transition-tv-news-nr-70-vom-29.-juni-2022Transition TV News Nr. 70 vom 29. Juni 2022
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«Ungeimpfte Studierende gelten als moralische Versager»

Published On: 30. Juni 2022 0:04

Veröffentlicht am 30. Juni 2022 von LK.

An deutschen Universitäten ist seit 2020 eine besorgniserregende Cancel Culture zu beobachten. Seitdem sind Meinungsvielfalt und Pluralismus in der Forschung stark bedroht. Coronakritische Professoren werden oft in eine Ecke gestellt und diffamiert. Transition News hat sich mit einem kritischen Professor einer Hochschule in Süddeutschland über seine Erfahrungen unterhalten. Aus Angst vor negativen Konsequenzen im privaten und beruflichen Umfeld möchte der Interviewpartner anonym bleiben.

Transition News: Zurzeit der Proteste der 1968er-Jahre galten die Universitäten als Hochburg des studentischen Widerstands. Heutzutage sehen wir das genaue Gegenteil: Kritische Professoren treffen oft auf regierungshörige Studenten, die Kritik nicht dulden wollen. Das musste der coronakritische Rechtsprofessor Martin Schwab aus Bielefeld am eigenen Leib erfahren. Als Mitglied der Partei «Die Basis» und wegen seiner Teilnahme am Corona-Ausschuss sowie an diversen Corona-Demonstrationen war er seinen Studenten ein Dorn im Auge. – Haben regierungskonforme Studenten Sie ebenfalls angegriffen aufgrund Ihrer coronakritischen Äusserungen? Wenn ja, was wurde Ihnen konkret vorgeworfen?

Professor: Mein persönlicher Eindruck war, dass man die Hochschulen sehr sehr schnell geschlossen hat, während man vergleichbare Einrichtungen noch offen liess. Womöglich hat man das Widerstandspotential von Präsenzveranstaltungen aufgrund der Erfahrungen der 1968er überschätzt. Meine eigenen Erfahrungen gehen zumindest in dieselbe Richtung wie beim Kollegen Schwab: Studierende mögen keine Kritik dulden und gehen sogar so weit, kritische Stimmen zu melden, statt sich in einen Diskurs zu begeben. Dazu werden sogar Pseudotatbestände erfunden wie «Coronaverharmlosung» als Grund, eine Beschwerde zu führen und Menschen anzuschwärzen.

Herrscht an Ihrer Hochschule eine Cancel Culture?

Es sind meines Wissens alle Massnahmen umgesetzt worden, teils in vorauseilendem Gehorsam. Kritischer Diskurs fand quasi gar nicht statt – komplett gecancelt. Entsprechende Rückmeldungen an die Leitung wurden inhaltlich schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen. Zum Beipiel, dass 3G zwangsläufig zum Studienabbruch führen muss, wenn die Tests selber bezahlt werden müssen – oder dass 2G den Studierenden das Recht auf Bildung und damit eine Daseinsgrundfunktion nimmt. Dass das keinen praktischen Nutzen für die Allgemeinheit hatte, war ja schon damals belegt. Man bekam dann Rückmeldungen, die überhaupt nicht auf die geäusserten Argumente eingingen, wie: Man würde die schwere Zeiten der Pandemie schon gemeinsam überstehen, und so weiter … Und man solle doch bitte gesund bleiben. – Grotesk.

Wie wird dort mit coronakritischen Professoren umgegangen?

Zunächst einmal die Grundsituation: Die Mehrzahl der Kollegen folgte und folgt den Massgaben komplett. Ungeimpfte Studierende bekommen Rückmeldugen wie beispielsweise, dass sie nicht an eine deutschen Hochschule gehören. Sie seien moralische Versager und werden mitunter sogar ganz praktisch bedroht: zum Beispiel dass sie mit enormer Mehrarbeit überschüttet werden, wenn sie der 2G-Regel nicht entsprechen und nur online teilnehmen würden. Angesichts solcher Auswüchse fällt es dann wahrscheinlich leicht, die Minderheit der coronakritischen Professoren schlicht und ergreifend zu ignorieren. Und das ist genau, was man getan hat. Man stellt sie in eine Ecke und ignoriert sie.

