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Sternstunde des Zynismus: Über den größten Wählerblock geht Anne Will hinweg

Published On: 16. Mai 2022 7:29

Anne Will ist das Hochamt der Berliner Blase. Keine andere politische Show geht so konsequent an den Belangen der Zuschauer vorbei. In der Sendung zur Wahl in Nordrhein-Westfalen kommt der größte Wählerblock gar nicht vor.

Screenprint ARD / Anne Will

44 Prozent Nichtwähler. Der mit Abstand größte Block bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen wird bei Anne Will nicht einmal erwähnt. Diese 44 Prozent relativieren alles. Rechnet man sie mit ein, haben die Spitzenkandidaten von CDU und SPD zusammen keine Mehrheit der Wähler erreicht. Berücksichtigt man die Nichtwähler, haben die Grünen gut 10 Prozent der Wahlberechtigten geholt und damit eben kein eindeutiges Wählervotum.

Doch diese 44 Prozent kommen bei Anne Will nicht vor. Sie wegzulassen, verzerrt die Debatte. So sagt Mariam Lau, die NRW-Wahl sei ein Sieg der Mitte. Die Ränder seien auf dem Rückzug, meint die talkshowpolitische Korrespondentin der Zeit. Das würde stimmen, wenn die 44 Prozent in der Wirklichkeit genau so wenig existent wären, wie sie es bei Anne Will sind. Doch es gibt sie, genau wie die von Lau als Ränder bezeichneten Parteien. Beide zusammen sind in Nordrhein-Westfalen mehrheitsfähig. Und somit fällt Laus These in sich zusammen, sobald sie die Berliner Blase verlässt.

Doch das Studio von Anne Will ist der Schutzraum für die Themen der Berliner Blase: Hat die SPD in Nordrhein-Westfalen zu sehr mit Olaf Scholz geworben und ist er dadurch jetzt beschädigt? Ist das Entlastungspaket der Ampel die finanzpolitische Gießkanne? Kann man noch vom sozialdemokratischen Jahrzehnt sprechen? Oder war die CDU am Abend der Bundestagswahl demütig genug? Ja, das war tatsächlich Thema bei Anne Will. Mitte Mai. Acht Monate danach.

Selbst wenn die Debatte dann mal zu Themen kommt, die den Zuschauer tatsächlich persönlich berühren, dann bespricht die Runde diese im Stil der Berliner Blase. So ist es dann ausgerechnet an Villenbesitzer Jens Spahn (CDU), die Interessen des Kleinen Mannes zu vertreten: an die steigenden Kosten zu erinnern oder an die Entlastung der Bürger, die nach drei Monaten wieder vorbei sein wird. Warum macht Spahn das? „Er ist in der Oppositionsrolle angekommen“, sagt SPD-Chef Lars Klingbeil – einer seiner helleren Momente bei Anne Will.

Ansonsten ist Klingbeil grotesk. Aber bei dem Stichwort kommt Klingbeil erst an zweite Stelle bei Anne Will. Denn noch grotesker ist Christian Dürr. Wer ihm zuhört, braucht keine Erklärung mehr, warum die FDP im freien Fall ist. Dürr ist Fraktionsvorsitzender im Bundestag und wirft Spahn vor, dessen Forderungen seien unseriös, weil die Kosten dafür erst erwirtschaftet werden müssten – kurz nachdem Dürr stolz drauf war, dass das „Entlastungspaket“ 36 Milliarden Euro kosten werde.

Logik. Widersprüche auflösen. Das allles ist Dürrs Sache nicht. Der FDP-Funktionär ist eine Phrasen-Spuckmaschine: „Da beißt die Maus keinen Faden ab.“ „Transformation der Wirtschaft ist ein Wachstumsmodell.“ Oder: „Wir verlieren gemeinsam, wir gewinnen auch wieder gemeinsam.“ So redet der wirklich. Allein in einer Ausgabe von Anne Will. Der Zuschauer bekommt bei Dürr nicht mal das Gefühl, dass der FDP-Funktionär ihn veräppeln wolle – sondern dass er es einfach nicht besser kann.

Königsmacher in Nordrhein-Westfalen

Das ist bei Klingbeil anders. Der SPD-Vorsitzende redet gezielt Unsinn: Ob es richtig war, mit Scholz in Nordrhein-Westfalen zu werben, will Will wissen. In der Parteizentrale überlege der Vorstand nicht, welcher Vertreter in welchen Wahlkampf geschickt wird, antwortet Klingbeil. Das ist mutmaßlich gelogen. Ob es richtig sei, als SPD so viel Häme über das Ergebnis der FDP zu zeigen, will Will wissen. Da die Sozialdemokraten doch in Berlin mit den Liberalen regierten und in Düsseldorf eine Regierung bilden wollten: Die SPD zeige keine Häme gegenüber der FDP, antwortet Klingbeil. Das ist nachweislich gelogen. Als es bei der Prognose um 18 Uhr so aussieht, als ob die FDP aus dem Landtag fliegt, jubelt die SPD-Wahlparty. Den Moment hat das Buntfernsehen festgehalten. Doch Klingbeils Falschaussage ist nachvollziehbar taktisch. Eben weil mit Hilfe der FDP in Nordrhein-Westfalen die SPD doch noch den Ministerpräsidenten stellen könnte.

Wie nahe die Will-Runde an den Themen der Bürger sein kann, und wie weit weg dabei von der Perspektive eben jener Bürger, zeigt sich am Klimaschutz: Grünen-Chefin Ricarda Lang träumt von Nordrhein-Westfalen als „erster klimaneutralen Industrieregion Europas“. Angesichts der stillstehenden Betriebe und wirtschaftlichen Not in Nordrhein-Westfalen ist Langs Wunsch eine Sternstunde des Zynismus.

Am weitesten vom Bürger entfernt ist die Journalistin in der Runde. Sie schwärmt von Robert Habeck, nur versteht sie nicht, warum die Bürger bei den Spritpreisen überhaupt entlastet werden müssten. Mit der CO2-Abgabe sei es doch gewollt, dass die Preise steigen. Und gerade das fossilreichste Land Deutschlands, Nordrhein-Westfalen, sei doch das, in dem die Energiewende gelingen müsse. Über die Frage, wie es den Bürgern dabei geht, geht sie hinweg: Lau ist die Vierte Gewalt der Berliner Blase. Die 44 Prozent Nichtwähler bleiben in ihrer Welt nur ein Faktor, der die Wirkkraft ihrer Schlüsse stört.

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