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Erst versagen Politiker – und danach predigen sie Verzicht

Published On: 22. März 2022 10:40

Putins Ukraine-Krieg hat auch die strategische Ausrichtung Deutschlands über den Haufen geworfen. Doch kaum ein Politiker gesteht eigene Fehler ein. Stattdessen sollen wieder einmal die Bürger für die Versäumnisse geradestehen und in düsteren Zeiten den Gürtel enger schnallen.

imago Images/Political Moments

Nichts tun Politiker in jüngster Zeit lieber als „Zeichen setzen“. Ständig fordern sie die Bürger auf, für oder gegen alles Mögliche endlich „Zeichen zu setzen“. Das passiert vor allem dann, wenn die von ihnen betriebene Politik versagt. Die „Zeichen“ sollen offenbar davon ablenken, dass die Welt ihnen aus dem Ruder läuft. Statt nachzudenken über die wahren Ursachen, sollen die Bürger dann aufmarschieren, Wink-Elemente schwenken, Strom und Gas sparen, kein Fleisch essen, Fahrrad statt Auto fahren, aber besonders gerne den Gürtel enger schnallen. Plötzlich haben westliche Werte ihren alltäglichen teuren Preis.

Roderich Kiesewetter von der Christlich-Demokratischen Union ist so ein Prophet des Zeichensetzens. Der 58-jährige Baden-Württemberger aus dem Wahlkreis Aalen-Heidenheim sitzt seit 2009 im Bundestag. 2021 konnte er noch einmal mit 37 Prozent als Direktkandidat in das mit 736 Mitgliedern größte deutsche Parlament aller Zeiten einziehen.

Kiesewetter war Oberst der Bundeswehr, trieb sich in vielen Führungsstäben herum und die „Eiserne Ration“ für Soldaten kennt er bestenfalls nur noch vom Hörensagen. Strom, Gas und Essen sparen oder gar den Gürtel enger schnallen (derzeit sein Lieblingsappell an uns Bürger) musste er mit Sicherheit nie. Der Fahrdienst beim Bund und im Bundestag war ihm stets ein Freund.

Der hart arbeitende Steuerzahler alimentiert so einen Bundestagsabgeordneten immerhin mit monatlich üppigen 10.012,89 Euro Diäten sowie noch einer steuerfreien Aufwandspauschale in Höhe von 4.583,39 Euro im Monat obendrauf. Hinzu kommen noch die Vorzüge einer DB-Bahncard 100 für die 1. Klasse im Wert von 7.010 Euro im Jahr, Inlandsfreiflüge bei der Lufthansa, Taxifahrten in Berlin, der Bundestagsfahrdienst und noch einiges mehr. Wenn alles im politischen Sonderversorgungssystem läuft wie üblich, erhöhen sich dieses Jahr die Diäten noch um 310,40 Euro pro Monat

Politiker haben schon immer alles besser gewusst

Wer in so einem politischen Elfenbeinturm seit über zwölf Jahren sitzt, hat schon immer vieles besser gewusst. Im Grunde konnte doch Oberst a.D. Kiesewetter Kreml-Herrscher Wladimir Putin nie über den Weg trauen. Umso härter müsse die westliche Welt jetzt gegen den Aggressor vorgehen. Schließlich hatte Kiesewetter während seiner „Verwendung“ sogar „dienstliche Aufenthalte“ im erfolglosen Afghanistan-Krieg des Westens für Freiheit und Menschenrechte.

Vor dem Koalitionstreffen

Doch Putins Krieg stellt jetzt alles in den Schatten. Merkwürdig nur: Der CDU-Bundestagsabgeordnete hat seit 2009 stets brav die Hand für die strategische Partnerschaft seiner Kanzlerin und Parteifreundin Dr. Angela Dorothea Merkel mit Russland gehoben. Deutschland liefert Wirtschaftsgüter und Technologie und bekommt dafür Öl, Kohle und Gas. Wo war in den vergangenen Bundestagsjahren die warnende Stimme Kiesewetters an seine Kanzlerin? Hat er heimlich in seinem Büro vor sich hin geflüstert? Nein, er hat immer alles mitgemacht im Sinne seiner Kanzlerin. Aber jetzt weiß er es wieder besser.

