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Das Menetekel aus dem Osten

Published On: 14. Juni 2022 15:19

Aus Verzweiflung über die Woke-Ideologie flüchten sich manche – besonders im Osten – in einen merkwürdigen Putinismus. Das ist ein Symptom der gesellschaftlichen Brüche. Daneben spielen auch verkappte linke Sowjetnostalgie und undurchdachter Pazifismus eine Rolle. Von Arnold Vaatz.

Pegida-Demonstranten in Dresden hielten zuweilen Plakate in die Luft, auf denen geschrieben stand: „Putin nach Berlin“. Schon in den ersten Tagen des Ukraine-Krieges zogen Leute mit russischen Fahnen durch Dresden. Gerade aus konservativen Kreisen hörte man Stimmen, die vor Verständnis für Putin förmlich trieften. Beim Reinhören in den Podcast „indubio“, dessen Folgen ich bis dahin regelmäßig anklickte, glaubte ich, nicht recht zu hören: Ein Diskutant zitierte Gerhard Schröders Bemerkung, die Ukrainer hätten „mit dem Säbel gerasselt“ und der Moderator Burkhardt Müller-Ullrich fragte ernsthaft zurück: „und haben sie das nicht?“

Unterdessen läuft in der Ukraine die „militärische Spezialoperation“. Ein geschickt gewählter Terminus. Aus Putins Sicht kann das Ganze kein Krieg sein. Krieg kann man nur gegen Staaten führen und als Staat will er die Ukraine nicht anerkennen. Und da er seiner Wortschöpfung nach keinen Krieg führt, muss er sich auch an kein Kriegsrecht halten. Er kann die Ukrainer nach Belieben töten lassen und hinterher bestreiten, dass es sie überhaupt je gegeben hat. Während wir nun beinahe in Echtzeit am Fernsehschirm sehen, wie friedliche Menschen, die eben noch gemeinsam das orthodoxe Weihnachtsfest in ihren intakten, festgebauten Häusern feierten, jetzt die Leichen ihrer Angehörigen aus den Trümmern derselben hervor zerren, wimmelt es in Deutschland an Menschen, die sich mit giftigen Bemerkungen in ihren Kommentaren zu Ukraine-Beiträgen in den sozialen Medien überbieten und sich nichts Dringenderes vorstellen können, als die überfallenen Ukrainer mit beleidigenden Kommentaren zu überziehen und krampfhaft nach Rechtfertigungen zu suchen, weshalb Putin mit seiner „Spezialoperation“ nicht ganz im Unrecht sei.

Andere haben schon Verständnis für die Ukraine, meinen aber, eine schnelle Kapitulation wäre das beste. Und wieder andere erkennen keinen Unterschied mehr zwischen Putin und den Regierungen des Westens.

Woher kommt dieses übergroße Verständnis für Putins Position – bei gleichzeitig geringer Bereitschaft, der Ukraine bei ihrem Kampf beizustehen?

Welche Beweggründe haben diese Menschen? Ich halte dies für eine der wichtigsten Fragen, die sich jetzt stellen.

Wie Deutschland die Ukraine im Stich lässt

Die Gruppe, die in der Richtung denkt, ist heterogen, es gibt also nicht die eine Antwort. Beginnen wir mit dem Sommer 2014. Damals wurde das malaiische Passagierflugzeug MH17 abgeschossen. Die Leichenteile gingen in der Nähe der Stadt Tores im Gebiet der sogenannten Volksrepublik Donezk nieder. Schon Stunden nach dem Abschuss veröffentliche der damalige ukrainische Außenminister Klimkin abgefangene Telefonate, die eindeutig belegten, dass kremlgelenkte Söldner das Flugzeug mit einer ukrainischen Maschine verwechselt und mit einer russischen BUK-Rakete abgeschossen hatten, weil diese Telefonate von aufgefundenen Pässen der toten Passagiere handelten, deren Namen vorgelesen wurden – lange bevor der Inhalt der Passagierliste bekannt wurde. Im Internet kursierten Videoszenen, in denen offenbar betrunkene Söldner die Sachen der Toten durchwühlten und mit Stofftieren der verunglückten Kinder vor der Kamera posierten. Jeder Mensch, der einen Funken Anstand hat, wusste beim Anblick dieser Bilder, mit welcher Sorte Personal er es in Gestalt der sogenannten Separatisten zu tun hat – sollte man meinen. Einige Zeit später trat das ostalgische und linksradikale Dresdner Kabarett „Herkuleskeule“ mit einer Umdichtung des berühmten Habanera-Wechselgesangs aus der Oper Carmen auf: Der Ohrwurm “Mais si je t’aime, si je t’aime – Prends garde à toi“ wurde zur Verspottung der Gegner der russischen Donbas-Aggression umgedichtet zu „und immer sind – die Russen schuld“. Dieses Couplet war ein Lebenszeichen der Sorte von Russland-Apologeten, die von der Wiederkehr der Sowjetdiktatur in Deutschland zu träumen scheinen und sich in ihren Gedanken wohl schon als die Vorhut der Russland-Kollaborateure in Agitprop-Kolonnen durch die Lande ziehen sehen.

