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Rente ab 18?

Published On: 5. September 2022 12:00

Die Utopie des sogenannten Bedingungslosen Grundeinkommens wird inzwischen offenbar ganz ernsthaft untersucht, trotz wirklich ernster Krisen. Aber wie ernst muss man solche Vorstöße nehmen?

Seit rund 10 Jahren wird die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens verstärkt medial thematisiert. Galt in den 2010ern die Vorstellung eines Einkommens, ohne dass man dafür eine Leistung oder einen Nachweis erbringen muss, noch als recht abenteuerlich, wird diese Option mittlerweile recht ernsthaft diskutiert. Treibende Kraft in Deutschland ist hier der Verein „Mein Grundeinkommen“, der seit 2014 mehr als 1.000 bedingungslose Grundeinkommen für jeweils ein Jahr verlost hat und sich über Crowdfunding finanziert. Und aktuell ist Berlin mit Plakaten der Initiative „Volksentscheid Grundeinkommen“ gepflastert, die mit Sprüchen wie „Schützen wir damit sogar die Umwelt?“, „Weniger Existenzangst durch ein bedingungsloses Grundeinkommen“ oder „Mehr Sex durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen?“ wirbt. „Probieren wir’s aus“, lautet der verlockende Aufruf der Kampagne, deren Ziel es ist, einen Modellversuch zu starten – und diesen staatlich finanzieren zu lassen. Bis zum 5. September sollen möglichst genügend Unterschriften zusammenkommen, um das Berliner Abgeordnetenhaus zur Abstimmung darüber zu zwingen.

„Deutlich mehr als 1.000 Menschen“ sollen für drei Jahre am Testlauf teilnehmen, eine Versuchsgruppe mit bedingungslosem Grundeinkommen und eine Kontrollgruppe ohne diese Finanzspritze. Unterschiedliche BGE-Varianten sollen getestet werden, in Zusammenarbeit mit „unabhängigen wissenschaftlichen Forschungspartnern“, wie etwa dem Freiburg Institute for Basic Income Studies der Universität Freiburg, einem „Kompetenzverbund von sechs Instituten an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zur Erforschung des bedingungslosen Grundeinkommens“.

Laut Bundesfinanzministerium hat der Verein „Mein Grundeinkommen“ gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) einen ähnlichen Feldversuch mit 1.500 Probanden bereits 2021 gestartet.

Mittlerweile ist die Utopie eines BGE auch in der Tagespolitik angekommen. Die Linke fordert sozusagen ein „halbes bedingungsloses Grundeinkommen“ in Gestalt einer sanktionsfreien „Mindestsicherung“ von 1.200 Euro, der jedoch eine Bedürftigkeitsprüfung vorausgehen soll. Die Grünen unterstützen derweil Forschungen zum BGE.

Eine einheitliche, für alle geltende soziale Absicherung

Argumente, die für und wider ein bedingungsloses Grundeinkommen sprechen, gibt es viele. Befürworter führen häufig die positiven Auswirkungen an, die eine derartige Finanzierung auf die körperliche und geistige Gesundheit hätte, da der mit dem wirtschaftlichen Existenzdruck verbundene Stress wegfalle und die Menschen ein Leben, das mehr auf Neigung ausgerichtet ist, führen könnten. Immer wieder wird auch ins Feld geführt, dass eine wegen der Digitalisierung bevorstehende Massenarbeitslosigkeit damit händelbar wäre. Kritiker argumentieren, dass die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens von staatlicher Seite utopisch sei und derartiges außerdem die Menschen faul mache.

Da es bislang kaum in die Realität umgesetzte Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens gibt und daher nur sehr spärliche evidenzbasierte Untersuchungsergebnisse vorliegen, ist eine realistische Einschätzung einer Gesellschaft mit einer solchen Finanzierung nicht ohne Weiteres zu leisten. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat im vergangenen Jahr eine Untersuchung angestrengt, um dem BGE für alle ab 18 Jahren auf den Grund zu gehen. Er führt an, dass es in der aktuellen Situation in Deutschland um die Diskussion eines „existenzsichernden Einkommens“ gehe, das Armut vermeiden solle. Eine derartige Zahlung solle Sozialleistungen wie Hartz IV oder die Grundrente ersetzen und wegen der Formlosigkeit viel Aufwand einsparen. „Sämtliche Sozialsysteme würden in eine einheitliche, für alle geltende soziale Absicherung überführt.“ Derzeit lauteten die Forderungen nach einem BGE auf Beträge zwischen 800 und 1.500 Euro monatlich.

