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Die Pi-mal-Daumen-Demokratie: Die Berlin-Wahl ist mehr als eine Panne

Published On: 10. Juni 2022 14:59

Vielen ist die Affäre um die Berlin-Wahl egal. Der Berliner Senat spielt ein geschicktes Doppelspiel: In einem großen Chaos kann eine Bürokratiemaschine unentdeckt und dennoch präzise arbeiten. Das Ergebnis ist Manipulation zu eigenen Gunsten.

Andreas Geisel will zupackend und bodenständig wirken, wie ein echter Berliner Kommunalpolitiker. Doch Menschen, die mit ihm zusammen gearbeitet haben, beschreiben ihn eher als verdeckten Bürokraten, überängstlich, als einen Kontrolltyp. Seinem damaligen Regierenden Bürgermeister Michael Müller ist er eigentlich gar nicht so unähnlich – von der Optik abgesehen. Geisel war SED-Mitglied, er selbst sagt dazu heute: „Ich bin nicht stolz darauf, aber ich kann und will mich auch nicht dafür schämen.“

Geisel changiert zwischen absoluter Penibilität, akribischer Trickserei – und dem typischen Berliner Achselzucken, je nachdem, wann es ihm passt. Die Berliner Egal-Mentalität trägt er als Attitüde – gerade für den richtigen Moment. Die Affäre um die Berliner Wahl 2021 weist die gleiche Handschrift auf: Desinteresse bei der Vorbereitung, Akribie und bürokratische Präzisionsleistungen bei der Verschleierung der Vorfälle, „ist doch jetz och ejal“ bei der Debatte über eine Wiederholung.

Berlin ist symptomatisch für die Demokratie insgesamt

„Pannenwahl“ hat sich als Begriff für die dubiosen Entwicklungen rund um die gleichzeitig stattfindende Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl 2021 in Berlin durchgesetzt – und Deutschland lacht über seine Hauptstadt, wie beim BER. Es mag sein, dass es eine Pannenwahl war, ein Unfall. Wenn es aber ein Unfall war, dann einer mit einem LKW-Zug, der seit Jahren ohne TÜV fuhr, dessen Bremsen bei Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn versagten, was in einem Massencrash resultiert – mit anschließender Fahrerflucht.

„Unrichtiges Ergebnis der Berliner Wahlen“

Es ist eine merkwürdige Verkettung von Pannen und Manipulation, von Unfall und Vertuschung, von Unfähigkeit und Täuschung – und ist damit weniger Einzelfall, als viele glauben wollen.

Alles begann mit Ignoranz – Wahlen waren für die zuständige Berliner Verwaltung eher etwas Lästiges, mehr Formsache als Grundlage aller Staatsgewalt. Zunächst begann man damit, so viele Wahlen auf einen Tag zu legen wie nie zuvor: neben der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung sowie eine Volksabstimmung über die Enteignung von Wohngesellschaften.

Dann fiel der Berlin-Marathon auf den gleichen Tag. Der Berliner Senat weist die Schuld daran von sich – dabei wurde der Marathon auf einen Tag gelegt, welcher einer von lediglich zwei möglichen Wahlterminen war. Auch das ist das Werk von Berlins Innensenator Geisel.

Nun hatte man einen Marathonlauf, für den Absperrungen die Innenstadt durchziehen und Wahlkreise durchschneiden. Doch Innensenator Geisel und seine Behörde sehen kein Grund zur Beunruhigung. Bei der Abfrage der zuständigen Wahlleiter sieht Geisels Staatssekretär Akmann noch im Juni keine größeren Probleme bei der Wahl. Doch schon da wird sichtbar: Die Wahllokale planen gerade dort, wo der Marathon verläuft, mit sehr wenigen Wahlzetteln pro Lokal. Eine Nachlieferung durch die abgesperrte Innenstadt wird nötig werden – aber nicht möglich.