Statt Russland soll nun ein ebenfalls despotischer Staat wie Katar für Gaslieferungen einspringen. Kommt hier die nächste schlechte Abhängigkeit, Herr Kiesewetter, fragt ein MDR-Hörfunkmoderator? Es könnte etwas dran sein, aber jetzt gehe es doch in allererster Linie um die „Eigenstaatlichkeit der Ukraine“, verteidigt sich der Oberst a.D., der heute im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt. Maximaler Druck auf Russlands Autokraten Putin müsse her. Da scheint es Kiesewetter im Grunde egal mit wem: „Kurzfristig können wir uns die Partner nicht aussuchen.“ Es gehe doch nur um ein halbes Jahr, in dem sich Putin vielleicht nicht mehr an der Macht halten könne und Deutschland seine Energielieferungen neu aufstellen müsse.

Außenpolitiker Kiesewetter weiß schon wieder vieles, von dem er früher offensichtlich nichts ahnte. Aber es kommt noch besser: Weil er die Energiepolitik unter Führung seiner CDU-Kanzlerin Merkel nun komplett über den Haufen wirft, sollen die Bürger dafür leiden. Deswegen müsse die Politik jetzt „die Bevölkerung darauf vorbereiten, den Gürtel enger zu schnallen“. Damit auch „unsere Bevölkerung weiß, Freiheit hat seinen Preis.“

Wenn die Ukraine fiele, wäre das westliche Lebensmodell nicht mehr glaubwürdig, Nachbarn zu helfen. Ganz im Sinne von Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, der seinen Bürgern eiskalt empfahl, in diesen Kriegszeiten „für die Freiheit auch mal zu frieren“.

Massenarbeitslosigkeit? Für politische Eliten kein großes Thema

Nachdenklich fragt der MDR-Moderator im Radio, bei Außenpolitiker Kiesewetter klinge es immer nach einfachen politischen Stellschrauben, doch selbst in der Bundesregierung gebe es Warnungen vor Massenarbeitslosigkeit. Auch diese Existenzfrage für hunderttausende Arbeitnehmer lässt Kiesewetter mit Propaganda abtropfen: „Ich erwarte Mut von unserer Politik.“ Er meint damit wohl Sprüche wie seine  Forderung: „Wir müssen den Gürtel enger schnallen.“ Jetzt sollten Regierung und Kanzler die deutsche Bevölkerung auf ein hartes Jahr vorbereiten: „Die Freiheit der Ukraine hat einen Preis.“

Steuersenkungen und Rabatte

Finanziert vom Steuerzahler in einem politischen Sonderversorgungssystem kann der CDU-Abgeordnete Kiesewetter solch wohlfeile Appelle verbreiten. Viele Arbeitnehmer hingegen können sich diesen Preis nicht leisten. Laut DIHK hängen rund 250.000 Vollzeitstellen in Deutschland direkt von Exporten nach Russland ab. Im vergangenen Jahr hätten sich die Ausfuhren dorthin auf einen Wert von 26,6 Milliarden Euro summiert. Insgesamt rund 40.000 deutsche Betriebe – vor allem im Osten der Republik – hätten Geschäftsbeziehungen mit Russland, etwa 3.700 seien vor Ort mit Niederlassungen aktiv. Diese Wirtschaftsverbindungen brechen durch die Sanktionen gegen Russland jetzt zusammen, tausende Arbeitsplätze sind in höchster Gefahr.

Doch laut Kiesewetter müssten auch Arbeitnehmer für die „westlichen Werte“ einen Preis zahlen. Selbst wenn das in der Endkonsequenz den Verlust des Arbeitsplatzes und die Gefährdung der Existenz einer Familie bedeutet. Aber diese brutale Wahrheit wagt der Oberst a.D. so nicht auszusprechen. Den Gürtel enger schnallen, umfasst ja alles.

Für solch zackige Sparappelle an die Bürger kann sich der heutige Oppositionspolitiker Kiesewetter sogar auf seinen Bundesfinanzminister Christian Lindner stützen. Der FDP-Vorsitzende verkündet in der Augsburger Allgemeinen kühl, „dass der Staat einen allgemeinen Verlust an Wohlstand, der sich aus steigenden Weltmarktpreisen für Energieimporte ergibt, ebenso wenig ausgleichen kann, wie das individuelle unternehmerische Risiko.“ Das ist doch einmal eine Ansage des Bundeskassenwarts an die Bürger – sie sollen für strategische Fehler des Staates einfach mal ins Risiko gehen.

