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US-Regierungskommission will «Russland entkolonisieren»

Published On: 12. Juli 2022 0:07

Veröffentlicht am 12. Juli 2022 von KD.

Russland soll «entkolonialisiert» werden. Nicht weniger als das fordert die Commission on Security and Cooperation in Europe (CSCE). Und die CSCE, auch bekannt als US-Helsinki-Kommission, ist nicht irgendein obskurer Think Tank, sondern eine Behörde der US-Regierung. Sie wurde 1975 eingerichtet und setzt sich gemäss ihrer Webseite für Menschenrechte, militärische Sicherheit und wirtschaftliche Zusammenarbeit in 57 Ländern Europas, Eurasiens und Nordamerikas ein.

Die Behörde nennt sich unabhängig, besteht aber aus neun Mitgliedern des US-Repräsentantenhauses, neun des US-Senats und je einem aus dem Verteidigungs-, Aussen- und Handelsministerium.

Am 23. Juni 2022 hielt die CSCE eine Online-Konferenz mit dem Titel «Decolonizing Russia» ab. In der Präsentation erklärt die Kommission:

«Russlands barbarischer Krieg gegen die Ukraine – und davor gegen Syrien, Libyen, Georgien und Tschetschenien – hat der ganzen Welt den bösartigen imperialen Charakter der Russischen Föderation vor Augen geführt. Die Aggression der Russischen Föderation ist auch der Auslöser für eine längst überfällige Diskussion über Russlands Imperium im Innern angesichts der Herrschaft Moskaus über viele nicht-russische Völker und der Brutalität, mit der der Kreml deren nationale Souveränität unterdrückt hat.»

Man wähnt sich in einer verkehrten Welt. Was Syrien betrifft, hatte die dortige Regierung Russland explizit um militärische Unterstützung gebeten in diesem brutalen, mithilfe islamistischer Terroristen geführten Stellvertreterkrieg der USA und anderer westlicher Länder. Libyen indes war unter Muammar al-Gaddafi mit Russland alliiert; Krieg geführt hat eine von der NATO geleitete Koalition.

Und die Kriege in Georgien und Tschetschenien waren provoziert; letzterer vermutlich auch von einigen westlichen Ländern und deren Geheimdiensten. So erklärte der Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, dass seine Streitkräfte gegen US-amerikanische und britische Geheimdienste kämpften, die das Land spalten wollten. Er habe auch den US-Führerschein eines CIA-Agenten gesehen, der bei einer von ihm geleiteten Operation getötet worden sei.

Der russische Präsident Vladimir Putin beschuldigte indessen den Westen, Russland durch die Unterstützung von Terroristen spalten zu wollen:

«Unsere Sicherheitsdienste haben direkte Kontakte zwischen nordkaukasischen Kämpfern und Vertretern des US-Geheimdienstes in Aserbaidschan aufgezeichnet», liess er 2015 in einem Dokumentarfilm wissen.

Thomas Röper schrieb im Anti-Spiegel, dass es zu diesem Krieg zwei Sichtweisen gebe:

«Die westliche Sichtweise spricht von dem Unabhängigkeitskampf des tschetschenischen Volkes; die russische Sichtweise ist eine andere: Es waren keineswegs die Tschetschenen, die für ihre Unabhängigkeit kämpften, sondern eingesickerte arabische Salafisten, die dort – Zitat der Rebellen damals – ‹einen islamischen Staat, ein Kalifat›, errichten wollten.»

Beim Krieg in Georgien war hingegen selbst eine von der Europäischen Union beauftragte Untersuchung im Jahre 2009 zu dem Schluss gelangt, dass Georgien ihn selber begonnen hat. Beim «barbarischen» Krieg in der Ukraine wiederum wird ausser acht gelassen, dass dieser von den ukrainischen Streitkräften im Jahre 2014 angefangen wurde – gegen die eigene Bevölkerung im Osten des Landes.

Der Autor Casey Michel, einer der Teilnehmer an der Konferenz, veröffentlichte Ende Mai einen ähnlich überschriebenen Beitrag in The Atlantic: «Decolonize Russia». Auch der ist an Hypokrisie kaum zu übertreffen.

Michel widerspricht darin dem ehemaligen US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, der der Meinung war, Russland wäre ohne der Ukraine kein Imperium mehr. Sondern selbst dann werde Russland «ein willkürlicher Zusammenschluss von Regionen und Nationen mit sehr unterschiedlicher Geschichte, Kultur und Sprache bleiben», so Michel. Es werde weiterhin über koloniale Besitztümer wie Tschetschenien, Tatarstan, Sibirien und die Arktis herrschen.

