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Ungarn: Die nächsten Wahlen

Published On: 19. September 2021 10:00

Wäre Jobbik in der Allparteienfront gegen Orban eine deutsche Partei, stünde im hiesigen Spektrum die AfD links von Jobbik. Das alles kommt im Jubel beispielsweise der Tagesschau über die Anti-Orban-Liste nicht zur Sprache.

Nicht nur in der Bundesrepublik stehen wichtige Wahlen an. In Deutschland geht es darum, ob man sich ganz und gar oder doch nicht so ganz aus der Realität verabschiedet, ob man das „Narrenschiff Utopia“ (Franz-Josef Strauß) nur ausbessert und an der Küste entlangschippert oder mit ihm in See sticht und zu verrotteten Ufern aufbricht. In Ungarn entscheidet sich hingegen, ob die erfolgreiche Politik von Viktor Orbán fortgesetzt wird oder ob eine unmögliche, im Grunde nicht regierungsfähige Koalition als Exekutor der Brüsseler EU-Administration an die Macht kommt.

Die große Besonderheit in Ungarn besteht darin, dass der Wähler sich zwischen zwei Blöcken entscheiden muss, entweder er wählt die FIDESZ und Viktor Orbán, die mit der kleinen christdemokratischen KDNP verbunden ist, oder eine Listenverbindung, in der sich alle Oppositionsparteien Ungarns zusammengeschlossen haben, von den Linken und Linksliberalen, den Sozialdemokraten, den Grünen bis hin zu Jobbik.

Auf der einen Seite lassen deutsche Medien keine Chance aus, ein negatives Bild von Ungarn zu zeichnen und schrecken ihre Journalisten nicht einmal davor zurück, Viktor Orbán Zitate unterzuschieben, die nachweislich nicht von ihm stammen, um den demokratisch gewählten Ministerpräsident zu verleumden, auf der anderen Seite schweigen sie dröhnend laut darüber, dass Ungarns Linksliberale, dass Ungarns Rotgrüne ein skandalöses Bündnis mit Jobbik eingehen. Man kann es auch anders formulieren, doch selbst Wikipedia charakterisiert die politische Ausrichtung von Jobbik so: „Rechtsextremismus, EU-Skepsis, Irredentismus, völkischer Nationalismus“. Die Grünen, die Linken, die Linksliberalen verbünden sich mit Jobbik, also laut Wikipedia mit „Rechtsextremismus“ und „völkischem Nationalismus“. Wikipedia schreibt im entsprechenden Artikel über Jobbik: „Der britische Faschismusforscher Roger Griffin (2020) ordnet Jobbik hingegen weiterhin den „faschistischen Parteien“ zu. Sie sei neben der ĽSNS in der Slowakei und der Goldenen Morgenröte in Griechenland eine von drei Parteien dieses politischen Spektrums, die es geschafft haben ein integraler Bestandteil des politischen Systems zu werden, „ohne dabei ihre extremistische Identität völlig geopfert zu haben“. Tatsache ist, dass Jobbik sehr weit rechts von FIDESZ steht. Anders ausgedrückt, würde Jobbik eine deutsche Partei sein, stünde im hiesigen Spektrum die AfD links von Jobbik. Das alles kommt im Jubel beispielsweise der Tagesschau über die Anti-Orban-Liste nicht zur Sprache.

Auch wenn Vergleiche hinken, würde das auf Deutschland übertragen bedeuten, dass alle Parteien von der Linken über die SPD, Grüne und der AfD sich gegen eine hypothetisch mit Zweidrittelmehrheit regierende Kohl-CDU zusammengeschlossen hätten, um diese CDU-Regierung zu besiegen. Weder Brüssel, das natürlich die Liste unterstützt, noch der moralische Musterschüler in Berlin nehmen an dieser Liste Anstoß, im Gegenteil, sie schweigen darüber, denn um die FIDESZ von der Regierung zu verdrängen, scheint jedes Mittel recht zu sein.

