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«Ukrainer zahlen für die Ignoranz der NATO»

Published On: 9. März 2022 0:03

Veröffentlicht am 9. März 2022 von LK.

Durch die russische Invasion in der Ukraine werden die Spannungen zwischen der NATO und Moskau noch weiter verschärft. Diese Meinung vertritt der US-amerikanische Autor und Politikwissenschaftler Ted Galen Carpenter. Die britische Tageszeitung The Guardian hat am 28. Februar einen Artikel von ihm veröffentlicht. «Der neue Kalte Krieg des Westens mit Russland ist heiss geworden», schreibt Carpenter. Wladimir Putin trage die Hauptverantwortung für diese jüngste Entwicklung, aber auch die arrogante Politik der NATO gegenüber Russland während des letzten Vierteljahrhunderts habe ihren Anteil dazu beigetragen.

Carpenter weist darauf hin, dass Analysten seit mehr als einem Vierteljahrhundert davor gewarnt hätten, dass eine weitere Ausweitung des mächtigsten Militärbündnisses der Geschichte nicht gut ausgehen würde. Der Krieg in der Ukraine bestätige dies nun. Auch Carpenter warnte bereits seit langem vor den Konsequenzen der NATO-Osterweiterung. In seinem Buch «Beyond Nato: Staying Out of Europe’s Wars» schrieb Carpenter schon 1994:

«Es wäre ausserordentlich schwierig, die NATO nach Osten zu erweitern, ohne dass diese Massnahme von Russland als unfreundlich angesehen würde. Selbst die bescheidensten Pläne würden das Bündnis an die Grenzen der alten Sowjetunion bringen. Einige der ehrgeizigeren Versionen würden dazu führen, dass das Bündnis die Russische Föderation praktisch umschliesse.»

Zur damaligen Zeit, erklärt Carpenter im Guardian-Artikel weiter, dienten NATO-Erweiterungsvorschläge lediglich als Lehrstoff für aussenpolitische Seminare in New York und Washington. Er warnte davor, dass eine Erweiterung «eine unnötige Provokation Russlands darstellen würde».

Laut Carpenter war damals nicht öffentlich bekannt, dass die Regierung von Bill Clinton bereits im Jahr zuvor die verhängnisvolle Entscheidung getroffen hatte, auf die Aufnahme einiger ehemaliger Warschauer-Pakt-Länder in die NATO zu drängen. Die Regierung schlug vor, dass Polen, die Tschechische Republik und Ungarn Mitglieder werden sollten, und der US-Senat stimmte 1998 der Aufnahme dieser Länder in den Nordatlantikvertrag zu. Dies war die erste von mehreren Erweiterungswellen der NATO-Mitgliedschaft. Für Carpenter stand seit langem fest, dass diese Politik zu einer Tragödie führen würde. Jetzt zahlten wir den Preis für die Arroganz der USA.

Schon diese erste Phase in den 1990er-Jahren habe russischen Widerstand und Zorn hervorgerufen. Carpenter verweist darauf, dass Madeleine Albright, Clintons Aussenministerin, in ihren Memoiren eingeräumt habe, dass «[der russische Präsident Boris] Jelzin und seine Landsleute die Erweiterung strikt ablehnten. Dies, weil Russland darin eine Strategie sah, mit der ihre Verwundbarkeit ausgenutzt und sich dadurch auch die europäische Trennlinie nach Osten verschieben würde. Hierdurch würden sie isoliert bleiben».

Strobe Talbott, der unter Clinton-Administration stellvertretender Aussenminister war, habe die russische Haltung in ähnlicher Weise beschrieben. «Viele Russen sehen die NATO als ein Überbleibsel des Kalten Krieges an, das sich gegen ihr Land richtet. Sie verweisen darauf, dass sie den Warschauer Pakt, ihr Militärbündnis, aufgelöst haben, und fragen, warum der Westen die NATO aufrechterhält.»

Carpenter zufolge ist dies eine ausgezeichnete Frage, auf die weder die Clinton-Regierung noch ihre Nachfolger eine auch nur annähernd überzeugende Antwort gefunden hätten. Der Autor und Politikwissenschaftler erinnert daran, dass selbst George Kennan in einem Interview mit der New York Times im Mai 1998 nachdrücklich davor gewarnt habe, was die Ratifizierung der ersten Erweiterungsrunde der NATO durch den Senat in Gang setzen würde (wir berichteten). Kennan war der geistige Vater der amerikanischen Eindämmungspolitik während des Kalten Krieges.

«Ich glaube, dass dies der Beginn eines neuen Kalten Krieges ist», habe Kennan damals gesagt. Und weiter: «Ich gehe davon aus, dass die Russen allmählich ziemlich negativ reagieren werden, und es ihre Politik beeinflussen wird. Ich denke, es ist ein tragischer Fehler. Es gab überhaupt keinen Grund für diese Aktion. Niemand bedrohte einen anderen.»

Kennan habe Recht gehabt. Dazu Carpenter weiter: «Die Staats- und Regierungschefs der USA und der NATO fuhren mit neuen Erweiterungsrunden fort, einschliesslich des provokativen Schrittes, die drei baltischen Republiken hinzuzufügen. Diese Länder waren nicht nur Teil der Sowjetunion, sondern auch Teil des russischen Imperiums während der Zarenzeit gewesen. Durch diese Expansionswelle stand die NATO nun an der Grenze der Russischen Föderation.»

