das-spiel:-den-geistern-das-fuerchten-lehrenDas Spiel: Den Geistern das Fürchten lehren
lieferprobleme-bei-zwei-lebenswichtigen-medikamentenLieferprobleme bei zwei lebenswichtigen Medikamenten
«wuerden-alle-el-erhalten,-gaebe-es-keine-altersarmut»

«Würden alle EL erhalten, gäbe es keine Altersarmut»

Published On: 25. Juni 2022 9:49

Andres Eberhard /  Im Alter geht die Vermögensschere weit auf, sagt die Ökonomin Nora Meuli. Wer arm ist, bleibt es auch. Die Lösung wäre einfach.

Die Altersvorsorge steht vor grossen Reformen (siehe auch Kasten am Ende des Artikels). Die Ökonomin Nora Meuli hat zusammen mit dem Sozialwissenschaftler Carlo Knöpfel von der Fachhochschule Nordwestschweiz ein Buch zum Thema «Ungleichheit im Alter» geschrieben. Im Interview spricht sie über Armut und Reichtum im letzten Lebensabschnitt.

Ihre Studie zeigt auf, dass ein 90-jähriges Schweizer Rentnerpaar im Schnitt eine Million Franken besitzt. Werden wir im Alter alle zu Millionären?

Nicht wirklich, nein. Reiche werden schlicht deutlich älter als Arme, das ist ausreichend belegt. Von jenen, die 90 werden, haben also einige sehr viel Geld. Ausserdem ist die Schere bekanntlich gross: Die reichsten 2 bis 4 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz besitzen rund die Hälfte des gesamten Vermögens. Die Vermögensverteilung in der Schweiz ist auch im internationalen Vergleich sehr ungleich – und die Vermögenskonzentration nimmt zu. Gleichzeitig gibt es viele armutsbetroffene ältere Menschen in der Schweiz.

Sind denn Alte besonders armutsgefährdet?

Rentnerinnen und Rentner verfügen in der Regel über weniger Einkommen als die Bevölkerung im Erwerbsalter, dafür aber über mehr Vermögen. Ältere Menschen sind ähnlich häufig armutsgefährdet, wie die Gesamtbevölkerung – es sind rund zehn Prozent. Das Risiko steigt dann besonders, wenn sie auf professionelle Unterstützung angewiesen sind. Denn in der Schweiz bezahlen wir vergleichsweise sehr viel für Betreuung und Pflege aus der eigenen Tasche. Der Regelfall ist aber: Wer arm war, bleibt auch im Alter arm. Vermögen spielt für diese Menschen keine Rolle, denn sie verfügen über keine finanziellen Reserven. Ihr Hauptproblem ist: Die AHV alleine reicht zur Existenzsicherung nicht aus. Die Renten sind viel zu tief, als dass man davon leben könnte.

Die meisten beziehen aber auch Guthaben aus zweiter und dritter Säule.

Das stimmt, aber bei Wenigverdienenden sind das häufig nur Kleinstbeträge. Das Problem bei der beruflichen Vorsorge ist, dass sie Ungleichheiten aus dem Erwerbsleben reproduziert – zwischen Gut- und Wenigverdienenden sowie zwischen Männern und Frauen. Denn im Gegensatz zur AHV ist sie nur aufs Erwerbsleben ausgerichtet und honoriert Erziehungs- und Betreuungsarbeit für Kinder oder ältere Menschen nicht. Das heisst, wer sich der unbezahlten Familienarbeit widmet, länger arbeitslos ist, aber auch wer Teilzeit arbeitet oder verschiedene Jobs ausübt, muss im Alter Einbussen bei der 2. Säule in Kauf nehmen.

Ins Gewicht fallen im Alter häufig die Gesundheitskosten.

Da muss man sagen, dass jeder Zweite, der in einem Pflegeheim wohnt, Ergänzungsleistungen bezieht. Die EL decken neben der Existenzsicherung auch die Gesundheitskosten ab. Aber wer über Vermögen verfügt, muss dieses zuerst aufbrauchen. Betroffene Seniorinnen und Senioren aus der Mittelschicht werden darum in vielen Fällen nichts vererben können. Sehr Reiche hingegen können sich das Pflegeheim häufig aus ihren Einkommen finanzieren und vererben ihr Vermögen ohne Abstriche weiter – die Erbschaftssteuern sind ja mehrheitlich abgeschafft.

