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Kriegswende durch HIMARS-Raketenwerfer?

Published On: 25. Juli 2022 6:15

Obwohl Moskau seit Kriegsbeginn ein Viertel des ukrainischen Staatsgebietes besetzt hat, ist kein Sieg in Sicht. Stattdessen ist der russische Vormarsch ins Stocken geraten. Trotz einer materiellen Überlegenheit auf dem Schlachtfeld. Das ist maßgeblich den westlichen Waffenlieferungen geschuldet.

Mit dem Beschuss der Stadt Winnyzja, bei dem am 14. Juli 2022 insgesamt 23 Menschen einschließlich einiger Kinder getötet wurden, hat Moskau erneut gezeigt, dass es auch und gerade die Bevölkerung der Ukraine bekämpft. Der Fall steht in einer Reihe von Angriffen, die sich gezielt gegen Zivilisten richten. Sie alle sind zum Sinnbild eines Krieges geworden, der weite Teile des größten europäischen Flächenlands verwüstet und Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat. Trotz allem lehnt der Westen eine direkte Intervention ab. Und ist mittelbar doch längst zu dessen Teilnehmer geworden. Aus diesem Grund hat Wladimir Putin immer wieder betont, dass ein westliches Eingreifen „katastrophale Folgen“ hätte. Aber ist eine solche Intervention überhaupt noch nötig?

Tatsächlich sind die Linien der aktuellen Lage klar gezogen. Trotz erheblicher Anstrengungen hat Moskau bislang keines seiner Kriegsziele erreicht. Weder hat es das Donbass vollständig unter seine Kontrolle gebracht, noch einen Regierungswechsel in Kiew herbeigeführt. Stattdessen haben seine Truppen schwere Verluste erlitten. Darunter sind nicht nur Gefallene und zerstörtes Material, sondern auch prestigeträchtige Objekte wie die „Moskau“, das vormalige Flaggschiff der Schwarzmeerflotte. Die Auffassung, wonach Russland die Ukraine niederwalzen und unter sein Primat zwingen wird, hat sich bisher nicht bestätigt. Stattdessen zeigen die westlichen Waffenlieferungen allmählich Wirkung. Dank der amerikanischen M142 HIMARS-Raketenwerfer ist die Ukraine erstmals dazu in der Lage, weit hinter der Front gelegene Ziele wie Munitionsdepots gezielt zu zerstören. Russland gerät dadurch zusehends unter Druck.  

Unter diesen Vorzeichen hat Verteidigungsminister Schoigu bei seiner zweiten Truppeninspektion die Weisung ausgegeben, sämtliche Angriffe auf das ganze Land auszuweiten. Damit ist klar, dass ein baldiges Ende des Krieges nicht in Sicht ist. Während die Ukrainer die Verteidigung ihrer Heimat nicht aufgeben werden, hat Putin jüngst mit „völlig anderen Mitteln“ der Kriegführung gedroht. Was das konkret bedeutet, ist unklar. Gleichwohl lassen die russischen Raketenangriffe auf zivile Ziele keinen Zweifel, dass Moskau seinen Willen mehr denn je mit blankem Terror durchsetzen will. Diese Entschlossenheit resultiert daraus, dass Putin am 24. Februar 2022 seinen gesamten Einsatz auf eine Karte gesetzt hat. Sein Schicksal ist jetzt an einen Prozess gekoppelt, der ihm entgleiten könnte. Aus diesem Grund hat er den russischen Generalstab längst von allen Konventionen der Kriegführung entbunden, während ihm selbst zur Erreichung seiner Ziele jedes Mittel recht ist.

