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Vom Versagen des Westens und seiner Demokratie

Published On: 3. April 2022 12:29

Autonomie oder noch besser staatliche Unabhängigkeit für alle Gruppen oder Regionen, die dies wollen, war die Alternative zur UdSSR, wie sie die zur EU ist und auch zu den heutigen Nationalstaaten, in denen nach Autonomie und Unabhängigkeit seit Entstehung dieser Nationalstaaten unverändert gestrebt wird.

Am Tag des Mauerfalls in Berlin war ich zufällig in Washington. Gefühlsduselig, glückselig und völlig überrascht versuchte das politische Hauptstadtvolk, seinen Zustand für sich selbst in Worte zu fassen. Doch es dauerte nur Tage, bis die politische Klasse der USA und ihre Gefolgsleute in Westeuropa sich im gemeinsamen Irrtum der Welt erfreuten, der Kapitalismus habe über den Kommunismus gesiegt. Dass der Sowjetkommunismus implodiert und der politische Westen einfach nur übrig geblieben war, ging im Freudentaumel unter, er geriet zur Siegesgewissheit. Seinen bekanntesten Ausdruck fand die Hybris des Westens, nun würde sich die ganze Welt nach seinem Vorbild gestalten (lassen), in Francis Fukuyamas Buch vom Ende der Geschichte.

Gunnar Heinsohn rief vor ein paar Tagen in Erinnerung: „Als 1770 Neu-Holland zum britischen Australien wird, ist der Kuchen weitgehend verteilt. Ab jetzt gibt es ein Nullsummenspiel. Was der eine gewinnt, muss der andere verlieren.“ Und wenn der eine etwas verloren hat, ist es oft nur eine Frage der Zeit, bis er sich das Verlorene zurückholt – und vielleicht noch etwas dazu. Der Historiker denkt gleich an Finnland. Es verlor große Teile Kareliens an die Sowjetunion, obwohl es im Winterkrieg militärisch gegen diese erfolgreich war. Die mögliche Parallele zur Ukraine heute springt einem sofort ins Auge.

Ob der Westen jenem Russland, das von der Sowjetunion übrig geblieben war, versprach, sich in Gestalt der Nato nicht über die neue deutsche Ostgrenze hinaus zu bewegen, muss ich nicht prüfen, da ich die entsprechenden Berichte von Hans-Dietrich Genscher in den montäglichen Präsidiumssitzungen der FDP hörte, bei Zusammenkünften des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes und überall sonst im politischen Bonn jener Tage. Die Meinungsänderung vollzog sich erst zögernd, bald aber so selbstverständlich, als wäre nie von etwas anderem die Rede gewesen als der Aufnahme von einem neuen Mitglied der EU und der Nato in Osteuropa nach dem anderen. Darüber nun im Nachhinein Klage zu führen oder zu rechten, ist allerdings sprichwörtlich vergossene Milch, oder anders gesagt: nutzlos.

Eröffnung des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung: Botschafter Horvath, Mischnick, Genscher, Goergen, FDP-Sprecher Mahling in Budapest 1989

Washington entschied sich noch unter Bush Senior für die Nato-Erweiterung. Für Washington war das, was europäische Politiker stets im tragenden Festredenton als europäische Einigung zu bezeichnen pflegen, von deren erster Stunde an, was Donald Trump viel später America First nannte. Das Projekt Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) des Jahres 1952 hatte eine gemeinsame, europäische Armee zum Ziel. Das scheiterte 1954 im französischen Parlament. Anstelle der EVG wurde die Westeuropäische Union gegründet, 1955 wurde die westdeutsche Wiederbewaffnung beschlossen und die Bundesrepublik in die 1949 gegründete Nato eingefügt.

Was ich damit sagen will, ist, dass für Washington die sogenannte europäische Einigung in allen ihren Formen wie die Nato nie etwas anderes war als die Organisation ihrer Interessen auf der anderen Seite des Atlantiks. Wie sollte das auch anders sein? Washington hatte in den ersten Weltkrieg nicht aus Menschenliebe eingegriffen, sondern um Großbritannien als Weltmacht Nummer Eins abzulösen. Im zweiten Weltkrieg schickte Washington nach der Ausrüstung für die Rote Armee und Nachschub für Großbritannien seine eigenen Truppen, damit seine eben erworbene führende Weltrolle nicht an Moskau verloren ging. Nach 1945 sorgte Washington mit der Nato als ihrem transatlantischen Arm allein für den Status quo in Europa. Und nach der Implosion der Sowjetunion dehnte Washington die Nato – mit Ausnahme von Weißrussland und Ukraine – bis zur russischen Grenze aus.

