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Plädoyer für eine Zwei-Gruppen-Gesellschaft in Pandemiezeiten

Published On: 28. November 2021 16:03

Jens Spahn hält 2G auch im Jahr 2022 für denkbar – und noch länger. Gastautor Carl Lang hat da einen viel umfassenderen Vorschlag: wie wir eine Zwei-Gruppen-Gesellschaft gestalten könnten und welche Vorteile sich für beide Gruppen und somit die gesamte Gesellschaft daraus ergeben würden.

Wie die meisten Menschen habe ich in den letzten 18 Monaten viel über Corona-Details diskutiert. Wie hoch ist die Fallsterblichkeitsrate in welchem Alter? Wie viel bringen Masken? Welche Bedeutung hat die neueste Mutation? Rückblickend hätte ich mir viele dieser Diskussionen ersparen sollen, denn eine Einigkeit bzgl. der virologischen Fakten würde noch keine Einigkeit bzgl. der Zwangsmaßnahmen bedeuten. Wichtig ist eigentlich nur, dass wir einen gesellschaftlichen und politischen Maßnahmen-Kompromiss finden, mit dem alle zufrieden sein können. Das gilt nicht nur für jetzt, sondern auch für die Zukunft, denn wahrscheinlich wird es weiterhin neue Viren und Virusmutationen geben.

Ich argumentiere, dass wir womöglich nur durch eine Teilung unserer Gesellschaft in zwei Gruppen unsere Freiheit und unsere Rechte bewahren und gleichzeitig die Präferenzen der meisten Menschen berücksichtigen können. Ein Gedankenexperiment hilft bei der Bestimmung der Gruppenzugehörigkeit. Ich erläutere, wie wir eine Zwei-Gruppen-Gesellschaft gestalten könnten und welche Vorteile sich für beide Gruppen und somit die gesamte Gesellschaft daraus ergeben würden.

Zu welcher Gruppe gehören Sie?

Der immer gut informierte Wissenschaftsblogger Scott Alexander hat im Juli 2021 eine populärwissenschaftliche Metastudie zur Effektivität von Lockdowns veröffentlicht. Alexander ist ein Corona-Phobiker und ein Befürworter drakonischer Lockdown-Maßnahmen – es gibt also keinen Grund, davon auszugehen, dass er Covid-19 verharmlosen will. Die von ihm untersuchten Studien basieren auf westlichen Daten. Asiatische Länder wie Singapur oder Japan, die ohne Lockdowns kaum Covid-19-Tote hatten, werden bedauerlicherweise nicht berücksichtigt. Trotz alledem kommen die von Alexander ausgewerteten Studien zum Schluss, dass Lockdowns keine große Effektivität haben.

Statistisch betrachtet muss ein Mensch in den USA und Europa laut Alexander 52 Monate (also über 4 Jahre) im ununterbrochenen Lockdown hinnehmen, um einen Monat an Lebenszeit zu gewinnen. Alexander gesteht selbst ein, dass dies eine extrem maßnahmenfreundliche Schätzung ist, die auf der unrealistischen Annahme beruht, dass Lockdowns die Todeszahlen etwa halbieren, obwohl Lockdowns laut der Studienlage eigentlich nur zu einer 10- bis 20prozentigen Reduktion der Zahlen führen. Realistisch sollte man also eher von 80, 100 oder sogar 120 Lockdown-Monaten pro einem Monat Lebenszeitverlängerung ausgehen. Trotzdem benutze ich im Folgenden die 52-zu-1-Schätzung von Alexander, um die Maßnahmeneffektivität ganz gewiss nicht zu niedrig einzuschätzen.

Natürlich gelten diese Verhältnisse selten auf der Individualebene. Menschen unter 30 Jahren gewinnen statistisch eigentlich keine eigene Lebenszeit hinzu, sondern verlängern allenfalls die Lebenszeit ihrer Großeltern. Außerdem müssten die psychischen und körperlichen Belastungen (Depressionen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Alkoholismus etc.), sowie Wirtschaftsschrumpfung, Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und all die anderen negativen Nebeneffekte von Zwangsmaßnahmen berücksichtigt werden, um eine korrekte Kosten-Nutzen-Rechnung anzustellen. Viele dieser Nebenwirkungen haben langfristig eine Lebenszeitverkürzung zur Folge, die man zusätzlich gegenrechnen müsste. Für den Zweck dieses Gedankenexperimentes lasse ich all diese Einschränkungen außer Acht.