Bei der Zahl der Wahlkabinen verlässt man sich ganz auf die Erfahrungen der letzten Jahre – und rechnet allen Ernstes mit einer Wahlzeit von unter zwei Minuten. Am Ende werden viele Wähler über fünf Minuten brauchen. Das hätte man durch einen einfachen Probedurchlauf herausfinden können – auch hier wird die Überfüllung der Lokale programmiert.

Seelenruhig läuft die weitere Vorbereitung nach Schema F.

Der Wahltag: Die Manipulation beginnt

Wahlleitung erfand Kontrollrechnung

Am Wahltag folgt – oh Wunder – die Pannenserie. Die Wahlzettel sind schnell aus, die Nachlieferung kommt lange nicht durch. Parallel hat noch die Druckerei, auf die sich der Berliner Senat verließ, oftmals die Stimmzettel der Bezirke vertauscht. In ihrer Überforderung und dem Stimmen-Wirrwarr fällt das vielerorts gar nicht auf. Dass weder Wahlvorstand noch Wähler überhaupt merken, wen oder was sie da wählen, sagt eigentlich alles über diese Wahl. Es geht weiter: Vor den Wahllokalen bilden sich Menschenmengen, die Unzufriedenheit wächst. Auch die LKWs mit neuen Stimmzetteln stehen im Stau – nichts geht mehr.

Und in diesem Chaos beginnt die Präzision des Berliner Senats – allerdings nicht, um den Bürgern ihr Wahlrecht zu ermöglichen, sondern um die Vorgänge zu verschleiern. Und um die politisch Verantwortlichen vor einem Rücktritt zu retten. Die Wiederholung der Wahl und die damit einhergehende tiefe Beschädigung der rot-rot-grünen Koalition sollte um jeden Preis verhindert werden.

An einige Wahllokale erging zunächst die Anweisung, mit falschen Stimmzetteln einfach weiter zu wählen, oder auch weiter zu wählen, obwohl nicht für alle Wahlen Stimmzettel vorliegen. Hauptsache die Schlangen gehen weg – Menschen werden dennoch um ihre Stimme gebracht, aber es wird unsichtbar. Später werden die Wahllokale offen gehalten, teilweise bis 21 Uhr. Der Druck soll vom Kessel.

Der Rotstift als Grundprinzip

Wirklich spannend wird es dann im Stillen, wenn die Wahl vorbei ist. Dann beginnt die Stunde des Wahlrechts, für viele ein schwarzes Loch. Denn die Zusammensetzung des Berliner Abgeordentenhauses wird nun nach einer komplizierten Auszählung mittels eines komplizierten Rechenverfahrens zusammengestellt. Und genau hier steigen die meisten Medien bis heute bei der Berichterstattung aus – denn es ist ihnen zu kompliziert. Wohl auch zu kompliziert für die Leser, meinen viele Journalisten. Aber hier liegt der Schlüssel vergraben.

Immer wieder greift die Senatsverwaltung in die Auszählung ein. Formal über ganz unverbindliche Rechtshinweise – im Umkehrschluss bedeutet das für die zuständigen Beamten aber immer, dass sie sich bei anderer Entscheidung gegen die Rechtsmeinung der oberen Stellen wenden und damit ihren Kopf riskieren. Also folgen sie. Und so wird herbeigeführt, dass ein Rotstift an die Wahlergebnisse angelegt wird – gegen die zuvor erklärte Meinung der zuständigen Wahlleitung. Ein Rotstift, der die Wahlpannen nachträglich verschwinden lässt – und ungültige Stimmen aus dem Papierkorb zurück zaubert. Die Stimmen laufen nicht nur zu 75 Rozent für Rot-Rot-Grün – sie retten dem Senat auch den Kopf. Denn ohne den Rotstift wäre allein die Zahl dieser ungültigen Stimmen auf den ersten Blick ausreichend gewesen, um die Wahl für ungültig zu erklären und sie per Eilantrag wiederholen zu lassen.

