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Ein Placebo für die Bundeswehr – wirksam allenfalls bis 2025

Published On: 30. Mai 2022 18:22

Nach einem kontroversen Hin und Her soll der Weg für die „Zeitenwende“ des Bundeskanzlers nun frei sein. Doch es ist absehbar, dass das Ziel, zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben, nicht erreicht werden wird.

IMAGO / Bernd Elmenthaler

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr

Am 27. Februar 2022, vier Tage nach Putins Überfall auf die Ukraine, hatte Kanzler Scholz zugunsten einer Aufrüstung der Bundeswehr qua Sondervermögen eine „Zeitenwende“ angesagt. Wörtlich: „Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen. Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in unsere Verteidigung investieren.“

In den Wochen danach gab es lebhaften Streit um das Wie dieser „Zeitenwende“. Große Teile der „Ampel“-Koalition wollten in die 100 Milliarden Euro Ausgaben für Entwicklungshilfe verankert sehen, andere gar Ausgaben für andere Bündnispartner. Kontrovers ging es zudem in der Frage zu, ob das „Zwei-Prozent-Ziel“ ohne die 100 Milliarden geschultert werden müsste.

Nach einem kontroversen Hin und Her soll der Weg für die „Zeitenwende“ nun frei sein. Noch diese Woche vom 30. Mai soll der Bundestag das für das Milliardenprojekt Notwendige beschließen. Dazu gehört vor allem eine Änderung des Grundgesetzes, die dafür Voraussetzung ist und für die die „Ampel“ wegen des notwendigen Quorums von zwei Dritteln die Stimmen der CDU/CSU braucht. Am Mittwoch, 1. Juni, will Kanzler Scholz im Rahmen der Beratungen zum Kanzleretat konkrete Ergebnisse präsentieren. 

Nun steht das von ihm angekündigte Kernprojekt eines 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr im Grundsatz. Gestrickt haben daran am Sonntagabend des 29. Mai Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), Vertreter des Finanzministeriums, ferner von der CDU/CSU Alexander Dobrindt (CSU), Mathias Middelberg und Johann Wadephul (beide CDU). Aus dieser Runde hieß es am nachfolgenden Morgen: „Wir stellen gemeinsam sicher, dass die Bundeswehr in den kommenden Jahren mit 100 Milliarden Euro zusätzlicher Investitionen gestärkt wird.“ Damit werde das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der Nato „im mehrjährigen Durchschnitt“ erreicht. Die zwei Prozent müssten aber nicht jedes Jahr aufs Neue exakt eingehalten werden. Also doch ein paar Hintertürchen?

Für das laufende Jahr jedenfalls wird der Etat des Verteidigungsministeriums von rund 45 auf 50,3 Milliarden Euro erhöht. Zum „Zwei-Prozent-Ziel“ fehlen aber immer noch gut 20 Milliarden. Und woher kommen die 20 Milliarden? Sie kommen also doch aus den 100 Milliarden. So wird es weitergehen, bis die 100 Milliarden im Jahr 2025 aufgebraucht sind. Und dann? Dann sind keine weiteren 100 Sonder-Milliarden in Sicht, und der Bundestag muss für die Bundeswehr ohne Rückgriff auf ein Sondervermögen (vulgo: Sonderschulden) die für zwei Prozent notwendigen 75 bis 80 Milliarden Jahres-Etat für die Bundeswehr schultern. Dann mal viel Spaß der Bundesregierung, die ab 2025 die Geschicke des Landes und der Bundeswehr lenken soll! Dann wird man sich fragen: Waren die 100 Milliarden nur eine Mogelpackung oder nur ein Placebo? Eines ist zudem klar: Die Inflation frisst einen Teil der 100 Milliarden jetzt schon auf. Zudem sind die 100 Milliarden bald verbraucht, wenn das längst Überfällige angeschafft wird. 