Stellen Sie sich also die Frage: Würde ich gerne 52 Monate (mehr als 4 Jahre) im ununterbrochenen Lockdown leben, um dafür einen Monat Lebenszeit zu gewinnen? Noch extremer: Würde ich gerne ein ganzes Leben (also 80 Jahre lang) ununterbrochen im Lockdown leben, um dafür dann ca. eineinhalb Jahre länger zu leben und folglich erst mit ca. 81,5 Jahren zu sterben? Oder ganz sachlich: Ist ein einziger Monat eine so wertvolle Lebenszeitverlängerung, dass er den Lebensinhaltsverlust rechtfertigt, der mit über vier Jahren im ununterbrochenen Lockdown verbunden ist?

Menschen unterscheiden sich in ihrer Risikobereitschaft, ihrer Freiheitsliebe, ihren sozialen Bedürfnissen und ihren Ängsten. Antworten auf diese Fragen werden somit individuell sein.

Maria ist ein sehr risikoscheuer Mensch. Sie verlässt grundsätzlich ungern ihr großes und schönes Haus. Sie muss normalerweise ins Büro, darf aber dank des Lockdowns im Homeoffice arbeiten. Sie liebt es, dass ihr Mann nun ebenfalls immer Zuhause ist und sich mit ihr um die Kinder kümmert, anstatt wie üblich ständig auf Geschäftsreise zu sein. Sie trägt beim Einkaufen und beim Spazierengehen gerne eine Maske, weil sie sich damit wie ein besonders guter und verantwortungsvoller Mensch fühlt. Für sie wäre ein Verhältnis von 120 zu 1 immer noch vollkommen okay. Maria wäre also bereit, als junge Mutter 10 Jahre im ununterbrochenen Lockdown zu leben, wenn sie dafür als vorerkrankte 80jährige einen Monat länger im Altersheim hätte. Konsequenterweise will sie dieses Opfer auch für andere erbringen. Maria glaubt außerdem, dass nur der Staat ein kompetenter Maßnahmen-Bestimmer ist und dass Freiheit überbewertet wird. Das Individuum sollte folglich nicht das Recht haben, eigene Risikoerwägungen anzustellen und selbstbestimmt zu handeln.

Eliot hasst den Lockdown. Er hat gar kein Problem mit den geringen Risiken, die mit einer Krankheit wie Covid-19 verbunden sind. Er fände sogar ein Verhältnis von 12 zu 1 noch inakzeptabel. Er würde also lieber auf einen Monat Lebenszeit verzichten, als auf ein Jahr Freiheit. Eliot hielt die meisten staatlichen Maßnahmen während der letzten Pandemie für unüberlegt, willkürlich und aktionistisch. Er denkt, dass es wesentlich sinnvoller wäre, das Individuum selbst über seine Sicherheitsvorkehrungen entscheiden zu lassen. Seiner Ansicht nach hat niemand das Recht, seine Mitbürger fremdzubestimmen – ganz gleich, ob man das persönlich tut oder ob man seine politischen Repräsentanten und die Polizei mit dieser Fremdbestimmung beauftragt.

So unterschiedlich die Risikobereitschaft und die politische Grundeinstellung dieser Personen auch sind: Ich glaube, wir können es allen Recht machen, indem wir parallele Strukturen schaffen.

Wie könnte eine zwei Gruppen-Gesellschaft praktisch funktionieren?

Eine „Zwei-Gruppen-Gesellschaft“ ist keine hierarchische „Zwei-Klassen-Gesellschaft“! In einer Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt es keine Wahlfreiheit. Die Unterklasse wäre gerne die Oberklasse, kann es aber nicht sein. Wie wir gleich sehen werden, ist das bei einer Zwei-Gruppen-Gesellschaft ganz anders.

Eine Zwei-Gruppen-Gesellschaft ist auch nicht utopisch. Wir tun mit unserer augenblicklichen Impfpolitik schon etwas Ähnliches. Auf der einen Seite gibt es die Gruppe der Geimpften. Diese Gruppe darf im Restaurant in Innenräumen sitzen, im Fitness-Studio trainieren, in fast alle Länder reisen und so weiter. Ihre Eintrittskarte ist der Impfausweis, der idealerweise digital auf dem Smartphone gespeichert ist und über einen einfachen Scanner gelesen werden kann. Auf der anderen Seite gibt es die Gruppe der Nicht-Geimpften. Die dürfen das alles entweder gar nicht oder nur mit einem negativen Test, den sie sogar selbst bezahlen müssen.