Die Geduld Moskaus mit dem immer aufdringlicheren Verhalten der NATO sei langsam zu Ende gegangen. Die letzte freundliche Warnung gegenüber dem Westen datiere auf den März 2007. Damals sprach Putin auf der jährlichen Münchner Sicherheitskonferenz. «Die NATO hat ihre Fronttruppen an unsere Grenzen verlegt», soll sich Putin beklagt haben. Die NATO-Erweiterung stelle eine ernsthafte Provokation dar, die das gegenseitige Vertrauen verringere. Der russische Präsident fragte sich damals, gegen wen diese Erweiterung gerichtet und was aus den Zusicherungen geworden sei, welche die westlichen Partner nach der Auflösung des Warschauer Paktes gegeben haben.

Carpenter wirft zudem ein Licht auf die Memoiren von Robert M. Gates. Er fungierte sowohl unter George W. Bush als auch unter Barack Obama als Verteidigungsminister. Gates schrieb in seinen Memoiren, dass «die Beziehungen zu Russland nach dem Ausscheiden von [George HW] Bush aus dem Amt im Jahr 1993 schlecht gemanagt wurden».

Neben anderen Fehltritten «waren die US-Vereinbarungen mit der rumänischen und der bulgarischen Regierung über die Rotation von Truppen durch Stützpunkte in diesen Ländern eine unnötige Provokation», so Gates. Carpenter verdeutlicht, dass Gates in einer Rüge an den jüngeren Bush behauptete, dass «der Versuch, Georgien und die Ukraine in die NATO zu holen, wirklich zu weit ging». Dieser Schritt sei ein «Fall von rücksichtsloser Missachtung dessen, was die Russen als ihre eigenen vitalen nationalen Interessen betrachten».

Später habe der Kreml gezeigt, dass seine Unzufriedenheit mit den anhaltenden Übergriffen der NATO auf die russische Sicherheitszone über verbale Einwände hinausging. Moskau habe eine törichte Provokation der pro-westlichen georgischen Regierung genutzt, um eine Militäroffensive zu starten, die russische Truppen bis an den Rand der Hauptstadt brachte. Danach trennte Russland zwei abtrünnige georgische Regionen endgültig ab und stellte sie unter russische Kontrolle.

Die führenden Politiker des Westens (insbesondere der USA) haben laut Carpenter jedoch weiterhin eine rote Warnlampe nach der anderen ausgeschaltet. Die Einmischung der Obama-Regierung in die innenpolitischen Angelegenheiten der Ukraine in den Jahren 2013 und 2014 bezeichnet der Politikwissenschaftler als die «unverschämteste» Provokation, die zu einem Anstieg der Spannungen geführt habe. Die Obama-Regierung hatte Demonstranten beim Sturz des damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch unterstützt. Moskau reagierte sofort mit der Annexion der Krim, und ein neuer Kalter Krieg war in vollem Gange.

Hätte die Ukraine-Krise vermieden werden können?

Für Carpenter waren die Ereignisse der vergangenen Monate die letzte Chance, einen heissen Krieg in Osteuropa zu vermeiden. Putin habe von der NATO Garantien in mehreren Sicherheitsfragen verlangt. So habe der Kreml gefordert, dass die Allianz den Umfang ihrer wachsenden Militärpräsenz in Osteuropa verringert und der Ukraine niemals eine Mitgliedschaft anbieten würde. Diese Forderungen habe Putin mit einer massiven militärischen Aufrüstung an den Grenzen zur Ukraine untermauert.

Die Regierung Biden sei auf die Forderungen jedoch nicht eingegangen und habe Russland bis zuletzt keine Sicherheitsgarantien gewährt, so Carpenter weiter. Daraufhin habe sich Putin eindeutig für eine Eskalation entschieden. Der Versuch Washingtons, die Ukraine zu einem politischen und militärischen Spielball der NATO zu machen (auch ohne formelle Mitgliedschaft des Landes in der Allianz), könnte das ukrainische Volk am Ende teuer zu stehen kommen. Die Geschichte werde zeigen, dass Washingtons Umgang mit Russland in den Jahrzehnten nach dem Untergang der Sowjetunion ein politischer Fehler epischen Ausmasses gewesen sei. Carpenter kommt zum Fazit:

«Es war vorhersehbar, dass die NATO-Erweiterung letztlich zu einem tragischen, vielleicht gewaltsamen Abbruch der Beziehungen zu Moskau führen würde. Aufmerksame Analysten haben vor den wahrscheinlichen Folgen gewarnt, aber diese Warnungen wurden nicht beachtet. Jetzt zahlen wir den Preis für die Kurzsichtigkeit und Arroganz des aussenpolitischen Establishments der USA.»

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Ted Galen Carpenter ist leitender Wissenschaftler des Insituts für Politikforschung Cato Institute in Washington D.C. Er ist auf die Themen Verteidungs- und Aussenpolitik spezialisiert und hat zwölf Bücher über internationale Politik geschrieben.

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