Warum ist Altersarmut eine Realität, obschon es doch die Ergänzungsleistungen gibt?

Weil manche ihren Anspruch nicht wahrnehmen. Wir schätzen, dass mindestens jeder sechste Berechtigte keinen Antrag stellt. Die Gründe sind zum Beispiel Unwissen oder schlechte Erfahrungen mit dem Staat. Würden sie alle EL erhalten, gäbe es de facto keine Altersarmut im engeren Sinne mehr. Denn mit einer Rente sowie EL macht zwar niemand grosse Sprünge, aber die Existenz ist gesichert.

Ähnliches lässt sich auch in der Sozialhilfe beobachten. Dort verzichtet jeder Vierte. Ist es denn die Aufgabe des Staates sicherzustellen, dass seine Sozialleistungen auch bezogen werden?

Der Staat hat meiner Meinung nach eine Informationspflicht und muss die Hürden möglichst tief halten. Behörden sollten also Bürgerinnen und Bürger bei der Antragsstellung zumindest unterstützen. Was bei der Sozialhilfe schwierig wäre, bei den EL aber möglich: Sie könnten automatisiert auf der Basis der Steuererklärung ausgerichtet werden. Ich persönlich würde das befürworten. Wenn sich aber jemand bewusst dagegen entscheidet, muss das natürlich möglich bleiben.

Sowohl bei der AHV, als auch bei der beruflichen Vorsorge stehen grosse Reformen an, die politisch umkämpft sind. Können diese die bestehende Ungleichheit ausgleichen?

Bei der AHV besteht praktisch keine Ungleichheit mehr zwischen den Geschlechtern. Dass die Frauen sich gegen die Erhöhung des Rentenalters wehren, hat primär damit zu tun, dass sie in der beruflichen Vorsorge massiv schlechter gestellt sind und im Schnitt rund zwei Drittel weniger Rente bekommen. Und was bei der Reform der beruflichen Vorsorge herauskommt, ist noch völlig ungewiss. Die Ungleichheiten reduzieren würde sicherlich die Abschaffung oder eine Senkung der Eintrittsschwelle und des Koordinationsabzugs. Dies hätte zur Folge, dass der ganze Lohn versichert ist, wodurch auch Geringverdiener versichert wären. Dies wäre recht einfach zu ändern. Um Ungleichheiten abzubauen, müsste neben der Erwerbs- auch die Betreuungsarbeit honoriert werden. Denkbar wären staatlich finanziere Betreuungsgutschriften oder ein Splitting der PK-Beiträge zischen den beiden Elternteilen, sobald ein Kind zur Welt kommt.

2020 wurden schweizweit etwa 95 Milliarden Franken vererbt. Hat die Abschaffung der Erbschaftssteuer die Ungleichheit verschärft?

Eine Erbschaftssteuer würde einen kleinen Ausgleich schaffen. Aber wenn hohe Erbschaften mit beispielsweise 5 Prozent besteuert werden, ändert sich nicht viel an der Vermögensverteilung. Es könnten aber Steuereinnahmen generiert werden, die dann zum Beispiel zur Finanzierung der Betreuungs- und Pflegekosten eingesetzt werden könnten. Letzteres ist ein Thema, das uns in den nächsten Jahren noch viel beschäftigen wird. Denn Menschen werden älter, und Betreuung und Pflege kosten viel Geld. Gleichzeitig haben viele Angehörige weniger Zeit für Betreuung, da sie Doppelverdiener sind oder sein müssen.

Abgesehen vom Geld: Gibt es andere Hebel, damit alle Menschen in Würde altern können?

