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Die Notenbanken vor der Scheinalternative: Inflation oder Rezession?

Published On: 24. Februar 2022 18:38

Helmut Schmidt waren einst 5 Prozent Inflation lieber als 5 Prozent Arbeitslosigkeit. Kurz darauf erntete er beides. Gibt es heute ein Déjà-vu angesichts der Zinswende?

IMAGO / Fotostand

Die Europäische Zentralbank (EZB) steht bei der nächsten Ratssitzung am 10. März vor einem Dilemma

Die Inflation galoppiert. Noch nie seit 1949 sind die Erzeugerpreise in einem Monat im Vorjahresmonatsvergleich so explodiert wie im Januar 2022: um 25 Prozent. Kostentreiberin ist zwar hauptsächlich die teure Energie. Doch der Preiserhöhungstrend verfestigt sich in immer mehr wirtschaftlichen Sektoren. Hohe Energiekosten verteuern auf allen Stufen der Wertschöpfung Produktion und Distribution und werden in diesem Jahr immer stärker auf das gesamte Preisniveau durchschlagen. Angesichts der aktuellen Ukraine-/Russland-Krise und dem beginnenden Sanktionsregime braucht man kein Prophet zu sein, um einen weiteren Preis-Push für Erdgas und Öl vorherzusagen.

Dass die Gewerkschaften deshalb in der kommenden Tarifrunde Lohnabschlüsse durchsetzen, die über der Inflationsrate liegen, kann als sicher gelten. Große Lohnrunden stehen unter anderem in der Metallindustrie mit ihren 3,8 Millionen und in der Chemieindustrie mit ihren knapp 600.000 Beschäftigten an. Für eine signifikante Entspannung an der Inflationsfront gibt es also keine Anzeichen, es sei denn, man glaubt an das Narrativ von der Lieferkettenproblematik infolge der Corona-Pandemie, die sich nach und nach auflöst.

Deshalb stehen die Notenbanken immer stärker unter Druck, etwas gegen die Geldentwertung zu unternehmen. Die US-Notenbank wird im März eine erste kleine Zinserhöhung beschließen und damit als größte Notenbank der Welt die bereits angekündigte Zinswende einleiten. Politisch wird die Zinserhöhung in den USA bis hinauf zum Präsidenten positiv flankiert, weil vor allem die steigenden Energiekosten die Bürgerwut auf das politische Establishment schüren.

Gleichzeitig ist aber auch die Angst vor einer zu starken Bremswirkung einer wirklichen Zinswende an den Finanzmärkten und ihrem publizistischen Umfeld mit Händen zu greifen. Denn sie fürchten den Kollaps der Vermögenspreisblasen, die sich wegen der scheinbar unbegrenzten Geldschöpfung und im Niedrigzinsumfeld an den Börsen und im Immobilienmarkt aufgebaut haben. Wie Junkies an der Heroinnadel hängen die Finanzmärkte an den Injektionen der Notenbanken.

Die Europäische Zentralbank (EZB) steht bei der nächsten Ratssitzung am 10. März vor einem besonderen Dilemma. Im Gegensatz zur US-Notenbank hat sie die Inflation lange als „vorübergehend“ eingestuft, um ihre exzessive Geldpolitik nicht in Frage zu stellen. Doch angesichts der nackten Zahlen müssen selbst die „Tauben“, die Vertreter einer laxen Geldpolitik im EZB-Rat, inzwischen das Wort Inflation in den Mund nehmen. Während sich Österreichs Zentralbank-Gouverneur Robert Holzmann, ein Vertreter der geldpolitischen „Falken“, im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, für 2022 zwei Zinsschritte von der EZB wünscht und sogar einen Richtwert von 1,5 Prozent Leitzins propagiert, hält sich die Tauben-Mehrheit mit öffentlichen Vorfestlegungen zurück.

Zurück zu einem soliden Finanzwesen!

Während in den USA eine zu starke Zinswende vor allem Rezessionsängste hervorruft, machen sich Europas Notenbanker mehr Sorgen um die Zahlungsfähigkeit der Hochschuldenländer im Euro-Raum. Italien, Portugal, Spanien und Frankreich vor allem würde eine Zinserhöhung mittelfristig stark treffen, weil die Refinanzierungskosten ihrer Staatsschulden deutlich zunähmen. Dass die aktuelle EZB-Geldpolitik aber eine förmliche Einladung zur schrankenlosen Staatsverschuldung darstellt, übersieht die Mehrheit im EZB-Rat. Denn die Abschaffung des Zinses und die Garantenstellung der EZB, die mit ihren Anleihekäufen die risikolose Fremdfinanzierung selbst der höchstverschuldeten Euro-Staaten sichert, ist dafür verantwortlich.