Ich verstehe nicht, in wessen Interesse diese Regelung sein soll. Im Interesse der Ungeimpften ist sie offensichtlich nicht und im Interesse der Geimpften – sofern Impfungen denn tatsächlich wirksam sind – ebenfalls nicht. Zumindest beweist diese Teilung aber, dass eine Zwei-Gruppen-Gesellschaft nicht unrealistisch ist.

Angenommen, im Herbst 2022 gibt es eine impfresistente Corona-Omega-Variante oder einen ganz neuen Virus namens Sars-CoV-3. Obgleich die Zwangsmaßnahmen sehr ineffektiv waren, würde es gewiss wieder noch mehr als jetzt davon geben, und zwar mindestens so lange, bis eine Impfung entwickelt wäre und alle ein Impfangebot erhalten haben. Anschließend bleiben dann trotzdem noch Maßnahmen X, Y und Z erhalten, weil viele Leute Gefallen daran gefunden haben.

Warum nicht stattdessen eine Zwei-Gruppen-Gesellschaft nach demselben Prinzip wie bei der Impfung? Eine Gruppe besteht aus Menschen, die selbstbestimmt leben wollen und die dafür gewisse Risiken in Kauf nehmen (nennen wir sie die „Selbstbestimmten“), die andere besteht aus Menschen, die sich vom Staat fremdbestimmen lassen wollen, weil sie das für sicherer halten (nennen wie sie die „Fremdbestimmten“). Die Zwei-Gruppen-Gesellschaft muss so organisiert werden, dass die Fremdbestimmten nie einen Personenkontakt zu den Selbstbestimmten haben, sonst können die Fremdbestimmten dieses Arrangement nicht akzeptieren.

Zugegeben klingen die beiden Namen, die ich hier gewählt habe, nicht ganz neutral. „Selbstbestimmt“ klingt positiv, „fremdbestimmt“ negativ. Ich habe die positiveren Begriffe „Risikobewusst“ und „Sicherheitsorientiert“ in Erwägung gezogen, aber wieder verworfen, denn Selbstbestimmte könnten durchaus sehr sicherheitsorientiert sein: Der 70jährige Tom ist ein solcher Selbstbestimmter. Er bestellt alle seine Lebensmittel, empfängt keine Besucher und geht nur noch nachts um 3 Uhr spazieren, weil er um diese Uhrzeit niemandem mehr begegnet und sogar an der frischen Luft noch eine Infektion fürchtet. Tom ist aber libertär eingestellt und lässt sich von Politikern, die er für ziemlich inkompetent hält, ungern Vorschriften machen. Wenn die Regierung eine Ausgangssperre ab 22 Uhr verhängt und Tom seinen Nachtspaziergang nicht mehr machen darf, obwohl er ja nachts spazieren will, weil es ihm tagsüber zu gefährlich ist, dann kann er das nur als Mitglied der Selbstbestimmten tun. Trotz oder sogar wegen seiner Sicherheitsorientierung kommt für Tom also nur eine Mitgliedschaft bei den Selbstbestimmten in Frage. Ein Beispiel wie Tom zeigt, dass der entscheidende Unterschied zwischen beiden Gruppen tatsächlich der Wunsch nach Selbstbestimmung bzw. nach Fremdbestimmung ist.

Eine Registrierung als Fremdbestimmter könnte die „Standardeinstellung“ (der Default) sein. Jeder ist also ein Fremdbestimmter, sofern er keine Registrierung als Selbstbestimmter beantragt. Fremdbestimmte unterliegen immer den aktuellen Vorschriften der Politik. Sofern die Politiker es gerade so vorsehen, dürfen die Fremdbestimmten also nicht in Restaurants und Cafés gehen, sie dürfen keinen Sport machen, sie unterliegen Ausgangssperren und Maskenpflichten und so weiter.

Auf der anderen Seite gibt es die Selbstbestimmten. Zu denen würde ich gehören. Man gibt mir also einen Selbstbestimmten-Ausweis und ich werde als Selbstbestimmter registriert. Für mich gibt es keine Ausgangssperren und keine Maskenpflicht. Ich kann in Cafés, Restaurants, Theater oder Kinos gehen, die von anderen Selbstbestimmten geführt und besucht werden. Ich kann mich mit anderen Selbstbestimmten treffen und mit ihnen feiern und reisen und Sport machen.

