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Anne Spiegel als neue Familienministerin: Signalpolitikerin statt Umsetzerin

Published On: 3. Dezember 2021 11:05

Anne Spiegel blüht auf in vollster Pracht, wenn sie ein Schild in eine Kamera halten kann, auf dem eine Forderung steht. Die Verwirklichung liegt ihr nicht. Ihr Erfolgsgeheimnis als Landesministerin in Rheinland-Pfalz: Ruhe bewahren und geschickt kommunizieren.

IMAGO / Thomas Frey

Die designierte Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne)

Die Rheinland-Pfälzerin Anne Spiegel gehört zu den weniger bekannten Gesichtern im neuen Bundeskabinett. Die vierfache Mutter wird das Familienministerium übernehmen. Für ihren Landesverband bedeutet Spiegels Beförderung das Ende einer Ära. Eine Anekdote aus der Gründungszeit der Grünen erzählen sich die Mitglieder im Landesverband gerne: Joschka Fischer sei einst gefragt worden, ob die rheinland-pfälzischen Grünen eher Fundis oder Realos seien und er habe mit „Banalos“ geantwortet. Zwei Momente mögen diejenigen an der Anekdote, die sie gerne erzählen: Zum einen umschreibt das Wort „Banalos“ die alten Grünen in Rheinland-Pfalz recht treffend; und zum anderen hat sich der Gottvater der Grünen überhaupt mal mit ihnen beschäftigt.

Denn die Rheinland-Pfälzer spielten im Bundesverband lange keine Rolle. Nicht mal ihr Spitzenpersonal wurde in den Vorstand gewählt – auch nicht in den erweiterten. Doch das änderte sich im März 2011 allmählich. Erst brachte ein Tsunami Tausende Tote über das japanische Fukushima, dann kam es im dortigen Kernkraftwerk zu einem Super-GAU. In Deutschland hatte das zweite Kabinett Merkel gerade die Laufzeit verlängert, jeden Montag gab es dagegen bundesweit Demos; und zwei Wochen nach dem atomaren GAU wurde in Rheinland-Pfalz gewählt: Die Grünen kamen aus der außerparlamentarischen Opposition und schossen nun mit 15,4 Prozent in den Landtag. Bis dato lag ihr Rekordergebnis bei 6,9 Prozent, die sie 1996 auf dem Höhepunkt der bundesweiten Kohl-Müdigkeit erzielt hatten.

2011 war Anne Spiegel mit dem sicheren Listenplatz sieben angetreten. Auch ohne Fukushima wäre sie wahrscheinlich in den Landtag eingezogen. In eine kleine Fraktion, wie sie die Grünen kannten – mit sechs oder sieben Abgeordneten. Jetzt waren es aber 18. Darunter welche, die nur eingezogen waren, weil ein dreiviertel Jahr zuvor, auf dem Listenparteitag niemand mit einem solchen Ergebnis gerechnet hatte und scheinbar aussichtslose Plätze en bloc an Kandidaten und Kandidatinnen vergeben wurden, die bei den Abstimmungen um die vorderen Plätze durchgereicht worden waren.

Die Arbeit in einer Fraktion mit vielen Anfängern war chaotisch. Das Sagen hatten Männer: der Fraktionsvorsitzende Daniel Köbler, der parlamentarische Geschäftsführer Nils Wiechmann, der Strippenzieher Bernhard Braun oder Ulrich Steinbach. Bevor die Grünen 2006 aus dem Landtag geflogen waren, war er Geschäftsführer. Nun vereinte er als fachpolitischer Sprecher die Schlüssel-Ressorts Finanzen und Wirtschaft unter sich – während es gleich mehrere bildungspolitische Sprecher gab. Spiegel wurde wie Jutta Blatzheim-Roegler stellvertretende Fraktionsvorsitzende – so blieb die Quote erfüllt.