Putinverstehen als Reaktion auf den Woke-Wahn

Eine weitere Art der Putinfreunde, die mit dem Typ „Herkuleskeule“ nichts zu tun hat, sind jene Leute, die ihre Lebensgewohnheiten und Wertvorstellungen einem grün-woke-dominierten medialen Vernichtungsfeldzug ausgesetzt sehen, gegen den sie keinerlei Schutzmechanismen haben und den sie obendrein von ihrem durch Arbeit erworbenen Geld in Form von Rundfunkbeiträgen bezahlen müssen. Alte weiße Männer müssen sich gefallen lassen, zum Kehrricht der Weltgeschichte gerechnet zu werden, Eltern müssen sich darauf einrichten, hilflos daneben zu stehen, wenn sich ihre Kinder unter dem Einfluss der aus allen Kanälen quillenden LGBTQIA+-Propaganda entschließen, sich verstümmeln zu lassen. Wer den Klang der deutschen Sprache und ihre Ausdrucksmöglichkeiten liebt, muss wehr- und hilflos deren systematische Zerstörung durch in nahezu jedem Ansatz aufgestellte Geßlerhüte in Form von Sternchen, Doppelpunkten und anderen Folterinstrumenten der Gendersprache zur Kenntnis nehmen, die der Gesinnungsüberwachung dienen.

Gäbe es Wege, sich diesem kulturellen Frontalangriff zu entziehen, das Vertrauen in die Demokratie wäre sofort wieder hergestellt. Da aber die Herrschaft über die Mikrofone, die Bildschirme und die Zeitungen zementiert, jedem Einfluss von Markt und jeder demokratischen Mitsprache für immer entzogen zu sein scheint, kommt es bei Vielen zum Kurzschluss: Putin wird als Antipode dieser existenziellen Bedrohung wahrgenommen.Jene, die die Ohnmacht gegen die allgegenwärtige woke Ersatzreligion  umtreibt, fallen aus reiner Verzweiflung reihenweise um und werden über Nacht zu Putins nützlichen Idioten.

Ein langjähriger Freund, mit dem ich mich ob seines Putinismus nun in einen nicht mehr heilbaren Gegensatz befinde, sagte mir ins Gesicht: „Ja, die Raketen auf Mariupol sind schrecklich. Aber die Raketen, die von den Grünen auf meine kulturelle Existenz, auf meine Haltung zu Familie, Sexualität, Sprache, Bildung, Essen, Trinken sekündlich aus allen Lautsprechern abgeschossen werden, nehmen mir jeden Lebensmut und treffen in meine intimsten Zonen. Die angebliche Demokratie schützt meine Meinung nicht, sie unterdrückt und zensiert sie. Die Demokratie hat fertig. Putin lehnt diesen ganzen Zauber ab. Ich weiß nicht, was daran schlimm sein soll.“

Diese Ausrichtung ist nach meinem Eindruck besonders in AfD-Kreisen anzutreffen. Die anderen Parteien haben den großen Fehler gemacht, die Aussagen der AfD auch an Stellen, an denen sie berechtigt sind – etwa in der Energiepolitik oder im Widerstand gegen den eben beschriebenen kulturellen Frontalangriff – pauschal zu verurteilen und abzuschmettern und ihr gar elementare parlamentarische Gewohnheitsrechte, die man den Mauerbauern und Demokratieabschaffern aus der ehemaligen SED mit großer Selbstverständlichkeit zugestanden hat, zu verweigern und dies mit Methoden, die – siehe Merkels Eingriff in Thüringen – jedenfalls mit meinem Verständnis von Demokratie oft nichts zu tun hatten, anstatt die Partei dort zu packen, wo sie tatsächlich die Sicherheit Deutschlands und Europas gefährdet: Als die fünfte Kolonne Putins, als die sie sich als ständiger Gast in der russischen Botschaft und beim Fotoshooting auf der Krim zweifelsfrei seit Jahren präsentiert.