Man könnte demzufolge ever closer union, natürlich auch mit „Geschlossener Gesellschaft“ übersetzen, nach Jean-Paul Sartre auch mit „Huis clos“. Auch in den deutschen Medien wurde die Zusammensetzung der Listenverbindung nicht thematisiert, obwohl sie in Deutschland doch davor warnen, dass die Parteien des sogenannten „demokratischen Spektrums“ auch nur das geringste mit der AfD unternehmen. Vor dem Wissen um diese Listenverbindung lese man nur einmal die Kommentare zur Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten Thüringens. Doch deutsche Medien haben inzwischen nicht nur Standards, nein, sie haben sogar Doppelstandards.

In Ungarn treten alle Oppositionsparteien vereint in einer Liste gegen die Regierungskoalition aus FIDESZ und KDNP an, wenn man so will: alle gegen einen. Das einzige inhaltliche Ziel, das alle Parteien, dessen Programme sich zum Teil widersprechen, vereint, ist der Sturz Viktor Orbáns. Sollte die Liste gewinnen, würde deshalb eine unmögliche Koalition von Parteien, die untereinander alles andere als harmonieren, an die Macht kommen.

Diejenigen von meinen Gesprächspartnern, die der Politik der FIDESZ und Viktor Orbán distanziert und kritisch gegenüberstehen, die eine mangelhafte Ausstattung des Gesundheitssystem und andere Missstände wie Korruption anführen, werden aus zwei Gründen dennoch Viktor Orbán und die FIDESZ wählen, zum einen, weil sie die Liste für nicht wählbar halten, und zum anderen, weil sie bei aller und trotz aller, auch heftiger Kritik, in Viktor Orbán den talentiertesten und besten Politiker des Landes sehen. Viele Maßnahmen und Initiativen des Ministerpräsidenten finden bis tief ins Lager seiner Gegner Zustimmung, so die Sozialpolitik, die von der Familie aus denkt, so die rationale und realistische Haltung zur Migration, so zuletzt zum Jugendschutzgesetz. So erreicht Viktor Orbáns Migrations- und Familienpolitik eine Zustimmung im Land von 80%.

Während es für dieses Gesetz in Ungarn eine breite Zustimmung gibt, erscheint in München der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und sein Generalsekretär mit einem Mundschutz, der zum Protest regenbogenfarben ist, zum Fußball-EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn. Wäre Markus Söder Politiker nicht in Bayern, sondern in Ungarn, wäre er wahrscheinlich für das Gesetz.

Ein Wahlsieg der Liste würde übrigens für Deutschland bedeuten, dass sich das Jahr 2015 nicht nur wiederholen, sondern, dass die Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme immer neue Rekorde feiern würde. Außerdem würde dann die EU-Kommission ihr Ziel der Geschlossenen Gesellschaft, der ever close union, der Vereinigten Staaten von Europa, wie es auch das Wahlziel der Grünen ist, verwirklichen. Zum erheblichen Nachteil der Demokratie in Europa.

Doch wie ist die Situation? Der Block aller Parteien ist natürlich, ernst zu nehmen, weil alle Stimmen gegen FIDESZ sich nicht auf unterschiedliche Parteien verteilen, sondern in einer Liste, einer Quasi-Partei gebündelt werden. Noch einmal eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen, scheint auch aus diesem Grund sehr unwahrscheinlich. Einer der Gründe hierfür findet sich im ungarischen Wahlsystem.

Der ungarische Wähler besitzt wie der deutsche zwei Stimmen, zum einen für das Direktmandat in den Wahlbezirken, zum anderen für die Listen, die diesmal nur zwei Listen sind, FIDESZ-KDNP und die Liste der Opposition. Das ungarische Parlament besteht aus 199 Sitzen, aus 106 Direktmandaten und 93 Listenmandaten. Der Direktkandidat wird mit relativer Mehrheit gewählt, während die Listenplätze im Verhältnis der Zweitstimmen vergeben werden. Allerdings, und hierin liegt die Besonderheit, gibt es noch eine Gewinnerkompensation und eine Verliererkompensation. Das hängt mit den Direktmandaten zusammen. Alle Stimmen, die ein Direktkandidat zum Wahlsieg nicht benötigt, werden ihm zugeschrieben. Um es an einem Beispiel zu erläutern: Hat der Kandidat der Partei A in seinem Wahlkreis 30.000 Stimmen erreicht, der Kandidat der Partei B 25.000 und der Kandidat der Partei der Partei C 10.000 Stimmen, benötigte der Kandidat der Partei A für den Sieg 4.999 nicht, da 5.001 Stimmen genügen. Diese 4.999 Stimmen werden der Liste seiner Partei gutgeschrieben, während der Liste der Partei B als Verlierkompensation 15.000 und der Liste des Kandidaten der Partei C 10.000 Stimmen zugeschrieben werden. Der Grund für die Kompensationen ist, dass man vermeiden möchte, dass Stimmen verlorengehen, weder die, die man für den Sieg nicht benötigte, noch die, die zwar nicht zum Sieg führten, aber dennoch für den Kandidaten abgegeben wurden.

