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Bei Illner: Alarmstufe Rot, aber niemand hat Schuld – vorsichtige Atomkraft-Annäherung

Published On: 24. Juni 2022 8:25

Bei Illner plädiert Christian Lindner auf einmal sehr vorsichtig für Atomkraft. Grüne und SPD-Leute sehen darin allerdings gar keine Notwendigkeit. Trotz Alarmstufe Rot bleibt die Debatte zäh und ideologisch ausgebremst.

Screenshot ZDF: MAybrit Illner

Es sollte ursprünglich eine Sendung sein mit den üblichen Kandidaten zur Frage: „Krieg mit Waffen. Krieg mit Energie – wie lange hält Europa durch?“ Ein Titel, der aus Textblöcken zusammengebastelt war, die alle schon mal verwendet wurden. Als Gäste wurden Lars Klingbeil, Norbert Röttgen, Herfried Münkler, Carlo Masala, Nicole Deitelhoff und Ljudmyla Melnyk angekündigt. Doch dann, nur wenige Stunden vor der Sendung: Das Thema wird komplett überworfen. Infolge des Statements von Energie- und Wirtschaftsminister Robert Habeck lautet die Sendung nun: „Alarmstufe beim Gas – wird Energie unbezahlbar?“

Von Röttgen bis Melnyk werden alle ausgeladen, nur Lars Klingbeil darf weiterhin kommen. Röttgen wird gegen Lindner ausgetauscht. Im Einspieler wird gefragt: „Müssen im Winter unsere Bürger frieren oder kann man sich dagegen wappnen?“ Oh, hey, sonnige Aussichten. Man hat schon das Gefühl, das wird hier so ein „Jeder weiß, wo er an dem Tag gewesen ist“-Moment – der Tag, an dem in Deutschland die Lichter ausgingen. Oder aber Habeck wollte schon immer mal Alarmstufe Rot ausrufen, ist ja nicht so, als hätten wir dieses Phänomen nicht gerade zu Corona erlebt. 

Nicht, dass ich jetzt der Meinung wäre, Röttgen und seine CDU sind jetzt die ideale Besetzung, aber was genau hat er Illner getan, dass ausgerechnet er fliegen muss? Denn sehen wir es mal so: Wäre es jetzt eine ganz normale Sendung, hätte da gestern SPD-Mann gegen CDU-Mann antreten müssen. Doch dann ruft ein deutsches Bundesministerium eine Alarmstufe aus und die Opposition wird gegen ein weiteres Regierungsmitglied ausgetauscht. Alarmstufe ist Chefsache? Schade, ich hatte mich schon gefreut, Röttgen zur Energiefrage reden zu hören. Die CDU fährt nämlich gerade einen sehr interessanten „Atomkraft? Ja bitte!“-Kurs, der so gar nicht zu der Tatsache passen will, dass es die CDU war, die die Kernkraftwerke überhaupt abgeschaltet hat.

Christian Lindner fordert: Man soll jetzt die Atom-Debatte zumindest offen führen. Wo war Lindner denn, als Atomkraft das letzte Mal offen diskutiert wurde – als noch nicht erhebliche Teile der deutschen Kraftwerke unwiederherstellbar abgeschaltet worden waren? Wo war Herr Lindner, als wir unsere Souveränität und sichere Stromversorgung aufgegeben haben, weil es am anderen Ende der Welt einen Tsunami gab? Da erklärte er erneuerbare Energien zu „Freiheitsenergien“ und Atomkraft für obsolet.

Doch jetzt tönt der Finanzminister: „Ich wäre auch bereit für eine Diskussion, in Deutschland die verbliebenen Kernkraftwerke eine Zeit weiterzuverwenden.“

Dennoch meint Lindner: „Wir haben keine Stromlücke, aber wir haben Klimaziele. Brennelemente bekäme man zum Beispiel aus Australien. In der ARD wird morgen eine Umfrage präsentiert, dass die Mehrheit der Deutschen sagt: Wenn es das Klima schützt, sind wir dafür offen. Das muss man ernst nehmen.“

Haben wir überhaupt ein Problem? 