„Putins militärisches Abenteuer ist gescheitert“

Für den russischen Dissidenten Leonid Volkov ist das kein Zufall. Am 18. Juli 2022 veröffentlichte er eine umfangreiche Stellungnahme auf Twitter, worin er die Strategie des Kremls auf der Folie der aktuellen Kriegslage beleuchtet. Volkov konstatiert, dass Russland seine militärischen Ziele aufgrund einer zu niedrigen Schlagkraft des Militärs nicht mehr erreichen könne. Zu mehr als artilleriegestützten Feuerwalzen sei es nicht fähig. Aus diesem Grund habe Putin zunächst versucht, den globalen Hunger als Druckmittel gegen den Westen einzusetzen. Der systematische Raub von ukrainischem Getreide habe die westlichen Staatschefs zum Einlenken bewegen sollen. Konkret sei es dabei um die Einstellung der militärischen Unterstützung Kiews durch den Westen gegangen. Da dieses Kalkül jedoch nicht aufgegangen sei, habe Putin nun vor, der EU das Gas abzudrehen. 

Volkov macht sich keine Illusionen, dass den Europäern ein kalter Winter bevorstehe. Er prognostiziert, dass die kommenden Monate die schwierigste Phase in der Auseinandersetzung mit Russland einläuten werden. Und stellt fest: „Man muss sich klarmachen, dass Putin Hunger und Kälte nicht als Druckmittel einsetzt, weil bei ihm alles gut läuft. Sein militärisches Abenteuer ist gescheitert. Putin verliert innerhalb Russlands kontinuierlich an Unterstützung. Er versteht, dass ihm bestenfalls noch zwei bis drei Monate bleiben, um eine Friedenslösung zu günstigen Bedingungen zu erreichen.“

Es ist schwer zu sagen, inwieweit Volkovs Einschätzung zutreffend ist. Gegenüber der Nachrichtenagentur TASS erklärte Putin, die Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiter reduzieren zu müssen, sofern man die in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalte. Gleichzeitig nehmen die Anschläge auf militärische Infrastruktur und kriegsrelevante Industrie in Russland immer mehr zu. In der Stadt Brjansk kam es kürzlich zu einem Brandanschlag auf ein Öldepot. Währenddessen verweigern immer mehr junge Russen den Wehrdienst. Wer jünger als 28 Jahre alt ist, kann jederzeit in die Armee eingezogen werden. Die betreffenden Männer wissen, dass die Einberufung mit großer Wahrscheinlichkeit einen vorzeitigen Tod bedeutet. Dass die russischen Staatsmedien täglich ein propagandistisches Trommelfeuer auf die Bevölkerung niedergehen lassen, vermag diese Zustände nicht zu verwischen.

Hemmungsloser Hasardeur

Der militärische Misserfolg Moskaus könnte erklären, warum sich der Krieg in der Ukraine bereits wenige Wochen nach seinem Beginn nicht mehr mit dem von der russischen Propaganda ersonnenen Narrativ einer „Demilitarisierung“ fassen ließ. Seit Monaten tragen sich Analysten mit der Frage, ob Putin womöglich schwer krank sei und unter dem Einfluss von Medikamenten stehe. Daraus ergibt sich die Befürchtung, er könnte in der ihm verbleibenden Zeit selbst folgenschwere Eskalationen in Kauf nehmen. Wie die Überlegungen Carls von Clausewitz zeigen, könnte dies zutreffen. Bereits im 19. Jahrhundert hatte der preußische Militärtheoretiker festgestellt, der „totale Krieg“ werde nicht aus der militärischen Notwendigkeit heraus geboren, sondern erst durch die politische Zwecksetzung geschaffen und sei somit Ausdruck eines Willens. „Sobald sie großartiger und mächtiger wird, so wird es auch der Krieg und das kann bis zu der Höhe steigen, auf welcher der Krieg zu seiner absoluten Gestalt gelangt.“

