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Die deutsch-russische Superweltmacht

Published On: 13. Juni 2022 16:15

Tomas Spahns dritter Teil seiner Antworten auf Leserkommentare zum Themenkreis Russland und Ukraine. – Die Sehnsucht nach einer neuen eurozentrischen Weltordnung.

IMAGO / photothek

Sigmar Gabriel, Bundesaußenminister (2017-18), und Sergei Lawrow, Außenminister von Russland, bei der Münchner Sicherheitskonferenz, 17.02.2018

Aus vielen Kommentaren mit Putin-Affinität blickt die romantische Vorstellung einer neuen, eurozentrischen Weltordnung hervor.

Es ist die Illusion von 1813. Die Vorstellung, Deutsche und Russen könnten, wenn sie denn unverbrüchlich zusammenständen, gemeinsam einer Welt von Feinden trotzen, die das Alte, das Bewährte, das Traditionelle gefährdet. Es ist der Traum davon, Gewohntes und Vertrautes auf alle Ewigkeit gleichsam in einer Zeitkapsel einzufrieren und vor den allfälligen Veränderungen schützen zu können.

Dabei gilt seit eh: Das einzig Konstante ist die Veränderung. Jede Zeit, jeder Tag, jede Sekunde gebiert unvermeidlich das Neue, das Revolutionäre, das, was das Bewährte verändert, sodass es entweder erneuert in die Zukunft oder untergeht.

Doch die Vorstellung, Russland könne jene Werte retten, die im Westen von einem ständig mehr sich dem Wirklichen entfernenden Zeitgeist bedrängt werden, ist allein schon deshalb absurd, weil Werte nur gerettet werden können von jenen, die für diese Werte aus innerer Überzeugung kämpfen.

Und doch ist die Vorstellung, eine deutsch-russische oder russisch-deutsche Superweltmacht könne die Räder der Zeit zum Stillstand bringen, einer Betrachtung wert.

Deutschland: Nie ganz Westeuropa, nie ganz Osteuropa

Deutschland stand immer schon nicht nur territorial zwischen Russen und Franzosen. Während sich Russland in der Tradition des byzantinischen Ostroms entwickelte und zur imperialen Größe fand, war zwischen Deutschen und Franzosen trotz lang gepflegter Erbfeindschaft in den entscheidenden Momenten stets die gemeinsame Verankerung in der weströmischen Kulturentwicklung maßgeblich.

Auch heute noch lauert in Europa trotz Niedergang der christlichen Gemeinschaften stets das kirchlich-kulturelle Schisma zwischen Orthodoxie und Katholizismus. Es wirkt selbst dann noch, wenn in Russland staatlicher Atheismus und in Frankreich republikanischer Laizismus verordnet und damit die Vorstellung vermittelt wird, das klerikale Dogma habe sich abschließend ins Private verabschiedet.

Im Westen des Kontinents konnte der katholische Klerikalismus, getrieben durch die Reformation, den kulturgeschichtlich radikalen Umbruch durch die Aufklärung nur aufhalten, nicht aber verhindern.

Im Osten des Kontinents jedoch sollten die Vorstellungen der Avantgarde des 18. und 19. Jahrhunderts bis heute nicht ankommen: Ob Zarismus oder Kommunismus – das Bollwerk der Orthodoxie diente ihnen allen, um sich gegen die westeuropäische Moderne und deren Einflüsse erfolgreich zu wehren.

Die Deutschen befanden sich dabei stets dazwischen. Unter ihren Intellektuellen fanden sich die bedeutendsten Denker der Überwindung des klerikalen Diktats und der selbstzensierenden Denkverbote – und doch obsiegten regelmäßig die Beharrungskräfte, die die Radikalität des Wandels, wie sie Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert prägte, zu keinem Zeitpunkt zuließ. Frankreich lebte vor, Deutschland folgte nach. Aber niemals mit dem Enthusiasmus und der Radikalität, die den „Welschen“ jenseits des Rheins zu eigen ist.

Die Deutschen sind der historische Puffer zwischen der Progressivität der Franzosen und der Orthodoxie der Russen. Sie wagten nicht die Deutlichkeit der laizistischen Loslösung und Überwindung des klerikalen Einflusses in der Politik wie in Frankreich – und sie verharrten nicht in der klerikalen Unbeweglichkeit der orthodoxen Spätmittelalterlichkeit, wie sie in Russland selbst die Sowjetära kennzeichnete.

Allein schon der Blick in die aktuelle Verfassung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche offenbart die deutsche Zwitterstellung: Intellektuell in Frankreich und emotionell in Russland erklärt sich Deutschland zu einem säkularen Staat – und kehrt seitdem die Mittelalterlichkeit der klerikalen Dominanz in der Politik um in die politische Dominanz im Klerus.

