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„Wir beobachten eine Blase auf dem Immobilienmarkt“

Published On: 4. September 2021 18:08

Wer in Deutschland ein Haus kaufen möchte, zahlt bis zum Vierzigfachen der jährlichen Nettokaltmiete. Schuld daran sei vor allem die Nullzinspolitik der EZB, sagen Ökonomen.

IMAGO / Future Image

Baustelle in Köln

Ein Frankfurter Architekt schüttelt bloß noch mit dem Kopf, wenn er über die Immobilienpreise in der Bankenmetropole spricht. „Die Leute stecken das Geld, das sie nicht auf Reisen oder in Restaurants verkonsumieren, in Bauleistungen. Sie hängen alle der Illusion an, dass die Preise ins Unermessliche steigen“, berichtet der Mann, der ein Architekturbüro mit über 20 Angestellten leitet. Er habe einen Kunden, der gerade für knapp fünf Millionen Euro ein Einfamilienhaus in Frankfurt gekauft habe. Das seien teils „kranke Preisentwicklungen“, sagt der Architekt, der lieber anonym bleiben will. Er gehe von einer Blase in Frankfurt aus – angesichts von Quadratmeterpreisen über 10.000 Euro.

Das sieht Reiner Braun vom Berliner Forschungsinstitut Empirica ähnlich. „Wir beobachten eine Blase auf dem Immobilienmarkt in Deutschland“, sagt der Ökonom, dessen Arbeitgeber den sogenannten Blasenindex veröffentlicht. Braun macht das an drei Entwicklungen fest. Erstens sei das Verhältnis von Einkommen zu Kaufpreis deutlich angestiegen. Kostete vor rund zehn Jahren ein urbanes Einfamilienhaus fünf bis sechs durchschnittliche Jahreseinkommen, seien es nun 10 bis 13. Zweitens habe sich die Verschuldung – also die Immobilienkredite auf das Bruttoinlandsprodukt heruntergerechnet – in den vergangenen zwei Jahren erhöht.

Und drittens liege der Vervielfältiger – also das Verhältnis von jährlicher Nettokaltmiete zum Kaufpreis – in vielen Großstädten bei 40. Normal sei ein Vervielfältiger von 20, was einer Bruttorendite von 5 Prozent entspreche. „Wenn die EZB die Zinsen senkt, dann lohnt es sich für Kapitalanleger, bei einem höheren Vervielfältiger zu investieren“, erklärt Braun. Bei einem Wert von 40 liege die Bruttorendite bei 2,5 Prozent – nach Abzug der Kosten für etwa Instandhaltung und Leerstand bleibe noch immer ein Zugewinn von 1 Prozent übrig. Das sei für Anleger attraktiver als Null- oder Negativzinsen bei der Bank, erklärt Braun.

Laut dem Statistischen Bundesamt stiegen die Wohnimmobilienpreise im ersten Quartal um 11,3 Prozent in Städten, die mehr als 100.000 Einwohner zählen. Das war der höchste Anstieg seit mindestens dem Jahr 2010. Insgesamt kletterte der Häuserindex um 9,4 Prozent nach oben. Auch in den sogenannten Schrumpfungsregionen steigt die Blasengefahr. Im ersten Quartal erhöhte sich der Blasenindex von Empirica in Gebieten mit schrumpfender Bevölkerung kräftiger als in Wachstumsregionen oder den sogenannten Schwarmstädten. „Die Leute ziehen immer weiter weg aus den Städten, um bezahlbaren Wohnraum zu finden“, sagt Braun. Auch baureifes Land war im vergangenen Jahr so teuer wie nie: Laut Statistischem Bundesamt kostete der Quadratmeter im Schnitt 199 Euro – im Jahr 2010 waren es noch 130 Euro gewesen.

