mfg-chef-brunner-kandidiert-bei-praesidentenwahlMFG-Chef Brunner kandidiert bei Präsidentenwahl
inflationspanik-in-eu-und-oesterreichInflationspanik in EU und Österreich
bachmannpreis-rede:-corona-demonstranten-sind-nazis

Bachmannpreis-Rede: Corona-Demonstranten sind Nazis

Published On: 27. Juni 2022 11:55

In der diesjährigen Eröffnungsrede von Anna Baar trat jenes überkommene politische Selbstverständnis der heimischen Kulturszene deutlich zutage, das den heutigen Mächtigen nur allzu lieb sein kann. Von denen wurde darin nämlich keiner kritisiert, dafür Jörg Haider und Kärntner Altnazis, Personen, die allesamt gar nicht mehr leben. Coronamaßnahmenkritiker sowie Friedensdemonstranten wurden gleich in einem Aufwischen mit ihnen an den Pranger gestellt. 

Am Mittwoch, dem 22. Juni, eröffnete die Schriftstellerin Anna Baar mit einer Rede den diesjährigen Bachmannpreis-Wettbewerb. Damit man die tiefe Problematik einzelner Passagen ihres Vortrags verstehen kann, muss man den brisanten politischen Hintergrund kennen, vor dem das Event diesmal stattfand. Ungeimpfte wurden nämlich — zumindest war das ursprünglich so — explizit von der Mitwirkung ausgeschlossen. „Um den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung zu gewährleisten, können nur Vollimmunisierte mit aktuellem Test daran teilnehmen“ (1), wurde sehr früh, nämlich bereits im Dezember, verlautbart.

Diese Vorschrift fügt sich nahtlos in ein Gesamtbild ein. Denn auch viele andere kulturelle Institutionen haben während der Coronakrise ihr kritisches Potential über Bord geworfen und nicht nur mitgetan bei der von der herrschenden Politik inszenierten Diskriminierung des maßnahmenunwilligen Teils der Bevölkerung, sondern außerdem noch Regeln erlassen, die das zwingend Vorgegebene im vorauseilenden Gehorsam gar noch zu überbieten trachteten.

Man denke etwa an die 2G-Regelungen diverser Universitäten, oder rufe sich in Erinnerung, dass Einrichtungen wie das Filmmuseum eigens eine 2G-Regel für ihre Mitarbeiter erlassen haben. Ganz zu schweigen vom ORF, dessen Gebäude nämlich sogar diejenigen Ungeimpften nicht betreten durften, die medizinische Atteste vorweisen konnten, die bestätigten, dass sie sich gar nicht impfen lassen konnten. Denn: Aktion Scharf oder sogar Superscharf war weithin im Kulturwesen und in öffentlichen Institutionen angesagt. Jeder wollte beweisen, dass er der „Beste“ ist.

Ein offener Brief, auf den man nicht reagierte

Damals verfasste der Schriftsteller und Blogger Jan David Zimmermann einen „offenen Brief an die Organisator*innen des Bachmannpreises“ (2), aus dem ich hier etwas ausführlicher zitieren möchte, weil er das Geschehene treffend kontextualisiert. Zimmermann berichtet, dass er ursprünglich vorgehabt hatte, einen Beitrag einzureichen. Aber:

Ich bin jedoch 1. kein reibungsloser Autor und produziere 2. grundsätzlich KEINE vollimmunisierten Texte. Daher werden Sie dieses Jahr und wohl auch in Zukunft auf mich als lesender Teilnehmer verzichten müssen.

Zudem kann ich grundsätzlich nicht nachvollziehen, was der Impfstatus eines Menschen mit der Qualität literarischer Texte zu tun hat. Und ich denke, dass Sie mir das auch nicht erklären können.“

Er setzt fort:

„In meinen Augen ist es eine wichtige Aufgabe von Kunst und Literatur, gesellschaftliche Regeln, Normalität und Etabliertes zu hinterfragen sowie Macht und Politik zu sezieren, zu analysieren und zu kritisieren. Die Literatur und öffentliche Personen aus dem Literaturbetrieb hätten in den letzten zwei Jahren insbesondere die Aufgabe gehabt, die massive sprachliche Eskalation zu thematisieren, die vonseiten der Politik, vonseiten etablierter Medien forciert und schließlich von Teilen der Bevölkerung unkritisch übernommen wurde. Wenn die Sprache der Öffentlichkeit zu einer Sprache des Autoritären, zu einer Sprache der Ausgrenzung, zu einer Sprache des Hasses wird, dann muss die Literatur einschreiten und darauf aufmerksam machen. Insbesondere dann, wenn sich eben jene Literaturszene weitgehend darauf beruft, gegen Diskriminierung, Hate-Speech und Hass im Netz aufzutreten, ist es ihre Aufgabe, Theorie und Praxis im entscheidenden Moment einer Krise zu verbinden und auf das Entschiedenste gegen solche Entwicklungen zu intervenieren. Dies ist nicht geschehen.“

Zimmermann kommt zur Conclusio:

„Auch der Bachmannpreis hat sich – mit dem Proklamieren der 2G+-Regel bei seiner Veranstaltung – offenkundig gegenüber wirklicher Gesellschaftskritik und Reflexion längst vollimmunisiert und macht alles brav mit, was eine kafkaesk-schildbürgerhafte, quasitotalitäre Wurschtel-Regierung vorschreibt. Damit reiht sich der Bachmannpreis leider in das Verhalten eines Großteils unseres Kunst- und Kulturbetriebs ein.“

Auffällig war, dass dieser offene Brief zwar vielfach Aufmerksamkeit erregte (3) und auch großen Zuspruch erhielt, — dass aber keiner der Verantwortlichen des Bachmannpreises es für wert erachtete, darauf irgendwie zu reagieren.