Doch das Bundesfinanzministerium bleibt skeptisch. Selbst die bereits gestarteten Feldversuche im überschaubaren Rahmen würden kaum brauchbare Ergebnisse liefern, da der Punkt der Gegenfinanzierung in diesen Modellen ungeklärt bliebe. Also unterm Strich die Frage, ob bei einem BGE für alle immer noch genügend fleißige Bienchen arbeiten gehen würden, um diese Sozialleistung überhaupt finanzierbar zu machen. Das Bundesfinanzministerium kommt aufgrund verschiedener Modelle zu dem Schluss, dass ein BGE selbst mit einer horrenden und mutmaßlich „verfassungswidrigen“ Besteuerung des Einkommens nicht finanzierbar sei. Bei tagesschau.de formuliert Michael Bohmeyer, Gründer des Vereins „Mein Grundeinkommen“, noch drastischer, auf wessen Kosten dieses Sozialexperiment ausgetragen würde: Das Geld werde umverteilt, die Reichen bekämen nicht mehr, würden stattdessen das Grundeinkommen für die Ärmeren über Steuern finanzieren.

Typisch linke Betrachtungsweise individueller Lebensführung

Für die taz besteht das wichtigste Ergebnis der Untersuchung des Bundesfinanzministeriums in der Feststellung, dass das BGE in ein Gießkannenprinzip münde, wenn es um die Sicherung der Lebenshaltungskosten aller geht. Da etwa Mieten einem dramatischen Gefälle innerhalb Deutschlands unterliegen, also beispielsweise Schwerin viel günstiger sei als München, sei es sehr schwer, einen Betrag zu ermitteln, der für alle genug, aber auch für keinen zu viel Überschuss produziere. Bei dieser Betrachtungsweise steht das bedingungslose Grundeinkommen in der alten Tradition der Sozialleistungen, die eben an Bedingungen geknüpft sind: Mehr als deinen Lebensunterhalt sollst du nicht erhalten und wenn du eben von München nach Schwerin ziehst, weil dort die Mieten günstiger sind, soll dir das nicht zum Vorteil gereichen, sodass du am Ende mehr übrig hast als andere.

Eine typisch linke Betrachtungsweise individueller Lebensführung und der Regulation durch Angebot und Nachfrage. Denn wo steht eigentlich geschrieben, dass das BGE komplett verfuttert werden muss? Sollte nicht jeder damit anstellen können, was er will? Ging es nicht auch darum, die Freiheit des Einzelnen zu stärken, indem ihm das (zusätzliche) Geld Entscheidungen erlaubt, die ihm sonst nicht möglich gewesen wären? Zum Beispiel Investitionen in die eigene berufliche Zukunft zu betreiben?

Durchaus realistisch stellt die taz am Ende fest: „Ein BGE dürfte nicht nur diejenigen, die das BGE zu finanzieren haben, aus dem Land treiben, sondern auch als Magnet für einkommensschwächere EU-Bürger dienen. Das würde einem realpolitischen Experiment schnell ein Ende bereiten.“

Und trotzdem: Selbst wenn ein flächendeckendes BGE also utopisch und nicht realisierbar ist – gibt es bei den bisherigen Feldversuchen Hinweise darauf, dass das BGE die langfristige berufliche Perspektive der Begünstigten verbessert hätte?

Rücklagen für schlechte Zeiten

Christoph, der zweite Gewinner eines vom Verein „Mein Grundeinkommen“ gesponserten BGE, beschreibt im Interview, dass die einjährige finanzielle Unterstützung dazu geführt habe, dass er sich traute, Kinderpädagogik zu studieren, anstatt Sicherheit in einer kaufmännischen Ausbildung und einem Job im Callcenter zu suchen, was er zuvor getan hatte. Er stellt fest: „Sich Freiheit zu erlauben und zu nehmen. Das ist für mich geblieben und ein viel größeres Geschenk als die 12.000 Euro. Und das bestärkt mich noch immer.“ Andere anonyme, auf der Homepage des Vereins veröffentlichte Erfahrungsberichte schildern ebenfalls die Macht des Gefühls finanzieller Sicherheit sowie den Mut, (beruflich) Neues zu wagen, sich sogar selbstständig zu machen. Manche der Gewinner legten ihr komplettes BGE einfach für schlechte Zeiten zurück.

