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Der zerbrochene Gesellschaftsvertrag

Published On: 26. Juli 2022 11:59

Wenn wichtige Güter auf einmal unbezahlbar werden, zerbricht das in einem Land etablierte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Die Folge ist eine Arbeitskrise, die sich in Deutschland schon deutlich abzeichnet.

Erst allmählich wird klar, wie einschneidend die Krise ist, in die Deutschland jetzt hineinläuft. Historisch errungene Positionen und grundlegende Fähigkeiten werden zerstört – und das nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft. Die Preise werden nicht auf ihr früheres Niveau zurückkehren. Eine Ursache ist der Wirtschaftskrieg gegen Russland, der sich immer mehr als selbstzerstörerischer Krieg erweist, insbesondere in Europa. Aber es liegt noch ein viel größerer Schatten auf dem Land – eine Grundentscheidung, die die Produktivität der Betriebe und die Tragfähigkeit der Infrastrukturen auf ein historisch längst überholtes Niveau senkt: die „Rettung“ des Erdklimas. Mit ihr wurden Wirtschaft und Staat unter ein umfassendes höchstes Gebot gestellt, das den Betrieb von Kraftwerken, Fahrzeugen und Gebäuden einschränkt, ohne dass es gleichwertigen Ersatz gäbe. Deutschland befindet sich mitten in einem großen Stilllegungs-, Blockierungs-, Lockdown- und Cancel-Szenario. Die Teuerungswelle ist die erste Konsequenz, bald werden elementare Güter des Lebens rationiert werden. Das bedeutet eine grundlegende Änderung des wirtschaftlichen und politischen Lebens. Wir bekommen eine Zuteilungs-Wirtschaft und einen Zuteilungs-Staat. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung wird zu einer neoautoritären Ordnung.

Zwar wird diese Veränderung als „objektiv gebotene“ Notwendigkeit dargestellt, aber sie ist eine von Menschen getroffene Entscheidung, eine Wahl. Die pauschale Verabschiedung aller fossilen Energieträger ist eine völlig einseitige, keineswegs alternativlose Reaktion auf einen Klimawandel, der keineswegs linear auf eine Katastrophe zuläuft. Diese Reaktion ist im Grunde eine Notabschaltung. Und dieser Kurs wird blind beibehalten, obwohl sich schon eine dramatische Häufung von Kosten und Opfern zeigt. Die Vermutung, hier liege nur ein „Elitenversagen“ vor, greift zu kurz. Hier muss ein soziales Versagen vorliegen – eine Fehlentwicklung der Gesellschaft. Ein größerer Sektor der Gesellschaft hat inzwischen kein Verhältnis mehr zur Produktivität von Betrieben und zur Tragfähigkeit von Infrastrukturen. Die Anforderungen an Mensch und Natur, die sich daraus ergeben, sind ihnen fern wie ein fremdes Land. Der bürgerlich-industrielle Gesellschaftsvertrag, der das hohe wirtschaftliche, politische und kulturelle Niveau Deutschlands ermöglichte, hat seine Verbindlichkeit verloren. Er zerbricht vor unseren Augen.

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Was durch die Preis-Revolution zerstört wird – Die folgende Passage in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (27.4.2022) ist in zweifacher Hinsicht lehrreich. Hier wird einerseits deutlich, dass die „Klimarettung“ trotz existenzbedrohender Knappheiten weiter fortgesetzt und sogar noch auf weitere Bereiche (Gebäude und Verkehr) ausgedehnt wird. Und andererseits werden die Konsequenzen für die Konstitution und den Bestand der modernen Gesellschaft gar nicht ernsthaft in den Blick genommen, sondern völlig verharmlost.

„Die stark gestiegenen Preise für Gas, Öl und Benzin haben einen Vorgeschmack darauf geliefert, welche sozialen Folgen die ehrgeizige Klimapolitik der EU haben kann. Das gilt insbesondere für die umstrittene Ausweitung des Emissionshandels von Industrie und Energieunternehmen auf Gebäude und Verkehr. Von 2026 an sollen auch die Lieferanten von Heiz- und Treibstoffen für ihren CO2-Ausstoß bezahlen. Das hat die EU-Kommission vorgeschlagen, um die in beiden Sektoren unverändert hohen Emissionen zu senken. Sie hofft, dass Haushalte etwa in CO2-freie Heizungen und andere Fortbewegungsmittel investieren, wenn das Heizen und Autofahren teurer wird. Zugleich belastet das natürlich vor allem sozial schwache Haushalte besonders stark.“