Der verdrehte Pazifismus

Schließlich haben wir – wieder besonders in Ostdeutschland – eine weitere Spezies mit einem ambivalenten Verhältnis zum Krieg in der Ukraine. Diese Leute mögen Putin gewiss nicht. Sie verurteilen seinen Einmarsch in die Ukraine. Sie sind hilfsbereit und kümmern sich um ukrainische Flüchtlinge. Aber sie fragen diese Flüchtlinge, warum die Ukraine um Gottes Willen nicht endlich kapituliert. Auch in der DDR habe man dieses Los über Jahrzehnte auf sich nehmen und auf andere Zeiten warten müssen. Und so könne man wenigstens überleben. Und das Ende der selbstständigen Ukraine sei ja nun – du mein Gott! – kein Weltuntergang. Manche Flüchtlinge antworten darauf gar nicht. Andere antworten. dass bei einer Kapitulation der Ukraine auf sie nicht der Frieden warte, sondern die Deportation und die gewaltsame Russifizierung. Dass man sie dann fragen wird, ob sie Ukrainer seien oder Russen. Erklären sie, Russen zu sein, dann blieben sie am Leben, erklären sie, Ukrainer zu sein, dann würden sie erschossen.

Hier ist nun eine sorgsam von russischer Seite in die deutsche Debatte eingepflegte Erzählung zu erwähnen. Sie hat sich West wie Ost im Denken besonders der Meinungsführer festgesetzt und wurde sogar vom argentinischen Papst nachgeplappert: „Die Nato habe vor der russischen Haustür gebellt“ (Man kann nur hoffen, dass die polnische Kirche hierauf angemessen reagiert). Die „auf US-amerikanische Initiative hin“ erklärte Beitrittsabsicht zur Nato der Kiewer „US-Marionetten“ habe den Russen keine andere Wahl gelassen als diesen Krieg.

Es handelt sich hier um eine der fettesten Lügen, die Putin der Welt aufgetischt hat. Die in russischen Augen begangene wirkliche Sünde der Ukrainer hat nämlich nicht einen Deut mit deren Nato-Beitrittswunsch zu tun.

Die in russischen Augen unverzeihliche Sünde der Ukrainer besteht darin zu behaupten, sie seien Ukrainer und keine Russen. Die Absicht, nicht zum Volk der Russen gehören zu wollen, beschädigt das imperiale Selbstbewusstsein Russlands, die sich für die Herrenmenschen schlechthin halten, bis aufs Mark. Inzwischen gibt Putin die Lügenhaftigkeit dieses vorgeschobenen „Kriegsgrundes“ auch grinsend zu, indem er zum 350. Geburtstag Peters des Großen vom Sammeln russischer Erde spricht. Die Nato interessiert in diesem Zusammenhang überhaupt nicht. Auch wenn die Ukraine ewige Neutralität geschworen und alle Waffen – genau wie 1994 alle Kernwaffen – freiwillig an Russland übergeben hätte: Putin hätte dieses Land genauso angegriffen, annektiert, alles Ukrainische bis hin zur Sprache ausgelöscht und aus ihm eine Kolonie des russischen Herrenvolks gemacht. Der stellvertretende Vorsitzende des russischen Verteidigungsrat, Ex-Präsident Medwedjew, nennt ganz offen das russische Kriegsziel: Die Vernichtung der Ukrainer als Staatsvolk: Sie seien Bastarde und Abschaum, er werde Zeit seines Lebens alles dafür tun, sie „verschwinden zu lassen“. Die letzten Pläne solcher Art hat man am Wannsee geschmiedet. Deshalb sterben sie lieber, als sich zu ergeben.

