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Hardinghaus über die Kindersoldaten des Zweiten Weltkriegs: „Sie hatten keine Chance“

Published On: 19. November 2021 19:49

Christian Hardinghaus hat für den dritten Teil seiner Trilogie wieder Interviews mit Zeitzeugen geführt und in den historischen Kontext gestellt: „Die verlorene Generation. Gespräche mit den letzten Kindersoldaten des Zweiten Weltkriegs“ liefert wichtige Bausteine zur Geschichtsschreibung

Tichys Einblick: Die Generation, die den Zweiten Weltkrieg er- und überlebt hat und heute noch unter uns ist, lässt Sie nicht los. Jetzt ist eine Trilogie vollendet. Im Frühjahr 2020 war Ihr Buch „Die verdammte Generation. Gespräche mit den letzten Soldaten des Zweiten Weltkriegs“ erschienen, im Herbst 2020 folgte Ihr Titel „Die verratene Generation. Der Zweite Weltkrieg aus der Sicht der letzten Zeitzeuginnen“. Nun widmen Sie sich in „Die verlorene Generation“ den letzten Kindersoldaten des Zweiten Weltkriegs. Hatten Sie von Anfang an eine Trilogie geplant?

Christian Hardinghaus: Nein, nicht direkt. Zunächst brachte ich 2016 zusammen mit einem Zeichner die Graphic Novel „Großväterland“ heraus. Schon während der Produktion ist uns klar geworden, dass wir die Geschichten der Frauen nicht vernachlässigen dürfen, und wir haben zwei Geschichten von Zeitzeuginnen hinzugenommen. Mir war nach den vielen, positiven Resonanzen klar, dass es für dieses große Thema auch ein vernünftiges Sachbuch braucht. Ich wollte unbedingt noch viele weitere Zeitzeugen treffen. Und so habe ich mit dem Europa Verlag ausgemacht, dass ich erst ein Buch über die letzten Soldaten und dann eines über die letzten „Kriegsfrauen“ schreibe. Da die Bücher gut liefen, bekam ich immer mehr Zuschriften von Menschen, die mir von den Erlebnissen ihrer Angehörigen und Bekannten erzählten. Ich stellte dabei fest, dass es zwei weitere große Gruppen gibt, die den Krieg anders erlebt haben: Kinder und Kindersoldaten. Ich widmete mich erst den Jugendlichen, denn ich bin ja auf noch lebende Zeitzeugen angewiesen.

Packen wir das dritte dieser Bücher ganz statistisch an: Wie viele Männer, damals ja zum Teil noch Kinder, haben Sie für Interviews gefunden? 13 davon haben Sie veröffentlicht. Wie viele haben keinen Eingang in Ihr Buch gefunden und warum nicht?

Es wird wirklich immer schwerer, Zeitzeugen zu finden, gerade wenn man nach solchen sucht, die aktiv als Soldaten am Zweiten Weltkrieg teilgenommen haben. In jedem Teil der Trilogie stelle ich 13 Zeitzeugen vor. Ich überschlage mal und sage, dass es pro Buch ungefähr doppelt so viele gegeben hat, mit denen ich zuvor intensiveren Kontakt hatte. Das Auswählen ist nicht einfach und erfolgt nach rationalen Gründen. Ich kann schlecht drei Geschichten aus Hamburg vorstellen oder zwei Kindersoldaten, die zur selben Zeit an derselben Front kämpften. Es passiert aber auch, dass ein lange eingeplantes Gespräch abgesagt werden muss, weil der Zeitzeuge schwer krank geworden ist. Das ist besonders traurig.

Wie alt sind diese 13 heute? Wo leben sie? Kennen sie sich?

Kindersoldaten im Zweiten Weltkrieg

Alle Männer sind heute zwischen 91 und 95 Jahre alt und waren bei ihren Kampfeinsätzen minderjährig, was der Definition von Kindersoldat entsprechen sollte. Sie leben in ganz Deutschland verteilt und hatten noch nie voneinander gehört. Jetzt sind sie aber natürlich auch ganz interessiert an den Geschichten ihrer Jahrgangskollegen.

Wo haben die Kindersoldaten überhaupt gekämpft?

Zu ihnen gehören auf jeden Fall die rund 200.000 Luftwaffenhelfer, die ab 1943 deutsche Städte fast im Alleingang verteidigen mussten, und die Volkssturmjungen, die im Herbst 1944 mit 16 Jahren verpflichtet wurden. Besonders tragisch finde ich das Kapitel der sogenannten Panzervernichtungstrupps, über die in der Forschung so gut wie gar nichts existiert. Die Reichsjugendführung beschloss 1945, alle noch nicht in Wehrmacht, SS oder Volkssturm integrierten Hitlerjungen schon von 14 Jahren an im Panzernahkampf auszubilden. Das waren richtige Kinder, die sich nicht nur im übertragenen Sinne von alliierten Panzern überrollen ließen. Sie hatten keine Chance. Einmal an den Waffen, gab es kein Zurück mehr. Wer zu „feige“ war, wurde von Polizei oder der SS eiskalt ermordet und häufig zur Abschreckung an einem Baum aufgehängt.