Und das Imperium hat ein Problem

Die jüngste Umfrage des Nézöpont Instituts, auf die ich mich im weiteren beziehe, sieht FIDESZ bei 51 % der Stimmen, die Liste bei 48%. Nach dieser Umfrage gewinnt FIDESZ 67, die Liste 39 Wahlbezirke. Hinzu kommen die Stimmen der Auslandsungarn. Für FIDESZ bedeutet das, dass sie 111 Mandate von 199 erringen könnte, dass nach dieser Prognose FIDESZ-KPNG 2 850000 Stimmen für die Direktkandidaten auf sich vereinen könnte, das wären 67 Sitze, 200.000 Stimmen der Auslandsungarn, die nur eine Stimme, die Listenstimme besitzen, da sie als Auslandsungarn in keinem Wahlkreis wohnen. Als Verlierkompensation würden 1.000 000 Stimmen zu Buche schlagen, als Gewinnerkompensation 150.000 Stimmen. An Listenmandate könnte FIDESZ 44 Abgeordnete ins Parlament schicken. Die Liste würde nach der Prognose 39 Direktmandate und 48 Listenmandate erringen, also insgesamt 87, ein Mandat fällt auf die Minderheiten.

Nach dieser Prognose gewinnt die FIDESZ mit Viktor Orbán die Wahlen. Allerdings ist die Stimmung volatil. 2 Millionen Bürger haben sich für FIDESZ ausgesprochen, 1,2 Millionen für die Liste, aber 1,5 Millionen Wähler sind noch unentschieden. Das wissen natürlich alle interessierten Parteien von Budapest über Berlin bis Brüssel.

Bis April ist noch viel Zeit – und man darf davon ausgehen, dass man im demokratisch nicht legitimierten Brüssel alles tun wird, um Orbán zu stürzen, und das übrigens auch mit deutschen Steuergeldern. Angela Merkel hat damals gefeiert, dass die EU die Zahlung von Corona-Hilfen beschlossen hat. Polen und Ungarn haben unter der Bedingung zugestimmt, dass keine politischen Bedingungen an die Auszahlung geknüpft werden. Das wurde zugesichert. Nun bricht die EU ihr Wort, sie knüpft die Auszahlung der Coronahilfen doch an politische Bedingungen und verweigert Polen und Ungarn die Auszahlung der zugesagten Gelder. So jubelte die Süddeutsche über den Wortbruch: „Fast 25 Milliarden Euro Corona-Hilfen hat die EU-Kommission gerade an Italien überwiesen – eine erste Tranche, denn insgesamt werden annähernd 70 Milliarden Euro Zuschüsse in das Land fließen. Zuvor hatten bereits Griechenland, Portugal, Belgien und Luxemburg erste Auszahlungen erhalten.“ Wieso eigentlich die Steueroase Luxemburg? Hat der Corona-Virus auch das lukrative Geschäft mit dem Steuerdumping bedroht? Die Freude der Süddeutschen nimmt jedoch keine Ende und wird zur Häme, denn „Manche Mitgliedstaaten werden sich aber noch etwas gedulden müssen: etwa Polen und Ungarn.“ Klar, Luxemburg, das stets für die Aufnahme von noch mehr Migranten plädiert – natürlich nicht in Luxemburg, sondern in Deutschland, bekommt Geld, Ungarn, das uns vor einer noch größeren Einwanderung bewahrt, nicht.

Man darf auf den Ausgang der Wahlen in Ungarn gespannt sein, er hat mehr mit uns zu tun, als man gemeinhin denkt.


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