Hier liegt zunächst einmal eine dreiste Beschönigung der beschlossenen Energie-Verteuerung vor: Sie soll so hoch sein, dass die Menschen einen „Anreiz“ haben, andere Energiesysteme für Verkehr und Gebäude zu wählen. Besteht der Anreiz darin, dass die neuen Systeme ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis haben? Mitnichten, denn das Ziel ist ja negativ: Beendigung aller Energiegewinnung aus fossilen Energiequellen. Die Verteuerung führt keineswegs zu einer besseren Alternative, sondern zu einer Energiegewinnung mit einem schlechteren Preis-Leistungs-Verhältnis. Obendrein führt die Abhängigkeit der „regenerativen“ von Wind und Wetter dazu, dass ihr Output an verwertbarer Energie sehr unregelmäßig ist und die Anforderung der Stetigkeit, die für moderne Energie-Infrastrukturen unverzichtbar ist, nicht erfüllt. Die angeordnete Verteuerung und Abschaltung der herkömmlichen Energieträger soll also eine Wende erzwingen, die sich aus einer freien Abwägung von Vor- und Nachteilen gar nicht ergeben würde. Der Kosten-Anreiz ist in Wahrheit ein Kosten-Zwang.

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Die verharmlosende Geschichte von den „besonders betroffenen Armen“ – Und dann kommt der Schlusssatz der zitierten FAZ-Passage: Es geht um die sozialen Folgen der Energieverteuerung. Es wird behauptet, die Mehrbelastung sei eigentlich nur für einen kleinen Teil der Gesellschaft problematisch – nämlich für die „sozial schwachen Haushalte“. Was heißt „sozial schwach“? Das sind die einkommensschwachen Haushalte, die Armen, die auf Zuwendungen angewiesen sind. Aber blicken wir einmal auf die Facharbeiter oder auch die angelernten Arbeiter. Sie gehören nicht zu den Armen und Mittellosen. Sie betrachten ihren Lohn nicht als Zuwendung in einer Notlage, sondern als Gegenwert für ihre Leistung. Ihr Arbeitsvertrag gehört zum bürgerlichen Gesellschaftsvertrag. Und nun wird durch die Teuerungswelle der Wert ihres Lohns stark herabgesetzt – und damit der Wert ihrer Leistung. Mit anderen Worten: Sie verlieren etwas viel Wertvolleres als diejenigen, die von Sozialhilfe leben.

Die Teuerungswelle führt bei der arbeitenden Bevölkerung dazu, dass bestimmte Güter, die sie sich bisher leisten konnte, nun für sie unerreichbar werden. Die Kombination von Wirtschaftskrieg gegen Russland und Klimarettung führt bei vielen dazu, dass sie ihr Auto nicht mehr halten können; oder dass das Geld für die große Ferienreise mit der Familie fehlt; oder dass die bisherige Wohnung in günstiger Lage nicht mehr bezahlbar ist. Das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung hat sich also stark und dauerhaft verschlechtert. Nicht nur nominell im Geldbetrag, sondern ganz materiell in Arbeitsstunden und erreichbaren Gütern. Der Bruch des Gesellschaftsvertrages ist mit Händen zu greifen.

Das gilt nicht nur für die große Mehrheit der Haushalte im Land, sondern auch für die Unternehmen. Deren Kosten werden durch die Verteuerung der Energie erheblich gesteigert, und sie können diese Kosten nicht ohne weiteres an die Käufer ihrer Produkte weitergeben. Denn deren Kaufkraft ist begrenzt. Entweder müssen die Unternehmen einen Teil der Mehrkosten in ihrer Bilanz auffangen – dann sinken die Erträge des Unternehmens. Oder sie versuchen, die Kosten vollständig weiterzugeben – dann gehen die Absatzzahlen zurück und eventuell verschwinden ganze Märkte. Auch für die Unternehmen wird das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung verschlechtert, auch hier zerbricht der bestehende Gesellschaftsvertrag. Und auch für die staatliche Infrastruktur verändern sich die Verhältnisse: Ihre Herstellungs- und Unterhaltskosten steigen, während zugleich die Auslastung zurückgeht, wenn seltener von den Verkehrs- und Versorgungssystemen seltener Gebrauch gemacht wird. War der Zustand der Infrastrukturen bisher ein Zeichen eines guten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung zwischen Bürgern und Staat, gibt es nun Verfallserscheinungen.

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„Gesellschaft“ bedeutet Leistung und Gegenleistung – Hier zeigt sich, wie unzureichend es ist, die Folgen der Preis-Revolution nur bei einzelnen besonders betroffenen Gruppen zu suchen. Und überhaupt die Bürger als „Betroffene“ anzusehen, und nicht als Leistungsträger. Die Idee des Gesellschaftsvertrages geht davon aus, dass ein modernes Land sich nicht aus einer „zuteilenden Hand“ und einer Vielzahl von „Empfängern“ zusammensetzt, sondern aus einer Vielzahl von Leistungsträgern – und aus vielfältigen Verhältnissen von Leistung und Gegenleistung. Und dass die Stabilität eines Landes immer die Form von mehr oder weniger dauerhaften Verträgen annehmen muss, in der diese Gegenseitigkeit ihren Ausdruck findet. Es bedeutet daher einen tiefen Bruch, wenn eine Teuerungswelle aufgrund völlig einseitiger Entscheidungen („Klimarettung“, „Wirtschaftskrieg gegen Russland“…) stattfindet, und dann von dem grundlegenden Rechtsverhältnis, das dadurch verletzt wird, nicht mal die Rede ist. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung wird nicht nur faktisch verschlechtert, sondern ist als Rechtsverhältnis gar nicht mehr existent. „Gesellschaft“ bedeutet nur noch, dass man etwas zugeteilt bekommt oder einem etwas genommen wird.