Warum nennen Sie diese Generation eine „verlorene“ Generation?

Man könnte das Adjektiv „verloren“ für den Verlust der zigtausend minderjährigen Soldaten benutzen oder für die verlorene Kindheit der Kindersoldaten. Es steht aber auch dafür, dass wir im Begriff sind, eine besonders tapfere Generation an den Tod zu verlieren. Die heute über 90-Jährigen haben ganz andere Ideale gelebt. Sie sind aufgewachsen in dem Bewusstsein, sich selbst und das eigene Leid nicht über das aller anderen zu stellen. Sie wollten Kämpfer sein und keine Opfer und behielten diese Einstellung über den Krieg hinaus bei. Es sind Männer und Frauen, die unser Land wieder aufgebaut haben und sich bis ins hohe Alter nie beschwert haben, weil sie das unvergleichbar Schlimmste längst hinter sich hatten. Wir hätten mehr von ihnen lernen können und sollen.

Als wie authentisch erlebten Sie ihre Interviewpartner? Konnten Sie prüfen, inwieweit Verklärung oder Verdrängung eine Rolle spielten?

Das ist eine meiner Hauptaufgaben als Historiker, die Geschichten der Männer gegenzuchecken und auf temporäre, lokale und kausale Unstimmigkeiten hin zu prüfen. Man muss also möglichst penibel ihren Weg durch den Krieg nachzeichnen. Dabei helfen persönliche Notizen zum Beispiel zur Zugehörigkeit zu einer Truppe, erhalten gebliebene Fotos, Wehrpässe, Soldbücher oder Entlassungsunterlagen aus der Gefangenschaft. Man vergleicht mit Sekundärliteratur und Archivmaterial, um letztendlich diese Zeitzeugenberichte historisieren zu können. Natürlich sind einem da Grenzen gesetzt, und auch Zeitzeugen können irren. Wichtig ist letztendlich, dass ein Zeitzeugenbericht als eigenständige Primärquelle anerkannt werden kann, die man dann als einen Puzzlestein zur Aufarbeitung einer Epoche nutzen sollte.

Was war das Schrecklichste, was war das Beglückendste, was diese Männer, damals noch kaum Jugendliche, zu jener Zeit oder auch später erlebt haben?

Eigentlich kann man nichts vergleichen. Alle Schicksale sind grausam. Der 17-Jährige, der zum Verhungern und Sterben in einen Todeszug gepfercht wird, der 16-Jährige, der in Polen unschuldig zum Tode verurteilt wird und dann zehn Jahre im Gefängnis verbringt, der 15-Jährige, dem eine Granate den Bauch aufreißt und der sich in der Jauchegrube eines Toilettenhäuschens versteckt, um nicht von den Sowjetsoldaten getötet zu werden, oder der 14-Jährige, der eine Scheinhinrichtung über sich ergehen lassen muss.

Pflichtlektüre für Kinder, Enkel und Urenkel

Ich habe oft gehört, dass der Krieg das Grausamste im Menschen hervorbringt, auf der anderen Seite aber auch das Selbstloseste. Alle meine Zeitzeugen haben eigentlich nur überlebt, weil ihnen irgendwer geholfen hat. Ein umsichtiger Leutnant, ein russischer Arzt, eine mitleidige deutsche Frau. Ich habe 13 Geschichten gesammelt, aus denen man eine Netflix-Drama-Serie machen könnte. Ich stelle aber immer wieder fest, dass sowohl die brutalsten als auch kuriosesten wie auch menschlichsten Geschichten das Leben selbst schreibt. Daher bleibt meine Faszination bestehen für das Schreiben von erzählenden Sachbüchern oder historischen Romanen basierend auf wahrer Begebenheit.

Wie sehen „Ihre“ 13 das Dritte Reich heute? Wie stehen sie zur deutschen Art und Weise, die Vergangenheit zu bewältigen?

Unsere Erinnerungskultur kommt alles andere als gut weg. Sei es die Perspektive von Kindern des Zweiten Weltkriegs oder von Deutschen generell. Ich habe bisher niemanden interviewt, der nicht die einseitige Aufarbeitung dieser Zeit kritisiert. Am schmerzlichsten erlebe ich das aber wohl bei denjenigen, die ihre Heimat verloren haben, über die niemand mehr sprechen will. Hängen geblieben ist bei mir auch, dass zum Beispiel deutsche Schlesier davon berichten, dass die jungen Polen von heute sehr viel aufgeschlossener und interessierter an der Geschichte der Heimatvertriebenen sind, während man in Deutschland einfach lieber vergessen will. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ ist leider auch eine ziemlich deutsche Negativeigenschaft, die sich durch unsere gesamte Geschichte zieht.