Betrachtet man Putins Politik auf dieser Folie, erscheint die russische Position festgefahren. Seit ihrem Beginn trägt Moskaus Invasion alle Anzeichen eines hastigen und schlecht durchdachten Versuchs. Wie viele Feldherren vor ihm hat auch Putin die Erfahrung gemacht, dass komplexe Kampfgeschehnisse nicht planbar sind. Sie unterliegen einer Eigendynamik, die ihren Fortgang in unkalkulierbarer Weise beeinflusst. Immer mehr zeichnet sich ab, dass der Feldzug gegen Kiew keinem klaren Konzept folgt. Nach wie vor ist fraglich, was Moskau mit den besetzten Gebieten überhaupt vorhat. Zwar ist vorstellbar, dass diese irgendwann in die Russische Föderation integriert werden könnten. Dies würde für Russland jedoch mehr Probleme als Nutzen bringen. Und dass angesichts des brutalen Vorgehens gegen die einheimische Bevölkerung eine dauerhafte Befriedung gelingen kann, darf ebenfalls bezweifelt werden. Nach fünf Monaten erbitterter Kämpfe ist einzig klar, was all das für Moskau bedeuten würde – einen jahrelangen Abnutzungskampf, auf den es nicht vorbereitet ist. In der besetzten Oblast Cherson hat sich eine schlagkräftige Partisanenbewegung gebildet. Angriffe auf Züge und Munitionsdepots sowie Überfälle auf Konvois sind dort eine akute Gefahr für russische Soldaten. 

Insgesamt verdichten sich die Anzeichen, dass der russische Präsident zu einem hemmungslosen Hasardspieler geworden ist. Bei seinem Krieg gegen die Ukraine, der niemals als längerer Feldzug konzipiert war, gibt es für ihn demnach nur den absoluten Triumph der russischen Waffen oder aber alle Konsequenzen, die eine Niederlage bedeuten würde. In Mariupol und Sewerodonezk hat der Kreml dieses Prinzip auf den methodischen Höhepunkt getrieben. Entweder es gelingt Russland, den ihm entgegenschlagenden Widerstand zu brechen, oder die Russische Föderation blutet aus. Erschreckend ist, dass der russische Generalstab diesen Kurs nicht nur mitträgt, sondern offenbar auch zur systematischen Planung und rücksichtlosen Durchführung schwerster Kriegsverbrechen bereit ist. Nichts davon verbessert die Position Russlands. Im Gegenteil werden Sanktionen und politische Isolation nur weiter verstärkt. 

Ein Sieg Russlands würde künftige Krisen vorzeichnen

Auf seiner Suche nach einer festumrissenen politischen Option sollte der Westen daher unbedingt an seinem bisherigen Kurs zur Unterstützung Kiews festhalten. Insbesondere die Lieferung von Waffensystemen, die auf größere Entfernungen wirksam sind, könnten sich dabei als Schlüssel zum Erfolg erweisen. Einen solchen „Game Changer“ hatte es zuletzt im sowjetischen Afghanistankrieg gegeben. Damals waren es die Boden-Luft-Raketen des Typs Stinger gewesen. Mit ihnen gelang es den ansonsten nur leicht bewaffneten Mudschaheddin, die sowjetischen Kampfhubschrauber zu vernichten und somit die russische Luftüberlegenheit zu brechen. Das war nötig, um sich frei im unzugänglichen Hinterland bewegen zu können. Die sowjetische Supermacht hatte kein Gegenmittel parat und geriet in die Defensive. Sollte es dem ukrainischen Militär gelingen, die russischen Versorgungslinien und Nachschublager zu vernichten, wäre das ein ähnliches Desaster für Russland. 

Dass eine solches Szenario durchaus möglich ist, ist freilich kein Wunschtraum. So entfalten die HIMARS-Raketenwerfer mit der bislang noch nicht gelieferten Spezialmunition eine Reichweite von mehr als 300 Kilometern. Dagegen wäre selbst die ansonsten übermächtige russische Artillerie machtlos – und als Trumpf auf dem Schlachtfeld weitgehend bedeutungslos.

Trotzdem ist die militärische Unterstützung der Ukraine in Teilen der Bevölkerung sehr unpopulär. Kritiker argumentieren, Deutschland dürfe unter keinen Umständen in den Krieg hineingezogen werden. „Das ist nicht unser Krieg“ ist eine Parole, die man in diesem Zusammenhang häufig hören kann. Isoliert betrachtet mag dieser Befund zutreffen. Vor dem Hintergrund der internationalen Politik ist er jedoch als töricht zu bezeichnen. Die Annahme, Moskau würde seine aggressive Politik bei einem Sieg in der Ukraine aufgeben, ist abwegig. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Wenn Putin die Erfahrung macht, dass er seinen Willen mit Gewalt durchsetzen kann, wären künftige Krisen automatisch vorgezeichnet. Insofern hat NATO-Generalsekretär Stoltenberg also ganz recht, wenn er darauf hinweist, dass der Preis einer Aufgabe der Ukraine weitaus höher liegen werde als derjenige ihrer langfristigen Unterstützung. 