Selbst die im deutschen Kulturkreis geborene Reformation, die den Wandel in einem katholisch restaurierten Frankreich erst ermöglichte, steht exemplarisch für das Wesen der Deutschen. Nicht das Reaktionäre, wider die Zeit Beharrende als Ballast über Bord werfen, sondern es verbessern, es reformieren wollen sie. Das Alte, das Bewährte behalten, ohne auf das Neue, das Moderne zu verzichten.

Die Deutschen sind das ewige Scharnier zwischen Moderne und Orthodoxie. Sie sind es intellektuell, territorial, emotional. So werden sie der Puffer, der das Progressive ausbremst, bevor es in Russland ankommen kann, und der das Reaktionäre abfängt, bevor es in Frankreich zivilisatorische Restitution instrumentiert.

Als Mittler wie als Puffer verlieren sie immer dann, wenn sich die Orthodoxie und die Moderne gegen sie zusammenschließen. Doch sie gewinnen auch dann nicht, wenn sie sich für die eine oder für die andere Seite entscheiden – oder sich in Äquidistanz versuchen. Vielleicht deshalb schuf die Reformation ungewollt einen dritten Weg vorbei an den beiden kontinentalen Konkurrenten und zwischen diese hindurch, baute eine Brücke zu den reformatorischen Angelsachsen jenseits der Meere.

Nationalstaatsidee und Tribalismus

Deutsche und Russen standen 1813 gemeinsam gegen einen Franzosen, der Europa bis zum Ural und vielleicht darüber hinaus in einem kontinentalfranzösischen Weltreich vereinen wollte. Doch das großfranzösische Reich abschließend verhindern konnten die Deutschen erst an der Seite der Angelsachsen.

Die Ideen einer politischen Gesellschaft, die sich an bürgerlicher Vernunft statt dem Diktat der Obrigkeit ausrichtete und die jene Revolution der Franzosen gebar, die Napoleon an die Macht gebracht hatte, waren dennoch bei den Deutschen auf fruchtbaren Boden gefallen und sollte zumindest im 19. Jahrhundert einen ungeahnten gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt ermöglichen. Bei den Russen aber kamen sie bis heute nicht an.

Die Idee der französischen Revolution von einer Bürgergesellschaft ohne Autokraten aus Klerus und Adel war im 19. Jahrhundert infolge des napoleonischen Imperialismus um die nationale Komponente erweitert, von dieser überlagert und in Teilen auch ersetzt worden. Die Lehre aus dem Überrollen des Kontinentes durch Napoleons Armee lautete: Nur große und starke Nationalstaaten sind in der Lage, ihre kulturelle Identität gegen Aggressionen von außen erfolgreich zu verteidigen und damit ihre Identität zu bewahren.

Das auf die Revolution folgende Zeitalter der Nationalstaaten bedurfte zwangsläufig der einenden Identität und schuf in Pervertierung der Vorstellung von nationaler Einheit den archaischen Tribalismus von „Stämmen“, von Völkern als Bluts- statt Schicksalsgemeinschaften.

Russlands panslawistische Vielvölkerstaatsideologie eskaliert die Krise

Als 100 Jahre nach der Überwindung Napoleons durch die gemeinsam agierenden Russen, Deutschen und Briten die europäische Krise eskalierte, waren es die Russen, die noch vor den Deutschen mobil machten. Der russische Tribalismus träumte als Panslawismus davon, ein Großreich der vielen Völker zu schaffen, das vom pazifischen Kamtschatka bis an das Mittelmeer reichte. Er wurde zum Auslöser der ersten großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts, als ein Panslawist den Thronfolger eines anderen imperialen Vielvölkerstaates ermordete.

Wieder 100 Jahre später hatte der nationalrussische Tribalismus des Alexander Dugin den Panslawismus abgelöst. Träumte Zar Nikolaus noch davon, die slawischen Völker unter der Fahne seines Zarenreichs der Romanow in einem Imperium der vielen slawischen Völker zu sammeln, vereinnahmt der Diktator Putin die Menschen slawischer Kulturkreise ohne jeden Umschweif unmittelbar als Blutsrussen und knüpft damit nahtlos an jene Weltanschauung an, die ein Deutschösterreicher namens Adolf Hitler in einem umfangreichen Schriftwerk für ein deutsches Blutsvolk niedergelegt hatte.

Es hat dabei keine Bedeutung, dass die Russen ursprünglich aus Skandinavien kamen und Germanen waren, bevor sie sich mit den slawischen Stämmen der Weiten Cisuraliens vermischten und bevor die Mongolen aus den Tiefen der asiatischen Steppe ihren eigenen, genetischen Teil zur Entstehung einer russischen Nation beitrugen.