Einkaufen kann ich nur in Supermärkten, die von Selbstbestimmten geführt werden und die exklusiv von Selbstbestimmten besucht werden. Gibt es keinen solchen Supermarkt in der Nähe, dann muss ich meine Lebensmittel bestellen oder mit anderen Selbstbestimmten aus meinem Ort eine „Einkaufsgemeinschaft“ organisieren, bei der wir abwechselnd in einen weit entfernten Selbstbestimmten-Supermarkt fahren und für alle einkaufen. Falls auch das nicht möglich wäre, müsste ich eben einsehen, dass die Existenz als Selbstbestimmter in meiner Gegend nicht in Frage kommt. Dann muss ich also entweder umziehen oder ich muss mich wohl oder übel einem PCR-Test unterziehen und als Fremdbestimmter neu registrieren lassen.

Vorbild für Corona-Politik

Wenn 80 Prozent lieber fremdbestimmt sind (so wie es letztes Jahr gewesen wäre), dann würden wohl auch acht von zehn Supermärkte Fremdbestimmten-Märkte sein, in die man nur mit einem Fremdbestimmten-Ausweis gelassen wird, wobei diese Entscheidung immer beim jeweiligen Marktleiter oder Konzern liegt. Man könnte sich allerdings viele kreative Arrangements vorstellen, die es für alle einfacher machen, also bspw. einen Markt, der in zwei Abteile getrennt ist: Ein großes Abteil mit allen erdenklichen Waren für die größere Gruppe der Fremdbestimmten und ein kleineres Abteil mit geringerem Warenangebot für die Selbstbestimmten (getrennt durch eine luftdichte Wand). Oder einen Markt, in dem fünf Angestellte unbedingt fremdbestimmt sein wollen und drei Angestellte unbedingt selbstbestimmt. Da der Marktleiter keine der beiden Gruppen in eine staatlich finanzierte Pandemie-Auszeit schicken will, öffnet der Markt also vier Tage die Woche für Fremdbestimmte (immer mit denselben fünf fremdbestimmten Angestellten) und zwei Tage die Woche für Selbstbestimmte. Oder ein offener Supermarkt für Fremdbestimmte und nur ein Lieferangebot für Selbstbestimmte. Die Möglichkeiten sind endlos.

Auch bei öffentlichen Verkehrsmitteln sind Aufteilungen denkbar. Es könnte bspw. für Selbstbestimmte in den Städten ein Bus-Verbot geben, das aber nicht für eine Reihe an Sonderbussen gilt, die von selbstbestimmten Busfahrern gefahren und die deutlich gekennzeichnet werden. Bei Zügen wäre es komplizierter. Man könnte aber vielleicht die vorderen und mittleren Waggons für Fremdbestimmte und die hinteren für Selbstbestimmte reservieren und den Bahnsteig entsprechend in Zonen teilen. Falls eine Kontrolle der Gruppenmitgliedschaft oder eine Aufteilung bei manchen Bereichen zu aufwendig wäre, dann würde dieser Bereich komplett den Fremdbestimmten zufallen, solange sie in der Mehrheit sind.

Minderjährige müssten sich dem Willen ihrer Eltern unterwerfen. Schulschließungen würden auch nur für die Kinder Fremdbestimmter gelten. Die Kinder selbstbestimmter Eltern könnten also weiter die Schule besuchen, sofern es genügend selbstbestimmte Lehrer oder Freiwillige gibt, um weiter einen Unterricht zu organisieren.

Alle Wohngemeinschaften müssten sich für eine Registrierung entscheiden. Im Zweifel gewinnen immer die Fremdbestimmten (zumindest so lange, wie sie eine gesellschaftliche Mehrheit darstellen). Dasselbe würde bspw. in Alten-Pflegeeinrichtungen gelten, in denen viele Leute zusammenleben. Die allermeisten Einrichtungen wären wohl fremdbestimmt, aber wenn eine Pflegeeinrichtung sich speziell als selbstbestimmte Pflegeeinrichtung ausweist, dann könnten diejenigen, die viel zu alt sind, um noch Angst vorm Tod zu haben, dorthin ziehen und ihre letzten Monate oder Jahre glücklich und frei verbringen. Verwaltungsangestellte könnten Home-Office Vereinbarungen treffen.