Waffenlieferungen an die Ukraine Mindestmaß an Unterstützung

Um dies zu verstehen, sollte man folgende Erkenntnis berücksichtigen: Der Krieg in der Ukraine ist keine Zufallsentwicklung. Er ist Ausdruck der Despotie im Kreml, die man im Westen viel zu lang resigniert hingenommen hat; er ist die kalkulierte Demonstration exterminatorischer Gewalt; und er ist der Beweis, dass Putin nur die Sprache militärischer Abschreckung versteht. Das von ihm entfesselte Zerstörungswerk wird sich demnach nur stoppen lassen, wenn er in der Ukraine eine militärische Niederlage erleidet. Da der Westen gute Gründe dafür hat, nicht direkt in den Konflikt hineingezogen zu werden, muss er dafür sorgen, dass die in der Ukraine operierenden Streitkräfte Moskaus zerschlagen oder zumindest ihrer Angriffskapazitäten beraubt werden. Waffenlieferungen an die Ukraine sind daher das Mindestmaß an Unterstützung, die der Westen leisten kann.

Obwohl Clausewitz‘ Überlegungen über den Krieg wegen ihres funktionalen Verständnisses von Gewalt in der Politik in den letzten Jahrzehnten mit dem Argument als überholt zurückgewiesen wurden, Kriege seien heute nicht mehr politisch, ist Wladimir Putin den Gegenbeweis angetreten. Sein Feldzug gegen die Ukraine bestätigt, dass er den Krieg im 21. Jahrhundert als probates Mittel der Politik betrachtet.

Will der Westen verhindern, dass dies zum Erfolgsmodell avanciert, darf er im Ringen mit Russland nicht nachgeben. Dies gilt umso mehr, als Moskau den Krieg mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht gewinnen kann. Der Grund dafür besteht in einem Bündel verschiedener Faktoren: dem Fehlen einer strategischen Gesamtkonzeption, der Irrationalität in der Entscheidungsplanung, der Überforderung der Organisation sowie der ideologischen Tabuisierung unerwünschter Tatbestände. 

Christian Osthold ist Historiker und hat in russischer Geschichte promoviert. Seit 2001 hat er Russland mehr als 30-mal bereist sowie Archivaufenthalte in Moskau und Grosny absolviert. Im Rahmen seiner Forschungsarbeiten hat Osthold 2015 als einziger deutscher Historiker für mehrere Monate in einem tschetschenischen Dorf gelebt. Aus dieser Tätigkeit ist 2019 die erste vollumfängliche Gesamtdarstellung zum Tschetschenien-Konflikt hervorgegangen. Als intimer Russlandkenner schreibt Osthold für verschiedene Zeitungen und Journale, darunter Focus OnlineNZZCicero etc. Darüber hinaus ist er regelmäßig in Fernsehsendungen zu sehen, zuletzt bei der Deutschen Welle. Christian Osthold spricht fließend Russisch und ist mit einer Russin verheiratet. 

In eigener Sache:

Seit einigen Tagen ist Achgut.com erneut Verleumdungen und Boykott-Aufrufen aus dem antisemitischen Milieu auf Twitter ausgesetzt. Anonyme Denunzianten, die unser freies Onlinemedium wirtschaftlich vernichten wollen, denunzieren uns bei Unternehmen – verbunden mit dem Aufruf, keine Werbung mehr bei uns zu schalten. Mehr dazu finden Sie im Beitrag: Die „Compliance“ von Antisemiten. Aufgrund vieler Fragen von Achse-Lesern und Twitter-Nutzern, was man ganz praktisch dagegen tun könnte, beschreiben wir hier die Möglichkeit, verleumderische Twitter-Tweets und Nutzer-Profile bei Twitter zu melden: Was Sie gegen Twitter-Denunzianten tun können.

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