Aber warum verfing die Erzählung vom Kriegsgrund Nato-Beitrittswunsch im Westen? Nun, es entsprach der lächerlichen Vorstellung vom Einfluss des Westens auf Russland. Der Glaube, dass Russland die Nato fürchte, befriedigt die Eitelkeit des Westens. Nichts dergleichen tut aber der Kreml. Weil die russischen Ambitionen weit über die Ukraine hinausgreifen, weil sie uns betreffen, ist das Beschwichtigungsgerede, wir sollten uns heraushalten, dies sei nicht unser Krieg, reiner Unsinn. Die Frage, ob uns Russland als Kriegspartei ansieht, entscheidet der Kreml. Wenn der Kreml uns als Kriegspartei identifizieren will, dann genügt hierzu eine stehengelassene Bierdose auf dem Sockel des sowjetischen Ehrenmals in Treptow als kriegsauslösende Beleidigung des russischen Heldenvolkes.

Nein: Nach einem Fall der Ukraine laufen wir Gefahr – wie Bernd Posselt zutreffend festgestellt hat – nicht nur Kriegspartei, sondern Kriegsziel zu sein. Das Sammeln russischer Erde ist noch lange nicht abgeschlossen. Russische Erde ist alles, was in der Geschichte einmal russisch besetzt war. Das Baltikum, die Moldau und Polen gehören dazu. Aber Putin hat längst weitere Ziele markiert: Der Nordpol gehöre zu Russlands Festlandssockel und somit zu Russland, am Meeresgrund ist dort schon mal eine russische Fahne montiert. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass ganz Westeuropa zu nichts anderem gehört als zu Russlands Festlandssockel. Ebenso wie der russische Großmachtideologe Dugin träumt nämlich auch Medwedjew davon, dass der von ihm angestrebte Zusammenbruch der Ukraine den Weg für ein offenes Europa von Lissabon bis Wladiwostok eröffne. Natürlich unter russischer Herrschaft.

Es ist also längst angekündigt: Putin wird sofort gegen die Nato zuschlagen, wenn er sich hierzu stark genug fühlt. Das Kriterium für diese Entscheidung ist nicht die Frage, ob die Nato Panzer liefert oder nicht, sondern allein die Frage, für wie stark Putin sie hält. Das Geplapper westlicher Politiker und Zeitungen, interessiert ihn überhaupt nicht: Fühlt er sich stark genug, dann schlägt er zu. Ein Sieg in der Ukraine soll ihm diese Stärke bringen, sein Traum ist – wie sein Vertrauter Kadyrow inzwischen freimütig ankündigt – Polen anzugreifen und dann wohl den Zustand nach dem Wiener Kongress wieder herzustellen. Hierfür braucht er wohl ukrainische Soldaten, die er mit vorgehaltener Waffe vor sich her durch die polnischen Minenfelder treiben kann. Ein Weltkrieg kann nur vermieden werden, wenn die Ukraine standhält und Russland durch diesen Krieg so ermattet, dass ihm für weitere Angriffe vorerst die personellen Ressourcen fehlen.

Wird das gelingen? Während die Nord- und die Osteuropäer hellwach ihre existenzielle Gefährdung wahrnehmen, Ungarn aber offenbar schon einen Sieg Putins fest eingeplant hat und sich immer weiter vom Westen distanziert, ist sich die politische Klasse in Westeuropa ihrer katastrophalen Urteilsunfähigkeit nicht bewusst. Sie haben in Bezug auf Moskau immer danebengelegen, obwohl Putin seit seiner Rede 2006, als er den Zerfall der Sowjetunion als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat und damit im Umkehrschluss ihre Wiederherstellung zum politischen Programm erhob, weigerte sich der Westen, dies ernst zu nehmen. Journalisten, die Putins Gedankenwelt glasklar beschrieben haben, sind heute von der Bundespressekonferenz ausgeschlossen und solche, die über Jahre den Appeasement-Singsang wiedergekäut haben, werden hochgeehrt.

Merkel & Co. handelten wie von Putin gesteuert 

Deutschland wurde im übrigen 1998 bis 2021, also 23 Jahre lang, von Personen regiert, die, zwar bestimmt nicht vom Kreml direkt auf subversive Weise im Kanzleramt platziert wurden, aber doch Schritt für Schritt so gehandelt haben, dass Russland durch einen direkt eingesetzten Befehlsempfänger in das Amt des deutschen Bundeskanzlers seinen imperialen Interessen nicht besser hätte Bahn machen können. In die Schröder-Zeit fällt der Beginn der Abwendung von der energetischen Eigenversorgungsfähigkeit Deutschlands (erstes Atomausstiegsgesetz, EEG).