Russland ist Michel zufolge das letzte europäische Imperium. Es habe sich auch grundlegenden Bemühungen zur Entkolonialisierung widersetzt, wie etwa einer Autonomie für die unterworfene Bevölkerung oder einem bedeutenden Mitspracherecht bei der Wahl der Landesführer. Und wie wir in der Ukraine gesehen hätten, sei Russland bereit, Krieg zu führen, um Regionen zurückzuerobern, die es als seinen rechtmässigen Besitz ansehe.

Der Begriff «Imperium» lässt sich unterschiedlich definieren. Um sich wie Michel auf Europa zu beschränken, könne man ihn ebenso gut anwenden auf Grossbritannien und Frankreich, welche ihre koloniale Macht in vielen Ländern nur formell aufgegeben haben. Abgesehen davon: Das grösste Imperium weltweit sind de facto gegenwärtig sicherlich die USA, Michels Heimat.

Und: Ja, Russland ist ein multiethnisches Land, und bestimmt gibt es manches zu kritisieren an der Behandlung Moskaus einiger Ethnien. Dennoch sind diese nicht dermassen unterdrückt, wie das im Westen gerne behauptet wird. So sendet beispielsweise dar staatliche russische Rundfunk Fernsehen- und Radiosendungen in Dutzenden von Sprachen. Die Ukraine hat hingegen die russische Sprache sogar im öffentlichen Leben verboten. Manche russischen Bücher und Musik wurden ebenfalls verboten. Die Russischstämmigen und -sprechenden sind in der Ukraine zwar eine Minderheit, doch die zweitgrösste ethnische Gruppe nach den Ukrainern. Thomas Röper merkt dazu an:

«Die russische Regierung sieht Russland als ein ‹multi-ethnisches› Land, das seine Kraft gerade aus dieser Vielfalt der Völker schöpft. Daher gibt es in Russland über hundert offizielle regionale Amtssprachen, die in den jeweiligen Regionen auch in der Schule unterrichtet werden, damit diese Vielfalt an Kulturen und Traditionen in Russland erhalten bleibt.»

Michel könnte hingegen in seiner Heimat katastrophale Lebensbedingungen der kolonisierten indigenen Bevölkerung finden. Beispielsweise liegt die durchschnittliche Lebenserwartung im Pine-Ridge-Reservat bei 66,81 Jahren und ist damit die niedrigste in den USA. Gemäss Statistiken, die dem Krankenhaus von Pine Ridge zugeschrieben werden, betrage sie für Männer sogar lediglich 47 Jahre, bei Frauen 55.

Die Raten bei Selbstmord, Alkoholabhängigkeit, Arbeitslosigkeit, Armut und häuslichem Missbrauch sind in Pine Ridge sowie in anderen Reservaten weit höher als im Durchschnitt der USA.

Der Behauptung Michels und der CSCE, Russland sei ein Kolonialstaat, entgegnet Röper wie folgt:

«Russlands Zaren haben die Gebiete östlich des Ural tatsächlich kolonisiert. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied in der Art und Weise der Kolonisierung. Denn während der Westen die Gebiete, die er kolonisiert hat, brutal ausgebeutet und nicht selten die einheimischen Völker entweder abgeschlachtet oder auf andere Kontinente in die Sklaverei verkauft hat, ist in Russland nicht eine Ethnie, nicht eine Volksgruppe verschwunden. Und es wurde auch kein Volk unter brutalem Zwang in ‹Reservate› umgesiedelt, in denen die Ureinwohner zum Beispiel der USA bis heute ein Dasein in Armut fristen.»

Die Kolonisierung der Nomadenvölker sei aufgrund des Handels friedlich erfolgt, so Röper weiter. Weder während noch nach der Kolonisierung der heute russischen Gebiete östlich des Ural habe es Vergleichbares zu den amerikanischen «Indianerkriegen», den Aufständen der einheimischen Afrikaner gegen ihre europäischen Kolonialherren oder die Opiumkriege der Briten in China gegeben.

Es ist Röper zufolge auch keine einzige Sprache der Ureinwohner verlorengegangen. Dafür habe nicht zuletzt die sowjetische Propaganda gesorgt, die möglichst alle Sowjetbürger erreichen wollte und darum in über hundert Sprachen verbreitet worden sei.