Der Leipziger Volkswirt Gunther Schnabl warnte in der Sendung Tichys Ausblick vor einer Immobilienblase, die durch das billige Geld angetrieben werde. Das frischgeschöpfte Geld der EZB und der Geschäftsbanken fließe auch in die Immobilienmärkte. Etwa investieren Anleger in Wohnungen und Häuser, um zu verhindern, dass die Nullzinsen und Inflation ihre Vermögen entwerten. Sie kaufen Immobilien auf Kredit und treiben die Preise nach oben. Um das Darlehen zu refinanzieren, erhöhen sie die Mieten.

Selbst die EZB begründet die gestiegenen Wohnimmobilienpreise im Euroraum unter anderem damit, dass das Volumen der Wohnungsbaukredite auch im Coronajahr 2020 angestiegen sei. Die gewichteten Zinssätze seien auf einem Rekordtief von 1,3 Prozent gefallen, heißt es im vierten Wirtschaftsbericht der Zentralbank aus diesem Jahr. Staatliche Corona-Hilfen wie Kurzarbeitergeld und eingeschränkter Konsum durch Private hätten die Nachfrage hoch gehalten. Laut den EZB-Forschern stiegen die Preise nicht bloß in den Hauptstädten. Im Umland hätten sie sich sogar rascher erhöht als in ausgewählten Hauptstädten, schreiben sie und spekulieren, dass dies am zunehmenden Arbeiten von zuhause liegen könnte. Besonders in Frankreich, Deutschland und Österreich wurde Wohnen sehr viel teurer – vor allem die Preise von Bestandsimmobilien.

Die sozialen Folgen sind massiv, etwa für junge Familien. Jemand mit einem Durchschnittseinkommen könne kaum noch eine Wohnung erwerben, erklärt der Volkswirt Reiner Braun. Problematisch sei vor allem das hohe Verhältnis von Nettojahreskaltmiete zu Kaufpreis. „Die EZB kann die Zinsen nicht ewig bei null belassen. Sobald sie die Zinsen erhöht, dürften die inflationsbereinigten Immobilienpreise einbrechen“, sagt Braun. Laut dem Statistischen Bundesamt lebten 11,4 Millionen Menschen im Jahr 2019 in Haushalten, die durch die Wohnkosten überlastet sind. Das entspricht 14 Prozent der Bevölkerung. Als überlastet gilt ein Haushalt, der über 40 Prozent des Gesamteinkommens für Wohnen ausgibt.

Laut Braun erhöht die Massenmigration die Blasengefahr aber nicht. Blasen seien durch die Geldschöpfung der Banken verursacht, aber nicht durch reale Knappheiten wie eine steigende Nachfrage durch Einwanderer, sagt der Volkswirt und erklärt: „Migration erhöht die Mieten, aber nicht die Blasengefahr.“ Er gehe davon aus, dass in den vergangenen Jahren Flüchtlinge für etwa ein Sechstel der Nachfrageerhöhungen verantwortlich seien, die aus der Zuwanderung in die Städte resultierten. Deutsche, die in Städte abwanderten, stünden für die Hälfte. Migranten aus der EU verursachten den Rest.

Indes rät der Frankfurter Architekt zur Vorsicht beim Immobilienkauf auf Pump. Das könne böse enden, wenn eine Wirtschaft in eine Depression gerate, sagt er. Der Marktpreis eines Hauses liege womöglich plötzlich nicht mehr bei 600.000 Euro, sondern bei 400.000 Euro. Gerate die Bank unter Insolvenzdruck, könne sie den Hauswert per Gutachter heruntersetzen lassen. „Die Bank sagt dann zum Kreditnehmer, dass er eine Unterdeckung auf seinem Darlehen hat. Sie kann die fehlende Summe von 200.000 Euro nachfordern, wenn der Schuldner keine zusätzlichen Sicherheiten bieten kann“, erklärt der Mann. Im schlimmsten Fall leite die Bank eine Zwangsversteigerung ein und verrechne die Verkaufserlöse mit dem Darlehen. Dann bleibe der Bauherr auf einem Schuldenberg sitzen und verliere die Immobilie, warnt der Architekt.

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