In allen Bereichen, in denen Fernarbeit nicht möglich ist, könnten Angestellte sich bei staatlicher Bezahlung für die Dauer der Pandemie von der Arbeit freistellen lassen. Die Zahl solcher Freistellungen wäre aber in jedem Fall geringer, als bei Zwangsmaßnahmen für alle, weil ja nur Fremdbestimmte ein Interesse an einer Freistellung haben dürften und die meisten Selbstbestimmten weiter arbeiten und konsumieren würden. Also am Beispiel Gastronomie: Es kostet natürlich mehr, 100 Prozent aller Gastronomen staatlich zu unterstützen, als nur die 70 Prozent, die sich fremdbestimmen lassen wollen.

Die Strafen für ein unberechtigtes „Eindringen“ ins andere Lager könnten erheblich sein. Wenn ich als Selbstbestimmter bspw. in einem Zug oder Bus erwischt werde, der nur von Fremdbestimmten benutzt werden darf, dann muss ich ein Monatsgehalt an Strafgebühren zahlen und ich verliere meine Registrierung.

Krankenhausbetten wären die Ressource, die den Fremdbestimmten wohl am wichtigsten wäre. Die Selbstbestimmten müssten also bei der Registrierung ihr Einverständnis abgeben, dass bei einer Erkrankung mit dem pandemischen Virus die Fremdbestimmten bevorzugt werden. Beim Sars-CoV-2 Virus wäre das egal gewesen, weil es auch ohne Zwangsmaßnahmen immer genügend Betten gegeben hätte. Bei einem neuen Virus könnte das aber theoretisch anders sein.

Vorteile einer Zwei-Gruppen-Gesellschaft

Für Selbstbestimmte hätte eine Zwei-Gruppen-Gesellschaft nach diesem Muster offensichtliche Vorteile. Sie könnten unabhängig von Impfungen und Inzidenzen während der gesamten Pandemie ein relativ freies Leben führen. Besonders für Stadtbewohner dürfte das Angebot an selbstbestimmten Supermärkten, Bussen, Restaurants, Cafés, Fitness-Studios, Nachtclubs, Theatern und so weiter vollkommen ausreichen. Manche müssten noch nicht einmal ein erhöhtes Risiko in Kauf nehmen. Für einen 20jährigen Studierenden war das Risiko durch Covid-19 nie höher als bei der Grippe.

Die Fremdbestimmungs-Befürworter werden sich aber vielleicht fragen, welche Vorteile sie von so einer Zwei-Gruppen-Gesellschaft hätten, weil es ihnen ja bislang in einer Ein-Gruppen-Gesellschaft sehr gut gelungen ist, einfach alle Mitbürger ihrem Willen zu unterwerfen und erfolgreich fremdzubestimmen.

Das ist aber zu kurz gedacht. Auch für den egoistischsten Fremdbestimmten hätte eine solche Vorgehensweise große Vorteile:

Mehr Betten! Wenn es 30 Prozent Selbstbestimmte gäbe, dann gäbe es 30 Prozent der Bevölkerung, die ihnen gewiss kein Krankenhausbett wegnehmen werden, und das war ja immer die Hauptsorge der Fremdbestimmten.

Mehr Geld! Zwangsmaßnahmen sind sehr teuer und sehr wirtschaftsschädlich. Die Selbstbestimmten halten durch ihren vergleichsweise normalen Lebensstil einen Teil der Wirtschaft am Laufen. Dadurch nimmt der Staat auch mehr Steuern ein, die allen zu Gute kommen.

Mehr Sicherheit! Auch ohne eine offizielle Zwei-Gruppen-Gesellschaft gibt es bei staatlich verordneten Zwangsmaßnahmen viele Menschen, die diese Vorschriften einfach ignorieren. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe dafür, warum Zwangsmaßnahmen so ineffektiv sind. Es wird den Fremdbestimmten kaum gelingen, ihren Polizeistaat so auszubauen, dass sie jeden Regelverstoß verhindern und ahnden können. Eine wirkliche Sicherheit der Fremdbestimmten vor ihren freiheitsorientierten Mitbürgern kann also nur erreicht werden, wenn man beide Gruppen konsequent voneinander trennt.

Bessere Forschung! Die Wissenschaft hätte eine Kontrollgruppe für die Überprüfung von Maßnahmeneffektivität.