Michel erklärt in seinem Beitrag weiter, die USA hätten es 1991 verpasst, «das russische Imperium zu zerschlagen». Das müsse nun nachgeholt werden:

«Sobald die Ukraine den Versuch Russlands, sie zu rekolonisieren, abgewehrt hat, muss der Westen die volle Freiheit für Russlands imperiale Untertanen unterstützen. (…) Der Westen muss das 1991 begonnene Projekt zu Ende führen. Er muss versuchen, Russland vollständig zu entkolonialisieren», so Michel.

Immerhin räumt Michel ein, dass Russland nicht die einzige polyglotte Nation ist, die es versäumt hat, sich mit ihrem Erbe der Kolonialisierung auseinanderzusetzen. Doch bevor er zu den USA kommt, schlägt er noch auf China ein. Das Land beaufsichtige derzeit das grösste Konzentrationslagersystem, das die Welt seit dem Holocaust gesehen habe. Auch sei es bestrebt, die Uiguren als eigenständige Nation zu eliminieren.

Da liesse sich beispielsweise einwenden, dass in den USA prozentual die meisten Menschen inhaftiert sind. Etwa 20 Prozent der weltweit Gefangenen stecken in Gefängnissen der USA – welche selber weniger als 5 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Die meisten der Inhaftierten sind zudem afrikanischer oder hispanischer Abstammung; auch eine Art «Konzentrationslagersystem». Das alles erwähnt Michel zwar nicht, doch er kommt dann endlich auf die USA zu sprechen:

«Und ein grosser Teil der USA weigert sich immer noch, die eigene Geschichte als eine der imperialen Eroberung zu betrachten; von den Gründervätern, die sich indigenes Land aneigneten, bis hin zum anhaltenden Kolonialstatus biespielsweise von Puerto Rico.»

Allerdings relativiert Michel dies sogleich, indem er einwendet:

«Doch die akuteste Bedrohung für die internationale Sicherheit geht von Russland aus, genauer gesagt: vom russischen Imperialismus. Jetzt wird die Rechnung dafür fällig, dass Moskau sein Imperium ohne jegliche Aufarbeitung seiner kolonialen Geschichte aufrechterhalten konnte.»

Gemäss Michel würde die Entkolonialisierung Russlands nicht unbedingt eine vollständige Demontage des Landes erfordern, wie das der US-Politiker Dick Cheney einmal vorgeschlagen hatte. Es könne auch bedeuten, den in der russischen Verfassung zugesagten demokratischen Föderalismus über ein leeres Versprechen hinauszuheben. – Michel weiter:

«Solange das Moskauer Imperium jedoch nicht gestürzt ist, werden die Region und die Welt nicht sicher sein. Und Russland auch nicht. Europa wird instabil bleiben, und Ukrainer, Russen und alle kolonisierten Völker, die gezwungen sind, für den Kreml zu kämpfen, werden weiterhin sterben. (…) Russland hat den grössten Krieg begonnen, den die Welt seit Jahrzehnten gesehen hat; alles im Dienste des Imperiums. Um das Risiko weiterer Kriege und sinnlosen Blutvergiessens zu vermeiden, muss der Kreml das Imperium, das ihm noch geblieben ist, verlieren. Das Projekt der russischen Dekolonisierung muss endlich beendet werden.»

Der «grösste Krieg der letzten Jahrzehnte»? Wo bleiben die Kriege im Irak, in Syrien, in Afghanistan und im Jemen? Oder der tödlichste Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg, der zweiten Kongo-Krieg, auch Erster Weltkrieg Afrikas genannt? Diesem mit indirekter westlicher Beteiligung geführten Krieg um Rohstoffe waren zwischen 1998 und 2003 rund sechs Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Und die Konflikte halten weiter an.

Erstaunlich, dass Casey Michel diese Kriege ignoriert und die Rolle der USA bei Ursachen und Fortdauer des Krieges in der Ukraine nicht erkennt. Dass er auch den USA gegenüber durchaus kritisch sein kann, hat er in seinem Buch «American Kleptocracy: How the U.S. Created the World’s Greatest Money Laundering Scheme in History» eigentlich bewiesen.

Auf jeden Fall ist die Forderung seitens einer US-Behörde, Russland zu entkolonisieren, äusserst gefährlich, insbesondere in der gegenwärtigen angespannten Lage. Sie trägt bestimmt nicht zu einer Deeskalation bei.

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