Am Ende brauchte es für diesen Schritt eine Kontrollrechnung, die diese Aktion legitimieren sollte. Diese wurde – kein Scherz – einfach frei erfunden, die zuständige Bezirkswahlleitung wurde getäuscht, damit sie das entsprechende Ergebnis feststellt. Denn an die Wahlwiederholung ist die theoretische Rechnung der Mandatsrelevanz geknüpft – das kann man nun finden, wie man will, aber so ist das Gesetz. Und wieder will man sich durchdribbeln, indem man unterschiedliche Genauigkeitsstandards in unterschiedlichen Phasen verwendet. Zunächst treibt man die Debatte weg von den Zehntausenden, die offensichtlich um ihr Wahlrecht gebracht wurden – hinein in eine wahlrechtstheoretische Frage. Hier allerdings geht man wieder nach bekanntem Pi-mal-Daumen-Prinzip vor – mehr als das: Die Rotstift-Aktion war rechtswidrig. Sie widersprach dem eindeutigen Wortlaut des Berliner Wahlgesetzes.

Die Fakten liegen auf dem Tisch

TE hat alle diese Umstände in mühevoller Kleinarbeit aufgearbeitet und exklusiv veröffentlicht – doch an Aufklärung hat kaum jemand Interesse. Der Berliner Verfassungsgerichtshof verschleppt Eilanträge mit formalen Argumenten. Jetzt soll Ende 2022 eine Entscheidung fallen – allein durch die Verzögerung entsteht weiterer Schaden. Die Präsidentin des Gerichts ist stattdessen beschäftigt mit dem Versuch, TE einzuschüchtern.

Wahlmanipulation in Berlin

Aber auch die Öffentlichkeit versagt. Die Berliner Opposition schweigt – wohl auch aus Sorge um ihre eigenen Sitze. Die Berliner Presse berichtet am Rande, kopiert dann TE-Recherchen ohne Quellenangaben, bleibt aber auf einer Ebene, bei der die Frage nach der tatsächlichen Wahlwiederholung ausgeklammert wird.

Es zeigt sich, dass viele die Haltung des Berliner Senats teilen: Wahlen als Formsache, alles nicht so wichtig. Wenn dann die falschen Kandidaten auf dem Stimmzettel standen, ist das eigentlich gar nicht so schlimm – am Ende wählt man ja schließlich sowieso nach Partei. Dieser achselzuckende Umgang mit dem Wahlrecht lässt tief blicken: In den Köpfen vieler scheint der freie Abgeordnete als Basis einer parlamentarischen Demokratie längst einem System der Parteienherrschaft gewichen zu sein – die Staatsgewalt als Verhandlungssache zwischen den großen Koalitionen. Dann werden wenige Prozentpunkte bei einer Wahl auch egal – denn die Regierungen behalten ihre Mehrheit, so oder so. Und der einzelne Abgeordnete wird zum Relikt.

Vertrauen ist die Basis von Demokratie. In Zeiten eines ausufernden Satates haben die Bürger Berlins nur in einem einzigen Moment, nur alle vier Jahre die Gelegenheit, die gesamte Struktur des Staates mitzubestimmen. Dieses Recht wurde Tausenden genommen und Zehntausenden wesentlich erschwert. Wer will ihnen und denen, die ihre Geschichten hören, etwas vorwerfen, wenn sie das Vertrauen in den Staat verlieren? Und mit welchem Recht treibt der Staat Steuern von einem Bürger ein, dessen Stimme er nicht zählen kann?

Die Ignoranz gegenüber den Vorgängen in Berlin zeigt den desolaten Zustand der Demokratie – sowohl institutionell als auch gesellschaftlich. Der Rechtsstaat basiert auf Genauigkeit. Ungenauigkeiten bieten für die Regierung immer die Möglichkeit, diese gezielt auszunutzen. Wenn sie die Ungenauigkeiten zuvor dann noch selbst herbeischafft, dann ist es Manipulation.

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