Die geopolitisch wichtige Ukraine, das wussten Militärprofis sehr früh, rüstete Washington auf, bildete die ukrainische Armee an modernen Waffen aus und unterstützt sie laufend mit den Erkenntnissen der eigenen Aufklärung. Washington dachte nicht daran, damit zu warten, bis die Ukraine über die Mitgliedschaft in der EU auch Mitglied der Nato geworden wäre. Für diese stattdessen nur de facto Einbeziehung der Ukraine in die Nato bezahlen jetzt ukrainische Soldaten und ukrainische Zivilisten einen hohen Preis, weil Putins Krieg gegen die Ukraine kein Nato-Bündnisfall ist und Washington einen solchen nicht selbst auslösen will.

(Anmerkung: Dass Washington Gleiches nicht auch in Weißrussland tat, liegt nur daran, dass es dort nicht die passenden Partner fand.)

Im Internet West sind mehr pro Putin als pro Washington

Wer sich in den Internet-Foren alter und neuer Medien im Westen umschaut, stellt fest, dass es viel mehr Stimmen für Putin als für den Westen gibt. Daraus schließe ich nicht, dass tatsächlich Mehrheiten in Westeuropa vorziehen würden, unter dem Patronat Moskaus statt Washingtons zu leben – dass von Finnland bis Ungarn keiner von Moskau regiert werden will, erklärt sich von selbst.

Hinter den Stimmen für Putin steht einerseits der alte Antiamerikanismus der politischen Linken und Rechten, der meist zugleich Antikapitalismus bedeutet. Andererseits und mit nennenswerten Schnittmengen ist es der Traum von einem Großeuropa (einschließlich Russlands), das eine eigenständige Rolle auf Augenhöhe mit USA und China spielen soll. Die Formulierung Egon Bahrs eines Europa von Wladiwostok bis Lissabon haben viele in Erinnerung. Doch das war schon zu Lebzeiten von Bahr eine Illusion ohne geringste Chance auf Verwirklichung: Russlands Geschichte ist auch ohne seine Zwischenform als Sowjetunion allein Grund genug. Vorher müsste Russland seine Reichsgestalt hinter sich lassen, was auch mit dem territorialen Verlust seines asiatischen Teils ganz oder großteils einherginge.

Heinsohn schreibt, 1991 scheiterten Russlands Putschisten unter Gennadi Janajew und Marschall Dimitri Jasow gegen Gorbatschow und Jelzin, die den Unterdrückten Autonomie geben wollen. Bald nach Jelzin war es mit den Ansätzen einer innerrussischen Entwicklung, die zu einer Annäherung der politischen Kultur in Europas Osten und Westen hätten führen können, auch schon wieder vorbei. Ich erinnere mich gut, dass dieser Ansatz in Sibirien wegen der dortigen Häufung technischer Intelligenz in der Bevölkerung weiter gediehen war als in Russlands Westen. Was mir damals die meist verschwiegene Tatsache in Erinnerung rief, dass das späte Zarenreich vor allem bis in die ersten Jahre des ersten Weltkriegs bei der Industrialisierung und der Entstehung eines Mittelstands weit aufgeholt hatte, eine Entwicklung, die die Bolschewiken zunichtemachten, bis Stalin seine industrielle Aufholjagd begann, von deren Qualität sich Hitler in seinen endlosen Monologen im kleinen Kreis wiederholt sehr beeindruckt zeigte.

Ich weiß, wie die Kommentare hageln werden, die hier die vielen Ankündigungen von Putin vermissen, auf die der Westen nicht gehört hat – von seiner Rede im Deutschen Bundestag über viele andere bis zur Inmarschsetzung der russischen Truppen, die nun in der Ukraine operieren, aus Sibirien schon vor einem Jahr und so weiter. Aber wie ich oben sagte: Darüber nun im Nachhinein Klage zu führen oder zu rechten, ist nutzlos. Ich ziehe den Blick auf das vor, was aus dem werden kann, das ist.

Als Moskau 1945 gewann, dehnte sich sein Imperium so weit nach Westen aus, wie Washington es hinnahm. Nachdem die Sowjetunion Ende der 1980er implodierte, dehnte Washington sich so weit nach Osten aus, wie Russland es hinnahm. Nicht erst und nicht nur mit der Krim startete Putin die Gegenbewegung; in der Ukraine wird sich nun zeigen, ob diese mit der Abtrennung einer Ostukraine endet wie einst der Ostkareliens von Finnland. Und danach steht die Frage im Raum: Wie lange hält der neue Status quo?