Die bürgerlich-europäische Staatsidee der Nation als Schicksalsgemeinschaft auf Freiwilligkeit, wie sie in der Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 festgeschrieben wurde, ist auch nach zweihundert Jahren nicht an Newa und Moskwa angekommen. Während im Brüssel der Europäischen Union der aus dem Ruder gelaufene Anspruch, Europas Nationen nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts in Freiheit und Selbstbestimmung zu einen, infolge der Übernahme durch internationalistische Sozialisten und Bürokratoren die Zukunft der Aufklärung vernichtet, fällt Moskau zurück in eine wirre Gemengelage aus kolonialem Imperialismus und tribalistischem Alleinvertretungsanspruch.

Was sich niemand einzugestehen wagt: Die deutsche Vorstellung, revolutionäre Ideen könnten durch friedliche Annäherung einer Logik des Wandels folgen, ist krachend gescheitert. Revolutionäre Ideen können nicht exportiert werden – Nationen müssen sie importieren, weil sie sich von ihrer Sinnfälligkeit haben überzeugen können. So, wie es die Ukrainer seit ihrer Souveränität immer wieder mit wachsendem Erfolg versucht haben und dabei an die Grenzen des großrussisch-orthodoxen Tribalismus gestoßen sind.

Die deutsch-russische Illusion

Wer der klassisch-deutschen Vorstellung von der Äquidistanz zu den Imperien frönt oder gar von einer deutsch-russischen Einheit träumt, verkennt, dass spätestens seit 1848 die beiden größten Nationen des europäischen Kontinents in ihrer politischen Kultur auf Wegen gingen, die trotz emotionaler Nähe intellektuell voneinander fort statt zueinander hin führten.

Die Vorstellung, dass Russlands Rohstoffe und Deutschlands Genie ein Reich des Unüberwindlichen schaffen würden, reicht dennoch selbst bis in US-amerikanische Kreise. Manch sonst hoch geschätzter Wissenschaftler bringt es damit bis in die bedeutendsten US-Magazine. Dabei hätte selbst ein US-zentrischer Amerikaner längst bemerken müssen, dass sich „die Deutschen“ ihr wissenschaftliches Genie seit 1933 selbst aus dem Körper operiert hatten, um es nach einem kurzen Aufflackern zwischen 1950 und 1970 abschließend den Illusionen einer „grünen“ Zukunft der wirklichkeitsfremden Späthippiephilosophie zu opfern, in der Energie „erneuert“ und Klima „gerettet“ werden kann.

Selbst bei der emotionalen Nähe, die immer noch zwischen Deutschen und Russen zu erkennen ist – der kulturelle und gesellschaftliche Weg ist längst zu unterschiedlich, als dass diese Paarung längerfristig zu einer stabilen Einheit werden könnte.

Das russische Riesenreich verharrt mental in der spätoströmischen Gemengelage aus totalitärer Systemgläubigkeit und göttlicher Berufung. Daran haben selbst die fast 75 Jahre eines aus westeuropäischen Intellektuellenkreisen importierten, atheistischen Nihilismus nichts ändern können.

Die Deutschen teilen sich – nach ebenfalls fast 75 Jahren – zwar zunehmend mehr die Systemgläubigkeit mit den Nachbarn im Osten – und doch hat die Orientierung an der Aufklärung im Westen seit Friedrich von Preußen, dem „Großen“, nicht mehr zu revidierende Spuren hinterlassen.

Das gilt auch dann, falls Russland eines Tages seinen zu kurzen Weg in ein demokratisch-freiheitliches System der bürgerlichen Selbstbestimmung fortsetzen sollte. Und wenn Deutschland seinen verloren gegangenen Weg zurück zu seiner verfassungsmäßigen, bürgerlichen Ordnung der Bonner Republik finden sollte. Intellektuell bewegen sich Deutsche und Russen trotz emotionaler Nähe in unterschiedlichen Welten. Partnerschaft kann möglich sein, wenn der selbstbestimmte Wandel in den Völkern Annäherung schafft. Mehr nicht. Die Illusion manch eines Deutschen, dass umgekehrt Annäherung Wandel von außen zu schaffen in der Lage ist, wurde zumindest in Russland krachend an die Wand gefahren. Je näher die Deutschen den Russen kamen, desto mehr rückte die russische Politik von den Deutschen fort.

Trotzdem träumt manch Deutscher immer noch und unverdrossen vom historischen Schulterschluss mit der osteuropäischen Orthodoxie.

Bei all diesen Orientierungen scheint hierbei zudem auch regionale Nähe eine Rolle zu spielen.

Sind die Süddeutschen eher katholisch-frankophil und die Norddeutschen eher protestantisch-anglophil geprägt, so mehrt sich die orthodox-russophile Sympathie, je näher der Betroffene zur Oder lebt.


Es folgt Teil 4. – Hier Teil 2 „Patrioten, Nationalisten, Faschisten, Antifaschisten”.

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