Nach Versagen im Land auf in den Bund

Spiegel zeigte sich in dieser Phase ruhig. Wenn die Männer ein Thema nicht wollten, steckte sie zurück. Viele Machoattituden nahm sie hin, intervenierte nur, wenn in Rundmails harte Ausdrücke fielen. Sie machte ihre Arbeit still, aber sie machte sie. Obwohl die Strukturen auf eine kommende Wahlniederlage vermuten ließen. Und tatsächlich: Mit 5,3 Prozent wären die Grünen 2016 fast wieder aus dem Landtag geflogen. Das bisherige Führungspersonal musste nach der Niederlage gehen: Wirtschaftsministerin Eveline Lemke, Köbler und die Integrationsministerin Irene Alt, die sich schwer damit tat, Etats einzuhalten, und so ihre Partei immer wieder zwang, Kröten zu schlucken, damit der Koalitionspartner SPD half, die Lücken zu decken. Spiegel übernahm Alts Ministerium, das als Konsequenz der Wahlniederlage verkleinert wurde – sodass Spiegel nicht mehr viele Ressourcen übrig blieben. Statt gestalten zu können, musste die junge Ministerin meist reagieren. Und tat sich damit schwer. In der ersten Hälfte der Wahlperiode stand sie unter Dauerfeuer. Der Hauptvorwurf: Sie bekomme vor Ort die Folgen der Merkelschen Flüchtlingspolitik nicht in den Griff.

Spiegel ist ausgemachte Signalpolitikerin. Sie blüht in vollster Pracht, wenn sie ein Schild in eine Kamera halten kann, auf dem eine Forderung steht: Mindestens die Hälfte der Abgeordneten sollten in Parlamenten Frauen sein. Zum Beispiel. Weniger gut ist sie in der Umsetzung. Ein Gesetz, an dem sie im Hintergrund mitwirkte, scheiterte krachend. Mit dem Gesetz sollte sichergestellt werden, dass der Anteil an Frauen in den kommunalen Parlamenten steigt. Doch es war schlicht verfassungswidrig.

Aber Spiegel blieb ruhig. Sie holte sich erfahrene Männer in ihr Haus: den ehemaligen Mainzer Kreisvorsitzenden Giuseppe Lipani und den Landeskorrespondenten der Rhein-Zeitung, Dietmar Brück. Vor ihm war die Kommunikations-Abteilung des Hauses die schlechteste im Regierungsviertel – unter ihm wurde sie die beste. Aus dem Problem der Grünen wurde ihr Aushängeschild. Zumal ihr die Bundespolitik zur Hilfe kam. Die Kanzlerin räumte zu Beginn des 2017er Wahlkampfs das Thema „Ehe für alle“ ab. Ein Gesetzesentwurf, den Merkels Union nun durchwinkte, lag schon vor. Der kam aus Rheinland-Pfalz. Zwar war er noch unter der Federführung von Alt entstanden, doch nun war Spiegel die verantwortliche Ministerin – und genau die richtige, um diesen Erfolg medial zu verkaufen.

Und weil Spiegel es verstand, den neuen Fraktionsvorsitzenden Braun – wie sie aus der Pfalz – auf ihre Seite zu ziehen, hatte sie den Landesverband im Griff. 2021 wurde sie die Spitzenkandidatin und holte mit 9,3 Prozent das zweitbeste Ergebnis in der Geschichte des Landesverbandes. Spiegel wurde stellvertretende Ministerpräsidentin, Umweltministerin und noch wichtiger: Sie schaffte es als erste rheinland-pfälzische Grüne auf die Gästeliste bundesweiter Talkshows. Damit hatte sie auch das Ticket fürs Bundeskabinett gelöst. Zumal sie dort zwei Quoten bedient: zum einen die Frauenquote, zum anderen die der Linken. Denn die Rheinland-Pfälzer gelten mittlerweile als links. Auch wenn sie sich immer noch gerne erzählen, dass Fischer sie einst Banalos genannt hat.

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