So viel zur geopolitischen Seite der Sache oder zum ausgebliebenen Ende der Geschichte. Dass die Geopolitik nie weg war, wovon praktisch die ganze Classe Politique in Deutschland und ganz Westeuropa spätestens seit den späteren 1960ern träumte, stand für mich wie jeden, der genau genug hinschaute, immer fest. Wie Heinsohn sagt: „Als 1770 Neu-Holland zum britischen Australien wird, ist der Kuchen weitgehend verteilt. Ab jetzt gibt es ein Nullsummenspiel. Was der eine gewinnt, muss der andere verlieren.“

Vom Versagen der westlichen Demokratie

Dass die jüngere Geschichte des Westens, vor allem in Europa, so verlaufen konnte, wie sie es tat, liegt nicht in erster Linie an den Unzulänglichkeiten der handelnden Politiker, sondern im Versagen der westlichen Demokratie als politisches System.

Karl Popper definiert bekannter Weise Demokratie als die einzige Herrschaftsform, in der es möglich sei, die Herrschenden ohne Blutvergießen auszutauschen. Karl Popper irrte. Die westliche Demokratie hat sich vielmehr so deformiert, dass ein friedlicher Austausch der Herrschenden systematisch ausgeschlossen wird. In Deutschland sorgt dafür ein gesetzlich durchbürokratisierter Parteienstaat, in dem brauchbare Politiker in höchst seltenen Fällen nur dann nach oben kommen, wenn das System mal versagt.

Wenn ich sage, die westliche Demokratie ist gescheitert, trifft das auf die repräsentative Demokratie besonders zu. Selbst das Direktwahlrecht in Großbritannien und den USA schwächt durch den übergreifenden Einfluss der Parteien oft das Parlamentarische an der Demokratie. Aber die negative Spitze der Privilegierung von Parteien ist die deutsche. Übrig bleibt eine Oligarchie der Fraktionsspitzen, von denen alle und alles in der Berufspolitik abhängig – und daher gehorsam – sind. Ob die repräsentative und parlamentarische Demokratie noch zu reformieren ist? Ich fürchte, nein. Beginnen müsste der Versuch mit der Streichung aller Parteiprivilegien, kandidieren dürften nur Personen, keine Parteien, keine Listen – welches Parlament im Parteienstaat soll das beschließen, sich selbst abzuschaffen? Ich verfolge lieber einen anderen Ansatz.

Nur weil in einem Land gewählt wird, unterscheidet sich die Politik seiner Regierung nicht von der in Ländern, in denen nicht gewählt wird. Den wirklichen Unterschied macht nicht das Wählen, sondern die Herrschaft des Rechts, the rule of law – in deutschsprechenden Ländern leider der „Rechtsstaat“, womit schon das Wort signalisiert: Es gibt kein von der Politik, die den Staat beherrscht, unabhängiges Recht, was nicht nur, aber ganz unübersehbar in der politischen Weisungsgebundenheit der Staats(!)anwaltschaft zum Ausdruck kommt, aber auch in der Bestellung der Richter durch die Politik, also die Parteien. Unabhängige Richter und Ankläger müssen vom Volk direkt gewählt sein, soll es eine Chance auf die Herrschaft des Rechts geben, des gleichen Rechts für alle, das vor allem auch in der Lage ist, den Bürger vor der Willkür des Staates, also der Politik zu schützen.

Womit ich bei der entscheidenden Frage der Gewaltenteilung bin. Macht, das ist eine allgemeine Erkenntnis, korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Da aber jede Art von Ordnung des menschlichen Zusammenlebens ohne Macht nicht auskommt, muss es darum gehen, Macht zu begrenzen: zeitlich und räumlich.

Es ist kein Zufall, dass kleine Staaten weniger bis gar nicht in Versuchung sind, Kriege zu führen. Nicht, weil ihre Mächtigen friedlicher wären, sondern weil ihre Mittel begrenzt sind. Die genannte Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sollte nach dem Plan von Washington, London und Paris verhindern, dass die westlichen Länder Europas, Deutschland allen voran, untereinander Krieg führen; die Armee der EVG sollte aber selbstverständlich gleichzeitig fähig sein, gegen die Sowjetunion samt die von ihr unterworfenen Staaten Krieg zu führen.