Die wohl bislang aussagekräftigste Feldstudie zum BGE fand von 2017 bis 2018 in Finnland statt: „2.000 zufällig ausgewählte arbeitslose Finninnen und Finnen hatten zwei Jahre lang jeden Monat steuerfrei und ohne Bedingungen 560 Euro bekommen, statt der normalen Arbeitslosenhilfe.“ Für das psychische Wohlbefinden der Beteiligten hatte das Ganze positive Auswirkungen – ihre berufliche Perspektive verbesserte sich dadurch jedoch nicht, denn es zeigte sich, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen keineswegs stärker dazu motiviert, sich Arbeit zu suchen als normale Sozialhilfe.

Möglicherweise könnte man aus dieser Feststellung einiges ableiten: Etwa, dass es nicht immer „die Umstände“ sind, die Menschen arbeitslos machen oder sie bei der Jobsuche demotivieren, sondern letztendlich das persönliche Engagement eine entscheidende Rolle dabei spielt, was ein Mensch aus sich macht. Egal, ob das zur Unterstützung bezogene Geld nun Hartz IV oder bedingungsloses Grundeinkommen heißt. Und so scheint es Leute zu geben, die sich durch ein BGE im Müßiggang bestätigt fühlen, während andere es nutzen, um in die eigene Zukunft zu investieren. Das Leistungsprinzip setzt sich also auch hier einmal mehr in seiner Natürlichkeit durch. Selbst bei gleichen Startvoraussetzungen lauten die Ergebnisse bei jedem anders, eine Folge unserer unterschiedlichen Veranlagung und Individualität.

„Das Leben war noch nie für so viele Menschen ein Wunschkonzert“

Diese Schlussfolgerung führt uns zu einem der bekanntesten deutschen Grundeinkommen-Befürworter: Richard David Precht. Im April dieses Jahres argumentierte er etwa bei Lanz, dass das bedingungslose Grundeinkommen eine Alternative zum „Arbeitszwang“ darstelle. Er ist außerdem überzeugt, dass die allermeisten Menschen weiterhin arbeiten würden. Dies stelle er auch immer wieder bei seinen Vorträgen fest. Aber kann man davon ausgehen, dass bei Precht im Publikum der Durchschnittsmensch sitzt? So fragt ihn auch in der gleichen Sendung die Ökonomin Monika Schnitzer, ob zu seinen Vorträgen denn auch Langzeitarbeitslose kämen? Precht schlägt in der Sendung außerdem vor, mittels einer Mikrosteuer auf Geldtransfers das BGE zu finanzieren, was vor allem Superreiche zur Kasse bitten soll; und dafür die Einkommenssteuer zu senken.

Auf einem Vortag gemeinsam mit Lanz vor ein paar Monaten spricht Precht vom „Ende der Arbeitsgesellschaft, wie wir sie bisher kannten, und (dem) Beginn einer, wie ich das nennen möchte, Sinngesellschaft. Eine Arbeitsgesellschaft, wie wir sie kannten, war: Die Arbeit steht im Mittelpunkt deines Lebens, ob du willst oder nicht. Die Sinngesellschaft besagt, im Mittelpunkt deines Lebens steht die Frage: Was will ich eigentlich vom Leben? Und was will ich eigentlich von Arbeit? (…) Das Leben war noch nie für so viele Menschen gleichzeitig ein Wunschkonzert wie es das heute ist.“

Lanz entgegnet, dass ihm nicht unbedingt das Wort „Wunschkonzert“ einfalle, wenn laut Prognosen selbst Berufe wie Physiker in Zukunft gefährdet sein sollen. Zuvor hatte Precht ausgeführt, dass wir uns künftig mit dem Paradoxon konfrontiert sähen, dass einerseits Fachkräfte fehlen würden wie im Handwerk, aber andererseits enorme Arbeitslosenzahlen entstünden, etwa durch ehemalige Verwaltungsmitarbeiter, die logischerweise nicht einfach die benötigten Fachkräfte andere Branchen ersetzen könnten.