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Ein Präzedenzfall: die Migrationskrise – Migration ist in modernen Zeiten eine alltägliche Tatsache mit einer langen Geschichte. Zu dieser Normalität gehört, dass es eine Übereinkunft zwischen dem Migranten und dem aufnehmenden Land gibt. Auch hier ist eine Art Vertrag im Spiel. Aber seit etlichen Jahren, insbesondere seit der Migrationskrise von 2015, findet eine massenhafte, einseitige Grenzüberschreitung statt. Von einem Vertrag ist nicht mehr die Rede. Stattdessen wird behauptet, dass die heutige Massenmigration aufgrund einer allgemeinen Notlage stattfinden muss. Migration wird auf Flucht-Migration reduziert. Und daraus wird ein einseitiges Migrationsrecht und eine einseitige Aufnahmepflicht der Zielländer konstruiert. Das Grunderfordernis der beiderseitigen Zustimmung wird ausgehebelt. So steht heute der größere Teil der Migration auf der Welt außerhalb jeden Vertrags. Migration findet nun als einseitige Landnahme statt. Sie soll rechtens sein, sofern sie sich auf eine Notlage beruft. Das Prinzip von Leistung und Gegenleistung, das im Zielland galt, wird an dieser Stelle massenweise außer Kraft gesetzt. Dem alltäglichen, fraglosen Zusammenhalt eines Landes, der auf dem Prinzip „Gesellschaftsvertrag“ beruhte, wird eine schwere Verletzung zugefügt. Diese Wunde ist nach wie vor offen.

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Und jetzt haben wir eine Industriekrise – Und nun kommt in breiter Front eine Teuerungswelle, die die Gesamtrelation zwischen Arbeit und Reallohn, zwischen Leistung und Gegenleistung in diesem Land einschneidend verschlechtert. Der Gesellschaftsvertrag ist damit insgesamt in Frage gestellt. Im Zuge der neuen Erbfeinde „fossile Brennstoffe“ und „Putins Russland“ wird alles das, was gerade noch als Leistung von Generationen anerkannt wurde, und für das diese Generationen ein Recht auf Gegenleistung hatten, zur Schuld dieser Generationen erklärt. Die „Zeitenwende“ ist eine gigantische Schuldverschiebung. Wer einmal Autos gebaut hat, soll dafür jetzt büßen. Wer mit Russland Handel getrieben hat, ebenso. Eigentlich wäre es das Gebot der Stunde, alles zu tun, damit die Knappheit der Güter und ihre erhöhten Herstellungskosten wieder verringert werden. Dazu braucht es nicht weniger Industrie, sondern mehr Industrie. Dazu wäre es geboten, sich dreimal zu überlegen, ob es wirklich im Interesse Europas und Deutschlands liegt, die internationale Arbeitsteilung mit Russland dauerhaft zu zerstören. Und alles spricht dafür, dass jetzt die Luft aus der Blase der postindustriellen Scheinbeschäftigungen gelassen wird. Denn diese Beschäftigungen tragen nichts dazu bei, dass knappe und teure Güter wieder vorhanden und erschwinglich sind. Doch statt sich um Energie und Lebensmittel zu kümmern, will man mit den kleinlichsten Vorschlägen die Gesellschaft in ein Sparsamkeits-Regime treiben. Und man treibt damit nur die Abwärtsspirale noch weiter.

Nein, wir brauchen wieder mehr Industriearbeit im Lande, und diese Arbeit ist ohne materielle Gegenleistungen nicht zu bekommen. Wer glaubt denn im Ernst, dass man die Leute, die sich vielerorts schon aus der Arbeit zurückziehen, dadurch wieder in die Betriebe bekommt, dass man ihnen täglich vorsingt: „Das Essen muss teurer werden“ oder „Dreht doch die Heizung runter“. Da häufen sich dann die Krankenscheine. Man geht in Teilzeitarbeit. Oder man bleibt ganz weg. Der „Spiegel“ vom 16.Juli titelt: „Wo sind die nur alle hin? – Wie der Mangel an Arbeitskräften das Land lahmlegt“. Wir stecken schon mitten in einer Industriekrise. Und sie besteht nicht allein darin, dass dem Land das Gas ausgeht, sondern auch darin, dass dem Land die Gründe ausgehen, die Menschen zur Arbeit in der Industrie bewegen. Wozu soll man sich noch anstrengen, wenn das effiziente Produzieren in Deutschland nichts mehr wert ist?

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