Wurden Sie darauf angesprochen, dass es doch besser sei, sich «impfen» zu lassen?

Natürlich. Sehr häufig. Am schlimmsten waren aber die Mitarbeiter in den Servicestellen mit Publikumsverkehr betroffen. Da wurde jeden Tag Druck ausgeübt – mit der Pseudo-Solidaritätskeule als Mittel; so lange, bis die Betreffenden mir berichteten, dass sie nurmehr mit Bauchschmerzen zu Arbeit gehen.

Können Sie Ihre Meinung im Kollegenkreis äussern?

Jein. Man muss klar feststellen, dass es klare Ausgrenzungen innerhalb des Kollegenkreises gab. Eine Kollegin fragte zum Beispiel eine andere, ob sie schon geimpft sei und brach das Gespräch dann mit den Worten ab: «Ach so, also wenn Sie nicht geimpft sind, dann brauchen wir uns gar nicht weiter zu unterhalten.»

Haben Sie sich in Seminaren kritisch zu den Corona-Massnahmen geäussert?

Ja. Aber es hat sich, ehrlich gesagt, immer angefühlt, als würde man gegen eine Wand reden. Ich kam mir da schon hilflos vor, habe ein paarmal Mark Twain zitiert: «Es ist leichter, jemand zu betrügen, als ihn davon zu überzeugen, dass er betrogen wurde». – Ich glaube, ich habe mir das selber vor Augen halten müssen, um mir diesen Irrsinn und diese Verweigerung des kritischen Diskurses ein Stück weit zu erklären.

Wie kommen Sie damit klar, in diese Schweigespirale gepresst zu sein und an der Hochschule Ihre Meinung unterdrücken zu müssen? Einige impfkritischen Professoren wie etwa der Immunologe Kay Klapproth hat aus Protest die Universität Freiburg verlassen. Ist dieser Schritt in Ihren Augen richtig?

Das ist naturgemäss sehr schwierig. Wie soll es sich für einen freiheitlichen Menschen anfühlen, wenn er bei der geringsten Kritik sofort in eine Ecke gestellt wird? Ich hätte, ehrlich gesagt, nicht damit gerechnet, dass so etwas möglich ist. Da war ich wohl etwas blauäugig. Und ja, unter Umständen hilft da tatsächlich nur ein klarer Schnitt, wie Sie ihn im Hinblick auf Kay Klapproth beschrieben haben: Das ist eine persönliche Entscheidung und natürlich ein gangbarer Weg. Ich kann mir aufgrund meiner eigenen Erfahrungen durchaus vorstellen, dass man ein solches Zeichen setzt.

Im Februar 2021 haben 70 Wissenschaftler – fast alle mit einer Professur an einer deutschen Universität – das «Netzwerk Wissenschaftsfreiheit» gegründet, um die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen. Sollte es Ihrer Meinung nach mehr solcher Netzwerke geben, um kritischen Professoren den Rücken zu stärken?

Vernetzung ist grundlegend eine gute Idee. Man sieht an dem Manifest dieses Netzwerks, wie gross der Druck ist, der durch die Fehlentwicklung der Wissenschaft entstanden ist. Eigentlich sollte das, wofür das Netzwerk sich einsetzt, eine absolute Selbstverständlichkeit sein: Wissenschaft ohne politische Normierung und Instrumentalisierung. Dafür sind wir eigentlich hier.

Universitäten leben ja eigentlich von einer freien Forschung und einem freien Meinungsaustausch. Seit 2020 hat sich die Art und Weise der Lehre und Forschung stark verändert. Bedarf es Ihrer Meinung nach eines grundlegenden Systemwandels?

Unbedingt. Nur dass ich den Beginn der fragwürdigen Entwicklung bereits deutlich vorhersehe. Es geht – zumindest für viele Kollegen – schon lange nur noch um Forschungsgelder. «For love of gold shrivels up the spirit», und die Wissenschaft büsst ihre Unabhängigkeit ein. Das Ergebnis dieser Entwicklung sehen wir heute schon.

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