Der finanzielle Aspekt ist natürlich wichtig. Wir stellen in unserem Buch verschiedene Möglichkeiten vor, wie die Betreuung finanziert werden könnte. Ein Beispiel ist ein Ausbau der Hilflosenentschädigung, dann würden jene Menschen Geld erhalten, die Betreuung brauchen und könnten das dann selber so einsetzen wie sie möchten. Eine ergänzende Möglichkeit sind Zeitgutschriften: Wer Freiwilligenarbeit leistet, kann darauf zurückgreifen, wenn er oder sie es später selber braucht. Das kostet nicht viel und könnte den Zugang zu Betreuung im Alter erleichtern.

Nora Meuli ist Co-Autorin des Buches Ungleichheit im Alter – Eine Analyse der finanziellen Spielräume in der Schweiz sowie Wirtschaftsredaktorin bei SRF.

Diese Renten-Vorschläge sind auf dem Tisch

AHV-Reform: Über die AHV-21 wird am 25. September abgestimmt. Das Rentenalter der Frauen soll von 64 auf 65 Jahre erhöht werden. Als Gegenleistung erhält eine Übergangsgeneration Rentenzuschläge und kann ohne grosse Abstriche bereits ab 64 Jahren in Pension (Jahrgänge 1961-1969, falls die AHV-21 wie beabsichtigt 2024 in Kraft tritt). Zudem wird Frühpensionierung flexibler gestaltet und Anreize gesetzt, über das Pensionsalter hinaus weiterzuarbeiten. Schliesslich wird die Mehrwertsteuer zu Gunsten der AHV um 0,4 Prozentpunkte erhöht.

BVG-Reform: Die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) verzögert sich. Der Ständerat hat die Vorlage kürzlich an die zuständige Kommission zurückgewiesen. Unbestritten ist eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent. Dies senkt die Renten. Pro 100’000 Franken Alterskapital werden neu 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr ausbezahlt. Für eine Übergangsgeneration sind Ausgleichszahlungen vorgesehen, über die jedoch gestritten wird. Die BVG-Reform soll durch eine Senkung des Koordinationssatzes ausserdem dafür sorgen, dass Erwerbstätige mit Kleinpensen und Geringverdienende zu einer BVG-Rente kommen.

Rentenausbau: Mit der Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente wollen die Gewerkschaften die Zahlungen aus der ersten Säule aufbessern. Damit soll unter anderem die Krise der beruflichen Vorsorge ausgeglichen und die Frauen-Renten-Lücke geschlossen werden. Die Unterschriften sind gesammelt, die Vorlage wird an die Urne kommen.

Rentenkürzung: Die Volksinitiative «Ja zu fairen und sicheren Renten (Generationen-Initiative)» befindet sich im Sammelstadium. Die Vorlage will nicht nur das Rentenalter erhöhen, sondern bei den Pensionskassen auch laufende Renten kürzen.

Rentenaltererhöhung: Die Jungfreisinnigen wollen mit ihrer Renteninitiative das Rentenalter für alle schrittweise erhöhen – zunächst auf 66 Jahre, danach an die Lebenserwartung geknüpft. Die Unterschriften sind gesammelt, es wird abgestimmt werden.

AHV-Finanzierung durch SNB-Gewinne (1): Mit ihrer SNB-Inititative wollen die Gewerkschaften Teile der Gewinne der Schweizerischen Nationalbank der AHV zukommen lassen. Damit sollen die Finanzen der AHV gestärkt und eine Erhöhung des Rentenalters verhindert werden. Derzeit werden Unterschriften gesammelt.

AHV-Finanzierung durch SNB-Gewinne (2): Bürgerliche Kreise rund um Alfred Heer planen eine ähnliche Volksinitiative. Im Unterschied zum Vorschlag der Gewerkschaften soll aber die SNB-Kasse weniger belastet werden. Jährlich sollen SNB-Gewinne in die AHV fliessen, die Beiträge an den Bund dabei aber in gleicher Höhe gekürzt werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

_____________________

Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

  • Diese Arbeit von Frauen wird weiter ignoriert, Infosperber

Categories: InfowarsTags: Daily Views: 1Total Views: 20
das-spiel:-den-geistern-das-fuerchten-lehrenDas Spiel: Den Geistern das Fürchten lehren
lieferprobleme-bei-zwei-lebenswichtigen-medikamentenLieferprobleme bei zwei lebenswichtigen Medikamenten