Überfällige Einkäufe

Immerhin werden nun folgende Anschaffungen angeleiert werden können:

  • Ein großer „Brocken“ sind die überfälligen Ausgaben für eine hinreichende Munitions- und Ersatzteilbevorratung; hier geht es um 20 Milliarden. 
  • Für eine hinreichende Schutzausrüstung (Helme, Westen, Nachtsichtgeräte); sind 10 Milliarden zu veranschlagen.
  • Für 35 Stück des US-Kampfjets F-35A (Stückpreis je rund 100 Millionen) sind 3,5 Milliarden zu veranschlagen. Der für ein gegnerisches Radar schwer auszumachende Tarnkappenbomber F-35 soll den „Tornado“ ablösen, der in die Jahre gekommen ist und bislang Teil der „atomaren Teilhabe“ Deutschlands war. 
  • Außerdem sollen 15 atomwaffenfähige Eurofighter neu für ECR (Electronic Combat and Reconnaissance = Bekämpfung von Radarsystemen) angeschafft werden. Auch hier geht es vermutlich um einen 2- bis 3-Milliardenbetrag. 
  • Kostspielig ist und bleibt das deutsch-französisch-spanische Kampfjetprojekt FCAS (Future Combat Air System). Hier handelt es sich um einen Kampfflieger, der 2040 (!) einsatzfähig sein soll.
  • Fünf gewünschte neue Korvetten K130 schlagen mit mindestens 2 Milliarden zu Buche. Notwendig wären zur Sicherung von Nord- und Ostsee zwei weitere U-Boote für rund 1,5 Milliarden.
  • Überfällig ist ein neuer schwerer Transporthubschrauber, beispielsweise 60 Stück der CH-47F „Chinook“ von Boeing. Das wird rund 5 Milliarden kosten. Der Konkurrent Sikorsky/Lockheed mit nur 40 Stück des CH-53K für 5 Milliarden wird hier nicht zum Zug kommen können.
  • 4 neue Tanker für die Marine kosten 2 Milliarden.
  • Laut „Ampel“-Koalitionsvertrag sollen Drohnen angeschafft werden. Welche, wie viele und zu welchen Kosten, ist offen. 
  • Die überfällige Digitalisierung der Kommunikationssysteme (bislang noch überwiegend analog arbeitend) kostet mindestens 3 Milliarden. 
  • Bislang recht unterschiedlich kalkuliert ist die Errichtung eines „Iron Dome“ (einer Eisernen Kuppel) über Deutschland. Hier geht es um einen Raketenschutzschild gegen feindliche Raketen und Lenkflugkörper. Während die einen das israelische System „Arrow 3“ favorisieren und mit 2 Milliarden kalkulieren, sprechen andere für das US-System THAAD (Terminal High Altitude Area Defence). Letzteres System hatten die USA 2018 an die Saudis für 15 Milliarden Dollar verkauft. Was nichts anderes heißt, als dass 2 Milliarden viel zu eng bemessen sind. Schließlich ist die Fläche Deutschlands (357.022 km²) nicht mit der Fläche Israels (22.145 km²) vergleichbar. 
  • Noch keineswegs mitkalkuliert sind die Kosten, die für neue Kasernen (die Bundeswehr soll um 20.000 Mann wachsen) und für die Renovierung von Kasernen zu veranschlagen sind. Auch geht es wohl um zweistellige Milliardenbeträge.
  • Ebenfalls einzukalkulieren ist der bis 2025 geplante Aufwuchs der Bundeswehr von einer Personalstärke von 183.000 auf 203.000. Hier geht es bestimmt auch um 3 Milliarden (jährlich!).

Selbst wenn all dies „in trocken Tüchern“ sein sollte, ist die Bundeswehr allerdings noch lange keine Spitzenarmee. Unbeantwortet bleibt zudem die Frage, wie sich Deutschland zukünftig gegen eine Form von Krieg rüsten will, der längst die herkömmlichen „Kriege zu Land, Wasser und Luft“ überschritten hat. Es geht um eine neue Form von Krieg, die bereits im Zusammenhang mit „Ukraine“ alltäglich ist: Cyber-Krieg. Dafür soll das Sondervermögen nicht verwendet werden, das haben CDU/CSU durchgesetzt. Die Unionsparteien wollen zu Recht, dass hierfür reguläre Haushaltsposten eingerichtet werden.

2025 schauen wir weiter. Jetzt ist es erst einmal gut, dass etwas vorangeht. Die Rüstungsindustrie hat nichts auf Lager. Sie kann jetzt planen, Rohmaterial einkaufen und zusätzliches Personal akquirieren.

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