Eine Rede, die sich des billigen Applauses gewiss sein konnte

Konträr dazu stellt sich die Eröffnungsrede von Baar dar. (4) Zur Corona-Politik findet sie kein einziges kritisches Wort, und natürlich erst recht nicht zu den diskriminierenden Vorschriften des Bachmann-Wettbewerbs. Dafür stimmt sie in die übliche Diffamierung von Corona-Demonstranten ein.

Ihr Text reiht sich ganz deutlich in eine eigentlich altgediegene, mittlerweile aber abgedroschene Tradition der Anti-Heimat-Literatur ein. Ich nenne solche klischeehaften Texte mittlerweile: Leid-Vereinnahmungsliteratur. Da geht es um tatsächlich oder auch nur vermeintlich ganz schreckliche Kindheitserfahrungen in der Provinz, Kriege werden geschildert, als hätte die Autorin sie unmittelbar am eigenen Leib erfahren, von dort hantelt sich der Text zu den grausamen Schicksalen von Heimkindern, zu Opfern von Kinderschändern und Altnazis, natürlich geht es auch um die FPÖ und die Umtriebigkeiten Jörg Haiders. Und all diese grauenhaften Dinge versammelt sie mit anklagendem Gestus in ihrem Text und steht dann natürlich selbst unglaublich gut da. Jedenfalls ist es, anders als Zimmermanns Text, ein Text, mit dem man automatisch den Applaus der Kulturszene auf seiner Seite hat.

Denn er tut niemandem der heute Mächtigen weh. Er kritisiert niemanden, außer diejenigen, die ohnehin schon am Pranger stehen. Wer steht schon auf der Seite von Kinderschändern und Alt-Nazis? Und wer in der Kulturszene über die FPÖ herzieht, — dem ist ohnehin von vornherein die Zustimmung gewiss.

Corona-Demonstranten sind Nazis

Einen traurigen Höhepunkt erreicht der Anbiederungsduktus von Baars Rede aber mit folgender Passage:

„Fakten werden ersetzt durch wohlfeile Alternativen. Wo etwas Zumutung ist, nennt man es heute Lüge. Und um sich dabei moralisch vermeintlich ins Recht zu setzen, nennen sich Nazis Juden und schreien Freiheit und meinen ausschließlich ihre eigene. Sie kapern die guten Worte, das Böse schmackhaft zu machen: Heimat, Heil, jetzt auch Frieden und gerne auch Menschenrechte … Erinnern Sie sich noch, wie sich Jörg Haider selig bei Waffen-SS-Veteranen für ihren Anstand bedankte?“

Nein, auch diese Passage ist nicht gegen die heutigen Mächtigen gerichtet. Aber gleichfalls nicht gegen die ehemals Mächtigen. Sondern ganz im Gegenteil drischt die Schriftstellerin hier gerade auf jene los, auf die ohnehin schon alle eindreschen, auf diejenigen, die ohnehin die Schwächeren sind: Und sie tut dies überdies nicht mit Denkfiguren, die auf geistig-künstlerische Eigenständigkeit verweisen, sondern kupfert die perfide Rhetorik des Mainstreams ab: Sie setzt Corona-Demonstranten Nazis gleich, sie unterstellt pauschal denjenigen, die für Frieden, Freiheit und Menschenrechte auf die Straße gehen, verkappte Bösewichter zu sein und stellt sie in eine Reihe mit Haider und der Waffen-SS.

Baars Sprungtücher

Verworren wird Baars Rede dadurch, dass sie demgegenüber wenigstens eine Passage enthält, die man ganz gegenteilig auslegen, ja, gegen die Autorin selbst wenden könnte — und auch muss:

„Moral als Machtinstrument ist wirksamer als Gesetze. Wo Mitsprache Sünde ist, wird das Statement zur Tugend. Die Pose ist an die Stelle der Poesie getreten. Man belauert einander – wer gewinnt das Spiel Tu Gutes und rede darüber? Wer schreibt im Krieg noch Gedichte oder trägt zu Markte, was andere erleiden? Man posiert um die Wette, statt den Unerhörten, um die man sich angeblich sorgt, eine Stimme zu geben, und verkauft das als Rücksicht oder Größe im Denken. Ich nenne es Opportunismus, unterlassene Hilfe. Oder die feige Unart, sich aus dem Fenster zu lehnen, wenn unten die eigenen Leute mit einem Sprungtuch warten. Wer nicht durch Werke auffällt, sondern vor allem dadurch, sich aufzupudeln, aber aus der Affäre zu stehlen, wo es unbequem wird, Teilnahmen abzusagen, auch wo niemand daran dachte, ihn überhaupt einzuladen, ist ein Maulheld und Heuchler.“

