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Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht

Published On: 26. März 2022 1:00

Veröffentlicht am 26. März 2022 von CS.

Ein raffinierter Tipp verbreitete sich letzte Woche rasant in den sozialen Medien: Buchen Sie über Airbnb eine Wohnung in Kiew, Charkiw oder Mariupol, egal ob die Wohnung noch steht oder nicht, und überweisen Sie den Eigentümern vor Ort oder im Exil ein paar hundert Euro. Airbnb hat sogar angekündigt, keine Gebühren für Vermietungen in der Ukraine zu erheben.

Dies ist eine von vielen Möglichkeiten, zu «helfen» – nebst der Lieferung von Kleidung, Lebensmitteln und Medikamenten an Flüchtlinge, von Privatpersonen initiierten Sammlungen oder Wohltätigkeitsaktionen oder auch der freiwilligen Teilnahme an einem Kampfeinsatz an der Seite der ukrainischen Armee.

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine wird auch symbolisch versucht, zu «helfen»: individuell, indem russische Produkte boykottiert werden; auf institutioneller Ebene, durch den Ausschluss russischer Künstler oder Sportler.

Der Ökonom und Verhaltenswissenschaftler David Comerford warnt jedoch: Solcher Übereifer, der zwar gut gemeint ist, kann auch kontraproduktiv wirken. Und im schlimmsten Fall sogar der falschen Seite nützen.

Die Verhaltenswissenschaften lehren uns, dass wir, wenn wir mit einer Krisensituation konfrontiert werden, von Natur aus zu Verhaltensweisen neigen, die der Sache nicht dienlich sind.

Erstes Beispiel: Die «Handlungsverzerrung». Sie macht uns weis, dass es immer besser ist, etwas zu tun als nichts zu tun. Das ist menschlich. Der Krieg stürzt uns in einen Zustand schwindelerregender Hilflosigkeit, den wir beheben wollen, so gut es geht. Manchmal tun wir das auf anarchische und unangemessene Weise.

Die zweite Verzerrung nennt sich «responsability utility». Comerford erklärt diese so: Die Tatsache, dass wir gehandelt haben, verleiht uns ein Gefühl der Verantwortung und bereitet uns egoistisches Vergnügen. Wir beglückwünschen uns innerlich dafür, etwas getan zu haben. Wir finden das befriedigend, auch ohne damit zu prahlen – es ist nicht einmal nötig, dass andere, die weniger handeln, auf uns den Heiligenschein der Moral und des Altruismus projizieren.

Auch dieses Verhalten ist menschlich. Trotzdem dürfen wir die Ursachen und Wirkungen unseres Handelns durchaus hinterfragen: Wenn ich etwas tue, das ich gegenüber meinen Freunden und Verwandten oder in den sozialen Netzwerken an die grosse Glocke hängen kann, tue ich das dann – selbst bei besten Absichten – nicht in erster Linie für mich selbst? Der Grat ist schmal.

Der dritte Punkt, den wir aus der wissenschaftlichen Forschung über Wohltätigkeitsarbeit kennen, ist das Gefühl, «keinen Unterschied zu machen»: Experimente zeigen, dass wir dazu neigen, einer einzelnen Person mehr zu geben als einer Gruppe von Menschen.

Wenn wir eine Person mit Hygieneartikeln, Kleidung, einem Bett und Nahrung versorgen, haben wir das gute Gefühl, «das Problem gelöst» zu haben. Da wir als Einzelne jedoch nicht in der Lage sind, Millionen von Flüchtlingen und Kriegsopfern ausreichend Hilfe zukommen zu lassen, geben wir wahllos ein paar Kleidungsstücke, eine Packung Verbandsmaterial hier und eine Decke dort – wohl wissend (und manchmal auch gleichgültig darüber), dass diese Dinge nicht «den Unterschied» machen werden.

Praktisch gesehen ist es durchaus möglich, dass diese Spenden tatsächlich keinen Unterschied machen. Wir müssen uns und den Organisatoren von Sammelaktionen ganz pragmatische Fragen stellen, bevor wir unseren altruistischen Impulsen nachgeben – auch wenn diese ehrlich und rein sind. Werden die Spenden vor Ort wirklich benötigt? Kommen sie bei den Menschen an, die sie brauchen? Wie und wann?

In einer humanitären Krise spielt die Logistik die wichtigste Rolle. Die Versorgungslage kann sich von einem Tag auf den anderen drastisch ändern. Der Grenzübertritt, der Zugang zu belagerten Städten und Kampfgebieten sind entscheidende Fragen, die nur von erfahrenen humanitären Organisationen mit einem starken internationalen Netzwerk und Kontaktpersonen vor Ort gelöst werden können.

David Comerfords Anliegen ist nicht, uns zum Nichtstun zu bewegen. Seiner Meinung nach sollten wir einfach zuerst darüber nachdenken, was eine bestimmte Aktion uns bringt und ob wir sie den Opfern gegenüber für angemessen halten. Anschliessend sollten wir uns über Tragweite und Folgen unserer Handlung Gedanken machen: Kommt der Kleidersack in der Ostukraine an oder landet er auf einer offenen Müllhalde an der polnischen oder slowakischen Grenze, weil es keine Transportmöglichkeiten gibt? Wäre das Geld, das Besitzern von Airbnb-Wohnungen geschickt wird, nicht besser dazu geeignet, denjenigen zu helfen, die schon vor dem Krieg nichts besassen?

Sicherlich ist der ukrainische Notfall auch ein moralischer Notfall für unsere westliche Zivilbevölkerung. Aber für Comerford ist im Zweifelsfall der sicherste und effektivste Weg, um sich nützlich zu machen, Euro, Dollar oder sogar Hrywnja an humanitäre Organisationen zu spenden, die mit den Bedürfnissen und Schwierigkeiten der Opfer vertraut sind und sich an die wechselhafte Situation vor Ort anpassen können.

Und nun zur Frage, ob man zu den Waffen greifen soll, um den Ukrainern im Kampf beizustehen. Dies sollte man wohl besser denen überlassen, die am besten dafür ausgebildet sind. Schade für unseren Instagram-Feed, aber besser für alle, die ohnehin schon unter dem Krieg leiden.

Zum Originalartikel (auf Französisch)

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Dieser Artikel wurde uns von unseren Freunden bei Bon pour la tête zur Verfügung gestellt, dem führenden alternativen Medium der französischsprachigen Schweiz. Von Journalisten für wache Menschen.

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