Wie war die erste Resonanz auf Ihr neues Buch? Was haben die Beteiligten selbst dazu gesagt? Und gab es auch Verrisse beziehungsweise ideologisch motivierte Angriffe?

Das Interesse an dem Thema in der Gesellschaft ist viel größer, als man annimmt. Ich kriege nach wie vor zu über 90 Prozent positive Feedbacks, von Lesern, von Kollegen, von weiteren Zeitzeugen, die aufgrund des Buches auf mich aufmerksam geworden sind. Das tut sehr gut nach dem intensiven Schreibprozess. Deswegen freue ich mich jetzt auf die Lesungen, um auch persönlich in Diskussionen zu kommen. Ideologisch motivierte Angriffe gibt es inzwischen allerdings auch, das wundert mich aber nicht. Es gibt Menschen, die sind so sehr getriggert von einer deutschen Uniform des Zweiten Weltkriegs auf einem Cover, dass sie der Inhalt gar nicht mehr interessiert. Die Sache ist dann für sie klar: Verherrlichung von Krieg!

„Menschen mit Nazihintergrund“

Dann werden Querverbindungen gesucht, um das Buch irgendwie schlecht dastehen zu lassen, denn fachlich und sachlich können sie nichts einwenden, weil man dann Ahnung vom Thema beweisen müsste, und gegen harte historische Fakten kommt man mit Ideologie nun mal nicht an. Jedenfalls beruhen die „Topkritikpunkte“ auf Umständen, die ich nicht mal beeinflussen kann. Da wirft man mir als Autor zum Beispiel vor, dass man meine Bücher auch bei als rechts geltenden Versandhäusern bestellen kann. Ich käme selbst nicht mal auf die Idee, solche Suchmasken zu bedienen, weiß aber natürlich, dass man sie überall bestellen kann. Sie können bei einem rechten Buchversand „Die Raupe Nimmersatt“ beziehen so wie auch bei einem linken „Die Biene Maja“. Einen weiteren absurden Kritikpunkt will ich gerade Ihren Lesern nicht vorenthalten. Der lautet nämlich, dass Tichys Einblick meine Bücher rezensiert.

Da und dort tauchen öffentlich übelste Diffamierungen von Männern und Frauen auf, die Hitler-Deutschland erlebt haben. Als Menschen mit „Nazihintergrund“ werden sie bisweilen verunglimpft. Sie schreiben dagegen an, was ist Ihr Motiv?

Der Vorschlag zweier Künstler, alle Deutschen ohne Migrationshintergrund sollten angeben, sie hätten einen Nazihintergrund, lief nach einem Instagram-Talk darüber im März 2021 durch ein paar große Medien, in denen diese Idee auch noch als positiv aufgegriffen wurde. Das sind Momente, wo man sich denkt, man ist sprichwörtlich im falschen Film. Ich mache aber weniger den Künstlern einen Vorwurf, denen ich sogar abnehme, dass sie damit keine böse Absicht verfolgt haben, sondern eine Welt aus ihrer Perspektive schilderten. Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland aufwachsen, erhalten ja in Schule und Medien dieselbe unzureichende Geschichtsvermittlung wie die „Biodeutschen“.

Aber dass unsere Journalisten da nicht intervenieren und endlich mal ihre Großeltern, die keine Nazis waren, in Schutz nehmen, kann ich nicht verstehen. Solche Provokationen bieten doch eigentlich die beste Möglichkeit, mal über das Leid der vielen Deutschen des Zweiten Weltkriegs zu sprechen. Es dürfte darunter wesentlich mehr mit „Opferhintergrund“ gegeben haben als mit „Nazihintergrund“. Aber wenn man die Geschichte der eigenen Großeltern nicht kennt, weil man sie nie gefragt hat, ist man wohl eher geneigt, sie in die Kategorie „Nazi“ einzusortieren, selbst wenn sie zu den 14 Millionen Frauen, Kindern und Greisen zählten, die mit Gewalt aus ihrer Heimat vertrieben wurden und gleichzeitig Opfer der Nationalsozialisten wie auch von russischen, polnischen oder tschechischen „Racheaktionen“ geworden sind.

Menschen, die die Jahre um 1945 bewusst erlebt haben, lassen Sie nicht los. Gibt es schon ein neues, weiterführendes Projekt mit einer anderen Personengruppe?

Das gibt es – und es wird so lange nicht preisgegeben, bis der Verlag es nicht selbst ankündigt. So viel sei verraten, es geht über das Jahr 1945 hinaus. Es ist leider nicht so, dass Deutschland danach zur Ruhe gekommen ist.

Christian Hardinghaus, Die verlorene Generation. Gespräche mit den letzten Kindersoldaten des Zweiten Weltkriegs. Europa Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 344 Seiten, mit zahlreichen Fotos und Abbildungen, 20,00 €.


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