsitzender repräsentieren. Mit der Stigmatisierung von Ungeimpften wollte Kretschmer vom eigenen Politikversagen in der Corona-Krise ablenken wie zum Beispiel dem einsamen sächsischen Lockdown: Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Campingplätze, Ferienwohnungen, Pensionen, Hotels waren bis 15. Januar rund zwei Monate komplett und Gaststätten ab 20 Uhr geschlossen.

Hier sind die Stellvertreter-Ergebnisse: Silvia Breher erhielt digital von Delegierten 81,95 Prozent, Andreas Jung 80,59, Michael Kretschmer 92,65, Carsten Linnemann 82,06 und Karin Prien 70,83 Prozent. Zur Bundesschatzmeisterin wählt der Parteitag Ex-Bundesagrarministerin Julia Klöckner mit nur 72,69 Prozent.

Trotz allem glaubt Merz an sein Personaltableau: „Eine so fundamentale Veränderung an der Spitze der Partei hat es sehr lange nicht mehr gegeben, wenn es denn überhaupt so eine je gab.“ Immerhin weiß der 10. CDU-Vorsitzende über die gegenwärtige Tieflage Bescheid: „Wir haben nur noch 24,1 Prozent der Wähler und 19 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland erreicht, brutaler geht es fast nicht mehr“, gesteht Merz. Seine Partei sei bislang auch noch nicht richtig in der Opposition angekommen.

Genau das Problem hat einen Namen: Deswegen muss der neue Bundesvorsitzende jetzt nach seiner Wahl sofort CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus kompromisslos aus dem Weg räumen. Als Signal an alle: Der neue CDU-Chef ist keine lahme Ente, er hält die Machtfäden von Partei- und Fraktionsvorsitz und auch die Oppositionsführerschaft im Bundestag in einer Hand. Dafür muss Amtsversager und Merkel-Mann Brinkhaus weg – noch vor den Landtagswahlen im Frühjahr. Ende März wird im Saarland gewählt, im Mai in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. In allen drei Bundesländern stehen die CDU-Ministerpräsidenten auf der Kippe, sechs kann die Union insgesamt noch stellen. Doch wird Merz als bekannter Zögerer und Zauderer auch diese Notwendigkeit des Abräumens wieder versäumen? Und hat er den Mumm, die Union wieder konservativ auszurichten? Als Ampel-Ersatzpartei braucht die CDU kein bürgerlicher Wähler.

Merz musste schon erste Niederlagen einstecken

Der Wille zum Wandel ist nicht in Sicht: In seiner Grußrede an den CDU-Parteitag leistet CSU-Chef Markus Söder den Kniefall vor der Alt-Kanzlerin: „Verzeiht mir, ich möchte heute noch einmal sagen aus Sicht der CSU – ein Dankeschön auch an Angela Merkel für 16 Jahre großartige Regierungsarbeit für unser Land.“ Alternativlos ausgereichte Milliarden an Griechenland und die EU sowie eine anhaltend grenzenlose Einwanderung von Millionen Asylbewerbern sind für Söder „großartig“.

Zuvor kassiert beim Anbiedern an Merkel und ihr Lager auch noch der neue CDU-Chef gleich eine peinliche Absage. Anstatt mit der für die CDU verheerenden Merkel-Ära abzurechnen, hatte Merz für Samstag nach seiner Wahl alle lebenden CDU-Vorsitzenden zu einem Abendessen eingeladen. Sowohl Merkel als auch Annegret Kramp-Karrenbauer sagten ihre Teilnahme ab. Merkel hätte „terminliche Gründe“ angegeben, AKK „private Gründe“, heißt es in CDU-Kreisen. Obendrein mag Merkel nach 16 Jahren Kanzlerschaft und 18 Jahren CDU-Vorsitz nicht einmal Ehrenvorsitzende sein, gab Armin Laschet vor dem Parteitag bekannt. Somit hat sich Merz gleich zu Beginn für seinen Annäherungskurs ans Merkel-Lager die ersten Nackenschläge eingefangen.

Damit nicht genug: Anders als SPD und Grüne, die nach dem Mauerfall keine Skrupel hatten, mit den Rechtsnachfolgern der sozialistischen Diktaturpartei SED alias PDS alias Linke zusammenzuarbeiten, verspricht Merz hingegen in vorauseilendem Gehorsam vor seiner Wahl dem linken Mainstream heilig: „Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben.“ Mehr noch: „Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“ So etwas nennt sich heute Christlich Demokratische Union.

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