Szenario eines goldenen Zeitalters der Sinnhaftigkeit

Bei diesem Beispiel gibt Precht aus meiner Sicht eines seiner Markenzeichen zum besten: Einerseits das Talent, originelle Gedankengänge aufzuspüren und gefällig zu formulieren, andererseits aber die falschen Schlüsse aus seinen Feststellungen zu ziehen. Und so ist es zunächst bemerkenswert, dass er bereits seit Jahren für das bedingungslose Grundeinkommen vor dem Hintergrund der zukünftigen Massenarbeitslosigkeit wirbt, während Politiker sich blind und taub stellten. Denn tatsächlich wird jedem, der Augen im Kopf hat, auffallen, dass sich viele Berufe wohl bald erledigt haben werden, neben den bereits angesprochenen wird dies wohl vor allem Tätigkeiten im Einzelhandel, aber auch viele weitere Bürojobs wie etwa in der Versicherungs- und Bankenbranche kosten.

Diese Entwicklung wird sich also als mutmaßlich real entpuppen. Zugleich wirkt Prechts Szenario eines goldenen Zeitalters der Sinnhaftigkeit an dieser Stelle ziemlich blauäugig. Natürlich stehen die Chancen für einen gut ausgebildeten, höchstens mittelalten und möglicherweise noch mit etwas Vermögen gesegneten Menschen heute wirklich so rosig, wie Precht das beschreibt. Diese Kreise, in denen er sich wahrscheinlich auch selbst bewegt, werden mutmaßlich am besten durch die prognostizierten Krisen kommen.

Aber was ist mit all den durchschnittlich veranlagten, ohne nennenswerte Rücklagen ausgestatteten Menschen, die in ihrem speziellen Beruf eine solide Leistung abliefern, aber angesichts einer Branchenkrise voraussichtlich nicht mit schlafwandlerischer Sicherheit einen Online-Shop eröffnen oder während eines einjährigen, selbstgewählten Sabbaticals über ihren weiteren Lebensweg sinnieren werden? Ganz zu schweigen von der Perspektive der bereits angesprochenen Langzeitarbeitslosen in einer solchen „Sinngesellschaft“?

Abhängigmachung weiter Teile der Bevölkerung

Wie auch die bisherigen Experimente mit dem BGE zeigen: Leistung, Talent und Tatkraft sind nicht demokratisch verteilt und selbst angesichts von Unterstützung durch ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht garantiert. Auch in Prechts Utopie, in der ein BGE auf magische Weise durch Finanztransfers der Superreichen bezahlt wird, muss man sich fragen, ob eine solche Gratis-Zahlung nicht vor allem ein sich ungebraucht und nutzlos fühlendes Couch-Prekariat hervorrufen würde.

Angesichts der sich ankündigenden Wirtschafts- und Energiekrise erscheint selbst dieses fragwürdige Szenario viel zu gefällig. In Zeiten der Not herrscht bekanntlich das Recht des Stärkeren, sodass wir alle vermutlich schneller auf unsere individuelle Kompetenz zurückgeworfen sein werden, als wir denken.

Die bereits angesprochene Uni Freiburg lieferte gerade Zehn Freiburger Thesen zum Grundeinkommen, die unter anderem postulieren, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die individuelle Freiheit bestärke, Ungleichheit zwischen den Geschlechtern behebe, für die Aufzucht von Kindern entschädige und vor Massenarbeitslosigkeit schütze, da es der Tendenz zur Teilzeitbeschäftigung Rechnung trage.

Besonders pikant erscheint die 9. These: Auch im Hinblick auf die notwendige (weltweite) ökologische Transformation bietet das BGE Möglichkeiten, lokale und globale Initiativen der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit zu stärken und zu fördern.“ Diese Thesen sind das Ergebnis einer Masterclass des Politologen Claus Leggewie mit Nachwuchswissenschaftlern des Freiburg Institute for Basic Income.

Vor dem Hintergrund der im Zuge der Corona-Politik durchgewinkten Freiheitseinschränkungen und Überwachungsstrategien wird somit natürlich noch eine ganz andere Perspektive auf das BGE eröffnet: die Nutzung dieses verführerischen Finanzierungsinstrumentes zur Abhängigmachung weiter Teile der Bevölkerung. Jemand, der seine Existenz auf dieser staatlichen Leistung aufbaut, ist letztlich vom Wohl und Wehe ebendieses Staates abhängig. Und dass dies nicht unbedingt eine gute Idee ist, führte bereits die Corona-Zeit vor Augen, als plötzlich allzu viele Grundrechte an den Impfstatus geknüpft waren. Möglicherweise wird dies dadurch fortgesetzt, dass Bürgerrechte bald durch ein „ökologisches Verhalten“ verdient werden müssen. Warum nicht auch das bedingungslose Grundeinkommen, falls diese Utopie doch noch Wirklichkeit wird?

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