Mehr Demokratie! Eine solche Zwei-Gruppen-Gesellschaft wäre wie ein demokratisches Thermometer. Anhand der aktuellen Registrierungen für Selbst- oder Fremdbestimmung könnte man viel genauer messen, wie der augenblickliche Wille des Volkes tatsächlich ist. Umfragen sind ein vergleichsweise ungenaues Instrument, weil Befragte oft nur sagen, was sozial erwünscht ist, oder weil sie freiwillige Maßnahmen mit Zwangsmaßnahmen verwechseln. Eine Registrierung als Selbst- oder Fremdbestimmter würde die Menschen außerdem dazu anregen, sich ihrer Präferenzen wirklich bewusst zu werden und reflektierter zu leben. Es kann einer Demokratie nur gut tun, wenn Bürger zumindest die Option haben, sich wie Erwachsene zu verhalten und eigene Entscheidungen zu treffen.

Weniger Polarisierung und Desinformation! Viele Corona-Warn-Karrieristen beklagen die Verbreitung von „Desinformationen“, sowie eine „Politisierung“ des Themas und eine „Polarisierung“ der Gesellschaft. Sie fordern mehr „Sachlichkeit“, „Wissenschaftlichkeit“ und „Faktenorientierung“, ohne sich selbst an die eigenen Forderungen zu halten.

Solche Probleme sind bei unserem bisherigen Vorgehen aber garantiert. Auf der einen Seite hat man Millionen von Bürgern, die um ihren Beruf fürchten und denen man mit Polizeigewalt grundlegende Verfassungsrechte wie Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit genommen hat. Auf der anderen Seite hat man Millionen von Bürgern, die glauben, ihr nacktes Überleben hänge davon ab, die Ausübung solcher Rechte bei allen zu verhindern. Politischer und polarisierender kann ein Konflikt gar nicht sein!

Wenn gefühlt so viel davon abhängt, dass die eigene Seite Recht hat, dann ist der „Confirmation Bias“ (Bestätigungsfehler) allgegenwärtig. Um in diesem weltanschaulichen Konflikt neues Territorium zu gewinnen, glauben beide Seiten an die absurdesten Thesen, schließen von ein paar Anekdoten auf die ganze Gesellschaft und verbreiten über die sozialen Medien Übertreibungen, Desinformationen und Gerüchte.

Mit einer Zwei-Gruppen-Gesellschaft wäre diese negative Dynamik ausgehebelt. Es ginge nicht mehr um Freiheit oder um „Überleben“. Niemand wäre dem Kollektivwillen wahllos ausgeliefert. Fakten wären keine Waffe im Kampf um Fremd- oder Selbstbestimmung, sondern eine persönliche Entscheidungshilfe.

Mehr Toleranz und Freiheit! Die meisten Fremdbestimmten finden Sicherheit sehr wichtig und Freiheit vergleichsweise unwichtig, aber sind sie deshalb fanatische Freiheitfeinde und passionierte Autoritarismus-Befürworter? Falls nicht, sollten auch sie ein Interesse daran haben, die Präferenzen ihrer andersdenkenden Mitbürger zu respektieren, zumal das für sie selbst von Vorteil wäre.

Fazit

Gewiss wäre die Organisation einer Zwei-Gruppen-Gesellschaft nicht unkompliziert, wobei – um das noch einmal zu wiederholen – die Gesellschaft im Augenblick ja auf eine ähnliche Weise in Geimpfte und Ungeimpfte geteilt wird.

Mir persönlich hätte es sehr gut gefallen, in den letzten 18 Monaten nur von Leuten umgeben zu sein, die wie ich Freiheit und Selbstbestimmung zu schätzen wissen. Ich assoziiere mit freiheitsorientierten Menschen ein gesundes Verhältnis zur Sterblichkeit, einen Respekt vor den Rechten des Individuums und eine große persönliche Reife.

Die Risikoakzeptanz verschiedener Menschen geht offenkundig so stark auseinander, dass wir keinen Konsens erreichen werden und nur eine Teilung der Gesellschaft diese Konflikte lösen kann. Anstatt also ständig über epidemiologische Fakten und die richtige Reaktion darauf zu diskutieren, sagen wir doch einfach: „Ja zu Zwangsmaßnahmen – aber nur für jene, die sie wollen!“


Carl Lang betätigt sich nach einem Studium der Literaturwissenschaft, Linguistik und Philosophie als Essayist und Liedtexter. Er fühlt sich keinem politischen Lager zugehörig und interessiert sich besonders für Moralphilosophie und Religionskritik.

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