Selbst SPD-Chef Lars Klingbeil will keine generellen Entlastungen an den Zapfsäulen mit abgedroschenen Politikerargumenten wie: „Wichtig ist, dass wir das Geld nicht mit der Gießkanne ausschütten.“ Nur kleinen Einkommen solle man gezielt helfen. „Ein Politiker wie ich kann für 2,30 Euro tanken, dem muss der Staat nicht helfen“, verkündet Sozialdemokrat Klingbeil scheinbar selbstlos. Na klar, er genießt als Abgeordneter den Bundestagsfahrdienst und viele weitere Vorteile wie die steuerfreie Kostenpauschale, die sich der Preisentwicklung anpasst. Man lässt halt tanken.

Tichys Einblick in die Welt der Zahlen

Wie wäre es, wenn die politisch Verantwortlichen in den Parlamenten und Ministerien einmal selbst ins existenzielle Risiko gehen. Gemeint ist damit nicht etwa ein Ersatzjob nach Verlust des Mandats oder des Amts, sondern mindestens die Kürzung der Diäten auf monatlich 2.000 Euro für ein Jahr – selbstverständlich ohne steuerfreie Kostenpauschale. Außerdem die Abschaffung der kostenlosen DB-Netzkarte und innerdeutschen Freiflüge oder die der Dienstkarossen und Fahrdienste. Damit könnten die Politiker ihre Solidarität mit dem Wahlvolk beweisen und ein „persönlich haftendes Zeichen“ setzen, das sie von ihren Bürgern immer wieder verlangen.

Also: Gehen Sie einfach ins persönliche Risiko werte Abgeordnete! Zahlen Sie von dem kleinen Einkommen für ein Jahr wie Millionen andere ohne Wohngeld- und Heizkostenzuschüsse die explodierenden Energierechnungen, steigenden Lebensmittelkosten und horrenden Spritpreise an den Tankstellen. Dann werden Sie am eigenen Leib spüren, was es heißt, „den Gürtel enger zu schnallen.“ Sie können es nicht wissen, denn Sie werden von hart arbeitenden Steuerzahlern großzügig alimentiert.

Politische Moral taugt nur für Sonntagsreden

Doch CDU-Politiker Roderich Kiesewetter ist nicht allein beim Verzicht predigen und Zeichen setzen. An seiner Seite steht auch ein grüner Bundeswirtschaftsminister wie Robert Habeck. Stets haben der Schriftsteller und seine Außenministerin Annalena Baerbock samt ihren Ökopaxen die Regimes der Öl-Scheichs im Nahen Osten wegen deren Brutalität und Menschenrechtsverletzungen gegeißelt. Aber im vereinten Kampf des Westens gegen Putin versickern Vorwürfe und Kritik an arabischen Herrschern ganz schnell im Wüstensand. Gegen den großen russischen Beelzebub darf man auch schon mal einen Pakt mit kleinen Dämonen schließen.

Was Moral ist, bestimmen die Grünen

So begibt sich also Wirtschaftsminister Habeck von den Grünen dieser Tage auf Einkaufstour nach flüssigem Gas aus der Wüste, um russische Verträge aus dem Erbe der Kanzlerschaft Merkels zu ersetzen. Bild titelte dazu: Der Bittsteller von Katar. Mit tiefer Verbeugung vor Katars Handelsminister Scheich Mohammed bin Hamad Al Thani trete der grüne „Wirtschaftsminister Robert Habeck geradezu demütig auf!“

Katar – da war doch was? Richtig. Die Fußball-Weltmeisterschaft findet dieses Jahr extra vor Weihnachten wegen der Hitze in einem Staat von Despoten statt. Die Vorwürfe der Terrorunterstützung (Hamas/Taliban) und Menschenrechtsverletzung verwehen jetzt wie Saharastaub. Dabei hatte die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin der Grünen und heutige Kulturstaatsministerin Claudia Roth jahrelang eine Verlegung der Spiele gefordert: Katar sei „als Austragungsort für eine Fußball-WM denkbar ungeeignet.“

Denkste, Puppe – der Gaspakt mit den Öl-Scheichs beweist bald das Gegenteil für die grüne Moralistin. Die Kritik des Westens und die Betonung seiner Werte werden ganz leise ausfallen, damit die Kataris mit ihren Herrschern ein schönes Fußballfest im europäischen Winter feiern können. Grau ist im moralischen Leben alle Theorie – entscheidend ist auf‘m Öl- und Gasplatz.

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