An der Stelle ist auch sehr passend, dass Monika Schnitzer, die als „Wirtschaftsweise“ vorgestellt wird und auf ihrem Twitterprofil auf einem Bild mit Angela Merkel und Olaf Scholz abgebildet ist, bei dem Punkt Umgang mit der Gaskrise ausgerechnet auf Japan verweist. Die hätten zu ihrer Gaskrise ja ganz pragmatisch einfach auf Fahrstühle verzichtet und sind stattdessen Treppen gelaufen und haben die Rohre im Keller ein bisschen eingepackt. Dass Japan kurz nach Fukushima einfach weiter unbeirrt auf Atomkraft gebaut hat, während wir unsere aus Solidarität abgeschaltet haben, erwähnt sie nicht. Es ist ja überhaupt völlig falsch und populistisch von mir, Gas und Atomkraft in einen Zusammenhang zu bringen.

Wir werden jetzt nämlich aufgeklärt, dass das ja komplett vom Thema ablenkt, schließlich kann auch die Atomkraft keine Heizung aufwärmen. Mag sein. Warum Nord Stream dann aber gebaut wurde, als wir die Atomkraftwerke abgeschaltet haben und immer als Übergangslösung für die Energiewende bezeichnet wird, muss mir dann aber nochmal einer erklären.

Aber wozu erklären, wenn doch dieser Vorwurf alleine schon völlig ausreicht? Und so kommen mit diesem Argument bei Illner fast alle um die Ecke – die Truppe ist schnell auf Spur gebracht worden. Alarmstufe bedeutet wahrscheinlich: Alle einweisen, wir brauchen ein einheitliches Narrativ, irgendwas Starkes, die Opferrolle ist ja schon von den Ukrainern besetzt. (Bevor ich jetzt gecancelt werde, für die ganz langsamen: Das war eine Anspielung auf unsere ehemalige Familienministerin.)

„Ich sehe aktuell nicht, dass Atomkraft das Problem wirklich lösen muss. Es gibt andere Möglichkeiten“, meint Monika Schnitzer. „Wir müssen das Gasproblem lösen, wir haben keine Stromlücke, sollten sie nicht herbeireden. Das ist nicht das Problem, das Deutschland hat“, sagt Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, zugeschaltet in die Kamera, scheinbar noch aus der Generation, die nicht auf die Technik vertraut und deshalb sicherheitshalber quer durch Deutschland brüllt. Illner bittet ihn um mehr Argumentation, aber die will er nicht bieten, mit Verweis auf die Neutralität, die sein Amt fordert. Das fand man so lange stabil von ihm, bis er dann sagt, Herr Habeck hat ja schon alle Argumente genannt, da hat er nichts weiter zu sagen. So schnell geht die Neutralität dann auch wieder flöten. Müller ist Mitglied der Grünen und war für die Partei bereits Landesminister in Schleswig-Holstein. 

Lars Klingbeil flüchtet sich bei der Frage in den Koalitionsvertrag – da steht ja schließlich gar nichts davon, dass wir aus irgendwelchen Gründen zurück in die Atomkraft gezwungen werden könnten. In der Zwischenzeit bietet er uns die üblichen inhaltslosen Phrasen: „Mein Ziel ist, völlig wegzukommen von der Abhängigkeit von Russland.“ Ja, Lars, wer will denn auch bitte schon künstlich von jemandem abhängig sein? Aber auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Wer zur Hölle hat uns denn bitte von Russland abhängig gemacht? Hmm, fällt dir da vielleicht eine Partei ein, die Nord Stream für ’ne richtig super Idee gehalten hat? Klingbeil sagt: „Wir müssen uns auf harte Monate einstellen.“ 

Falls das jetzt alles zu deprimierend am frühen Morgen klingt, hier noch eine Botschaft von Klaus Müller: „In der Notfallstufe – wenn sie denn käme – würden wir private Haushalte so lange schützen, wie das irgendwie möglich wäre. Ich gehe davon aus, dass uns das auch gelingen müsste.“ Klingt doch ermutigend, oder?

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