Die folgenden 16 Jahre Merkel steuerten Deutschland in die komplette Erpressbarkeit durch die Abhängigkeit von russischem Gas und russischem Öl, die Zerstörung der Versorgungssicherheit mit Strom durch die irrwitzige Abkehr von Kernkraft und Kohle, die Schleifung der Bundeswehr zu einem kaum noch handlungsfähigen Fragment, die fortschreitende Erosion der EU durch die ständige Bevormundung der osteuropäischen Beitrittsländer; die Spaltung der Gesellschaft durch einen übergriffigen Kulturkampf, in dessen Kern es gegen die traditionelle Familie und damit gegen die Regenerationsfähigkeit der Bevölkerung geht, die Stigmatisierung bestimmter Lebensweisen, die Moralisierung von Sprache bis hinein in die Grammatik und Semantik, die Erhöhung des Ökologismus als Religionsersatz und vieles dergleichen mehr. Nebenbei hat Merkel durch ihre geschwätzige Ansage von 2014, der Ukraine keine Waffen liefern zu wollen, die Ukraine wehrlos gemacht und zum Abschuss freigegeben (es gab damals durchaus Argumente, keine Waffen zu liefern, aber es gab keinerlei Argumente, dies auch laut auszusprechen).

Kürzlich gab sie ein Interview in Berliner Ensemble, das einen tiefen Einblick in die Verkommenheit des deutschen Journalismus zu einer einzigen panegyrischen Verrenkung bietet und an dem nur eines bemerkenswert ist: Für wie dumm die ehemalige Kanzlerin ihre Landsleute hält, dass sie ihnen mit derart plumpen Selbstrechtfertigungen den politischen Trümmerhaufen verkaufen zu können glaubt, den sie hinterlassen hat: Ein Deutschland und ein Europa, dass sich seiner wirtschaftlichen, militärischen und mentalen Stärke selbst beraubt hat, das – um mit Westerwelle zu sprechen: dekadent – dem Ansturm einer von solchen Selbstzweifeln unberührten skrupellosen Großmacht irritiert und wehrlos entgegen taumelt.

Das Merkelsche Fuhrwerk hat nun Olaf Scholz übernommen und seine markigen Worte am Anfang, als gar von einer „Zeitenwende“ die Rede war, weckten Hoffnungen, haben sich bis jetzt aber als ziemlich leer erwiesen. Die Entscheidung des Bundestages zur Lieferung von schweren Waffen setzt er nicht um. Rhetorisch gibt er beinahe Vollgas, administrativ hat er die Handbremse bis zum Anschlag angezogen. Er will wohl mit den Waffenlieferungen warten, bis die Ukraine kapituliert hat. Dass die Ukraine noch standhält, verdankt sie den Amerikanern, den Briten und den osteuropäischen Nato-Staaten. Nicht Deutschland. Hätten die Briten und die Amerikaner gehandelt wie Bundeskanzler Scholz, dann stünde die Front jetzt in der Nähe vom Lemberg und die Ukraine wäre in diesem Sommer Geschichte. Der Schatten von Helmut Schmidt, der stets pro-russisch argumentierte und wohl im Innersten der Meinung Putins war, dass es nämlich eine Ukraine überhaupt nicht gäbe, liegt noch immer schwer auf der SPD.

Oder gibt es doch Hoffnung? Könnte das alternde Europa infolge des Ukrainekrieges aus seinem rot-grün-woken Delirium aufwachen? Aufhören, die alten weißen Männer zu bekämpfen? Aufhören, die Welt retten zu wollen und sich endlich auf das eigene Überleben konzentrieren? Seine geistigen und materiellen Kräfte erneuern? Könnte es lernen, eine Sprache zu sprechen, die man in Russland und auch in China versteht? Die Hoffnung stirbt zuletzt.


Arnold Vaatz war bis 2021 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er war DDR-Bürgerrechtler und saß dort sechs Monate im Gefängnis, weil er den Reservewehrdienst verweigerte. Bereits Mitte der 70er Jahre eröffnete das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) einen Operativvorgang gegen Vaatz. Nach der Wende war er unter anderem Chef der Sächsischen Staatskanzlei, wurde später Mitglied des CDU-Präsidiums und engagierte sich innerparteilich gegen den Kurs von Angela Merkel. Aktuell organisiert er Hilfslieferungen in die Ukraine.

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