Heinsohn zitierte ich oben mit der Erinnerung, dass 1991 Russlands Putschisten unter Gennadi Janajew und Marschall Dimitri Jasow gegen Gorbatschow und Jelzin scheiterten, die den Unterdrückten Autonomie geben wollten.

Autonomie oder noch besser staatliche Unabhängigkeit für alle Gruppen oder Regionen, die dies wollen, war die Alternative zur UdSSR, wie sie die zur EU ist und auch zu den heutigen Nationalstaaten, in denen nach Autonomie und Unabhängigkeit seit Entstehung dieser Nationalstaaten unverändert gestrebt wird. Macht jedenfalls wird nur dort wirksam begrenzt werden können, wo sie auch klein gehalten werden kann. Und das geht am besten in der Selbstverwaltung kleiner Ordnungen durch die Bürger selbst, in direkter Demokratie mit zeitlich befristeter Ämterwahl. Wer von diesen Ordnungen sich mit welchen anderen für welche Aufgaben vertraglich zusammentut, liegt bei ihnen: der Unterhalt eines modernen und schlagkräftigen Militärs eingeschlossen.

Bei der öffentlichen und veröffentlichten Auseinandersetzung um Putins Ukraine-Krieg gibt es eine denkwürdige Leerstelle. Zwar sagt dieser und jener am Rande schon mal, der Westen müsse jene „gemeinsamen Werte“ verteidigen, vor deren Übergreifen auf Russland Putin Angst habe (Putin fürchtet Machtverlust, sonst nichts). Aber welche „gemeinsamen Werte“ des Westens, also auch seiner Demokratie verteidigt werden sollen, bleibt nach meiner Beobachtung auffällig unausgesprochen. Es werden doch hoffentlich jene Werte gemeint sein, die im Westen durch die woke Ideologie bedroht, geschwächt und teilweise schon zerstört sind: die gleiche Freiheit für jeden durch das gleiche Recht für alle?

Diese Freiheit muss im Westen selbst verteidigt werden gegen die Classe Politique in großen Teilen des Westens, damit im Westen der Geist wieder Platz greift, ohne den sich Freiheit und Recht weder drinnen noch draußen verteidigen lassen. Ich stehe staunend vor den Plänen in Deutschland und anderswo, die jeweiligen Armeen mit viel Geld mit dem auszustatten, was nötig ist, um von modernen Streitkräften zu sprechen. Ich staune, weil sich niemand mit der Frage beschäftigt, wo denn die Leute herkommen sollen, die in so ausgestatteten Armeen dienen. In der Classe Politique haben doch nur die politischen Erben jener Pazifisten das Sagen, die wie diese nie Pazifisten waren, sondern Eskapisten sind. Eskapisten vor der Wirklichkeit, die ihnen in Schulen und Hochschulen mit Friedens-, Klima- und Corona-Ilusionen gründlich abtrainiert und vernebelt worden ist. Also Leute: Bevor es die neue Generation gibt, die zu kämpfen bereit wäre, ist das, was ihr jetzt plötzlich in den Waffenschmieden zusammenkaufen wollt, doch längst wieder veraltet.

In der westlichen Welt müssen sich meiner Meinung nach die Freunde der Freiheit nach dem so oder so beendeten oder unterbrochenen Ukraine-Krieg verstärkt der Renovierung der heimischen Zustände zuwenden, damit künftige Generationen Freiheit und Recht bei sich zuhause verteidigen können gegen alle daheim und alle von anderswo, die diese Freiheit bedrohen.

Putins Krieg deckt in der Energiepolitik und anderen Infrastrukturfragen die vor langem gemachten Fehler der grünrotschwarzgelben Politik in Deutschland gnadenlos auf. Manche Freunde der Freiheit hoffen auf eine Zeitenwende, die das auslöst. Ich auch. Zurzeit muss ich allerdings befürchten, dass sich die Classe Politique mithilfe der sie stets in die falsche Richtung jagenden Zeitgeist-Medien aus der Verantwortung für alle ihre falschen Entscheidungen stehlen kann, weil ja andere wie Putin und Xi und Biden und Corona und Klima schuld sind – und nicht sie selbst verantwortlich ist.

Es bleibt noch viel zu tun für die Freunde der Freiheit, die es noch gibt, und vor allem für jene, die neu dazukommen. Stephan Paetow beendete seine heutige Blackbox wieder mit Schönen Sonntag. Dem schließe ich mich an.

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