Leider geht sie nicht näher darauf ein, wen sie damit eigentlich meint. Was aber doch auffällt: Sie kritisiert die Feigen mit „Sprungtuch“, aber sie selbst hält da doch gerade eine ganze Rede mit „Sprungtuch“, ja, mit vielen „Sprungtüchern“, eine Rede, die geradezu von jenem „Opportunismus“, den sie anklagt, überquillt! Sie muss doch wissen, dass sie in ihrem ganzen Vortrag nichts sagt, wofür sie nicht den Applaus des linksliberalen Moraljournalismus bekommen könnte. An dieser Stelle wird ihre Rede also geradezu absurd.

Und am Schluss wendet Baar sich gar an die Teilnehmer des Wettbewerbs und fordert sie auf: „Spielen Sie nicht in Socken!“ Sie meint damit, dass man sich nicht scheuen solle, Lärm zu machen, dass man das Schweigen brechen solle. Dem kann man ja nur zustimmen.

Was sie im Verlauf ihrer doppelbödigen Rede allerdings nicht bemerkt, das ist, — dass sie selbst es zuallererst ist, die immer noch in Socken spielt. Und dass sie selbst es ist, die offenbar ein Problem damit hat, wenn Leute sich keine Socken anziehen, wenn Leute Lärm schlagen, — nämlich dann, wenn es sich um Corona- und Friedensdemonstranten handelt.

„Sie selbst geben […] keinen Unerhörten eine Stimme“

„Sie selbst geben mit Ihrer Attitüde ganz sicher keinen Unerhörten eine Stimme. Sie schreiben über ein Schweigen und schweigen über ein anderes Schweigen, nämlich über die Ausgrenzung von einem Drittel der Bevölkerung im letzten Winter.“

schreibt Zimmermann in einem offenen Brief an Baar (5), den er inzwischen online gestellt hat. Und hier die lesenswerte Schlussworte seines Textes, denen kaum mehr etwas hinzuzufügen ist:

„Den Widerstand gegen einen solch autoritären Diskurs und gegen eine solche Politik als nationalsozialistisch zu bezeichnen ist für mich willfährige, antiquierte Anti-Heimat-Literatur im Bannkreis der immerselben Nazi-Thematik. Das ist im Eigentlichen eine Literatur in den Diensten der gegenwärtig Herrschenden, das Ersticken jeglicher Diskussionskultur und letztlich eine Zuarbeit zum Schweigen, nachdem man (die „falschen“) Kritiker mundtot gemacht hat. Der inflationäre Gebrauch des Wortes „Nazi“ für jeden mit einer anderen Meinung ist mindestens so gefährlich wie die tatsächlichen Neonazis oder Rechtsextremen.“

Quellen:

(1) https://bachmannpreis.orf.at/stories/3134900/, abgerufen am 17. Februar 2022; Monate danach wurde dieser Satz allerdings aus der Ankündigung gestrichen (Update 21. April).

(2) https://www.jandavidzimmermann.com/post/offener-brief-an-die-organisator-innen-des-bachmannpreises

(3) Über 34 000 Zugriffe sowie eine Erwähnung in der „Presse“: https://www.diepresse.com/6101389/ich-schreibe-keine-vollimmunisierten-texte-autor-kritisiert-bachmannpreis-organisatoren

(4) https://bachmannpreis.orf.at/stories/3160840/

(5) https://www.jandavidzimmermann.com/post/brief-an-anna-baar

Bild Ivan RadicDemonstranten bei Anti-Corona-Demo sprechen sich gegen Impfung und für Grundrechte aus (50853441937)CC BY 2.0

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich veröffentliche sie aber gerne, um eine vielfältigeres Bild zu geben. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs sind auch in der Lage sich selbst ein Bild zu machen.

Ortwin Rosner, geboren 1967 in Wien, Studium der Germanistik und Philosophie, hat seine Diplomarbeit mit dem Titel  „Körper und Diskurs. Zur Thematisierung des Unbewussten in der Literatur anhand von E. T. A. Hoffmanns Der Sandmann“ 2006 bei Peter Lang veröffentlicht und war Gelegenheitsblogger auf standard.at. Der Text hätte als Gastkommentar in der „Wiener Zeitung“ erscheinen sollen, wurde aber dann als „Leserbrief“ veröffentlicht.


Bitte unterstütze unsere Arbeit via PayPal oder Überweisung

Folge uns auf Telegram und GETTR


Sind die Pazifisten schuld?

Kriegstreiberei und Sprache

Categories: Peter F. MayerTags: , Daily Views: 1Total Views: 19
mfg-chef-brunner-kandidiert-bei-praesidentenwahlMFG-Chef Brunner kandidiert bei Präsidentenwahl
inflationspanik-in-eu-und-oesterreichInflationspanik in EU und Österreich