Statt sich um ihre originäre Aufgabe, die Sicherung der Geldwertstabilität, zu kümmern, monetarisiert die EZB vertragswidrig die Staatsschulden. Zwar läuft das Notfall-Anleihekaufprogramm PEPP im Monat März aus, dafür aber wird nach aktuellem Stand das alte APP-Programm von monatlich 20 Milliarden Euro kurzfristig übergangsweise sogar aufgestockt. Erst wenn dieses APP-Programm auf netto null gestellt ist, also nur noch auslaufende Papiere ersetzt werden, wird sich eine Mehrheit im EZB-Rat wohl auf die Anhebung des entscheidenden Einlagenzinssatzes für Geschäftsbanken (derzeit minus 0,5 Prozent) verständigen.

Dieser Negativzins hat immer mehr Banken dazu veranlasst, auch ihren Privatkunden negative Zinsen als Verwahrentgelte in Rechnung zu stellen. Österreichs Zentralbank-Gouverneur Holzmann positioniert sich in der NZZ klar zum Primat der Inflationsbekämpfung durch die EZB, nimmt damit aber eine Minderheitenposition ein: „Es ist ganz klar, dass die Senkung der Staatsschulden die Aufgabe der Finanzminister ist. Darauf kann die EZB keine Rücksicht nehmen.“

Das Dilemma bringt Daniel Stelter in einem Beitrag im Handelsblatt auf den Punkt. Noch aggressiver als die US-Notenbank Fed habe die EZB durch milliardenschwere Wertpapierkäufe ihre Bilanzsumme seit 2010 in Relation zum BIP auf 60 Prozent verdreifacht. Vordergründig sei das als Mittel zur Bekämpfung der Deflation hochstilisiert worden. In Wahrheit dienten diese Käufe aber nur zur Stabilisierung der Euro-Zone, um einen Zinsanstieg für hochverschuldete Staaten zu verhindern. Auch global erreicht die Verschuldung immer neue Höchststände, wie Stelter beschreibt. Inzwischen liegt sie bei 355 Prozent des globalen BIP.

Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass mehr als 40 Prozent des weltweiten Vermögenszuwachses seit dem Jahr 2000 auf gesunkene Zinsen zurückzuführen sind. Die Bank of America führt mehr als 50 Prozent des Kursanstiegs der US-Börsen seit 2010 auf die US-Notenbank zurück. Die Zeitschrift „Economist“ schätzt, dass ein Zinsanstieg von zwei Prozent die Zinsbelastung um 50 Prozent auf 18 Prozent des Welt-BIP steigern würde.

Daraus schlussfolgert Stelter, dass Geld billig bleiben muss, weil sonst eine massive Schuldenkrise, ein Kollaps an den Vermögensmärkten und eine tiefe Rezession drohten. Angesichts des schwachen wirtschaftlichen Wachstums der Euro-Zone von nur 0,3 Prozent im letzten Quartal 2021 hätte die EZB in normalen Zeiten tatsächlich keinen Grund, auf die Bremse zu treten. Doch nach einem Jahrzehnt der ultralockeren Geldpolitik stecken die Notenbanken, allen voran die EZB aufgrund der besonderen Umstände im Euro-Raum, in der Sackgasse. Reagieren sie nicht auf die Inflation, droht eine Wiederkehr der 1970-er Jahre, als eine „vorübergehende“ Inflation dauerhaft wurde. Reagieren sie, drohen sie die Welt in die Krise zu stürzen.

Stelters fatalistische Einschätzung: Wegen der geschaffenen Liquidität und fehlender Wehrhaftigkeit der Notenbanken wird die Inflation in den kommenden Jahren zum chronischen Problem werden. Stelter hält diese Entwicklung im Vergleich zu den Folgen deutlicher Zinserhöhungen für das kleinere Übel. In dem Punkt will ich Stelter entschieden widersprechen: Gerät die Inflation zum Dauerphänomen, platzen über kurz oder lang die Vermögenspreisblasen trotzdem. Eine tiefe Rezession und die politische Destabilisierung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wären die Folge. Das halte ich nicht für das kleinere Übel.

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